Fahrbericht Royal Enfield Bullet 500
Heilige Kuh

Nach der Edel-Enfield aus Heft 11/2005, jetzt ein Live-Bericht aus dem Sattel der Standard-Version. Authentisch und echt steht sie da, die Royal
Enfield Bullet 500. Praktisch alles an ihr ist massiv metallisch, verchromt, lackiert und gebürstet. Ihre Schutzbleche sind wörtlich zu nehmen, die güldenen Zierlinien handliniert. Doch sie ist kein Oldtimer, sondern eine Neumaschine. Eine von rund einer Million, die seit 1955 von den Produktionsbändern im indischen Madras gerollt sind. Aus Anlass dieses runden Jubiläums bietet der deutsche Importeur, die Firma Zülpicher Motorradtechnik, bei 102 Händlern die 500er für sagenhafte 2999 Euro an. Günstiger kann Klassik kaum sein.
Höchstens startwilliger, denn die schöne Inderin mit den englischen Genen streikt. Ah, die Zündkontakte standen nicht richtig. Das Antreten ist ein meditativer Akt. Stimmt alles? Choke? Betätigt. Benzinhahn? Auf. Kickstarter in richtiger Position? Ja. Leerlauf? Drin – eine Kontrollleuchte fehlt. Halt, noch schnell mal der Zündkerze tief ins Gesicht geschaut. War nass, vom vergeblichen Kicken. Aber jetzt. Versenkung ins Innere, Tritt! Der 500er-
Single sprotzelt, rotzt, röchelt. An stabilen Leerlauf ist nicht zu denken, nur stetige Gasstöße halten den Zweiventiler am
Leben. Eine ganze Rotphase lang, an der belebtesten Kreuzung der Stadt.
Endlich grün. Klock, Motor aus. Rauf auf den Bürgersteig. Schieben, treten,
keuchen. Das Imperium schlägt zurück, über den mittlerweile bereits etwas losen Kickstarter. Weiter geht’s, endlich. Der
vielleicht längste Schalldämpfer der Welt ist im Stand nicht unbedingt der leiseste. 94 Dezibel bei 2750 Touren, noch Fragen? Im zweiten Gang Anfahren ist kein Problem für den Langhuber. Eher schon die Rechtsschaltung fürs Hirn. Der Erste liegt oben, Hochschalten zu den drei anderen Gängen heißt also Runtersteppen. Die Schaltwege messen sich fast in Metern. Aber bitte sehr: Für 900 Euro Aufpreis gibt’s E-Starter und Fünfganggetriebe mit Linksschaltung.
Kilometerstand 39, Ölnebel am Zylinderkopf. Der Ventilausheber ist ein wenig lose. Genau wie der abenteuerlich verlegte Gaszug. Ampelsprints gegen CDI-Daimler wollen angesichts der 22 PS wohl überlegt sein. Und doch fühlt man sich der Erleuchtung nah, entdeckt auf der Hausstrecke beständig Neues. Überholgelüste weichen innerer Ruhe. Bike-Buddhismus, sanft und friedlich. Good vibrations lassen die kaum gedämpfte Tachonadel tanzen. Bei Vmax zeigt sie zittrig 120 an. Die heilige ist keine eilige Kuh. Eine SR 500 war ein Superbike dagegen. Und eine GPZ 900 R von 1983 das Dienstfahrzeug von Darth Vader.
Trotzdem toller Erlebniswert, die Enfield
erhascht mehr Blicke als eine E-Glide.
Spielerisch, fast überhandlich fällt das 182 Kilogramm schwere »Geschoss«, so die Übersetzung von »Bullet«, in die ersten engen Kurven. Und erstaunlich zielgenau. Segensreich, diese schmalen Reifen. Dabei haften die englischen Avon-Pneus, sie heißen allen Ernstes »Speedmaster«, überraschend gut.
Bei höherem Tempo, so ab 50, versteift sich die Bullet deutlich. Tribut an die hohen Kreiselkräfte der 19-Zoll-Räder. Voll gekapselt sind die 35er-Standröhrchen der Telegabel. Nicht dumm. Und sehr komfortabel. Auch die Federbeine wiegen
den Allerwertesten zart wie ein fliegender
Teppich. Unterdämpft, durchaus, aber der Komfort stimmt. Es ist wie beim Trabi: Kauft Vehikel aus Ländern mit schlechten Straßen, dann seid ihr gerüstet für das, was mit unseren Straßen passiert.
Der stark gekröpfte Lenker und die kompakte Sitzposition taugen eher für
kleine Fahrernaturen. Mit innerer Größe. Schwingsättel? Das war früher. Heute
gibt’s eine durchgehende Sitzbank, je-doch starre Fußrasten. Macht nichts, die Schräglagenfreiheit geht absolut okay. Nur beim Verzögern ist das Chaos perfekt.
Beten und Bremsen. Überlebenswichtig braucht die vordere Einfach-Duplex-Trommelbremse Unterstützung vom Heck.
Wenn man sich konzentriert, findet man den Fußhebel links noch ganz gut, kann’s kräftig hinten pfeifen lassen. Wenn’s schnell gehen muss – auf der Bullet ein Widerspruch in sich – malträtiert man
lediglich die Schaltwippe. Üben lohnt
sich, denn vermutlich wird die Bullet des
Jahrgangs 2055 noch genauso aussehen.
Heilige Kühe schlachtet man nicht. tsr

Unsere Highlights

Technische Daten - Royal Enfield Bullet 500

Motor: luftgekühlter Einzylinder-Viertaktmotor, zwei unten liegende, zahnradgetriebene Nockenwellen, zwei Ventile, Kipphebel, Trockensumpfschmierung, Gleichdruckvergaser, Ø 28 mm, ungeregelter Katalysator mit Sekundärluftsystem, Lichtmaschine 115 W, Batterie 12 V/5 Ah, mechanisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Vierganggetriebe, O-Ring-Kette.
Bohrung x Hub 84,0 x 90,0 mm
Hubraum 500 cm3
Verdichtungsverhältnis 6,5:1

Nennleistung 16 kW (22 PS) bei 5500/min

Max. Drehmoment 35 Nm bei 3000/min

Fahrwerk: Einschleifenrahmen aus Stahl, Telegabel, Ø 35 mm, Zweiarmschwinge aus Stahl, zwei Federbeine, verstellbare Federbasis, Einfach-Duplex-Trommelbremse vorn, Ø 180 mm, Einfach-Simplex-Trommelbremse hinten, Ø 155 mm.

Speichenräder 1.85 x 19; 1.85 x 19
Reifen 3.25 S-19, 3.50 S-19
Bereifung im Test Avon Speedmaster MK II

Maße und Gewichte: Radstand 1375 mm, Lenkkopfwinkel 63 Grad, Nachlauf 90 mm, Federweg v/h 150/130 mm, Sitzhöhe* 780 mm, Gewicht vollgetankt* 182 kg, Zuladung* 168 kg, Tankinhalt 14,5 Liter.

Gewährleistung zwei Jahre

Farbe Schwarz

Preis 4290 Euro
(Jubiläumspreis 2999 Euro)

Nebenkosten 139 Euro

Kontakt www.zmtgmbh.de,
Telefon 02252/94280

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MOTORRAD 20 / 2023

Erscheinungsdatum 15.09.2023