Staunen, es bleibt nur ein Staunen. Unnachahmlich, ungeheuer, urgewaltig powert dieser Motor, dieses metallene, per Kompressor aufgeladene Ungetüm mit vier Zylindern seine Leistung in Richtung des erbarmungswürdigen hinteren Reifens. Vor Verzückung vergisst du zu atmen, sabberst aus offenem Mund. Das ist einfach geil. 200 PS bei niedrigen 11.000 Touren mobilisieren beide Kawasaki Z H2, da unterscheiden sie sich nicht. Dabei dreht sich das direkt über die Kurbelwelle angetriebene Verdichterrad ihrer Kompressoren mit steigender Drehzahl immer schneller, pumpt mehr Luft Richtung Airbox, erhalten ihre mit 11,2 zu 1 verdichteten Motoren mehr und mehr zündfähiges Gemisch. Aus diesen Zutaten zaubern die Z H2 und Z H2 SE ein pures Fest für Beschleunigungsfans.
Dabei sind es gar nicht die reinen Sprintwerte, die jeden stärkeren Zupfer am Gasgriff so unglaublich machen. So brauchen sie bis 200 km/h 8,2 Sekunden, während eine ZX-10RR aus gleichem Haus das in 7,5 Sekunden schafft. Vielmehr ist es diese Lässigkeit, mit dem sich dieser immer bis zum Bersten gefüllte Sack an Power bei jeder Drehzahl abrufen lässt. Wie eindrücklich Z H2 und Schwester SE – ähnlich dem als Kind in den Zaubertrank gefallenen Obelix – ihre Kraft darreichen, demonstrieren die Durchzugsmessungen. Von 60 bis 140 km/h im sechsten Gang vergehen schlanke 6,0 Sekunden. Die schon erwähnte ZX-10RR benötigt dafür immerhin 7,3 Sekunden. Eine Machtdemonstration. Erwähnenswert: Beide Kompressor-Nakeds stellen ihre Kraft so umgänglich zur Verfügung, dass jeder Dreh rechts bei jeder Drehzahl ohne irgendwelche Hinterhältigkeit geschieht.
Z H2 huscht nicht neutral ums Eck
Jedenfalls fast. Wenn die 40er-Drosselklappen – beispielsweise beim Anbremsen – komplett geschlossen werden, hängen sie beim ersten zarten Gasaufziehen ein wenig fest, ruckt’s leicht beim Lastwechsel. Andersherum: Dass Kawasaki den Reihenvierer trotz der stark schwankenden Druckverhältnisse, des ständigen Wechsels aus Druckaufbau und -ablass übers zwitschernde Wastegate-Ventil überhaupt so harmonisch hinbekommen hat, verdient Respekt.
Anderswo fallen Schwächen mehr auf. So huscht die Z H2 nicht neutral ums Eck. Das liegt aber nicht am Motorgewicht. Samt Kompressor wiegt der Z H2-Vierer gute 75 Kilogramm. Zum Vergleich: Das Aggregat der ZX-10RR drückt ohne Aufladung rund 70 Kilogramm auf die Waage. Vielmehr schieben die 242 Gesamt-Kilos ordentlich beim Anbremsen am Kurveneingang, dazu kommen noch der mit 1.455 Millimetern lange Radstand und eine Sitzposition mit breitem Knieschluss wegen des ausladenden Rahmens. Ähnlich unscharf geht’s beim Einlenken weiter: So klappt die Kawasaki beim ersten Impuls fast ohne Gegendruck ins Eck, braucht dann für tiefere Schräglagen aber eine feste Hand, um nicht automatisch auf die weite Linie abzuschwenken. Ein Fahrverhalten, das vor allem Rückmeldung vermissen lässt. Kann die neue Z H2 SE mit ihrem semiaktiven Fahrwerk das besser? Nicht unbedingt, denn die Grundzutaten wie hohes Gewicht und breitbeinige Sitzposition bleiben gleich. Dafür schaffen Gabel und Dämpfer der Z H2 SE den Spagat zwischen Komfort und Sport viel besser als die mit konventioneller Fahrwerksware ausgestattete Z H2.
Tyson Jopson
Die Z H2 huscht nicht neutral ums Eck. Ihre 242 Gesamt-Kilos schieben beim Anbremsen am Kurveneingang, dazu kommen noch der lange Radstand und eine Sitzposition mit breitem Knieschluss.
Die steht tendenziell eher straff auf ihren Reifen (Werte Gabel: Zug- und Druckstufe: 5 U offen, Zugstufe Dämpfer: 2 U offen, Vorspannung jeweils Standard). Besonders die Highspeed-Druckstufe ihrer Kayaba-Gabel wartet mit sportlicher Härte auf. Beim Bremsen in Kurven hinein trampelt sie auf schlechtem Asphalt regelrecht über Verwerfungen hinweg. Dank Kurven-ABS – und schräglagenabhängiger Traktionskontrolle – bietet die Z H2 ebenso wie die Z H2 SE in solchen Situationen zwar ein Netz mit doppeltem Boden, die Unruhe im Motorrad stört dennoch. Das macht die Z H2 SE besser. Sie besitzt mit ihren semiaktiven Basis-Dämpfungsabstimmungen weich, normal und hart drei Grundset-ups, die an die Fahrmodi Regen, Straße und Sport gekoppelt sind. Im zusätzlichen Fahrmodus Fahrer lassen sich Power (3-stufig), TC (3-stufig und aus) und Fahrwerkseinstellungen zudem individuell konfigurieren, wobei Anpassungen an Zug- und Druckstufe von Gabel und Dämpfer dann sogar in elf Extrastufen von +5 über 0 bis –5 möglich sind. Die Vorspannung muss weiterhin manuell justiert werden, was besonders am Dämpfer wegen der sehr engen Platzverhältnisse mühsam ist. Da die Z H2 SE im Auslieferungszustand hinten etwas zu tief stand, wurde ihre Vorspannung für diesen Vergleich um eine Umdrehung erhöht.
Kawasaki Z H2 SE rollt sensibler
Doch zurück auf die Rumpelpiste. Im weichen Fahrwerksmode rollt die Z H2 SE deutlich sensibler über schlechte Straßen als die Z H2 zuvor. Aufbrüche und Flickstellen bügelt die semiaktiv dämpfende Kawasaki fast mustergültig weg, der Fahrkomfort gewinnt merklich. Nur wenn das Tempo ins Sportliche steigt, agiert der Dämpfer in dieser Abstimmung etwas zu soft, lässt zu viel Bewegung zu. Besser macht das der harte Fahrwerksmode. Der besitzt ungefähr die gleiche Dämpfungsabstimmung wie Gabel und Federbein der Z H2, verfügt über eine solide Grundhärte. Allerdings sprechen die Federelemente der Z H2 SE spürbar besser an. Besonders die Gabel gleitet viel geschmeidiger über Unebenheiten hinweg. Mit den Fahrwerksmodi weich und hart meistert die Z H2 SE die Ansprüche Komfort und Sport unterm Strich richtig gut – und das auf Knopfdruck. Diese Bandbreite bietet die normale Z H2 nicht. Zudem umfasst die Fahrwerkselektronik der Z H2 SE noch zahlreiche Zwischenstufen für individuelle Set-ups. Allerdings sind weder in den Menüs auf dem TFT-Display noch im Handbuch der Z H2 SE Grundwerte zu den Fahrwerksabstimmungen weich, normal und hart hinterlegt. Das macht ein komplett individuelles Setup annähernd so einfach wie die berühmte Suche nach der Nadel im Heuhaufen.
Tyson Jopson
Die Grundzutaten wie hohes Gewicht und breitbeinige Sitzposition bleiben gleich. Dafür schaffen Gabel und Dämpfer der Z H2 SE den Spagat zwischen Komfort und Sport viel besser als die Z H2.
Eindeutiger wird’s bei den Bremsen, dem zweiten Unterscheidungsmerkmal der beiden Kawasakis. Die normale Z H2 besitzt eine radiale Nissin-Bremspumpe sowie M4.32-Radialzangen von Brembo, die Z H2 SE eine Radialpumpe von Brembo sowie Stylema-Radialzangen – ebenfalls von Brembo. Im normalen Fahrbetrieb unterscheiden sich die unterschiedlichen Konfigurationen vor allem im Ansprechverhalten. Bei kurzem Hebelweg und etwas höherer Handkraft packt die Nissin-Brembo-Kombination knackig zu, während das reine Brembo-Setup mit etwas längerem Hebelweg eine feinere Modulation der Bremspower bei etwas weniger Handkraft zulässt. Letztendlich eine Geschmackssache, beide Systeme verzögern ordentlich.
Erst im Extremen, beim Stopp im ABS-Regelbereich, ABS-Druckmodulator und -abstimmung sind gleich, ergeben sich Unterschiede. Solo fallen diese gering aus, liegen beide Kawasakis ähnlich stabil. Mit Sozius gibt’s größere Differenzen, was vor allem daran liegt, dass die normale Z H2 gegen Ende des Bremswegs hinten leicht wird, abhebt, das Hinterrad versetzt. Die Z H2 SE hält dagegen auch beim ABS-Stopp mit Sozius den hinteren Reifen immer unten. Möglich macht’s die automatische Dämpfungsanpassung der Gabel beim Verzögern. Federt die Gabel weniger ein, liegt das Motorrad stabiler. Die Abhebeerkennung greift nicht ein, der Bremsweg fällt kürzer aus.
Fazit
Ganz nüchtern und vor allem unter Komfort- und Sicherheitsaspekten ist die Z H2 SE damit die bessere Z H2. Allerdings auch die klar teurere. 20.235 kostet die SE, das ist ein Aufschlag von mehr als 3.000 Euro gegenüber der normalen Z H2. Das sind fast 19 Hinterreifen. Und von denen benötigen beide Rauchmelder einige.