Die Suzuki-Modellplaner haben sich Zeit gelassen mit ihrem Power-Naked-Bike Suzuki GSX-S 1000. Viel Zeit. Denn während die japanische Nachbarschaft von Honda (CB 1000 R), Kawasaki (Z 1000) und Yamaha (FZ1) schon seit Jahren die hüllenlosen Superbike-Derivate auf die Landstraßen schickt, auch BMW jüngst mit einem Vierzylinder (S 1000 R) nachzog, hielt sich Suzuki auffallend zurück. Vielleicht schmollten die Mannen aus Hamamatsu noch. Weil die Fans ihren ultimativen Kraftmax, die 184 PS starke B-King damals – in den Jahren 2007 bis 2012 – nur zögerlich annahmen. Und weil sie den formidablen Hayabusa-Motor und das exzellente Fahrwerk wegen des martialischen Designs verschmähten.
Vielleicht gibt sich die Suzuki GSX-S 1000 wegen dieser Historie so zurückhaltend. Gedrungen, bullig, etwas rundlich um die Kühlerverkleidung steht sie da. Pummelig? Die Waage gibt Entwarnung. 212 Kilogramm vollgetankt. Das sind immerhin zehn Kilo weniger als die exzentrische Z 1000 und nur fünf mehr als die Sportsfreundin S 1000 R. Offensichtlich will die Suzuki GSX-S 1000 nicht zu viel versprechen, lieber mehr sein als scheinen. Sogar beim Druck aufs Knöpfchen. Servostarter. Orgelt nach dem Antippen so lange, bis der Motor anspringt. Als ob dieser Treibsatz das bräuchte. Den Startknopf einen Wimpernschlag lang angestupst, sofort brabbelt der Vierzylinder aus seiner Edelstahl-Auspuffanlage sonor vor sich hin. Gleich ob bei kühlem Frühstart oder der Wiederbelebung nach der heißen Feierabendrunde. Von japanischen Reihenvierern kennt man das nicht anders. Auch nicht vom GSX-S-Motor. Dass der nicht aus dem aktuellen Supersportler GSX-R, sondern aus dem Teilelager der von 2005 bis 2008 gebauten Version stammt, hat seinen Grund. Schließlich bietet der zehn Jahre alte Vierling mit 1,7 Millimeter längerem Hub die besseren Anlagen, um die Kernkompetenz eines Naked Bikes zu betonen: den satten Druck aus tiefen und mittleren Drehzahlen.
Nur wenige vermissen die Elektro-Spielwiese
Kreuzbrav schiebt der Vierer schon ab Standgas an, lädt bereits bei 4000/min ein, in den nächsthöheren Gang zu steppen. Spätestens bei 70 km/h steht die 6 in der Ganganzeige des Cockpits, würde gefühlt noch locker einen siebten oder achten Gang vertragen. Kurz übersetzt haben die Suzuki-Techniker die GSX-S für den Schmusekurs nicht. Im Gegenteil. In den ersten vier Gängen ist sie sogar einen Tick länger übersetzt als eine BMW S 1000 R oder die Z 1000 von Kawa. Das ist erst recht erstaunlich, weil sich die Suzuki GSX-S 1000 den finalen Schritt zur aktuellen Technik im Motormanagement verkneift. Statt Ride-by-Wire und der damit verbundenen aufwendigen Elektronik setzt die GSX-S noch auf deren Vorläufer, die Doppeldrosselklappen-Technik. Dabei erteilt der Fahrer die Befehle über den herkömmlichen Gaszug nur an die erste von zwei Drosselklappen im Ansaugtrakt.
Die zweite, nachgeschaltete Drosselklappe wird – unter Berücksichtigung von Drehzahl, eingelegtem Gang und weiteren Parametern – vom Bordrechner über einen Stellmotor betätigt. Schlecht ist das nicht, zudem seit Längerem bewährt. Das volle Programm an Regelmöglichkeiten bietet diese Technik aber nicht. Insofern: Knöpfchen drücken, um diverse Fahrmodi anzuklicken, kann sich der Suzuki-Pilot ersparen. Nur eine dreistufige Traktionskontrolle kann vom Lenkerschalter aus angewählt oder abgeschaltet werden. Das war’s. Und, Hand aufs Herz, im wirklichen Leben werden wahrscheinlich die wenigsten die Elektro-Spielwiese vermissen. Und sich deshalb auf das Wesentliche konzentrieren. Etwa auf die mit 810 Millimetern sehr moderate Sitzhöhe, das kuschelig gepolsterte Sitzkissen, den in Höhe und Kröpfung gut gewählten, konifizierten Lenker, den angenehmen Kniewinkel oder das übersichtliche und nicht überladene Display. All das passt zum bodenständigen Auftritt der GSX-S.
Suzuki GSX-S 1000 mit gemessenen 156 PS
Dennoch ist klar: Zum Kuscheln ist ein Powerbike nicht geschaffen. Also, Gas auf! Doch wer nach dem säuselnden Windchen nun einen Blitzsturm erwartet, braucht etwas Geduld. Denn zunächst schiebt der Vierzylinder zwar gut dosierbar und höchst kultiviert voran, muss trotz seiner Auslegung und drehmomentfördernden Auspuffklappe aber erst Luft holen. Nicht falsch verstehen. 60 PS bei 5000 Touren oder 75 Pferde bei 6000/min zerren auch schon kräftig an der Kette, doch gerade in diesem für Naked Bikes so praxisrelevanten mittleren Drehzahlbereich hängt die Drehmomentkurve der Suzuki GSX-S 1000 dennoch etwas durch, um sich ab der 6500er-Marke aufzurappeln. Denn dann geht sie ab, die Eilpost. Aggressiv brüllt der Vierzylinder die Nackte nach vorn, spannt mit von MOTORRAD gemessenen 156 PS immerhin elf Pferde mehr als die deklarierten 145 PS vor. Und gibt dieser Herde ihren Freilauf. Ob beim Durchzug im letzten Gang oder beim Vollgasspurt aus dem Stand, in jeder Disziplin legt die Suzuki GSX-S 1000 imposante Werte aufs asphaltierte Parkett. Allein die glatten drei Sekunden von 0 auf 100 km/h sind für ein Naked Bike rekordverdächtig – und auf der Landstraße dennoch selten relevant.
Denn dort entscheidet viel mehr die Kinderstube des Antriebs. In dieser Beziehung leistet sich die Suzuki GSX-S 1000 eine Schwäche. Denn trotz samtigem Motorlauf, unauffällig zu schaltendem Getriebe und einfach zu dosierender Kupplung stört beim Kurventwist die zu diesem gepflegten Charakter gar nicht passende harte Gasannahme. Aggressiv beißt der Motor beim Gasanlegen zu, zeichnet dadurch gelegentlich einen Zacken in die runde Linie. Wer dies gewohnt ist, wird das Gas ganz sanft anlegen, in engen Radien vielleicht sogar mit der Kupplung den Ruck glätten. Wer von dieser Eigenheit überrascht wird, der wird sich – zumindest in diesen Momenten – vielleicht doch die Manieren eines durch Ride-by-Wire domestizierten Motors wünschen.
GSX-S 1000 harmoniert mit Dunlop D 214
Auf Stufe 3, der sensibelsten Abstimmung der Traktionskontrolle, verleiht die wild blinkende Warnleuchte im Display auf holprigen Landstraßen selbst bei moderatem Zug am Kabel einen Hauch Marc-Márquez-Feeling. Wobei der über eine Verstellung des Zündzeitpunkts und Drosselklappeneingriff subtil agierende Einsatz des Schlupfreglers für den Piloten kaum wahrnehmbar bleibt. Wer die Traction Control in Stufe 1 allerdings auch noch zum Eingreifen bringt, der sollte sich vielleicht doch mehr auf die weniger riskanten Seiten des Motorradfahrens besinnen. Die man mit einem Power-Naked-Bike durchaus auch genießen kann. Sauber zieht die Suzuki GSX-S 1000 ihren Strich. Viel neutraler als man der Suzuki auf den Dunlop D 214-Reifen zunächst zugetraut hätte. Denn während beispielsweise die Kawasaki Z 1000 auf diesen Pneus (Sonderkennung T) von Eigenlenkverhalten und ungebührlichem Aufstellen beim Bremsen in Schräglage geplagt wird, harmoniert die Suzuki erheblich besser mit diesen in Sonderkennung „M“ montierten Pendants.
Nur die Rückmeldung dürfte bei größerer Schräglage transparenter ausfallen. Zumal die Suzuki GSX-S 1000 im Kurvengeschlängel etwas Zuspruch gebrauchen könnte. Vor allem der mit 40 Zentimetern recht breite Knieschluss vermittelt trotz klassenüblichen Radstands (1460 mm), Lenkwinkels (65 Grad) und besagten Idealgewichts (212 Kilo) ein subjektiv empfundenes massiges Gefühl. Das schlägt sich auf dem Handlingparcours auch objektiv nieder. Rund eine Sekunde hinkt die GSX-S hinter den Bestzeiten ihrer Klassenkameraden hinterher.
Nervenschonendes ABS
Diese Differenz ist auch in freier Wildbahn zu spüren. Erst recht auf onduliertem Terrain. Sportlich straff haben die Techniker die Federung der Suzuki GSX-S 1000 abgestimmt. Auf kleine Unebenheiten noch gut ansprechend, geben die relativ hart gewählten Federn an Gabel und Monoshock gröbere Schläge an den Piloten weiter. Versuche mit verringerter Dämpfung oder reduzierter Federvorspannung brachten keine signifikante Verbesserung, sodass sich die Serienabstimmung letztlich als bester Kompromiss herauskristallisierte.
Immerhin kappt das schnuckelig gepolsterte Sitzkissen den kräftigsten Ausschlägen die Spitze. Trotzdem: Die Federung bietet jede Menge Reserven, der Fahrkomfort der Suzuki GSX-S 1000 liegt im für sportliche Naked Bikes akzeptablen Rahmen. Und: Lenkerschlagen oder nervöses Gezappel sind der derart ausgelegten und abgestimmten Suzuki auch auf übelstem Geläuf und ohne Lenkungsdämpfer fremd.
Nervenschonend agiert auch das ABS. Mit 9,4 m/s² verzögert der dank neuester Bosch-Technik fein regelnde Blockierverhinderer auf hohem Niveau und hält – mindestens genauso wichtig – sowohl im Solo- als auch Passagierbetrieb dabei das Heck immer am Boden. Gut so, und sicher auch ein Verdienst der für Suzuki typischen eher defensiv ausgewählten Beläge für die Brembo-Monoblock-Zangen. Auch hier werden nur die wenigsten den aggressiven Biss einer BMW- oder KTM-Anlage vermissen.
Nur 4,5 Liter über Land

Zumal die Suzuki GSX-S 1000 auch sonst dem Bild des vernunftbetonten Muskelprotzes treu bleibt. Vom Bordwerkzeug mit Hakenschlüssel für die Vorspannung der Monoshock-Feder über die hilfreichen kleinen Gepäckschlaufen unter der Soziussitzbank bis hin zu den von 6000 auf 12.000 Kilometer verlängerten Inspektionsintervallen orientiert sich die GSX-S am Sinnvollen und Notwendigen statt an Visionen. Der geringste Landstraßenverbrauch aller aktuellen Power-Nakeds gehört auch zu diesem Spektrum. Nur 4,5 Liter genehmigt sich die GSX-S beim gemäßigten Ritt über Land, akzeptable 5,5 Liter bei 130 km/h auf der Autobahn.
Dort könnte sie 250 km/h rennen, hätten die Techniker die Maximaldrehzahl im letzten Gang nicht von 11.800/min auf 10.800/min und den Topspeed damit auf 240 km/h begrenzt. Kein Thema. Bolzengerade brennt sie dabei selbst über grob quergefugte Highways. Spaß macht die Schlacht mit dem selbst entfachten Orkan trotzdem nicht. Deshalb bleibt die Suzuki GSX-S 1000 auf der Landstraße. Wie wohl die meisten ihrer Artgenossinnen, mit denen sie sich nun anlegt. Das Einführungsangebot von 11.490 Euro (inklusive Yoshimura-Auspuff und eloxierten Bremssätteln) lief bereits vor dem Erscheinen dieses Heftes aus. Nun hat Suzuki einen Wechselbonus von 700 Euro nachgelegt, um gegen die technisch ähnlich aufgestellten Honda CB 1000 R und Co. anzutreten, die im Internet mit vierstelligen Offerten locken. Ein leichter Kampf wird das nicht.
Motor und Daten GSX-S 1000





GSX-S-Motor

Bewährte Kräfte
Statt für die GSX-S auf den Motor aus dem aktuellen Supersportler GSX-R 1000 zurückzugreifen, verwendet Suzuki im neuen Power-Naked-Bike den Vierzylinder aus der GSX-R der Baujahre 2005 bis 2008. Der Grund: Moderne Sportmotoren sind zugunsten hoher Spitzenleistungen und Drehfreude durchweg kurzhubig ausgelegt. Unverkleidete Powerbikes setzen aber andere Prioritäten. Wichtig sind bei ihnen Laufkultur und vor allem Druck im niedrigen und mittleren Drehzahlbereich. Mit 1,7 Millimeter längerem Hub als das 2015er-Aggregat bietet der mittlerweile zehn Jahre alte Vierling dafür die bessere technische Basis. Um den zu jener Zeit in der GSX-R 178 PS starken Treibsatz für den Job im neuen Naked Bike zu adaptieren, legten die Suzuki-Techniker noch mal Hand an.

So wurden die Kolben neu gezeichnet, verloren im Vergleich zu ihren Vorgängern drei Prozent an Gewicht. Auch die Erhebungskurven der Nockenwellen wurden zugunsten besserer Füllung bei mittleren Drehzahlen neu gestaltet. Iridium-Zündkerzen und eine feinere Zerstäubung des Kraftstoffs durch Zehn-Loch-Spritzdüsen helfen, den Verbrennungsprozess zu optimieren und mit dem zu jener Zeit noch nach der Euro-2-Norm homologierten Motor nun die Euro-3-Abgasgrenzwerte einzuhalten. Auch die Auspuffklappe in der GSX-S ist zu einem Gutteil den schärferen Lärmvorgaben und nicht nur einem fülligeren Drehmomentverlauf geschuldet.
Nach der Überarbeitung des Vierzylinders gibt Suzuki 145 PS Nennleistung an. Vor diesem Hintergrund steht die GSX-S sehr gut im Futter. 156 PS leistete der Vierzylinder auf dem MOTORRAD-Prüfstand. Allerdings: Gerade nach dieser Überarbeitung verwundert die Drehmomentschwäche im mittleren Drehzahlbereich.
Technische Daten
Setup und Auffälligkeiten





Setup Landstraße
Gabel
Zugstufe 7 Klicks*
Druckstufe 8 Klicks*
Vorspannung 2 Ringe sichtbar
Luftdruck 2,5 bar
Federbein
Zugstufe 1 Umdrehung*
Vorspannung 4. Stufe*
Luftdruck 2,9 bar
* Von vollständig entspannter/geschlossener Position aus gezählt
Aufgefallen

Aufkleber schützen die Fersenschutz-Platten an den Fußrasten vor Kratzern durch Stiefel.

Vier ausklappbare Schlaufen ermöglichen eine sichere Befestigung der Gepäckrolle.

Per Hakenschlüssel lässt sich die Federbasis schnell einstellen. Der Schlüssel gehört zum Bordwerkzeug.

Dank Servostarter braucht es nur einen kurzen Druck auf den Starterknopf. Der Vierzylinder springt hervorragend an.

Gekröpfte Ventile besitzt die GSX-S nicht. Vor allem am Vorderrad gerät die Luftdruckkontrolle deshalb etwas fummelig.
Fazit und Konkurrenz





Mit der GSX-S setzt Suzuki beim späten Comeback in die Power-Naked-Bike-Kategorie wohl bewusst auf relativ simple und bewährte Technik. Damit fährt die GSX-S nicht schlecht. Spitzenleistung, Bremsen, Handling und Verarbeitung gehen in Ordnung. Trotzdem: Der Drehmomenthänger bis 6500/min und die harte Gasannahme erinnern daran, dass dieser Vierzylinder von moderner Elektronik noch profitieren könnte.
Konkurrenten

BMW S 1000 R
Vierzylinder-Reihenmotor, 161 PS, Gewicht 207 kg, 0–100 km/h 3,3 sek, Vmax 258 km/h, Verbrauch 5,9 Liter, 13100 Euro

Kawasaki Z 1000
Vierzylinder-Reihenmotor, 142 PS, Gewicht 222 kg, 0–100 km/h 3,2 sek, Vmax 237 km/h, Verbrauch 5,3 Liter, 12195 Euro

Yamaha FZ1
Vierzylinder-Reihenmotor, 150 PS, Gewicht 230 kg, 0–100 km/h 3,6 sek, Vmax 252 km/h, Verbrauch 5,7 Liter, 11 750 Euro