Nein, man muss nicht genauer hinschauen, um die Modelle zu unterscheiden. Die außermittig zentrierten Speichenräder der Horex VR6 Classic sind ein absolutes Alleinstellungsmerkmal. In Serie hat das noch kein Großserienhersteller angeboten. Sie sehen einfach super aus, die Felgen. Und um den ewigen Nörglern gleich den Wind aus den Segeln zu nehmen: Ja, sie sind ziemlich schlecht zu reinigen. Glaubt man den Witzen des Horex-Teams, ist eine Zahnbürste zum Winzwinkelputzen im Lieferumfang enthalten. Nachprüfen konnte man das vor Ort nicht. Dafür gab es verbale Verköstigung von Fernsehkoch Horst Lichter, seinen Angaben nach eingefleischter Horex-Liebhaber. Und ganz nebenbei durfte die Neue auch Probe gefahren werden.
Vormachen darf man sich nichts: Auch wenn die Sitzhöhe von 820 mm mit ein paar Maßnahmen ab Werk auf Wunsch um 20 mm reduziert werden kann – die Horex VR6 Classic bleibt ein stattliches Motorrad. Das beginnt beim Gewicht mit rund 265 Kilogramm vollgetankt und endet beim Sitzkontakt. Man hockt eher auf statt im Motorrad, das im Übrigen auch einen recht hohen Schwerpunkt hat. Der relativ bescheidene Lenkeinschlag trägt seinen Teil dazu bei, dass man bereits beim Wenden und Losrollen Respekt hat. Ein Spielzeug ist sie nicht. Woman’s Darling wird sie höchstwahrscheinlich auch nie werden. Aber das muss sie auch nicht.
Horex VR6 Classic setzt nicht allzu früh auf





Die ersten Kilometer führen vom Stammwerk in Augsburg durch ein gutes Dutzend Kreisverkehre hinaus in die schwäbische Wildnis. Einmal in Fahrt, spürt man weder überflüssige Pfunde, noch gibt sich das Naked Bike arglistig oder störrisch. Die Horex VR6 Classic macht das, was der Fahrer ihr sagt. Lenkt recht präzise ein, setzt auch bei ordentlicher Schräglage nicht allzu früh auf und faucht bei jedem Gasstoß zornig aus den Schalldämpfern.
Überhaupt, den VR6 – dieses 1218 Kubik große Aggregat – sollte man als eingefleischter Motorradfahrer einmal im Leben bewegt haben. Der Sound im Leerlauf erinnert an zwei Triumph-Dreizylinder, die im Chor singen sollen, aber ständig den Einsatz verpassen. Auf leichte Gasstöße im Stand reagiert der VR6 mit einem groovigen Zittern, das sich so ähnlich anfühlt wie ein nicht perfekt synchronisierter Vierzylinder. Klingt negativ? Ist aber großes Kino. Denn spätestens wenn der VR6 ans Gas geht und durch die Drehzahlen prescht, ist das ein Erlebnis. Nicht weich gespült. Nicht langweilig. Und zwar bei beiden Modellen.
Die kleine Manufaktur hat versucht, ihrem VR-Antrieb zwei Seelen einzuverleiben: Während das Roadster-Modell mit einer Spitzenleistung von 161 PS bei 8800/min aufwartet, verpasste man der Classic-Version einen Maulkorb. Hier leistet der Sechszylinder nur noch 126 PS bei fast identischen Drehzahlen. Das maximale Drehmoment sank von 137 auf 120 Nm. Ein geändertes Mapping plus zwei Interferenz-Röhrchen sind dafür verantwortlich. Die Anpassung soll mehr Power bei mittleren und niedrigen Drehzahlen generieren. Gott sei Dank standen vor Ort beide Versionen zu Testfahrten bereit, um die Unterschiede zu erspüren. Um es kurz zu machen: Die Classic-Abstimmung ist wesentlich landstraßenfreundlicher, genau dort druckvoller, wo man die Power eigentlich braucht: beim Cruisen zwischen 2500 und 6000/min.
Von dem leichten Leistungsloch, das die Roadster bei 4500 Umdrehungen leider hat, ist bei der Horex VR6 Classic nichts zu spüren. Dafür agiert der domestizierte VR-Antrieb im oberen Drehzahldrittel spürbar zäher. Ob man die 35 PS vermisst? Nicht wirklich. Noch etwas ist besser: Während die Roadster vor allem im innerstädtischen Bereich mit recht unharmonischer Gasannahme auf sich aufmerksam macht, tritt dieses Phänomen bei der Classic nur noch ansatzweise auf.
Komfortableres Fahrwerk

Auch das Fahrwerk wurde ans zünftige Landstraßencruisen angepasst, sprich etwas komfortabler abgestimmt als bei der Roadster: Vorn arbeitet bei der Horex VR6 Classic eine voll einstellbare WP-Gabel, hinten kümmert sich ein in Zugstufe und Federbasis einstellbares Sachs-Federbein darum, dem Fahrer arge Schläge zu ersparen. Die Abstimmung beider Federelemente ist geglückt, sie als sportlich-komfortabel zu bezeichnen trifft den Nagel auf den Kopf. Bremsseitig verlassen sich die Augsburger vorn auf radial verschraubte Vierkolben-Bremssättel von Brembo, die hinten von einem Zweikolbensattel aus demselben Hause plus dem neuesten Bosch-ABS unterstützt werden. Das Ensemble funktioniert mehr als zufriedenstellend.
Dennoch könnten Spötter jetzt sagen: Für 2000 Euro mehr bekommt man 35 PS weniger – wo ist da der Vorteil? Horex rechtfertigt die Differenz mit einer im Preis enthaltenen aufwendigeren Zweifarblackierung, den recht teuren, exklusiven Drahtspeichenrädern, einer stylish gesteppten Sitzbank und einigen luxuriöser verarbeiteten Anbauteilen. Bleibt zu hoffen, dass die Kunden das ebenso sehen.
Daten und Fakten

Motor
Wassergekühlter Sechszylinder-Viertakt-15-Grad-VR-Motor, drei obenliegende, kettengetriebene Nockenwellen, drei Ventile pro Zylinder, Tassenstößel, Trockensumpfschmierung, Einspritzung, Ø 34 mm, ungeregelter Katalysator mit Sekundärluftsystem, Lichtmaschine 450 W, Batterie 12 V/19 Ah, hydraulisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Sechsganggetriebe, O-Ring-Kette, Sekundärübersetzung 48:18.
Bohrung x Hub: 68,0 x 55,0 mm
Hubraum: 1218 cm³
Verdichtungsverhältnis: 12,5:1
Nennleistung: 93 kW (126 PS) bei 8500/min
Max. Drehmoment: 120 Nm bei 7000/min
Fahrwerk
Brückenrahmen aus Aluminium mit angeschraubtem Gitterrohrrahmen aus Stahl, Upside-down-Gabel, Ø 48 mm, verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, Einarmschwinge aus Aluminium, Zentralfederbein mit Hebelsystem, verstellbare Federbasis, Zugstufendämpfung, Doppelscheibenbremse vorn, Ø 320 mm, Vierkolben-Festsättel, Scheibenbremse hinten, Ø 264 mm, Zweikolben-Festsattel, ABS.
Speichenräder mit Alu-Felgen: 3.50 x 17; 6.00 x 17
Reifen: 120/70 ZR 17; 190/55 ZR 17
Maße und Gewichte
Radstand 1506 mm, Lenkkopfwinkel 66,0 Grad, Nachlauf 95 mm, Federweg v/h 120/120 mm, Sitzhöhe 820 mm, Trockengewicht 249 kg, zulässiges Gesamtgewicht 450 kg, Tankinhalt/Reserve 17,0/4,0 Liter.
Garantie: zwei Jahre
Farbe: Rot/Silber
Preis: 24500 Euro
Interview mit Clemens Neese

Clemens Neese, Geschäftsführer der Horex GmbH in Augsburg, sprach mit MOTORRAD über das neue Classic-Modell und die Zukunft der Firma.
Herr Neese, wie war das doch gleich? Was lange dauert, wird gut. Ist bei Horex alles gut? Oder sagen wir lieber: Läuft alles nach Plan?
Neese: Ja, könnte man sagen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten läuft die Produktion endlich. 100 Maschinen sind bereits ausgeliefert …
Und jetzt folgt sogar schon das zweite Modell … Worin unterscheidet sich die Classic-Version von der Roadster?
Neese: Optisch durch eine andere Lackierung, dem geänderten Oberflächen-Finish einiger Bauteile und natürlich durch die außermittig zentrierten Speichenfelgen. Technisch vor allem in der Leistungsentfaltung. Während die Roadster mit homologierten 161 PS Spitzenleistung und etwas nach oben verschobener Leistungsentfaltung bereitstellt, ist die des Classic-Modells auf Drehmoment ausgelegt und wartet mit 126 PS Spitzenleistung auf.
Bei ersten Testfahrten bemängelten einige Journalisten die unsensible Gasannahme. Ist das Problem vom Tisch?
Neese: Natürlich sind wir sehr darauf bedacht, unseren VR6 fortlaufend zu verbessern, gerade das Mapping unterliegt ständigen Optimierungen. Zwei Mitarbeiter unseres 22-köpfigen Teams kümmern sich permanent um die Verbesserung des Mappings. Es ist nie ganz einfach, wenn man quasi bei null beginnt. Das jetzige Mapping ist wesentlich verbessert, das Update für alle bestehenden Maschinen ist bereits im Gange.
Nach 100 ausgelieferten Motorrädern bringen Sie schon das zweite Modell. Wie ist Ihre derzeitige Fertigungskapazität und ab welchen Stückzahlen steuern Sie in die Gewinnzone?
Neese: Derzeit können wir zwei bis drei Motorräder pro Tag bauen, also rund 700 im Jahr. Unser Ziel sind jedoch mindestens 1000 Maschinen jährlich, dann ist die Schallgrenze durchbrochen, und die Firma arbeitet rentabel. Das betrifft allerdings nicht nur den Deckungsbeitrag. 1000 Stück sind auch eine Größenordnung, die eine akzeptable Verhandlungsbasis bei den Zulieferern schafft.
Wie schätzen Sie die Marktsituation für die beiden Modelle ein?
Neese: Ich könnte mir vorstellen, dass sich die Modelle 50:50 verkaufen. Die Classic ist zu unserem Erstaunen auf den Messen sehr gut angekommen, obwohl sie 2000 Euro mehr kostet als die Roadster. Wir haben sowohl von Kunden als auch von unseren Händlern ein sehr gutes Feedback auf die Classic-Variante bekommen, als sie letztes Jahr auf der Messe stand. Deshalb bauen wir sie. Wir sind optimistisch.
Was sind das für Händler, und was für andere Marken haben die noch im Programm?
Neese: Ich hatte zuerst vermutet, dass es bestimmte Markenkombinationen geben wird. Doch das ist nicht der Fall. Wir haben Händler, die sowohl japanische wie auch europäische Motorräder vertreiben. Letztlich – so glaube ich – ist es eher entscheidend, wie angesehen und beliebt der Händler in seiner Region ist.

Es war von Beginn an sehr mutig von Ihnen, in einen schrumpfenden Markt zu investieren.
Neese: Wir haben natürlich eine Marktanalyse gemacht. Kaufkräftige und kaufwillige Kunden sind an kultigen Marken interessiert. Wie sonst ist es möglich, dass Triumph, Harley, Ducati oder BMW so einen Höhenflug erleben? Und die Japaner eben nicht? Das macht uns zuversichtlich. Außerdem habe ich das Gefühl, dass die asiatischen Hersteller ihr Augenmerk auf den boomenden chinesischen Markt legen. Dass die Traditionsmarken heute mehr Erfolg als früher haben, hängt mit der aktuellen Kundenstruktur zusammen. Die Jugend, die vor einigen Jahren noch eine Bandit, Fazer oder Hornet gekauft hätte, die gibt es heute einfach nicht mehr im gleichen Maße.
Auf der anderen Seite verschließen Sie mit Ihren hochpreisigen Produkten auch den Zugang für die Jugend, die bekanntlich nicht so viel Geld hat.
Neese: Ein VR-Motor wird von den Produktionskosten her nie der günstigste sein. Aber er ist familienfähig. Wir haben bewusst 200 Kubik Einzelhubraum gewählt. Die VR-Technik funktioniert selbstverständlich auch bei einem VR3 oder VR5, mit den bekannten Vorteilen. Doch hätten wir zuerst einen VR3 mit 600 cm3 gebaut, wären wir in einem Markt, in dem das Fahrzeug für 8000 bis 9000 Euro angeboten werden müsste. Um diesen Preis zu realisieren, müsste man eine Stückzahl von mindestens 10 000 Exemplaren pro Jahr produzieren, damit sich das rentiert. Das ist für ein Start-up wie uns fast unmöglich.
Also kann man sagen: Am Anfang war der Motor?
Neese: Ja. Und ich bin froh, mit dem VR6 ein Alleinstellungsmerkmal zu haben.
Schon bald wird man einen 3-D-Konfigurator herunterladen und sich seine Traum-Horex daheim am PC zusammenstellen können. Wäre es für Sie als kleine Manufaktur nicht sinnvoll, alle derzeit lieferbaren Features im Mix anbieten zu können? Also auch die verschiedenen Motorvarianten plus Speichenräder?
Neese: Theoretisch wäre das möglich für so eine kleine Manufaktur. Das Teilemanagement und die Lagerhaltung sprechen allerdings dagegen. Wir müssen uns auf bestimmte Basisvarianten beschränken und die dann variabel anbieten. Es muss Alleinstellungsmerkmale der Modelle geben. Was die Speichenräder betrifft: Die sind beispielsweise nur für das Classic-Modell mit um 35 PS reduzierter Spitzenleistung homologiert worden. Sie sehen, nicht alles ist misch- und machbar. Und soll es auch nicht sein.
Wird es in absehbarer Zeit weitere Modelle geben?
Neese: Ja. Allerdings werden wir vorerst mit den zwei Modellen operieren. Alles Weitere wäre zu spekulativ.
Zu Beginn wurde ein aufgeladenes Modell mit über 200 PS angekündigt. Ist der Lader vom Tisch?
Neese: Überhaupt nicht. Der Motor ist konzeptionell für diese Leistung ausgelegt. Wir werden das auf jeden Fall irgendwann mal machen. Wann und in welcher Form, ist jedoch noch fraglich. Wir stehen zu dem, was wir damals gesagt haben, die Erfahrung lehrt uns aber, dass wir in Zukunft zur rechten Zeit und mit verlässlichen Ankündigungen und Zeitachsen operieren müssen.