KTM 1390 Super Duke R Evo im Top-Test: Noch brutaler, noch stärker als Vorgängerin

KTM 1390 Super Duke R Evo gegen 1290 im Top-Test
Super Duke als 1390 noch brutaler

Veröffentlicht am 17.01.2025

Dem plumpen Motto "Haben ist besser als Brauchen" folgen besonders europäische Motorradbauer im Segment der Power-Naked-Bikes seit geraumer Zeit. BMW, Ducati (und auch MV Agusta) etwa haben ihren nackten Speerspitzen längst 200 PS plus eingepflanzt und damit jede Vernunft unter den Asphaltteppich gekehrt. Und dann ist da ja noch KTM.

In Mattighofen hält man eisern am V2-Konzept fest und pusht den LC8-Motor im Hinblick auf Hubraum immer weiter. 1.349 Kubikzentimeter stehen bei der KTM 1390 Super Duke R (hier in der Variante Evo) im Datenblatt, und daraus sollen neben 190 PS Spitzenleistung vor allem unglaubliche 145 Nm Drehmoment generiert werden. Fünf Newtonmeter mehr als beim – in dieser Disziplin bislang ohnehin in der Klasse unschlagbaren – 1290er-V-Twin. Für alle, die schon mal den Mut zusammengenommen haben, einer 1290er die Sporen zu geben, nur schwer vorstellbar.

Knapp 142 Nm und 196 PS – irre

Und damit sind wir schon mittendrin im Top-Test-Prozedere, denn statt uns irgendetwas vorzustellen, fühlen wir der KTM 1390 Super Duke R Evo lieber genau auf den Zahn und haben zum Vergleich auch die 1290er parat. Auf den Prüfstand geschnallt, muss die 1390er zunächst ihre Power unter Beweis stellen. Knapp 142 Nm und 196 PS bescheinigt das Protokoll – irre. Zwar stehen nur anderthalb Nm Gewinn im Vergleich zur 1290er auf der Habenseite, doch bei der folgenden Messung der Fahrleistungen profitiert die 1390er besonders von der deutlich erstarkten Drehzahlmitte.

Zwar ist der V-Twin mit 48 Kubikzentimetern mehr Hubraum nun noch rauer und vibriert stärker, sodass er unterhalb von 3.500/min in hohen Gängen (fünf und sechs) praktisch unfahrbar ist. Darüber geht’s aber gnadenlos voran. Wenn bei etwa 6.500/min die Einlassnockenwellen axial verschoben werden und so auf eine schärfere Nocke umstellen, steigt die Power weiter an und reißt bis 10.700/min nicht ab.

Dass der Durchzug im sechsten Gang von 60 bis 100 km/h nicht unbedingt beeindruckend ausfällt, ist im radikalen Charakter des Hubraumriesen und der zwar jetzt kürzeren, aber noch immer recht langen Übersetzung (284 km/h) begründet. Klar, wenn die jeweils 110 Millimeter durchmessenden Kolben untertourig oszillieren, dreschen sie grob auf die Kette ein, statt kontinuierlich an ihr zu ziehen. Bei den Durchzügen von 100 bis 140 sowie von 140 bis 180 km/h ist der Rundlauf dagegen schon besser, und die KTM 1390 Super Duke R Evo lässt die Welt umher verschwimmen. In der Praxis bedeutet diese Charakteristik, dass man selten untertourig cruist und intuitiv darauf achtet, sich oberhalb der 4.000er-Marke zu bewegen. Dann bleiben die Vibrationen im erträglichen Rahmen.

KTM 1390 Super Duke R klingt dumpf, überlegen und dezent

Erträglich auch der Klang. Seit Jahren ist die Super Duke als akustisch angenehme Begleiterin bekannt, und das gilt auch für die KTM 1390 Super Duke R Evo. Dumpf, überlegen und dezent brabbelt sie aus dem Endtopf, darf mit einem Standgeräusch von 92 dB(A) auch Tirol (auf den Wahnsinn des Standgeräusches als Maß für die tatsächliche Geräuschemission eines fahrenden Motorrads möchten wir hier nicht weiter eingehen) uneingeschränkt befahren.

Doch im Top-Test heißt die nächste Station nicht Tirol, sondern Pylonen-Parcours. In Worten: Das schnelle Wedeln bei hohem Tempo liegt der KTM 1390 Super Duke R Evo. Aus der Senkrechten lässt sie sich mit einem Minimum an Kraft in Schräglage werfen. Der breite Lenker bietet dabei einen guten Hebel, und die Ergonomie mit hohem Sitzpolster und hohen, sportlich weit hinten angebrachten Rasten bringt Fahrer oder Fahrerin in eine aktive Angriffsposition, mit nicht zu viel Last auf den Handgelenken. Diese Ergonomie ist bekannt.

Handlicher Michelin Power GP-Reifen

Der handliche Michelin Power GP-Reifen in Verbindung mit dem um ein halbes Grad steiler stehenden Lenkkopf helfen der KTM 1390 Super Duke R im Vergleich mit ihrer Vorgängerin spürbar auf die Sprünge. Wenngleich schnelle Richtungswechsel vom auffällig straffen Fahrwerk nicht gerade lässig weggesteckt werden. Beim harten Umlegen verliert das Vorderrad im Dämpfungsmodus "Street" am höchsten Punkt immer wieder kurz den Bodenkontakt, während die Hinterhand dabei sehr steif wirkt.

Etwas sattere Straßenlage bringt die Komfort-Abstimmung des semiaktiv arbeitenden WP-Fahrwerks – die für den Normalbetrieb auf öffentlicher Landstraße noch immer recht straff ausfällt, aber dazu später mehr. Spürbar solider meistert die 1290 Super Duke R Evo den Slalom. Sie biegt zwar weniger agil ab, liegt aber souveräner. Die bessere Zeit sichert der KTM 1390 Super Duke R allein der brutale Punch, mit dem sie verlorene Meter nach dem Umkehrpunkt aufholt.

1390er klappt zackiger ab, 1290er neutraler

Im langsamen Slalom ein ähnliches Bild. Gieriger, aber weniger präzise schwingt die KTM 1390 Super Duke R Evo von maximaler Linksschräglage in maximale Rechtsschräglage und zurück. Schräglagenfreiheit und Sidegrip sind kein Thema, ein leichtes Aufstellmoment beim Bremsen und über Unebenheiten dagegen schon. Mit fahrerischem Einsatz lässt sich diese Eigenheit kaschieren und schlägt sich daher nicht negativ in den Messwerten nieder. In maximaler Schräglage ist das Feedback zudem gut, was auch in der Kreisbahn eine starke Performance ermöglicht. Das gilt allerdings in beinahe gleichem Maße für die 1290 Super Duke R Evo, die nur marginal langsamer ist. Weil man auf der Landstraße ohnehin nur selten lange in maximaler Schräglage fährt, fällt dort eher der Weg dorthin auf. Die 1390er klappt zackiger ab, die 1290er neutraler.

Um gelassen über die Test-Buckelpiste zu gleiten, muss bei KTM 1390 Super Duke R Evo und 1290 R Evo der softeste Fahrwerksmodus (unabhängig vom Fahrmodus wählbar) eingestellt werden. Bei der KTM 1390 Super Duke R Evo heißt der, wie erwähnt, nicht "Komfort", sondern "Rain". Erst in diesem Setting öffnet das überarbeitete WP-System die Dämpfungsventile weit genug für ausreichenden Federungskomfort und verhärtet über Asphaltrisse nicht zu sehr.

Die Abstimmung des Street-Modus würde bei den meisten anderen Bikes das obere Ende der Sportlichkeit markieren, die KTM 1390 Super Duke R Evo hält aber die noch strafferen Sport sowie Track und Pro (jeweils 1–3, individualisierbar) bereit. Für eine flotte Landstraßenrunde empfehlen wir "Rain" oder "Komfort", beide genügen auch sportlichen Ansprüchen. Selbst wenn dann beim harten Beschleunigen der Michelin-Pneu schwarze Striche auf den Asphalt malt, bleibt die 1390 Super Duke stabil auf Kurs.

Klare Verbesserung zur Vorgängerin

Das Ansprechverhalten von Gabel und Federbein der KTM 1390 Super Duke R Evo ist derweil gut, folgen mehrere harte Schläge aufeinander, sorgt die Elektronik aber wie erwähnt für ein Verhärten der Dämpfung und damit für die direkte Weitergabe an Handgelenke und Bandscheiben. Neben der Dämpfung lässt sich auch die Vorspannung am Heck elektronisch einstellen. Sie bewirkt eine mehr oder weniger agile Geometrie. Auf der Landstraße empfehlen wir zugunsten der Stabilität "Auto Mid" oder "50 Prozent". Die Änderung der Vorspannung bedeutet auch eine Verstellung der Sitzhöhe um etwa 20 Millimeter (null vs. 100 Prozent, 840 bis 860 mm).

Zu hastiges Abtauchen der Gabel beim harten Bremsen ist auch ohne Aktivierung der "Anti Dive"-Funktion kein Problem. Die KTM 1390 Super Duke R Evo bleibt selbst bei heftiger Verzögerung sehr stabil. Die Abstimmung des ABS beweist sich zudem bei den Bremsmessungen als erstklassig. Im Road-Setting stoppt die KTM 1390 Super Duke R Evo über die wunderbar dosierbaren Brembo-Anker nicht nur auf den Punkt, sondern auch mit beeindruckenden Verzögerungswerten. Ohne das Heck zu heben, holt das System das Maximum aus den sehr gut verzahnenden Michelin-Gummis heraus und bringt die Fuhre aus 100 km/h nach exakt 39 Metern zum Stillstand – wow! Eine klare Verbesserung zur 1290er.

Im Supermoto-Modus des Blockierverhinderers (hinten inaktiv, Abhebeerkennung deaktiviert) gelingen keine besseren Werte, dafür wären Supermoto-mäßige Bremsdrifts mit der KTM 1390 Super Duke R Evo möglich. Wer beim Anbremsen dazu hart runterschaltet, muss aber trotz Anti-Hopping-Funktion der Kupplung bei niedriger Drehzahl mit feinfühliger Dosierung des Kupplungshebels das Stempeln des Hinterrads unterbinden.

KTM 1390 Super Duke mit variablem Ansprechverhalten

Neben dem erstklassigen ABS ist auch die weitere Assistenzelektronik der KTM 1390 Super Duke R Evo auf einem sehr hohen Niveau angelangt. Wheelie- und Traktionskontrolle lassen sich separat voneinander justieren und verrichten ihre Aufgaben tatsächlich unabhängig und sehr fein. Bei der Traktionskontrolle gefällt zudem die einfache Feineinstellung per Wippe auf der linken Lenkerseite während der Fahrt. Motorbremse und Ansprechverhalten sind ebenfalls variabel.

Wer die volle Power des Motors spüren will, wählt Ansprechverhalten "Track". In den anderen Settings geht die KTM 1390 Super Duke R Evo nicht nur sanfter ans Gas, sondern gibt das Drehmoment auch bei voll geöffnetem Gasgriff verhaltener frei. Alle Assistenzsysteme lassen sich im Menü des 5-Zoll-Dashboards intuitiv einstellen. Weiterhin sind Tempomat und Laptimer an Bord – nice to have. Und der Quickshifter mit Blipperfunktion – must have.

Kupplung ist sehr kraftfordernd

Im Alltag stellt das Schalten ohne Kupplung eine große Erleichterung dar. Besonders für den linken Unterarm, denn die Kupplung darf unverblümt als sehr kraftfordernd bezeichnet werden. Wer den Schalthebel beim kräftigen Beschleunigen nicht klar betätigt, findet sich gelegentlich zwischen den Gängen. Und die zum Test gelieferte KTM 1390 Super Duke R Evo fiel leider auch mit diversen, im Alltag nervigen Eigenheiten auf. Zum einen stand das Motorrad auf Kriegsfuß mit dem Funkschlüssel, der eigentlich praktisch in der Tasche oder im Rucksack verbleiben können sollte. Er wurde aber vom Bike oft nicht erkannt, woraufhin man ihn lästig herauskramen und die Taste auf dem Schlüssel drücken musste.

Nach dem Start folgten dann regelmäßig diverse Fehlermeldungen, von "Abblendlicht" über "Bremslicht" bis "elektronischer Preload-Adjuster". Eine Fehlfunktion der Systeme konnte allerdings nicht festgestellt werden. Zuletzt fiel das Startverhalten der KTM 1390 Super Duke R Evo negativ auf. Nach Betätigung des Starterknopfes gelang es dem Anlasser mehrfach nicht, beim ersten Anlauf den Motor durchzudrehen, und er kam mit einem mechanischen "Klock" wieder zum Stillstand, bevor er ein zweites Mal ansetzte und dann bis zum nächsten Totpunkt genug Schwung aufbauen konnte.

KTM 1390 Super Duke R mit höherer Reichweite

Positiv dagegen der moderate Verbrauch der KTM 1390 Super Duke R Evo, der bei größerem Tankvolumen eine Reichweitensteigerung bedeutet, sowie der neue LED-Scheinwerfer in polarisierender Optik. Er sorgt nicht nur dafür, dass alle, die ihn im Rückspiegel erblicken, brav den rechten Blinker setzen. Bei Dunkelheit gewährleistet er eine sehr breite und helle Ausleuchtung der Fahrbahn nach vorn.

Davon sieht der Sozius übrigens reichlich, denn er thront weit oben in noch erträglicher Position, wenn auch auf hartem Polster. Die Rücksicht wiederum ist bei Nacht wie auch am Tag durch Vibrationen spätestens ab dreistelliger Geschwindigkeit getrübt – dem könnte man entgegensetzen, dass der Blick in den Rückspiegel der KTM 1390 Super Duke R Evo eh nur selten nötig ist.

Und damit schließt sich der Kreis, wir sind wieder beim Motor. Er ist es, der die KTM 1390 Super Duke R Evo klar über ihre Vorgängerin hebt. Auch wenn es vorher unmöglich erschien, KTM hat "Das Biest" noch brutaler und stärker gemacht. Mit entsprechendem Preisaufschlag. Die 1290 Super Duke R kostete zuletzt 20.299 Euro, jetzt steht die 1390er für 21.499 Euro (Stand: Mai 2024) im Verkaufsraum, für die Evo-Variante sind 23.499 Euro fällig. Dafür bekommt man neben dem aktuell mächtigsten V2 eine umfangreiche elektronische Ausstattung sowie ein toll verarbeitetes Bike.