Fahrbericht Honda CBF 600 S (2004)
All inclusive

Honda wirbelt die Mittelklasse durcheinander. Die CBF 600 ist inklusive ABS ab 6960 Euro zu haben. Ein durchdachter Allrounder, nicht nur für Wiedereinsteiger.

All inclusive
Foto: Foto: Jahn

Bescheidenheit ist eine Zier. In
Japan Lebensphilosophie. Doch manchmal stellen die Japaner ihr Licht
zu sehr unter den viel zitierten Scheffel. MOTORRAD hatte bereits in Nippon
die Möglichkeit, erste Fahreindrücke
vom neuen ABS-Mittelklasse-Motorrad zu sammeln (Heft 3/2004) – die erwartungsfroh stimmten. Und so konnte man sich bei der offiziellen Präsentation der CBF 600 im spanischen Jerez ob all der Tiefstapelei der Honda-Offiziellen nur wundern. Mit der Neuvorstellung wolle man Marktanteile zurückerobern, hieß es da. Weil die Hornet 600 zwar Europas meistverkauftes Motorrad sei, in Nordeuropa jedoch hinter den Erwartungen zurückliege. Speziell für diesen Markt entwickelte Honda die CBF. Von der man allerdings keine Wunderdinge erwarten solle, mit
78 PS nomineller Leistung sei sie kein Überflieger. Und das Design sei zwar dem Zeitgeist verpflichtet. Solle aber den Nachbarn nicht allzu arg verschrecken, wenn sich der Wiedereinsteiger, avisierter neuer Honda-Kunde, Mitte 30 bis 45, nach Jahren plötzlich eine CBF 600 vor die Haustüre stelle. Mutti, hast du schon gesehen? Herr Meier, ein Rocker, Hilfe.
Liebe Honda-PR-Abteilung. Netter Versuch. Aber ein bisschen Offensive schadet nix. Trübsal wird derzeit genug geblasen. Wie wäre es damit? Sensa-
tion: Weltgrößter Motorradhersteller bietet 600er-Vierzylinder-Allrounder mit ABS für unter 7000 Euro an. Die anderen japanische Hersteller stürzen in eine schwere Krise. Zumal es für 300 Euro Aufpreis eine verstellbare und gut funktionierende Verkleidung inklusive Doppelscheinwerfer für die unverkleidete CBF gibt. Rums.
Da hat die Konkurrenz schwer daran zu kauen. Eine Kawasaki Z 750 besitzt zwar deutlich mehr Leistung. Doch die Honda bietet neben durchdachter Ergonomie (dreifach verstellbare Sitzhöhe, zweifach einstellbarer Lenker) ein tolles und überraschend straff, jedoch nicht
unkomfortabel abgestimmtes Fahrwerk. Eine Suzuki Bandit 600 wird die Honda damit schwindlig fahren, jede Wette.
Wie? Jetzt doch Sport? Aber hallo. Auf den wundervollen, verwinkelten
spanischen Landsträßchen kam bei der mehrstündigen Ausfahrt keinesfalls der Verdacht auf, der altehrwürdige 600er-Vierzylinder, der schon Generationen von CBR 600 F antrieb, sei schwindsüchtig. Die Präsentations-Motorräder fühlten sich nach satt über 80 statt nach versicherungsgünstigen 78 PS an. Die Überarbeitung des nicht gerade laufruhigen,
kernigen Fours hat sich also gelohnt. Selbst aus niedrigen Drehzahlen zieht er
sauber ohne Murren an, seine Leistung gibt er über sein gesamtes Drehzahlband sehr homogen ab. Aggressivität ist ihm fremd. Keine Temperamentsausbrüche, sondern eher ein Typ, der einen in jeder Situation verlässlich nach vorne bringt.
Herausragendes Talent der CBF: ihre Fahrbarkeit. Diesbezüglich erinnert sie, ähnlich wie schon die Hornet 600, an die inzwischen beinahe legendäre Yamaha FZS 600 Fazer. Die Alte wohlgemerkt, nicht die sehr sportliche Neue. Die
gut ausbalancierte CBF pfeift behände um noch so trickreiche Ecken, lässt
sich dabei auch von zerfurchtem Asphalt nicht vom geplanten Kurs abbringen,
die Lastwechselreaktionen des weich
ansprechenden Vierzylinders halten sich in dezenten Grenzen. Fein, dass Honda hinten auf einen beinahe schon schma-
len 160er-Pneu setzt. Ein Lob zudem
an Michelin. Der langlebige, auf Stabili-
tät ausgelegte Pilot Road harmoniert prächtig mit der handlichen CBF. Weiteres Plus des bequemen, durchweg langstreckentauglichen Allrounders: seine
für diese Klasse überdurchschnittliche Schräglagenfreiheit. Lässiges Kurvenwetzen macht mit der Honda mächtig Spaß.
Und wenn’s mal brenzlig wird, hat eine zigtausendfach bewährte Bremsanlage die laut Honda vollgetankt 224
Kilogramm schwere Maschine sicher im Griff. Das optionale ABS (Aufpreis 600 Euro, den ansonsten 150 Euro teuren Hauptständer erhält man dann gratis dazu) wurde ursprünglich für den Roller Silver Wing 650 entwickelt und funktioniert subjektiv gut. Es regelt fein, der Bremshebel pulsiert nur minimal, auch bei Vollbremsungen bergab bleibt das Hinterrad am Boden. Kein Grund also zur falschen Bescheidenheit, Honda. Mit der CBF scheint ein großer Wurf gelungen
zu sein. Der ausführliche Test, bei dem dann das ABS gründlich unter die Lupe genommen wird, folgt in Kürze.

Unsere Highlights

Technische Daten – Honda CBF 600 S

Honda CBF 600 S
Daten
Motor: wassergekühlter Vierzylin-
der-Viertakt-Reihenmotor, zwei oben liegende, kettengetriebene Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, Tassenstößel, Nasssumpfschmierung, Gleichdruckvergaser, Ø 34 mm, Transistorzündung, ungeregelter Katalysator mit Sekundärluftsystem,
E-Starter, Drehstromlichtmaschine 336 Watt, Batterie 12 V/6 Ah.
Bohrung x Hub 65,0 x 45,2 mm
Hubraum 600 cm3
Verdichtungsverhältnis 11,6:1
Nennleistung
57 kW (78 PS) bei 10500/min
Max. Drehmoment
58 Nm (5,9 kpm) bei 8000/min
Kraftübertragung: Primärantrieb über Zahnräder, mechanisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Sechsganggetriebe, O-Ring-Kette, Sekundärübersetzung 43:15.
Fahrwerk: Zentralrohrrahmen aus Stahl, Motor mittragend, Telegabel, Standrohrdurchmesser 41 mm, Zweiarmschwinge aus Stahl, Zentralfederbein, direkt angelenkt, verstellbare
Federbasis, Doppelscheibenbremse vorn, Ø 296 mm, Zweikolben-Festsättel, Scheibenbremse hinten, Ø 240 mm, Einkolben-Schwimmsattel.
Alugussräder 3.50 x 17; 5.00 x 17
Reifen 120/70 ZR 17; 160/60 ZR 17
Bereifung im Fahrbericht
Michelin Pilot Road
Fahrwerksdaten: Radstand 1480 mm, Lenkkopfwinkel 64,0 Grad, Nachlauf 96 mm, Federweg v/h 120/128 mm.
Maße und Gewichte: L/B/H 2170/
765/1230 mm, Sitzhöhe 785 mm, Gewicht vollgetankt 224 kg, zulässiges Gesamtgewicht 404 kg, Zuladung 180 kg, Tankinhalt/Reserve 19/3,5 Liter.
Garantie zwei Jahre ohne
Kilometerbegrenzung
Farben Silber-Graumetallic, Blau
Leistungsvariante 25 kW (34 PS)
Preis 6190 Euro
Preis Testmotorrad1 7090 Euro
Nebenkosten 170 Euro

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MOTORRAD 12 / 2023

Erscheinungsdatum 26.05.2023