Dunkle Wolken schieben sich über den Himmel. Heute bleiben die Schönwetter-Fahrer zu Hause. Gut für freie Straßen ohne Warnwesten-Junkies. Das Ziel: knackige Schräglagen, qualmende Reifen, Spaß. Keine 1000-Punkte-Wertung, der Bauch als Entscheidungshilfe. Zur Auswahl stehen zwei nackte Potenzprotze der 800er-Liga. Die Ducati Streetfighter 848 lehnt lässig auf dem Seitenständer. Sie weiß um ihr Erbe im Programm der Bologneser. Ist die Letzte ihrer Art. Das Sportbike 848 Evo gestrippt, den Testastretta-Motor mit elf Grad Ventilüberschneidung ins klassische Rohrgeflecht gepflanzt. Dazu ein tiefer, nach unten gekröpfter Rohrlenker. Fertig.
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Ducati Streetfighter 848 und MV Agusta Brutale 800 RR im Vergleichstest
Duell der italienischen 800er-Nakeds
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Wohlig-wild massiert der satte Sound aus den beiden Stahltröten dich und die Umgebung. Brotkasten-Under-Engine oder sonst ein neumodisches Auspuffgeraffel hat die Ducati Streetfighter 848 nicht nötig. Das ist vielleicht nicht mehr modern. Macht aber trotzdem an. Die MV Agusta Brutale 800 RR sieht das naturgemäß anders. Ihre dreiflutigen Orgelpfeifen wären ohne Vorschalldämpfer gar nicht möglich. Der Sound passt, wir drücken noch mal ein Auge zu. Dabei präsentiert sich die Brutale schon vom ersten Meter an als Everybody’s Darling. Ungehobeltes Ansprechen des Motors? Merkwürdige Abstimmung der Einspritzung? Knochentrockenes Fahrwerk? Diese Kapitel verschwinden im Buch der Brutale-Geschichte. Das Naked-Derivat – abgeleitet von der Sportkanone F3 – umschmeichelt dich mit besten Manieren. Italienischer Chic trifft japanische Funktionalität. Ups, wo bleibt da der Straßenkämpfer? Zwischen den beiden Rädern der MV.
MV Agusta Brutale 800 RR fegt durch die Drehzahlleiter
Was der Motor abliefert, entfacht nicht nur im Brennraum ein Feuer, sondern entflammt auch jedes Herz. Wie von der Tarantel gestochen, fegt die MV Agusta Brutale 800 RR durch die Drehzahlleiter. Hebt im Zweiten noch lässig das Vorderrad. Die Show stimmt. Außer beim burnen. Dreht das Hinterrad durch, fängt die Traktionskontrolle es wieder ein. Und der Motor ist aus. Daher den Durchdrehverhinderer vorher ausschalten und ein dunkles Visier tragen, damit niemand die peinlich-rote Birne sieht, falls der wichtige Ausschaltbefehl vergessen wurde. Der Pilot der Ducati Streetfighter 848 lächelt darüber nur lässig. Seiner Traktionskontrolle sind Gummi verbrennende Hinterräder im Stand egal. Wobei der Streetfighter eh schnuppe ist, was du von ihr hältst. Die V2-Italienerin ist wie ein fester Händedruck. Den erträgst du – oder gibst dich schon im Stand geschlagen. Beispiel gefällig? Allein die Sitzposition. Die schickt den Personal Trainer in die Arbeitslosigkeit. Der Lenker weit vorne und nach unten gekröpft – Liegestütz ist angesagt. Dazu fällt die Bank stark nach vorne ab.
Wenn männliche Straßenkämpfer beim Bremsen nicht aufpassen, gibt’s Eiersalat. Love it or leave it. Das geht so weiter. Die Kupplung: nichts für Zartbesaitete. Das Handling: nichts für Zauderhafte. Die Laufkultur: nichts für Von-ganz-unten-raus-Hochdreher. Die Stabilität: famos. Die Ducati Streetfighter 848 ist anders. Und nimmt dich genau damit gefangen. Wenn du dich auf sie einlässt. Sie laufen lässt. Den Puls ihres Motors im Wohlfühlbereich hältst. Das ist der Weg zur Glückseligkeit. Zumindest zu einer kurzfristigen. Denn die Duc kostet Kraft. Sie pfeift auf Tourenmodus und Erholung. Sie will getrieben werden. Und treibt dich gleichzeitig an. Solange die Kondition stimmt, flitzen Endorphine durchs Gehirn. Doch irgendwann kommt die Pause. Und dann sticht die MV Agusta Brutale 800 RR einfach so an dir vorbei. Aus der Traum von der Hoheit beim Fight um die Pole Position.
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Schwächen bei Italo-Bikes oft als Charakter abgetan
Dem Rebell ist die Puste ausgegangen. Zeit zum Aufräumen. Und klarstellen. Oft werden Schwächen bei Italo-Bikes als Charakter abgetan. Bullshit. Wenn etwas schlecht funktioniert, verdient es kein Lob. Basta. Die Ducati Streetfighter 848 ist nicht weichgespült. Motorradfahren mit ihr ist kein Selbstgänger, sondern ein anstrengendes Erlebnis. Sie funktioniert ohne Tadel. Aber sie fordert. Das zeichnet sie aus. Ihr Charakter: Du musst dich mit ihr am Asphaltband abarbeiten. Der Lohn: Du stellst sie abends in die Garage, köpfst ein Bier und spürst ein bisschen Stolz über das Geleistete. Es war nicht einfach, aber in dir wohnt tiefe Zufriedenheit.
Die MV Agusta Brutale 800 RR geht die Sache anders an, bietet schon eine Sitzposition ohne Hinterhältigkeiten. Dazu schneidet sie Ideallinien so fein wie ein Skalpell die Haut. Sie ist der hyperaktive Gegenpart zur Ducati Streetfighter 848. Die MV wischt auf der kürzesten Linie ums Eck. Fällt ohne Widerstand in Schräglage und wuchtet dich mit der fein dosierbaren Power ihres Triples schaurig-schön auf die nächste Gerade. Wenn die Streetfighter die eine ist für alle Kraftdreikämpfer, greifen Modellathleten ohne Fettansatz zur Brutale. Mit dem, was dein linker Fuß auf der Streetfighter für einen Gangwechsel leisten muss, sortierst du auf der Brutale das komplette Getriebeprogramm durch. Dank Schaltautomat mit Blipperfunktion. Und wenn du durch den nächsten Kurort mit 30 auf der Uhr im vierten Gang gleiten kannst, erschrickt das auch keine Anwohner. Ganz schön alltagstauglich, die 800er aus Varese. Weit entfernt von brutal. Ist der Name also nur schnödes Blendwerk? Quasi ein böser Bube für alle neumodischen Ich-bin-böse-Hipster? Vielleicht. Ihre Umgangsformen lassen das auf den ersten Eindruck vermuten.
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Ducati Streetfighter 848 besitzt keinen Lenkungsdämpfer
Bis du zum ersten Mal das Messer zwischen den Zähnen auspackst. 1380 Millimeter Radstand, 66 Grad Lenkkopfwinkel und 95 Millimeter Nachlauf: Aus diesen Werten leitet die MV Agusta Brutale 800 RR ihre famose Handlichkeit ab. Bei der Stabilität muss sie so aber auch ein paar Federn lassen. Wenn die Ducati Streetfighter 848 straff gedämpft wie hingezimmert durch die Radien fliegt, lässt die MV mehr Chassis-Bewegungen zu. Die Duc besitzt keinen Lenkungsdämpfer, die MV hat ihn nötig. Der ist werksseitig schon fast komplett geschlossen. Und das nicht ohne Grund. Treibst du die MV drehzahljubelnd durchs holprige Kurvenwerk, solltest du genau wissen, was du gerade tust. Die MV kann also auch böse. Sie ist wie der Wolf im Schafspelz. Lange macht sie auf handzahm.
Bis du ihren fetten Appetit auf Vollgas und Kurven aller Art weckst. Dann verlangt sie eine kundige Hand. Ist nichts mehr für Poser, die sich nur in ihrem Glanz sonnen wollen. Der letzte Gummiqualm hat sich verzogen. Der Testerbauch hat entschieden. Sollen die anderen mal auf Alltagstauglichkeit machen. Wir behalten das schwarze Leder sowie die Helme mit den dunklen Visieren an und geben noch ein bisschen die bösen Jungs. Diese Rolle lässt sich mit der Ducati Streetfighter 848 und der MV Agusta Brutale 800 RR nämlich ziemlich gut spielen.
Technische Daten
Jacek Bilski
Brutale und Streetfighter - solche Namen geben eine deutliche Richtung vor.
Leistungmessungen
Jacek Bilski
Leistungsdiagramm.
Gut an der Drehmomentkurve zu erkennen: Die Ducati Streetfighter 848 mag Drehzahlen unter 3000/min nicht. Ab da legt sie druckvoll zu und schaufelt ab guten 7000 Umdrehungen noch einen satten Nm-Nachschlag auf die Kurbelwelle. Auf dem lässt sich flott über Landstraßen surfen. Kurz nach 10.000/min ist dann schon wieder Schluss. Deutlich breiter fällt das nutzbare Drehzahlband bei der MV Agusta Brutale 800 RR aus.
Die geht schon unten fein ans Gas und holt kurz nach 6000/min noch einmal tief Luft. Ab dieser Marke dreht sie spritzig-giftig bis zum Begrenzer knapp über 13.000 Touren weiter. Oben loderndes Feuer, unten verlässlicher Partner, die MV Agusta Brutale 800 RR kann’s.
Messwerte
Ducati Streetfighter 848
MV Agusta Brutale 800 RR
Höchstgeschwindigkeit*
240 km/h
245 km/h
Beschleunigung
0–100 km/h
3,4 sek
3,5 sek
0–140 km/h
5,4 sek
5,5 sek
0–200 km/h
11,5 sek
10,2 sek
Durchzug
60–100 km/h
4,0 sek
3,1 sek
100–140 km/h
5,2 sek
3,1 sek
140–180 km/h
6,8 sek
3,4 sek
Verbrauch Landstraße/100 km
5,0 Liter
6,2 Liter
Reichweite Landstraße
330 km
268 km
Fazit
Jacek Bilski
Letztlich kämpfen sie also mit verschiedenen Waffen - die Frage ist, ob sie denn um dasselbe kämpfen.
Ducati Streetfighter 848
Jacek Bilski
Ducati Streetfighter 848.
Die Ducati Streetfighter 848 ist ein Motorrad von altem Schrot und Korn. Körperliche Anstrengung gehört bei ihr einfach zwingend zum Fahrerlebnis dazu. Da wird hart geschafft und nicht feingliedrig seziert. Darauf muss man sich einstellen, einlassen. Dann wird die Duc zum verlässlichen Partner – hart, ehrlich, rau, stabil. Für die intensiven Momente im Zweirad-Leben.
MV Agusta Brutale 800 RR
Jacek Bilski
MV Agusta Brutale 800 RR.
Die MV Agusta Brutale 800 RR überrascht mit ihrem umgänglichen Wesen, lässt sich easy durch die Gegend treiben. Bis der Motor seinen vollen Punch entfalten darf und die Kurven mit viel Verve genommen werden. Dann entpuppt sie sich als Experten-Werkzeug für die Bestzeit auf der Hausstrecke. Sie ist die eine für die dynamische Runde am Sonntagmorgen.