Indian FTR 1200 S im Test

Indian FTR 1200 S im Top-Test Nur Retro-Chic oder wirklich gut?

Sie meinen es ernst bei Indian. Ganz nach der Devise "Stillstand ist Rückschritt", bleiben sie nicht dem Cruiser-Segment verhaftet, sondern wagen sich einen Schritt weiter. Und erweitern die Modellpalette mit der FTR um eine durchaus sportliche Linie.

Indian FTR 1200 S. Flash Art
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Indian FTR 1200 S. 26 Bilder

Respekt! Mit der FTR 1200 hat Indian nicht nur eine der spannendsten Neuheiten für 2019 auf die Räder gestellt. Mit ihr beschreiten die Amerikaner so zielstrebig und konsequent neue Wege, dass sich die gewiss nicht untätige Konkurrenz aus Milwaukee ein wenig vorgeführt fühlen muss. Für ihren jüngsten Spross zitieren die In­dianer gekonnt in gewohnter Manier die eigene, in diesem Fall jüngere, Historie. Mit einer lecker aufgemachten Hommage an den Flat Tracker FTR 750, der zweimal in Folge die US-Meisterschaften gewann.

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S-Version knapp 1.300 teurer wie Basis-FTR

Gitterrohrrahmen, knackig-kurzes Heck, dazu unterarmdicke Krümmer, die sich auf der rechten Seite aus den Zylindern winden und in adrett verlegte Schalldämpfer münden. Und das alles verpackt in ein ausgesprochen schickes Kleid. Vor allem als "S"-Modell, das zusätzlich zur Basis-FTR mit 4,3-Zoll Touchscreen statt Analog-In­strument und voll einstellbarem Fahrwerk glänzt. Und mit 15.990 gerade 1.300 Euro mehr kostet als die Basis-Version. Für die hier gefahrene Race-Replica-Lackierung ruft Indian 17.290 Euro auf, dafür sind die adretten Akrapovic-Schalldämpfer enthalten. Aus diesen Zutaten formt Indian ein ausgesprochen eigenständiges Naked Bike, das sich zunächst der Einordnung in eine feste Schublade entzieht.

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40,6 Meter Bremsweg entsprechen ausgezeichneten 9,5 m/s².

Die Sitzposition beschrieb Kollege Rolf Henniges, Spiritus Rector von FUEL, in seinem Fahrbericht (MOTORRAD 11/2019) als aufrecht, entspannt, übersichtlich. Ja, das Sitzplatzarrangement hat tatsächlich was von Supermoto, lässig und bequem ist’s allemal. Ist der Zündschlüssel erst ins etwas versteckt unter dem Display dicht am Lenkkopf liegende Zündschloss gefummelt und die Warnmeldung über die Gefahren des Motorradfahrens auf dem Display weggeklickt, wummert auch der neu entwickelte V2 entspannt los. Und auch ohne Auspuffklappe überraschend gut gedämpft dazu. Satter Bass, aber nicht aufdringlich laut, damit holt man morgens niemanden aus dem Bett.

V2 kann auch richtig drehen

Der 60-Grad-V2 ist auf Knopfdruck zur Stelle. Bis er 65 Grad Wassertemperatur erreicht hat, rotzt er sich allerdings noch gehörig durch seine Warmlaufphase. Ist die überwunden, reduziert sich auch das Konstantfahrtruckeln auf ein erträgliches Minimum, und der Spaß kann beginnen. Wie der wassergekühlte 1203-Kubik-V2 aus niedrigsten Drehzahlen antritt, ist eine Schau. Mit lässiger Wucht tritt er seinem Fahrer bei 3.000/min ins Kreuz, dort türmt sich eine regelrechte Drehmomentwoge auf und reißt die Fuhre nicht linear, aber eruptiv vorwärts. Ab da liegen dann stets über 100 Nm an. In Verbindung mit der recht kurzen Gesamtübersetzung ergibt das satten, souveränen Durchzug. Jeder Kurvenausgang ist ein Fest, bei dem dieser dynamische Kick mit Genuss zelebriert wird. Viel Schaltarbeit ist nicht nötig, wobei die Gänge sicher, aber selten geräuschfrei arretieren.

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Sie bringt alles mit um auf Landstraßen jede Menge Spaß zu haben.

Dabei läuft der von einer Ausgleichswelle beruhigte Motor bis 4.000/min ausgesprochen weich. Erst darüber schleichen sich kribbelnde Vibrationen in Rasten und Lenker. Was aber höchstens auf der Autobahn – dort wird die FTR bei 190 km/h elektronisch etwas unsanft abgeregelt – bei konstanter Drehzahl stört und für eingeschlafene Fingerspitzen sorgt. Nicht aber auf der Landstraße, wo sich ständig Last und Drehzahl ändern. Wer sich dennoch mal auf die Autobahn verirrt, freut sich über den einfach zu bedienenden Tempomaten und sicheren Geradeauslauf. Damit aber keine Missverständnisse aufkommen: Der V2 kann auch richtig drehen. Und wie. Richtig zornig stürmt er bei Bedarf die Drehzahlleiter hinauf. Viel unterhaltsamer ist es aber, immer wieder diesen urigen Antritt aus dem Drehzahl-Parterre auszukosten und in herzhafte Zwischensprints umzumünzen.

Mit 237 Kilogramm kein Leichtgewicht

Die Techniker trafen in puncto Schwungmasse einen ausgezeichneten Kompromiss, der der FTR bei 2.000/min feinen Rundlauf und gleichzeitig feuriges Hochdrehen ermöglicht. Immerhin ist der 1200er der kurzhubigste Motor im Indian-Programm und besitzt mit 102 sogar einen Millimeter mehr Bohrung als die 1,8-Liter-V2, die die Cruiser antreiben. Wobei kleine Unsauberkeiten bei Lastwechseln und im Teillastbereich davon zeugen, dass in Sachen Motormapping noch spürbar Luft nach oben ist. Die FTR hält übrigens vier Einstelloptionen bereit. Eines für Regen mit reduzierter Leistung, sanftem Ansprechen und früh regelnder Traktionskontrolle. Ein Standard-Mapping mit voller Leistung und nicht ganz so zeitigem TC-Eingriff. Einen Sportmodus mit etwas direkterer Gasannahme und später eingreifender TC. Und schließlich gibt es noch einen Track-Modus, bei dem sich die Traktionskontrolle zusammen mit dem ABS abschalten lässt.

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Optisch ist die FTR 1200 S gut gelungen.

Doch zurück zu den geschwungenen Landstraßen. Dort ist man mit "Sport" gut angezogen. Denn im Standard-Modus regelt die von einer Sechsachsen-IMU überwachte Traktionskontrolle am Kurvenausgang doch recht früh. Im Sport-Modus ist, herzhaft am Gas gezogen, der ein oder andere kleine Hinterradrutscher drin, ehe die TC eingreift. Was zum einen am überfallartig über das Hinterrad hereinbrechenden Drehmoment liegt. Hauptsächlich aber wohl den eigens für die FTR entwickelten Dunlop DT3 mit ihrer Regenreifen-Optik geschuldet ist. Deren Grip reicht zwar für Schräglagen, bis die Rastennippel kratzen. Arg viel mehr möchte man ihnen allerdings nicht zumuten. Denn je tiefer die Schräg­lage, desto mehr schwinden Präzision und Führung. Doch bis dorthin grippen die Dunlops recht tapfer. Vorsicht ist allerdings bei Nässe geboten, da hissen die Dunlops ratzfatz die weiße Flagge und sind trotz Traktionskontrolle beim Beschleunigen Quersteher bis zum dritten Gang drin. So sind es in erster Linie die fesch profilierten Gummis, die sportlichem Tatendrang Grenzen setzen. Denn die FTR versteht es durchaus, sportliche Gelüste zu wecken. In engen Ecken kippt sie fast widerstandslos in Schräglage – eine Eigenheit, die mit zunehmender Laufleistung der Reifen übrigens nachlässt. Dazu hat man am breiten, konifizierten Alu-Lenker die Sache bestens im Griff. Dieses federleichte Einlenken mündet allerdings nicht in begnadetes Handling. Haken schlagen wie ein Hase kann die FTR nicht, zumindest nicht bei höherem Tempo. Das große 19-Zoll-Vorderrad mit seinen Kreiselkräften, eine eher auf stabilen Geradeauslauf ausgelegte Fahrwerksgeometrie und üppige 237 Kilogramm lassen sich halt nicht leugnen.

Bordwerkzeug gibt es nicht

Bei hohem Tempo und in schnellen Wechselkurven ist dann durchaus Zupacken am breiten Lenker gefragt, um die FTR von einer Schräglage in die nächste zu werfen. Wobei bei engagiertem Tempo Lenkpräzision und Knackigkeit mit zunehmendem Tempo schwinden und die FTR gerne mal den weiten Bogen nimmt. Dafür glänzt sie mit astreiner Neutralität in Schräglage; Aufstellmoment ist für sie auch beim Griff zur Bremse ein Fremdwort. Aber ein Wetzeisen à la KTM Super Duke will die FTR ja auch gar nicht sein. Flott ja, racingmäßig letzte Rille eher nicht. Beherzigt man dies, liefert die FTR eine Gute-Laune-Grins-Garantie, gehen der druckvolle Motor und das stabile Chassis eine herrliche Symbiose beim flotten Kurvenschwingen ein. Zumal die Fahrwerksabstimmung mit den Sachs-Federelementen passt. Die voll einstellbare Gabel ist eher soft abgestimmt, spricht ordentlich an und bietet einen gut nutzbaren Einstellbereich, der aber noch etwas mehr in Richtung straff reichen dürfte. Dabei nutzt sie offensichtlich nur 130 von ihren 150 Millimeter Federweg.

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Der Soziussitz der FTR konnte nicht wirklich überzeugen.

Das direkt angelenkte Federbein, ebenfalls von Sachs und voll einstellbar, agiert straff, federt lange Wellen sauber aus, reicht kurze Schläge von Kanten, Flicken und Fugen aber recht trocken weiter. Dennoch, viel cooler und lässiger, stil- und druckvoller kann man derzeit wohl kaum über die Lande swingen. Bei aller Coolness, die eine oder andere Schrulligkeit hält die FTR aber auch bereit. Die auffälligste am Heck: Während des Tests fand sich wirklich niemand zwischen 15 und 85 Jahren, der den Kennzeichenhalter auch nur annähernd hübsch gefunden hätte. Außerdem steht beim Ausklappen des Seitenständers die Fußraste dem Schienbein im Weg, dazu heizen die Krümmer dem rechten Bein ordentlich ein. Und um an die Sicherungen heranzukommen, muss deren Abdeckung abgeschraubt werden. Bordwerkzeug gibt es aber nicht.

Ein sehr gelungener Einstand

Immerhin würde das Fahrwerk einen Sozius locker wegstecken. Sofern man jemanden findet, der willens ist, sich auf dem Notsitz zusammenzufalten, dass die Knie an den Ohren anliegen. Wobei auch die Bremsen der Aufgabe gewachsen wären. Wen wundert’s? Brembo-Radialzangen und -Pumpe, da brennt nix an, eine sichere Bank. Wirkung und Dosierbarkeit sind ­tadellos. Zusammen mit dem langen Radstand, viel Gewicht auf dem Hinterrad und dem fein regelnden Bosch-ABS ermöglicht dieser Cocktail quer durch alle Modi ausgezeichnete Bremswege, ohne dass das Hinterrad auch nur einen Millimeter vom Boden abhebt. Eine gute Vorstellung liefert die FTR auch an der Zapfsäule ab. Eigentlich. Denn allzu salopp sollte man die Tankstellensuche nicht handhaben.

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Der Kennzeichenhalter ist ästhetisch keine Offenbarung.

Brav zählt die Restreichweitenanzeige die verbleibenden Restkilometer herunter, bis sie bei etwa 25 Kilometern von der Kilometeranzeige auf "Low" umschaltet. Ab da bleibt es dem Fahrer und seinen Nerven überlassen, wie weit er die Suche treibt, denn zu diesem Zeitpunkt passen bereits 12,3 Liter in den kleinen 13-Liter-Tank. Entspannung dann wieder an der Zapfsäule. Fünf Liter sparsam bewegt gehen in Ordnung. Dass nur mit viel Geduld der letzte Liter Sprit in den dicht an der Sitzbank liegenden Tankstutzen gluckert angesichts des kleinen Tanks eher nicht. Doch gibt uns das zumindest Gelegenheit, den Blick lieber auf das Wesentliche zu lenken, nämlich dass der Einstand der FTR ein sehr gelungener ist.

Kommentar von Andreas Bildl zur FTR 1200 S

Was Indian seit dem Neustart 2014 auf die Beine gestellt hat, verdiente bislang bereits Respekt. Und nun legen die Amerikaner noch eins drauf. Mit bemerkenswerter Konsequenz erweitern sie nicht nur ihre Modellpalette in eine ganz neue Richtung, sondern haben sie den derzeit stärksten US-Twin auf die Räder gestellt. Wir erinnern uns, bis 2016 hatte Erzrivale Harley mit der V-Rod einen ähnlich starken V2 im Programm. Doch war die ganz dem Dragstrip verhaftet. Die FTR dagegen schlägt einen ganz anderen, vielversprechenden Weg ein und legt nicht nur optisch, sondern auch fahrdynamisch einen starken Auftritt hin. Mächtig Leistung da, wo’s auf der Landstraße drauf ankommt, lässige Sitzposition, entspanntes Handling, toll verpackt.

Andreas Bildl.
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MOTORRAD Testchef Andreas Bildl gefällt das Konzept der FTR 1200 S.

Und passt doch so recht in keine Schublade. Ist sie Scrambler? Ist sie Naked Bike? Eines dürfte aber klar sein: So ein Motor wurde nicht nur für ein einziges Modell entwickelt. Wir dürfen also gespannt sein und uns darauf freuen, was auf dieser Basis noch alles machbar sein wird. Denn die FTR zeigt auch, dass ein so herzerfrischend im Drehzahlkeller zupackender Motor die Frage nach der Höchstleistung glatt zur Nebensache macht. Ohne dass der Fahrspaß auch nur einen Moment zu kurz kommt. Mir machen dieser Antrieb und dieses Konzept Laune. Die Beschränkung aufs Nötigste sowieso. Lieber etwas weniger (Elektronik-)Schnickschnack, dafür mehr Charakter. Und den nötigen Feinschliff bekommen sie bei Indian sicher auch noch hin.

Fazit

Wer dachte, die FTR kann in erster Linie nur mit hübschem Retro-Look die eigene Vergangenheit zitieren, wird angenehm überrascht. Sie positioniert sich cool, lässig, mit entspannter Sitzposition und bärenstarkem Antrieb als fahraktiver Roadster, der auch im Kurvengewühl eine gute Figur abgibt. Ein gelungener erster Wurf, aber nicht günstig. Sicher, Motorabstimmung und manch anderes Detail verlangen noch nach etwas Zuwendung, aber die Basis stimmt.

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