Sexy mag echten Sportskanonen als Attribut beim Thema Boxer-BMW vielleicht nicht gerade einfallen. Aber bei der Premiere der BMW R 1200 R sprachen die Münchner genau davon. Ist das ihr Ernst?
Sexy mag echten Sportskanonen als Attribut beim Thema Boxer-BMW vielleicht nicht gerade einfallen. Aber bei der Premiere der BMW R 1200 R sprachen die Münchner genau davon. Ist das ihr Ernst?
Edgar Heinrich ist jetzt seit knapp zwei Jahren Chef-Designer bei BMW-Motorrad. Der Mann hat nicht nur durch seine Art eine gewisse Lockerheit in BMW-Veranstaltungen gebracht, die Modelle haben sich seither optisch sehr verändert. Diesen Wandel unterstrich Heinrich bei der Pressekonferenz zur Premiere der komplett neuen BMW R 1200 R, als er über den Part seiner Design-Mannschaft plauderte. Ihr hatte er für das Boxer-Modell vor dem ersten Pinselstrich die Losung ausgegeben, „insgesamt endlich emotionaler zu werden“. Und dann kam es: „Der Boxer muss auch sexy sein“, setzte Heinrich nach und unterstellte damit subtil, welchen Ruf dieser urbayerische Antrieb eigentlich hat. Zumindest beim Gros der sportlichen Motorradfahrer, bei denen die Knubbel-Zylinder mit dem Linksdrall beim Gasgeben, Kardanantrieb und Telelever nicht gerade für gierigen Speichelfluss sorgen.
Und das soll angesichts der neuen BMW R 1200 R anders werden? Optisch konnte Heinrich diesen Anspruch sofort unterstreichen. Denn der R-Roadster stellt nicht nur einen Heck-Gitterrohrrahmen selbstbewusst zu Schau, dessen Hauptstück baugleich in der gefeierten Concept-Roadster-Studie steckt, wie auch der flache Scheinwerfer diese schön zitiert. Das Heck zeigt stolz und sportlich nach oben. Und aus dem Telelever ist eine Upside-down-Gabel geworden, die nicht nur praktisch viel mehr Sportlichkeit verspricht, sondern für die Betrachter sogar damit wuchert. Mit diesem Kniff ließ sich außerdem der Kühler prima im Bike unterbringen.
Und das Herzstück, der Boxer? Ein sexy Motor ist der optisch irgendwie nicht, was aber an seinem Konstruktionsprinzip liegt und damit außerhalb von Heinrichs Zuständigkeit. Verantwortlich für die Sexyness des Motors ist unter anderem Josef Miritsch, Baureihen-Leiter der R-Modelle, und der Mann ist in erster Linie Techniker. Deshalb führen Diskussionen über den Boxer und dessen Antlitz ins Leere. Miritsch versprüht jedoch grenzenloses Selbstbewusstsein, wenn es um die Performance des Motors der BMW R 1200 R geht, und deshalb muss endlich gefahren werden.
Mit dem Knopfdruck erwacht der Twin der BMW R 1200 R augenblicklich zum Leben und, haha, da ist er, der Schüttelimpuls nach links. Aber er fällt extrem moderat aus, stattdessen brummelt es überraschend präsent aus dem Endtopf. Mit der höheren Sitzbank (der Kunde kann sich aus vier Höhen sein passendes Sitzpolster auswählen) sitzt man schön über dem Motorrad und bekommt so ein deutlich frontorientierteres Fahrgefühl. Damit lässt es sich der neuen Gabel sehr gut auf den Zahn fühlen.
Perfekt geeignet sind dafür die wild gewundenen Straßen um Alicante, die sich oft in Achterbahn-Manier eng um Felsvorsprünge und Täler schlängeln und diesem doch langen Motorrad eine überraschend hohe Handlichkeit attestieren. Kaum zu glauben, aber die BMW R 1200 R meistert nicht nur schnelle und lange Bögen wie an der Schnur gezogen, er lässt sich mit seinen satten 231 Kilo (Leergewicht) auch willig hin und her werfen – übrigens mit enormer Schräglagenfreiheit. Dazu brilliert die per ESA (705 Euro Aufpreis) und damit auf Knopfdruck einstellbare Gabel besonders im Modus „Dynamic“ mit sportlicher Härte. Im Zusammenspiel mit den Brembo-Monoblocks reißt es einen im Rausch hinein ins Geschlängel – Fahrspaß pur. Das ist eine Einfinger-Bremse, die sich richtig gut dosieren lässt, nicht durch brutales Zubeißen auffällt, aber mit jedem Zug mehr sehr progressiv und damit punktgenau verzögert. Das kombinierte ABS regelt zurückhaltend sportlich – Chapeau!
Das Gefühl für die Hinterhand ist nicht ganz so transparent wie das Feedback vorn, aber immer noch auf gutem Niveau, und zur Not gibt’s ja noch die serienmäßige dreistufige DTC. Eine Rolle beim etwas verwässerten Gefühl spielt sicher der Kardan, dessen Charakter und Impulse man einfach einkalkulieren muss. Eine Verbesserung zur Vorgängerin ist aber mehr als deutlich. In der„Road“-Einstellung ist das Fahrwerk der BMW R 1200 R übrigens viel komfortabler und gibt schroffen Untergrund nicht annähernd so schonungslos an den Piloten weiter wie in der „Dynamic“-Stufe.
Letzteren Modus gibt es wählbar auch für den Boxer. Dann hängt der richtig direkt am Gas und marschiert per kurzem Ride-by-Wire-Gasgriff los wie die Feuerwehr. Ja, richtig gelesen. Der neue, wassergekühlte und 125 PS starke Twin hat einen satten Druck aus dem Keller und eine Laufkultur – holla, das muss man auch als Vierzylinder-Speedfreak einfach mal anerkennen. Und mit Zweizylinder-Erfahrung hinzufügen, dass der Boxer kein Hacken und Bocken kennt. Selbst wer mal einen Gang zu hoch in die unübersichtliche Ecke lanzt und am Kurvenausgang dann die Brause wieder auf Durchzug stellt, wird höchstens ein dezent kurzes Schütteln vom Triebwerk bemerken und sich dann darüber freuen, dass der Motor der BMW R 1200 R sofort wieder anschiebt, einen nicht hängen lässt oder mit wüsten Gesten die eigene Unzulänglichkeit unter die Nase reibt.
Sehr linear gibt der Boxer seine Leistung ab und zeigt sich zudem äußerst drehfreudig. Dass er kein Sprengkommando à la 1000er-Reihenmotor ist, lässt sich ja gar nicht bestreiten – und muss es aus BMW-Sicht auch nicht, denn dafür können die Bayern ja mit der S 1000 R den alternativen Roadster anbieten. Einziger Wermutstropfen für satte Sportlichkeit ist der Schaltautomat der BMW R 1200 R. Beim Hochschalten, das einen deutlichen Impuls erfordert, verweigert das Getriebe mitunter den Dienst, wenn die Drehzahlen nicht ganz passen – besonders in den unteren Gängen. Aber das kupplungsfreie Runterschalten klappt dafür sauber wie bei einem Rennmotorrad.
Da sind wir wieder voll auf der neuen, sehr sportlichen Linie, die die BMW R 1200 R eingeschlagen hat. Dass sie nicht diese radikale Leichtigkeit der Concept-Roadster hat, ist aus PS-Sicht schon schade. Aber BMW-Motorrad-Vize Nikolaus Bauer kann man mit Wunschdenken nicht den Wind aus den Segeln nehmen, wenn er auf 50.000 verkaufte Einheiten des Roadster-Vorgängers verweist. Sie wären in München tief in Weißbier eingelegt, diese Boxer-Fans mit Experimenten zu vergraulen. Mit etwas Willen kann schließlich auch die Zenzi sexy sein, die exotische Granate würde da nur den Familienfrieden stören.
Antrieb: Zweizylinder-Boxermotor, vier Ventile/Zylinder, 92 kW (125 PS) bei 7750/min*, 125 Nm bei 6500/min*, 1170 cm³, Bohrung/Hub: 101,0/73,0 mm, Verdichtung: 12,5:1, Zünd-/Einspritzanlage, 52-mm-Drosselklappen, mechanisch betätigte Mehrscheiben-Ölbad-Anti-Hopping-Kupplung, Sechsganggetriebe, Kardan.
Fahrwerk: Gitterrohrrahmen Motor mittragend, Lenkkopfwinkel: 62,3 Grad,
Nachlauf: 125,6 mm, Radstand: 1515 mm, Ø Gabelinnenrohr: 45 mm, Federweg v./h.: 140/140 mm
Räder und Bremsen: Leichtmetall-Gussräder, 3.50 x 17/5.50 x 17, Reifen vorn: 120/70 ZR 17, hinten: 180/55 ZR 17, 320-mm-Doppelscheibenbremse mit Vierkolben-Schwimmsätteln vorn, 276-mm-Einzelscheibe mit Einkolben-Schwimmsattel hinten, C-ABS.
Gewicht: (Leergewicht) 231 kg*
Tankinhalt: 18 Liter Super
Grundpreis: 12.800 Euro (zzgl. NK)*
*Herstellerangabe