Die Standard-FTR hat Indian gar nicht erst aufgereiht. Wahrscheinlich wird auch kaum jemand die 14.690 Euro teure Basisversion kaufen, da die 1.300 Euro teurere S-Variante im Vergleich ungleich mehr zu bieten hat. Nämlich ein voll einstellbares Fahrwerk, Traktionskontrolle, drei Fahrmodi, 4,3-Zoll-Touchscreen sowie zusätzliche Farboptionen. Zum Beispiel die S-Variante „Race-Replika“, farblich an die siegreichen Flat Tracker angelehnt und zusätzlich mit Acrapovic-Schalldämpfer ausgestattet. Die kostet hierzulande 17.290 Euro.
Indian FTR 1200 mit 3 Fahrmodi
Der Zündschlüssel ist wahrlich mickrig und steckt knapp hinter dem Lenkkopf im Schloss. Gelassen erklären die Techniker, wie sich der Fahrer durchs Menü auf dem übersichtlichen 4,3-Zoll Touchscreen scrollen kann. Im Grunde genommen ist alles sehr simpel. Es gibt drei Fahrmodi. Einen für Regen in Verbindung mit stark regelnder Traktionskontrolle, verminderter Spitzenleistung und federweicher Gasannahme. Einen Standardmodus, der mit 123 PS bei 8.250 Touren die volle Leistung serviert und bei dem die Traktionskontrolle zurückhaltender regelt. Und einen Sport-Modus, bei dem der wassergekühlte 1203-Kubik -V2 der Indian FTR 1200 viel direkter und spontaner auf Gasbefehle reagiert, die Traktionskontrolle viel mehr Schlupf zulässt. Die Menüführung ist grundehrlich, ohne Fallen und Hintertüren, jedermann findet sich auf Anhieb zurecht.

„Altersgerechte“ Sitzposition
Das gilt auch fürs Fahren. Wenngleich das Gewicht – Indian gibt 221 kg trocken an – sich vollgetankt bei rund 240 kg bewegen dürfte und die Sitzhöhe mit 840 mm alles andere als niedrig ist. Im bequemen Sattel verfliegt eventueller Argwohn sofort. Der Lenker ist optimal positioniert, die gesamte Sitzhaltung könnte man mit „altersgerecht“ beschreiben. Aufrecht, entspannt, übersichtlich – so wie die Ü50-Generation es gerne mag. Anders gesagt: Wer aus dem Touring-, Enduro- oder Supermoto-Bereich kommt, fühlt sich auf der Indian FTR 1200 sofort zuhause. Superbike-Piloten dagegen müssen sich erst gewöhnen. Erstens an die ungewöhnlichen Raddimensionen mit 19 Zoll vorn und 18 Zoll hinten. Zweitens an die Bereifung – der extra für die FTR entwickelte Dunlop DT3 sieht aus wie eine Mischung aus Regen- und Trialreifen, ist aber im Grunde genommen profiliert wie ein Flat Track-Gummi.
Die nächste Kehre rauscht heran. Hart und gezielt bremsen, Linie finden, abwinkeln und am Scheitelpunkt forsch ans Gas. Wuchtig schnalzt der 1200er-V2 die Indian FTR 1200 vorwärts, nur in Ausnahmefällen setzen die Rasten auf. Und falls doch, kannst du immer noch eine Schippe Schräglage drauf legen. Der weltweit erste Flat Tracker für die Straße funktioniert prächtig. Die Bremsen – ausgezeichnet. Der Motor – ein Kraftprotz. Das Fahrfeeling – weit entfernt von allem was man gewohnt ist.
Wer den coolen Flat Track-Look dieser Reifen liebt, muss damit leben, dass sie längsrillenempfindlich sind. Darüber hinaus nehmen sie dem Motor der Indian FTR 1200 ein wenig von seinem mächtigen Bums. Geht es geradeaus, ist davon nichts zu spüren. Doch als die Gruppe sich hinein ins Kurvengeschlängel begibt und der Tourguide Gas gibt, kommt die Traktionskontrolle im Standard-Fahrmodus fast an jedem Kurvenausgang ins Schwitzen. Der Grip ist begrenzt, die Übersetzung recht kurz und der Motor hat ordentlich Qualm. Indian verspricht ein maximales Drehmoment von 120 Nm bei 5.900 Touren. Gefühlt liegen bereits ab 3.000/min über 100 Nm an, das Drehmomentplateau ist erfreulich breit. Erst über 8.000/min geht dem dicken Vau leicht die Puste aus, bevor er bei 9.000/min vom Begrenzer eingefangen wird.
Motor fühlt sich satt, massiv und kraftvoll an
Wie sich das anfühlt? Satt. Massiv. Kraftvoll. Agil. Mehr nach Schwergewichtsboxer als nach Kung-Fu Kämpfer. Das federleichte, schwungmassenminimierte Drehvermögen hochleistungsorientierter V2-Antriebe von Ducati oder KTM ist dem FTR-Motor ein wenig fremd. Der Topspeed dieser Bikes ebenso, die Indian FTR 1200 wird bei 190 km/h elektronisch abgeregelt. Trotzdem wirkt der wassergekühlte 60-Grad-V2 bei aller Drehfreude sehr bullig. Kein Wunder, waren seine Eltern und Großeltern doch mal Cruiser-Antriebe, oder? Die Antwort darauf lautet: Konstruktionstechnisch basiert der Motor auf der Scout-Plattform. Doch in seinem Inneren sei kaum eine Schraube an ihrem angestammten Platz, versichern die Techniker.

Zurück in die Hollywood Hills. Das Fahrwerks-Setup haben die Indianer nicht vergeigt, die Federelemente der Indian FTR 1200 (vorn ZF, hinten Showa) sind sportlich straff abgestimmt und sprechen sauber an. Auch die Brembo-Stopper fangen die Fuhre stets sicher ein und sind mit klarem Druckpunkt perfekt dosierbar, doch das durfte man erwarten. Das Lenkverhalten hingegen ist gewöhnungsbedürftig, die FTR fährt schon mal einen größeren Bogen, als man möchte. Doch daran kann man sich schnell gewöhnen. Letztlich ist der Radstand mit 1524 Millimetern nicht so riesig, wie die Optik es suggeriert. Was vielleicht daran liegt, dass das extrem kurz gehaltene Heck über der Hinterachse endet. Und wenn man seinen Kumpels daheim erzählen müsste, wie sich das Ganze anfühlt? Man sitzt wie auf einer Supermoto, nutzt das Fahrwerk eines sportlichen Naked Bikes und freut sich über den Druck eines potenten Motors, der Zwischensprints genauso liebt wie entspanntes Dahingleiten.
Sozius muss leidensfähig sein
Bei aller Lobhuldelei gibt es jedoch auch Haare in der Suppe. So lässt sich der Seitenständer schlecht rauskicken, wenn man im Sattel sitzt – die Fußraste ist im Weg. Apropos sitzen: Der Sozius muss auf der Indian FTR 1200 leidensfähig sein, sein Kniewinkel ist extrem. Und der Kennzeichenhalter ist so hässlich, dass man ihn ab liebsten gleich vor der Auslieferung abschrauben würde. Er ist derart massiv, dass man mit ihm vermutlich auch gestrandete Lkw abschleppen könnte. Alles hat eben seine Vorteile. Hier, vor Ort, gibt es jetzt nur einen wirklichen Nachteil. Der Pazifik ist erreicht und wir müssen die Bikes wieder zurückgeben.