Vergleichstest Naked Bikes
Bella Donner

Wer bisher noch nicht auf sportliche Nackedeis vom Schlage Ducati Monster oder Triumph Speed Triple abfuhr, der sollte mal mit der Aprilia Tuono losdonnern.

Bella Donner
Foto: Jahn

»Hey, Kumpel, willste mal fahren?« Klar, eine Einladung unter Freunden kann man nicht ausschlagen. Also hinter die breite Segelstange geklemmt, rauf auf die Bundesstraße und Vollgas. Himmel, das Ding geht wie die Pest – und beginnt ansatzlos wie blöd zu pendeln – schnurstracks Richtung Gegenverkehr.
Das war in den späten Achtzigern, Objekt des Schreckens eine im Superbike-Stil umgebastelte Suzuki GSX-R 750 R der ersten Generation, die sich von den ungewohnten Kräften, die eine lenkerfeste Nachrüst-Verkleidung ins System schickt, heillos überfordert zeigte.
Knapp 15 Jahre später. Ein Hoch auf den Fortschritt. Wenn doch nur alles so vorwärtsgemacht hätte wie die Fahrwerkstechnik – ablesbar an den Qualitäten der nackten Kanonen. Na ja, zumindest diejenigen von ihnen, die an der Evolution der organspendenden Sportler großzügig partizipieren durften. Vorbei ist’s heute mit grenzwertigen Fahreigenschaften und gewöhnungsbedürftigem Habitus bei zügiger Fahrweise.
Selbst wenn auch anno 2002 mancher Naked-Neuzugang bei flüchtiger Betrachtung glatt als - liebevoll - reanimiertes Sturzopfer durchgeht. Beispiel Aprilia Tuono: Hier rissen die Strategen ihrer Sportskanone RSV mille einfach die Verkleidung vom Leib, schraubten statt der Lenkerstummel Riser auf eine CNC-gefräste Gabelbrücke und steckten einen konifizierten Alulenker in dieselben. Bloß noch eine aus dem Originalkleid herausgeschälte Frontmaske montieren, ein paar Kunststoffabdeckungen an die offen liegenden Flanken schrauben - und fertig. Halt. Aprilia verspricht mit geänderter Ansaugluftführungen und entsprechend ausgelegtem Kennfeld der Einspritzng eine bekömmlichere Leistungsabgabe des trotz zweier Ausgleichswellen vor allem untenrum polterigen 60-Grad-V2. Nun, eine willfährige Schmusekatze ist das Rotax-Triebwerk noch immer nicht, aber sobald mehr als 3000 Touren anliegen, spendet es reichlich Leistung, und nachdem ein kurzes Jammertal bei 6000/min durchschritten ist, feuert es wild grollend dem Begrenzer entgegen. Ergo: Es gibt ein Tuono-Leben unter, und eines über 6000/min. Obwohl Aprilia jüngster Sproß bei Bedarf durchaus das Zeug zum entspannten Bummeln hat, gieren die 120 Pferde ständig nach gestrecktem Galopp. Der in Begrenzernähe justierte Schaltblitz im vollständig ausgestatteten Cockpit wird zum häufig gesehenen Gast.
Rabiate Drehorgien - muss das sein? Fragt die Triumph ihren Piloten mit heiser-gepresster Stimme. Sie schmeichelt mit samtpfotigem Antritt, zoomt sich in weiten Sätzen voran. Fast unspektakulär und dennoch sauschnell. Wen wundert’s, der Speed Triple hat’s faustdick im Druckgussgehäuse - ablesbar an der Leistungskurve. Der domestizierte Daytona-Drilling malt ab 3500/min eine nahezu mustergültige Linie inklusive Drehmomentplateau. Zudem reagiert er so geschmeidig auf Kommandos, dass man ihm die mit 124 PS höchste Leistung im Testfeld gar nicht zutraut. Was auch daran liegt, dass er kaum lastwechselt, nur ganz verhalten vibriert und kaum zu Formschwankungen tendiert. Lediglich die Gänge flutschen nicht so leicht wie bei den anderen. Trost spendet die rauchige Stimme aus Airbox und Auspuff, aus dem es beim Gaswegnehmen ab und zu herrlich blubbert. Rauchig ist übrigens nur die Tonlage und nicht der Schadstoffausstoß. Die Triumph filtert per G-Kat plus Sekundärluftsystem, während Aprilia auf U-Kat setzt – und damit laut Homologation erfolgreicher als die Engländerin ist.
Kat? Pah, grollt Ducatis Über-Monster S4 selbstbewusst und pustet ihre Abgase ungeniert und ungereinigt in die Atmosphäre. Was heißt hier pusten. Röhren, trompeten, hämmern tut er, der 916-cm3-V2. Neunsechzehn, genau. Das einstige Herz der Jahr für Jahr zu höherem strebenden Supersport-Ikone ist mehr als gut genug für die ambitionierteste nackte Desmodromikerin. Deren Stärken in einer starken Mitte liegen. Zwischen 2000 und 6000/min drückt der Vierventiler nämlich satt und rund Leistung, bevor seine mechanischen Äußerungen beeindruckend anschwellen, was allerdings nicht unbedingt mit entsprechender Power einhergeht. Megadrehzahlen liegen der S4 weniger. 104 PS, auf die die Leistung des 916-Motors bereits für die ST4 eingedampft wurde, müssen reichen. Auf dem Tourensportler basiert die Monster nämlich. Leider, denn von dieser übernahm sie die gegossenen Lenkerhälften statt des Rohrlenkers ihrer Zweiventil-Schwestern. Da diese Hälften wenig ergonomisch nach vorn gedreht sind und im Gegensatz zu den konventionellen Stangen von Tuono und Speed Triple keinerlei Verstellung zulassen, wird Gasgeben, Bremsen und Kuppeln trotz an sich leichtgängiger Bedienelemente unnötig erschwert. Zum Ausgleich integriert das kompakte Arrangement aus schmal tailliertem Tank und Sitzbank Monster-Piloten direkt ins Geschehen. Man sitzt vorderradorientiert quasi direkt auf der Straße, denn die straffen Federelemente informieren ohne Scham über den Fahrbahnzustand.
Wie etwa über das fabelhafte Testterrain in Südfrankreich, wo sich zwischen Ardèche und Mont Ventoux verschiedenartiger, wild kurvender Straßenbau bietet. Es ist alles im Angebot, von frisch duftendem Neubelag über rau gekörntes Parkett bis zu nonchalant geflickten Passagen. Mit Letzteren steht die mit Michelin Pilot Sport bereifte Monster jedoch etwas auf Kriegsfuß. Solange es über übersichtliches, gut erhaltenes Geläuf geht, röhrt die rote Diva stabil und unerbittlich selbst durch ultraschnelle Passagen. Verlangt allerdings trotz per Zugstange um einige Gewindegänge angehobenen Hecks und reduzierter Druckstufendämpfung der Gabel stets Nachdruck und macht aus ihrer Vorliebe für weite Bögen keinen Hehl. Auf keiner der drei Nackten ist der Pistenkontakt dabei so unmittelbar, so knackig, wie auf der nur 209 Kilogramm schweren Ducati. Sobald jedoch Zustand und Übersichtlichkeit der Piste abnehmen, nimmt die Unruhe an Bord zu. Vor allem bei Unebenheiten in Schräglage stellt sich die S4 auf, die Linie ist beim Teufel. Gleiches gilt fürs Hineinbremsen in Kurven – das Aufstellmoment bringt die Duc aus dem Tritt. Wie gesagt, kein Problem auf bekannten Hausstrecken, aber nervig beim Erobern von Neuland.
Hier kann die Tuono punkten. Hoch oben hinter dem üppig aufragenden Lenker thronend, fragt sich der Aprilianer, ob sich ein paar Super-Moto-Gene in die Mille-Erbmasse geschmuggelt haben. Auch wenn der schmale Kunststoff-Tank Richtung Sitzbank etwas eckig wird und die - a là Mille - hoch angebrachten Rasten nicht jedem passen, Lust auf übermütiges Treiben macht die Sitzposition allemal. Was von der mit Metzeler Sportec M-1 bereiften Tuono dankbar angenommen wird. Handlich, neutral, stabil - kein Wunsch, sondern Wirklichkeit. Selbst gefräste Längsrillen bringen die 215 Kilogramm schwere Aprilia trotz showträchtiger 190er-Breitbereifung hinten nicht ins Straucheln. Freie Linienwahl? Logisch. Kurzfristiges Umbuchen im Kurvenscheitel? Warum nicht. Auch harsche Manöver sind im Zusammenspiel zwischen den wirksamen Bremsen – vorn im Gegensatz zur Mille ohne die hyperbissigen Einzelbelag-Zangen – und der mit Anti-Hopping-Effekt versehenen, pneumatisch unterstützen Kupplung locker drin. Vorsicht ist lediglich beim freudigen Beschleunigen geboten. Sobald die 51er-Drosselklappen auf Durchzug stehen, zieht’s der Vorderfront den Asphalt unter dem Rad weg. Zwar droht dabei dank des serienmäßigen Lenkungsdämpfers – gegen Aufpreis einstellbar – kein bösartiges Lenkerschlagen, aber in der Luft ist es halt erstmal Essig mit Lenken. Spaß macht es dennoch, besonders das Abreiten von Straßenbuckeln, von denen sich die Tuono durch entsprechendes Gasgeben zu mächtigen Wheelies hinreißen lässt. Gabel und Federbein – wie bei Ducati und Triumph voll einstellbar - überzeugen dabei mit einer tendenziell komfortablen Abstimmung, die auf guten und schlechten Straßen gleichermaßen passt. Einzig das Sachs-Boge-Federbein könnte etwas mehr Reserven in der Druckstufe vertragen, insbesondere dann, wenn es zu zweit zur Sache geht. Denn obwohl das Beifahren ob der unkommoden Sitzgelegenheit Sportsgeist erfordert, ist es durchaus eine Erfahrung wert.
Genau wie auf der Speed Triple, die dem Passagier sogar ein - im Vergleich zu den Italienerinnen – nettes Plätzchen einräumt. Ebenso dem Fahrer, der sich regelrecht an Tank und Rahmen kuscheln kann, den nicht zu breiten Lenker fest im Griff. Die aufrechte Sitzposition mit leicht angewinkelten Beinen macht sogar längere Trips möglich, mit dem kleinen Windschild (Aufpreis 235 Euro) ist selbst die Autobahn kein Sperrgebiet. Genausowenig für die Monster, die beim Speeden von ihrer geduckten Sitzposition profitiert und die Tuono, der ihre größere lenkerfeste Frontverkleidung zugute kommt. Alle drei durchbrechen lässig die 220er-Schallmauer, schmerzfrei geht es dennoch nur bis etwa 160 km/h zu.
Schmerzen unabhängig vom Tempobolzen verursacht die Hinterhand der Speed Triple, die schnell in die Progression abtaucht und dann einen auf ganz hart macht, was auf schlechter Piste schon mal zu Dissonanzen im sonst so harmonischen Verhältnis zwischen Mensch und Maschine sorgt. Bis auf diesen kleinen Lapsus verdient die Speed Triple uneingeschränkt das Prädikat »satt liegend«. Nicht zu verwechseln mit träge. Denn agil ist sie, die Britin. Dabei kalkulierbar und geschmeidig. Wo die strenge Monster mit Einsatz geführt werden will und Spaßvogel Tuono zu Dummheiten verführt, vermittelt die mit Bridgestone BT 010 besohlte Triumph kraftvolle Gelassenheit. Wozu unter anderem die fein dosierbare, nicht mehr so grimmig wie früher beißende Vorderradbremse beiträgt.
Allen Differenzen zum Trotz bleibt das Trio auf dem letzten Stück Richtung Mont Ventoux dicht beieinander. Eine griffige Piste mit eiskanalartig überhöhten, flüssigen Radien windet sich gen Baumgrenze. Und schmeckt allen dreien dermaßen, dass sich der ein oder andere Freudenjauchzer aus den Helmen mit heiserem Fauchen und wildem Donnergrollen der Motoren mischt. Am Gipfel angelangt, steht endgültig fest, dass minimales Plastik zu maximalem Fahrspaß gereicht – wenn die Basis stimmt.

Unsere Highlights

1. Platz - Aprilia Tuono

Was hat Aprilia denn da gemacht? Klaut der sportlichen Mille die Verkleidung und spendiert ihr eine ordentliche Lenkstange. Fertig ist der Streetfighter. Und was für einer. Spitzenmäßiges, neutrales Handling, eine aktive Sitzposition und der hurtig anreißende Rotax-V2 sorgen für Fahrspaß auf allen Wegen. Komfortabel abgestimmte Federelemente nehmen selbst übel geflickten Pisten den Schrecken, und wenn’s pressiert, schießt die Tuono mit Tempo 245 über die Bahn. Sogar Landschaft gucken ist hinter dem hohen Lenker locker drin. Kritik verdienen dagegen die Laufkultur und ein ausgeprägtes Leistungsloch bei 6000/min.

3. Platz - Ducati Monster S4

Die stärkste aller Monster verlangt nach einer ebensolchen Hand. Und vermittelt mit ihrer unnachahmlich strengen, direkten Art Fahrspaß der besonderen Art. Nachlässiges Herumgurken ist nicht. Die vom legendären 916-Vierventiler befeuerte Duc fordert ungeteilte Aufmerksamkeit vom Piloten. Ihre Lastwechsel wollen mit Gefühl, das störrische Handling bei zunehmendem Tempo mit Einsatz überlistet werden. Dann aber donnert die S4 schnell und stabil über die Piste und lässt sich beim wilden Treiben höchstens noch von Unebenheiten beeindrucken. Maschinenbau pur ohne Filter halt – was leider auch für die Abgase gilt.

2. Platz - Triumph Speed Triple

Über die Jahre ist die Speed Triple zu einem fast perfekten Spaßmacher gereift. Kraftvoll, geschmeidig, ohne die schrulligen Eigenheiten früherer Generationen. Dass dabei etwas uniform wirkende Bauteile – etwa Cockpit und Rücklicht – aus dem Triumph-Baukasten einflossen, lässt sich verschmerzen. Solange die glubschäugigen Scheinwerfer, die Einarmschwinge und der charakteristische Alurohrrahmen Denkmalschutz genießen, gibt es für Fans keinen Grund zur Sorge. Ganz im Gegenteil: Handling, Motorcharakteristik und Verarbeitung der 2002er-Auflage können nahezu restlos begeistern. Und der einzigartige Dreizylinder-Sound sowieso.

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Erscheinungsdatum 26.05.2023