Die Welt war schockiert und euphorisiert, als KTM auf der Mailänder Messe 2012 den Prototyp der KTM 1290 Super Duke R zum ersten Mal brüllen ließ. Der kurze Aufschrei aus dem offenen Auspuffstummel reichte, um der Welt zu zeigen: „The Beast“ kommt. Anfang 2014 fletschte die Serien-Variante die Zähne. 1301 cm³ Hubraum, gemessene 172 PS, nachgewogene 213 Kilogramm – mit diesen Werten wollte das orangefarbene Raubtier die Filetstücke aus den Power-Naked-Platzhirschen reißen. Der Kampf war hart. Denn es gab Leichtere (BMW S 1000 R: 207 kg, Suzuki GSX-S 1000: 212 kg) und mit der Aprilia Tuono 1100 V4 sogar eine Gleichstarke. Trotzdem: Die Bestie hat sich im Rudel der starken Nackten etabliert. Nicht mit Gewalt. Ganz im Gegenteil. Trotz Muskelbergen und Wespentaille ließ sie sich handzahm an der Leine führen, begeisterte mit kontrollierbarem Druck, beeindruckend geschmeidiger Laufkultur, neutralem Handling und robuster Gesundheit. Im aktuellen MOTORRAD-Dauertest läuft der Kraftmax seit 40.000 Kilometern achtbar und mit noch akzeptablen Verschnaufpausen: Kettenriss, undichter Kühler, defekter Öltank-Sensor, Hinterradlager mit Spiel.
Erste Probefahrt in Qatar
Doha, Qatar. Der Wüstenstaat am Persischen Golf mag Öl, Wolkenkratzer und den ewigen Sommer besitzen. Doch Landstraßen fehlen. Zumindest kurvige. Und solche, auf denen mehr als 80 km/h erlaubt sind. Eigentlich kein Terrain für das Biest 2.0, wie die KTM-Werbetexter ganz unbescheiden die nächste Evolutionsstufe der KTM 1290 Super Duke R nennen. Doch Qatar besitzt auch eine Rennstrecke. Den Circuit of Losail. Geadelt durch den alljährlichen Auftakt zur MotoGP-Saison. Heiliger Boden – dem sich die aufgepeppte Österreicherin über die Büßer-Wege ebenjener schnurgerader Ausfallstraßen nur demütig nähern darf. Vielleicht ganz gut so, um das Rennfieber abzukühlen.
Video: Erste Fahrt mit der neuen Super Duke in Qatar
Wie war das noch, kurz vor der Abfahrt?
Zeit, sich zunächst den weniger sportiven Modifikationen zu widmen. Wie war das noch, kurz vor der Abfahrt? Einen Zündschlüssel gibt’s nicht mehr. KTM Race On nennt sich das Transponder-System. Neu ist die Idee nicht. Kawasaki verwendete diese Technik bereits im Jahr 2007 beim Tourer 1400 GTR, BMW und Harley folgten. Seitdem streitet sich die Motorradszene, ob’s den Schlüssel ohne Schloss braucht. Unkompliziert mag das Teil sein. Ab etwa zwei Meter Entfernung erkennt die Elektronik das Transponder-Signal, nach zwei Fingertipps auf Freigabe- und Startknopf bollert der Twin der KTM 1290 Super Duke R los. Doch: Wer versehentlich den Transponder bei der Abfahrt in der Garage liegen lässt, kann zwar losfahren, wird beim nächsten Tankstopp aber bleich werden – und weiß künftig, dass er die Warnmeldung auf dem Display hätte beachten sollen. Völlig diebstahlsicher erscheinen die Systeme auch nicht.
TFT-Dashboard liefert gute Kontraste
Apropos Display. Nach der 690 Duke und der Super Duke GT besitzt nun auch die KTM 1290 Super Duke R ein farbiges TFT-Dashboard. Gute Kontraste und eine klar strukturierte Anzeige werten die Info-Zentrale eindeutig auf. Zumal sie sich nun auch auf der ausgedehnten Feierabendrunde unkomplizierter bedienen lässt. Wie bei der 125er-Duke sind die Tasten am linken Lenkerschalter hinterleuchtet. Und: Per Bluetooth-Verbindung, dem sogenannten KTM My Ride (97 Euro), lässt sich künftig auch das Smartphone per Lenkerschalter bedienen.
Zeichen stehen auf Sport
Vor allem erstaunt beim gemütlichen Dahinrollen, wie gut erzogen sich der V2 der KTM 1290 Super Duke R mit seinen dicken 650-cm³-Pötten nach wie vor gibt. Ab 2.500/min läuft der 68 Kilogramm wiegende Treibsatz rund und benimmt sich genauso gut erzogen wie das bisherige Modell. Zu erwarten war das nicht. Denn die Zeichen stehen auf Sport. Zehn Millimeter kürzere Ansaugtrichter, Titan- statt Stahlventile und die von 13,2 auf 13,6 erhöhte Verdichtung heben zwar das Drehzahllimit auf 10.500/min und die Leistung von 173 auf 177 PS an, hätten aber durchaus etwas Unordnung in den Drehzahlkeller bringen können. Tun sie aber nicht. Wohl auch wegen eines neuen Resonators im Ansaugtrakt. Der mit dem Zylinderkopf verbundene, hohle Kunststoffbehälter wirkt wie ein Luftkissen und glättet das Pulsieren der Gassäule. Offensichtlich mit Erfolg. Auslassseitig besänftigt nach Jahren der Abstinenz nun auch in der Basis-Variante die von der Super Duke GT übernommene Auspuffklappe.
Lenker nun breiter und niedriger
Ebenfalls dem flotten Strich gewidmet ist der breitere und niedrigere, vor allem aber fast zwei Zentimeter weiter vorn montierte Lenker. Mehr Druck auf das Vorderrad bringt er allemal. Wer sich unkommod fühlt, kann die Lenkstange durch die vierfach justierbaren Lenkeraufnahmen sogar auf das Maß der bisherigen Super Duke an den Fahrer rücken. Mit seiner geraden Form ergänzt der Lenker jedenfalls passender den Naked Bike-Charakter als das stärker gekröpfte Pendant der bisherigen KTM 1290 Super Duke R.
Ab auf die Rennstrecke
Losail International Circuit. Das Hinweisschild erlöst uns endlich vom Landstraßen-Gezuckel. Reißverschluss der Lederkombi hochziehen, die Knieschleifer noch mal festklopfen. Die Super Dukes sind mit dem Track und Performance Pack (siehe „Was ist neu?“) bereits aufgerüstet. Insgesamt 870 Euro werden zusätzlich für die beiden per Software-Update nachrüstbaren Elektronikpakete zum stattlichen Grundpreis von 16.395 Euro fällig. In Sachen Elektronik hängt die KTM 1290 Super Duke R ohnehin die Flagge in den Sturm. Kurven-ABS, Traktions- und Wheelie-Kontrolle, Motorschleppmoment-Regelung, Launch Control, Schaltassistent – alles ist an Bord. Sogar ein serienmäßiger Tempomat. Vier Fahrmodi (Rain, nun auf 130 statt bislang 100 PS begrenzt, Street, Sport und Track) servieren mit jeweils hinterlegten Einstellungen die Elektro-Informationsflut auch für Non-Digital-Natives in verdaulichen Häppchen.
Eingewöhnen? Kaum nötig.
Also, Track-Modus anklicken, Visier runter, Attacke! Eingewöhnen? Kaum nötig. Gasaufziehen nach der ersten Rechts-links-Kombination. Mit der Macht von mindestens 110 Newtonmetern drückt der 75-Grad-Twin bereits im Drehzahlkeller los, schiebt danach unablässig voran. Ob mit dem gefühlt etwas spontaner zupackenden Akrapovic-Nachrüsttopf (siehe Aufmacherfoto, Seite 12) oder dem Original-Schalldämpfer (siehe Foto unten) – nie, wirklich nie hat man das Gefühl, von den 177 Pferden überfordert zu sein. Surft stattdessen genussvoll auf der Drehmomentwelle, schaltet lieber einen Tick zu früh als zu spät hoch. Dass der von der GT übernommene Quickshifter die Zündung beim Hochschalten etwas länger unterbricht als bei den aufgeregten, schwungmasseärmeren Vierzylindern, liegt in der Natur der Sache, wird aber nur Hardcore-Racer stören. Zumal die Combo aus Blipper und Anti-Hopping-Kupplung bei jedem Anbremsmanöver Wiedergutmachung betreibt. Selbst wenn man einen Gang zu tief heruntersteppt, gleicht die Slipper-Clutch das lässig mit einem sanft driftenden Hinterrad aus. Und wenn wir schon beim Bremsen sind: Brembo M50 Monoblock. Noch Fragen? Überhaupt macht schnell fahren mit der KTM 1290 Super Duke r schnell Spaß. Wer’s übertreibt, wird von den justierbaren Helferlein gekonnt gemaßregelt. Mit aktivierter Launch- und Wheelie-Kontrolle gelingt sogar der Blitzstart narrensicher.
Feinschliff an der neuen Super Duke imponiert in der Praxis
Mit der ganzen Elektronik kann man zwar an der Eisdiele keinen Eindruck schinden, doch imponiert der rundum angesetzte Feinschliff an der neuen KTM 1290 Super Duke R in der Praxis. Und die gewaltige Power euphorisiert den Fahrer – aber mehr noch, wie kultiviert sie serviert wird.
KTM 1290 Super Duke R (2017) – was ist neu?
Motor
- Spitzenleistung von 173 auf 177 PS erhöh
- Einlassventile aus Titan statt Stahl
- Resonator am Einlasskanal
- Verdichtung von 13,2 auf 13,6:1 erhöht
- Drehzahllimit von 10.000/min auf 10.500/min erhöht
- Kurbelwellenstumpf auf der Lichtmaschinenseite im Durchmesser um 3 mm erhöht
- Auspuffanlage mit Klappe
Fahrwerk
- Lenker 20 mm breiter, 5 mm niedriger sowie 18,5 mm weiter vorn montiert
- Gabelfedern härter (10 N/mm statt 9,5 N/mm
Sonstiges
- LED-Scheinwerfer mit Tagfahrlich
- TFT-Display mit Bluetooth-Verbindung zum Smartphone (KTM My Ride)
- Transponder-Zündschlüssel (KTM Race On)
- Lenkerschalter links beleuchtet
- Tempomat
- Rahmenheck schlanker
- Tankspoiler optisch überarbeitet
- Vorschalldämpfer aus der Super Duke GT
Preis
- Grundpreis 16.395 Euro (2016: 15.895 Euro)
- Track Pack optional (Abschaltfunktion des Anti-Wheelie-Modus, Launch Control, erweiterte Traktionskontrolle, freie Zündkurven-Auswahl) 340 Euro
- Performance Pack optional (Schaltassistent, Motorschleppmoment-Regelung, Bluetooth) 535 Euro
Technische Daten KTM 1290 Super Duke R
Motor
Wassergekühlter Zweizylinder-Viertakt-75-Grad-V-Motor, je zwei obenliegende, kettengetriebene Nockenwellen, vier Ventile, Schlepphebel, Trockensumpfschmierung, Einspritzung, 2x Ø 56 mm, geregelter Katalysator, Lichtmaschine 450 W, Batterie 12 V/12 Ah, hydraulisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung (Anti-Hopping), Sechsganggetriebe, X-Ring-Kette, Sekundärübersetzung 2,235.
Bohrung x Hub | 108,0 x 71,0 mm |
Hubraum | 1.301 cm³ |
Verdichtungsverhältnis | 13,6:1 |
Nennleistung | 130,0 kW (177 PS) bei 9.750/min |
Max. Drehmoment | 141 Nm bei 7.000/min |
Fahrwerk