BMW R 1200 R, Honda CB 1000 R und MV Agusta Brutale 800 im Vergleichstest
Drei Motortypen, drei Konzepte, ein Ziel

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Drei Nakeds, drei Motortypen, drei Konzepte, ein Ziel: die Führungsrolle in der oberen Mittelklasse. Pikant: Zwischen dem ältesten und dem neuesten dieser drei Motorräder liegen satte acht Jahre. Wer holt sich den Sieg im Vergleichstest? BMW R 1200 R, Honda CB 1000 R oder MV Agusta Brutale 800?

Drei Motortypen, drei Konzepte, ein Ziel
Foto: Rivas

Motoren bilden klar das Herzstück von Bikes und bestimmen maßgeblich, wie stark diese uns antörnen. Seit der Erfindung dieser Antriebe stellt sich auch immer die Frage nach dem Hubraum und der Zylinderzahl. Wie viel ist genug? Und gibt es überhaupt ein „Zu viel“? Fragen, die keine objektiven Antworten zulassen. Vielmehr spielen dabei persönliche Sympathien eine große Rolle. Einige Zeitgenossen sind mit ihrem kleinen Eintopf happy, andere brauchen dazu einen fetten Sechspötter.

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Eines ist aber auch klar: Sportliches Fahren abseits von Offroad- und Supermoto-Pisten reduziert das Sortiment auf zwei bis vier Zylinder und rund 600 bis 1300 Kubik. Außerdem bewegt sich die Leistung vorzugsweise im dreistelligen Bereich. In diese Kategorie passt wunderbar die frisch renovierte, dreizylindrige MV Agusta Brutale 800, die sich Euro-4-gereift ihren noch nach alter Norm auftretenden Konkurrentinnen BMW R 1200 R und Honda CB 1000 R stellt. Welches Konzept macht das Rennen: Zwei-, Drei- oder Vierzylinder?

BMW R 1200 R: Punch aus Hubraum

Diese Frage führt uns schnurstracks zur Power der drei Probandinnen und als Erstes zur BMW R 1200 R. Ihr riesiger Boxer mit monumentalen 1170 Kubik schickt gewaltige 125 Nm bei 6500/min auf die Reise. Dieses Drehmoment katapultiert die R 1200 R mitsamt ihrem Treiber mächtig aus den Ecken. Breites Grinsen und festes Am-Lenker-Festkrallen, die BMW erzeugt beides! Trotz des hohen Gewichts von 240 Kilo lässt sie ihre bis zu 41 Kilo leichteren Konkurrentinnen in engem Geläuf stehen. Das Beschleunigungsdiagramm im zweiten Gang auf Seite 46 (rechnerische Werte) zeigt diese Überlegenheit.

Die Grafik berücksichtigt außer dem Punch des Motors auch das Gewicht von Bike und Fahrer sowie die Gesamtübersetzung. Genau hier liegt der Hase im Pfeffer: Die listigen Münchner übersetzten den Flat-Twin in den ersten beiden Gängen extrem kurz. Dieser Trick liefert stramme Beschleunigungen bei geringen Geschwindigkeiten. Die Abstufung zum dritten Gang fällt indes recht groß aus, wodurch die Linien dort sehr dicht beieinander liegen. Ab dem vierten muss sich die BMW R 1200 R den beiden anderen gar geschlagen geben. Heißt im Klartext: Steigt der Speed, verbuchen die Honda CB 1000 R und MV Agusta Brutale 800 Vorteile.

Arturo Rivas
Die BMW R 1200 R klingt durchaus kernig.

Auch deshalb sind viele Sportfahrer beim Antrieb der BMW R 1200 R wenig euphorisch und befinden ihn zudem als zu schwer, zu breit und zu klobig. Außerdem schwingt die Fuhre bei Gasschüben im Stand wegen des Rückdrehmoments der längs liegenden Kurbelwelle etwas nach links. Dazu untermauert die spürbare Pause, die sich der Flat-Twin zwischen 3500/min und 4800/min gönnt, die Vorbehalte.

Unbändigen Spaß bereitet es dagegen, die Gänge bei Vollgas und ungewöhnlich niedrigen 2500/min mit dem herrlichen Schaltautomaten (optional) durchzusteppen. Dann legt der Boxer kräftig bebend los und brummt dabei wunderbar sonor. Auch sonst klingt die BMW R 1200 R durchaus kernig, und im Schiebebetrieb rotzt sie dank gezielt eingespritzter Benzin-Tröpfchen frech aus ihrem Endtopf. Letztlich halten sich Vor- und Nachteile des Antriebs die Waage und jeder entscheidet für sich: Love it or hate it!

MV Agusta Brutale 800: pures Leben

Ganz anders verhält es sich bei der MV Agusta Brutale 800. Der Drilling trifft voll ins Nervenzentrum. Mit der Euro 4-Norm schreit er zwar wesentlich zurückhaltender aus den drei Endrohren als zuvor, und erstmals wundern wir uns nicht über die amtliche Zulassung. Dennoch hat der Triple kaum etwas von seinem Unterhaltungswert eingebüßt. Das liegt vor allem am zornig-dumpfen Ansauggeräusch, mit dem er sich frischen Sauerstoff durch die Airbox zieht.

Dazu faucht, knurrt und mahlt er lebendig wie eh und je. Unterschiede bestehen allerdings beim maximalen Output. Mit gemessenen 110 PS und 79 Nm büßt der Antrieb satte 13 PS und drei Nm auf seinen Vorgänger ein. Auch dreht die neue MV Agusta Brutale 800 nicht so gierig hoch, bei 12.000/min ist nun Schluss. Die „alte“ Brutale jodelt exakt 1000 Touren höher. Als Ausgleich puncht das Euro-4-Triebwerk bis 8000/min kräftiger und entfaltet seine Leistung insgesamt etwas gleichmäßiger. Doch was bedeutet das im Vergleich zur BMW R 1200 R und zur Honda CB 1000 R?

Arturo Rivas
Der Drilling der MV Agusta Brutale 800 trifft voll ins Nervenzentrum.

Wegen ihres niedrigen Gewichts von vollgetankt 199 Kilo und ihrer kurzen Übersetzung bleibt die MV Agusta Brutale 800 in den ersten beiden Gängen zumindest an der stärkeren Honda dran. In der dritten Fahrstufe liegt das Trio wie bereits erwähnt nahezu gleichauf. In den Gängen vier bis sechs schiebt die Italienerin über weite Strecken gar am kräftigsten an, was ihr auch die besten Durchzugswerte beschert. Auch in Sachen Gasannahme hat sich bei der 800er etwas getan. Zwar wirkt sie immer noch etwas nervös und feuert selbst im Teillastbereich mitunter ungestüm los, was den Einradtanz erschwert – Wheelie-Artisten aufgepasst!

Doch dafür nimmt sie nun selbst im schärfsten Modus (Sport) das Gas sehr passabel an. Dass MV Agusta Brutale 800 die Power im Normalmodus auf zirka 90 PS begrenzt, kann uns dagegen nicht überzeugen. Zumal „Rain“ die Leistung ja ebenfalls reduziert. Merkwürdig ist auch der Modus „Custom“, der qua Bezeichnung Einstellmöglichkeiten suggeriert, aber keine bietet. Erfreulich dagegen: Die Brutale verfügt serienmäßig über einen Schaltautomaten mit Blipperfunktion, der kupplungsfreies Hoch- und Runterschalten ermöglicht. Dadurch flutschen die Zahnradpaare zwar nicht wie von selbst ineinander, doch die hakige Schaltbox lässt sich dank dieses Features ordentlich bedienen.

Honda CB 1000 R: solide Power

Im direkten Vergleich mit der MV Agusta Brutale 800 und der BMW R 1200 R wirkt die Honda CB 1000 R wie ein Relikt aus vergangenen Tagen. Beispiel Leistung: 125 PS aus einem Tausender-Vierzylinder zu kitzeln, ist heute wahrlich keine Heldentat mehr. Das deutet auf das zarte Alter der Honda hin: In ihrer Urform prescht sie bereits seit 2008 über die Prärie. Dazu hielten sich ihre technischen Modifikationen seither in überschaubaren Grenzen. Dennoch beeindruckt die Japanerin mit ihrer Leistungsentfaltung. Vorbildlich gleichmäßig schiebt sie durchs Drehzahlband, serviert ihre Power unaufgeregt und souverän.

Diese Eigenschaften machen sie in bestem Sinne berechenbar, das Auf und Ab der BMW R 1200 R und das etwas flatterhafte Verhalten der MV Agusta Brutale 800 kennt die Honda CB 1000 R nicht. Dazu lässt sich ihr angenehm kurz übersetztes Getriebe auch ohne Helferlein exakt und leicht bedienen. Außerdem liegt sie in Sachen Laufruhe vor der Konkurrenz. Zwar schickt der Vierling ab mittleren Drehzahlen die für diese Bauart typischen, feinen Vibrationen zu den Rasten, doch insgesamt läuft der Motor erfreulich kultiviert.

Arturo Rivas
Die Honda CB 1000 R serviert ihre Power unaufgeregt und souverän.

Wenn, wäre und hätte zählen bekanntlich nicht. Doch besser ausgestattet (Beispiel: Traktionskontrolle) würde die Honda CB 1000 R die Motorenwertung gewinnen. So landet sie in dieser Rubrik hinter der BMW auf Platz zwei.Eine sauber abgestimmte TC würde auch der Brutale gut zu Gesicht stehen.

Doch leider regelt das System nach wie vor sehr eigenwillig, was wertvolle Punkte kostet. Letztlich liegt es also nicht an Euro 4, dass die MV Agusta Brutale 800 im Motorenkapitel leicht hinterherhinkt. Doch absolute Klarheit kann nur ein Vergleich im nächsten Jahr schaffen, wenn die neue Norm bei allen Bikes zuschlägt.

Bremsen der BMW R 1200 R ein Traum

Normänderungen betreffen die Fahrwerke dagegen nicht, daher zählen hier auch keine Ausreden. Die hat die BMW R 1200 R auch gar nicht nötig. Ein leichter Zug am Lenker genügt, und flugs biegt die Bayerin in die Ecken. Es ist immer wieder erstaunlich, wie die Münchner das hohe Gewicht ihrer Boxer-getriebenen Maschinen kaschieren. Weniger gefällt dagegen die inaktive Sitzposition mit der niedrigen Serienbank. Tipp: Abhilfe schafft die höhere Variante, die den Geldbeutel beim Neukauf nicht zusätzlich belastet. Anders die bei BMW-Testmaschinen übliche üppige Ausstattung. Nahezu das komplette Sortiment steckt in der Münchnerin und treibt ihren Preis von nackt 12.950 Euro auf Weinkrämpfe auslösende 16.500 Euro.

Dabei wirken sich die wenigsten Extras direkt aufs Kurvenfahrverhalten aus. Die BMW R 1200 R brettert wohl auch ohne teures Zubehör absolut zielgenau, bombenstabil und ohne Aufstellmoment um die Radien. Auswirkungen auf die Arbeit des Fahrwerks hat dagegen das Dynamik-ESA. Das semiaktive System bietet verschiedene Einstellmöglichkeiten des Dämpfungs-Grundsetups und passt sich automatisch an den Fahrzustand an. Grundsätzlich funktioniert das super. Minimale Schwächen zeigt nur das Federbein, das bei gröbsten Verwerfungen deutlich unsensibler anspricht als die feine Gabel. Ein Traum sind die Bremsen: knackiger Druckpunkt, fester Biss, beste Dosierbarkeit. Auch das ABS arbeitet hervorragend. Das System ermöglicht irre kurze Bremswege ohne die Gefahr eines Überschlags.

MV Agusta Brutale 800 im Kurvenrausch

Die BMW R 1200 R legt die Hürden also auch beim Fahrwerk hoch. Zu hoch für die Konkurrenz? Um es vorwegzunehmen: ja! Beispiel MV Agusta Brutale 800. Die Italienerin jagt deutlich instabiler über Runzelasphalt und zuckt auf diesem Geläuf bisweilen nervös mit dem Lenker. Dabei dürfte das unsensible, in der Druckstufe sehr straff gedämpfte Federbein eine große Rolle spielen. Darüber hinaus bricht ihr Heck beim heftigen Ankern seitlich aus – super für Profi-Anbremsdrifter, gewöhnungsbedürftig für Normalos. Und letztlich regelt das ABS bei voller Attacke etwas früh, lässt aber dennoch den Vorwärtssalto zu.

Genug gemurrt! Abgesehen von diesen Schwächen liefert die Brutale puren Fahrspaß. Beispiele gefällig? Kurvengierig wie keine andere sticht die MV Agusta Brutale 800 ins Winkelwerk und pfeilt ultrastabil und lasergenau durch die Bögen – ­eindeutig supersportliche Merkmale. In dieser Disziplin zeigt sie sogar der BMW R 1200 R eine lange Nase. Gleiches gilt für die glasklare Rückmeldung. Der MV-­Pilot spürt haarfein, was unter ihm abgeht. Dazu bietet die Brutale mit dem geringsten Abstand von Lenker- zu Sitzhöhe die aktivste Fahrposition. Der Pilot sitzt weit vorn und packt die superbreite Lenkstange wie den Stier bei den Hörnern. Sportlich-knackig fällt auch das straffe Sitzpolster aus, dazu ermöglicht der schmale Tank einen angenehm engen Knieschluss. Diese Eigenschaften sind Weltklasse und bügeln die Unzulänglichkeiten locker aus.

Honda CB 1000 R bleibt souverän und lässig

Und die Honda CB 1000 R? Sie bleibt sich treu und bietet auch in diesem Kapitel sehr Solides – typisch für ihren Anspruch als Everybody’s Darling. Beispiel Sitzposition: Das ergonomische Dreieck aus Bank, Lenker und Rasten bildet ein erstklassiges Mittelding aus Sport und Komfort. Einzig der breite Tank spreizt die Beine des Piloten etwas weit. Ein feines Händchen bewiesen die Techniker bei der Federbalance. Gabel und Monoshock arbeiten absolut synchron, und bis auf übelste Kanten ebnen die Federelemente auch zweitklassiges Geläuf sehr souverän. Leichte Abstriche gibt’s beim Handling. Die CB braucht beim Kurvenswing einen deutlichen Lenkimpuls und zusätzlich etwas Schenkeldruck. Dazu stellt sie sich beim Bremsen in Schräglage spürbar auf und bietet nur ein durchschnittliches Feedback.

Reifensache? Sehr wahrscheinlich, denn die Honda rollt auf angegrauten Bridgestone BT 015 in Sonderspezifikation „L“. Moderne Sohlen würden der CB garantiert schärfere Fahreigenschaften bescheren. Für die Bremsperformance bringt das freilich nichts. Beim sportlichen Brennen benötigen ihre Anker viel Handkraft und verzögern nur durchschnittlich. Dazu kommt, dass der Fahrer die Bremsverteilung vorn und hinten wegen des kombinierten Bremssystems nicht selbst steuern kann: Tritt er aufs Pedal, verzögert die Honda CB 1000 R vorn automatisch mit. Außerdem neigt das Hinterrad bei Bremsattacken mangels Anti-Hopping-Kupplung zum Rattern. Top hingegen das ABS. Das System regelt wunderbar spät und brilliert mit feinen Intervallen.

Motor bestimmt über den Erlebnisfaktor eines Bikes

Wie eingangs erwähnt, bestimmt der Motor wesentlich über den Erlebnisfaktor eines Bikes. Meist zählen hierbei persönliche Vorlieben weit mehr als nüchterne Punktewertungen. Ganz gleich, wie man zu Boxermotoren steht, Fakt ist: BMW hat mit der Testsiegerin BMW R 1200 R einen exzellenten Job gemacht – Chapeau!

Technische Daten

Arturo Rivas
Drei Nakeds, drei Motortypen, drei Konzepte, ein Ziel: die Führungsrolle in der oberen Mittelklasse. Pikant: Zwischen dem ältesten und jüngsten Bike liegen satte acht Jahre.

Hier sehen Sie einen Auszug der technischen Daten. Wenn Sie die kompletten, von uns ermittelten Messwerte inklusive aller Verbrauchs-, Durchzugs- und Beschleunigungswerte möchten, können Sie den Artikel als PDF zum Download kaufen.

Testergebnis

Arturo Rivas
Die BMW R 1200 R gibt sich kaum eine Blöße und gewinnt den Vergleichstest.

Platz 1 - BMW R 1200 R (Gesamtpunktzahl: 196 von 250 Punkten):

Die Bayern haben es wieder einmal geschafft: klarer Sieg nach Punkten in den drei Kapiteln Antrieb, Fahrwerk und Alltag. Die BMW R 1200 R gibt sich kaum eine Blöße, und selbst in der subjektiven Kategorie Fahrspaß bricht sie Dämme. BMW-Hasser und Abo-Kündiger aufgemerkt: einfach mal Probe fahren!

Platz 2 - MV Agusta Brutale 800 (Gesamtpunktzahl: 174 von 250 Punkten):

Das astreine Kurvenwetzeisen landet auf Platz zwei. Handling, Präzision, Kurvenstabilität und Feedback sind vom Feinsten und bilden eine perfekte Basis fürs Landstraßenglühen. Motorseitig hat die MV ebenfalls gewonnen, wenngleich bei der Abstimmung der Elektronik noch immer Luft nach oben besteht.

Platz 3 - Honda CB 1000 R (Gesamtpunktzahl: 172 von 250 Punkten):

Die Japanerin muss die beiden Konkurrentinnen ziehen lassen. Besonders bitter: Der Abstand zur BMW R 1200 R, der zumindest teilweise aufs Konto der mageren Ausstattung geht, Stichwort Fahrhilfen. Für die Honda CB 1000 R sprechen ihre traumhafte Ausgewogenheit und ihr problemloses Fahrverhalten. Außerdem ist sie deutlich günstiger als die Maschinen der Konkurrenz.

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PS 10 / 2023

Erscheinungsdatum 13.09.2023