Eine leichte Brise weht den Duft des frisch gemähten Rasens eines Wochenendgrundstücks herüber, Bienen umschwirren die geradezu explodierende Blütenpracht auf den Streuobstwiesen. Und als wagten die Moto Guzzi und die Triumph dieses leise, beinahe kitschig anmutende Idyll nicht zu stören, knistern ihre sich langsam abkühlenden Auspuffe schüchtern vor sich hin. Die Welt des "schneller, höher, weiter", sie erscheint hier noch entfernter als der nächste Winter. Auf den ersten Blick ein Anachronismus - bei diesen Namen. Racer nennen die Moto-Guzzi-Modellplaner die für diese Saison frisch aufgelegte Ausgabe ihres 2008 erschienenen Neo-Klassikers V7. Thruxton - in Anlehnung an den Sieg einer Triumph Bonneville beim 500-Meilen-Langstreckenrennen im britischen Thruxton im Jahr 1962 - heißt die seit 2004 wiederbelebte Britin.
Große Namen, große Taten, große Tradition, das ist der Quell aus dem sich der aktuelle Trend zu Retro-Bikes speist. Selbst wenn sich die Verkaufszahlen noch auf niedrigem dreistelligem Niveau bewegen, so sticht die positive Entwicklung in den vergangenen drei Jahren dennoch ins Auge. Fast ein Viertel mehr Thruxton-Modelle brachten die Briten in diesem Zeitraum hierzulande unters Volk, gar 40 Prozent Zuwachs verzeichnete Moto Guzzi bei den beiden bislang angebotenen V7-Modellen (Classic, Café Classic).
Zaghaft drücken wir auf die Anlasser, wagen kaum, die Stille zu stören. Tun wir auch kaum. Gut, fast zu gut gedämpft pötteln die beiden Zweizylinder aus ihren verchromten Schalldämpfern. Und auch deren Kinderstube bricht mit dem Klischee des Revivals urwüchsiger Technik. Samtweich schnurrend surrt der 865-cm³-Gleichläufer der Triumph vor sich hin. Wer je den raubauzigen Lauf eines Triumph-Twins aus den 70ern erlebt hat, wird erstaunt sein, vielleicht auch ein bisschen enttäuscht. Zumal die junge Thruxton - deren historisches Vorbild im Jahr 1969 in einer Kleinserie von nur 55 Exemplaren produziert wurde - sich ansonsten fast schon entschuldigend detailgetreu an jener Vorgängerin orientiert. Doch der heruntergezogene M-Lenker mit den markant an den Enden angebrachten Rückspiegeln sowie die gebürsteten Motorseitendeckel, welche die optische Anmutung des damals getrennten Motor- und Getriebegehäuses gekonnt nachahmen, verblassen gegenüber einem Highlight des Neo-Klassizismus: der in der Optik von zwei Gleichdruckvergasern gehaltenen Einspritzanlage.

Noch näher dran am Original - mit der Moto Guzzi übrigens 1967 in der V7 die Premiere des längs eingebauten V2-Motorenkonzepts feierte - bleibt die Italienerin. Allein der typische Knicks nach rechts beim Gasanlegen demonstriert dieses unverwechselbare Guzzi-Feeling, dessen Geist sich anschließend wie ein roter Faden durch das ganze Fahrzeug zieht. Ob jene markante Optik des V2-Triebwerks, die an die seligen Veglia-Borletti-Uhren erinnernden Rundinstrumente, die betont schmale Tank-Sitzbank-Kombination oder der zierlich konzipierte Kardanantrieb - die Historie der Marke vom Comer See steckt in allen Details. In die sich die Entwickler aus Mandello del Lario bei der Racer offensichtlich noch tiefer verliebt haben. Allein Dinge wie die wunderschön aus dem Vollen gefräste Fußrastenanlage, die neckische Aussparung für den Ausgleichsbehälter der Hinterradbremspumpe im rechten Seitendeckel, die mit Alpaka-Leder überzogene Sitzbank, die kleine Lampenverkleidung mit Mini-Spoiler, die Gabelfaltenbälge oder der über den Tank gespannte Halteriemen aus Leder zeugen vom treffsicheren Sinn für klassischen Stil.
Dieser Hintergrund legitimiert selbst die gewöhnungsbedürftige rote Koloratur von Rahmen, Naben und Schwinge. Schließlich geht diese Farbgebung auf die ebenfalls mit rotem Fahrwerk ausgelieferte V7 Sport aus dem Jahr 1971 zurück. Schwerer zu verdauen dürfte für Klassik-Fans der zwar aufreizend spiegelnde, letztlich aber aus schnödem verchromten Kunststoff bestehende Tank der Basis-V7 sein. Natürlich ein Zugeständnis, um den Aufpreis in erträglichen Grenzen zu halten, nachdem die Racer - die übrigens auch noch in Zug- und Druckstufendämpfung justierbare Bitubo-Federbeine erhielt - mit gut 9700 Euro gegenüber ihren beiden Schwestern ohnehin um 800 beziehungsweise 1100 Euro teurer ausfiel.

Längst sind die Streuobstwiesen in den Rückspiegeln verschwunden, doch das Gefühl dieser beschaulichen Beschwingtheit bleibt. Man fühlt sich leicht, luftig, unbeschwert auf diesen Maschinen. Als hätte der Fahrtwind sämtliche Gedanken an Leistung, Beschleunigung oder maximale Schräglage kurzerhand weggeweht. Allein die niedrigen Sitzhöhen und die schlanken Taillen schaffen auf Anhieb Zuneigung. Die der Motor der Triumph auf seine ganz eigene Weise untermauert. Wie eine Nähmaschine surrt der Twin durchs Drehzahlband, vibriert kaum, lässt sich hervorragend schalten, kuppeln und drückt seine 68 PS so unspektakulär ab, als würde er sich für diese von einem Retro-Bike nicht erwartete Perfektion genieren. Dass es das Fahrwerk obendrein noch versteht, die gewichtigen 231 Kilogramm exzellent zu kaschieren, passt ins Bild. Nicht zuletzt dank der schmalen Bereifung (110er vorn, 160er hinten) schwingt die Engländerin mühelos von Kurve zu Kurve. Dass der Auftritt der Triumph damit objektiv gelang, steht außer Frage. Ob sie damit die subjektive Erwartung an eine authentische Wiederbelebung einer großen Vergangenheit erfüllt - die Antwort darauf muss jeder ganz individuell finden.
Die Hilfestellung für diese Entscheidung könnte die Moto Guzzi bieten. Vielleicht gerade weil sie von vielem etwas weniger als die Triumph besitzt. Weniger Gewicht (201 statt 231 Kilogramm), niedrigere Sitzhöhe (Guzzi: 810 statt 830 Millimeter), kürzerer Radstand (1449 statt 1510 Millimeter) - allerdings auch mit deutlich weniger Leistung. Letzteres bleibt denn auch der wirklich einzige Vorwurf, den man der Dame aus der Lombardei machen kann. Denn mit 46 PS aus 744 cm³ Hubraum generieren die Techniker gerade mal vier PS mehr Leistung, als die Ur-V7 vor 44 Jahren besaß. Kein Beinbruch, wenn damit ein kräftiger Antritt aus dem Drehzahlkeller verbunden wäre. Doch trotz früh erreichtem maximalem Drehmoment bleibt die Vorstellung des V2 zwar sanft und kultiviert, emotional aber doch eine Nummer zu brav.
Eine Scharte, die das Fahrwerk mit aller Macht auswetzt. So unverkrampft wie der aus der Café Classic entliehene M-Lenker den Guzzi-Treiber platziert, so offen wie der Kniewinkel gewählt ist, so gertenschlank sich der Tank zwischen die Schenkel schiebt und die Knie an den Zylinderköpfen sacht anstoßen, so befreiend spielerisch lässt sich das zierliche Motorrädchen von Kurve zu Kurve schnippen. Und plötzlich scheint man den Geist des Schöpfers der V7, des im Jahr 2005 verstorbenen Moto-Guzzi-Ingenieurs Giulio Cesare Carcano zu spüren. Man beantwortet die Fragen nach Federungskomfort, Bremsleistung oder Schräglagenfreiheit einfach mit einem Wort: genügend. Denn die Gedanken sind längst auf ganz andere Dinge fokussiert. Der Erinnerung an große Namen, große Taten und große Traditionen beispielsweise.
MOTORRAD - Urteil / Technische Daten

MOTORRAD-Urteil
Würde man die herkömmliche Messlatte an diese Maschinen anlegen, die TRIUMPH THRUXTON gewänne diesen Vergleich mit spritzigem Motor und gut abgestimmtem Fahrwerk. Doch klassischer Esprit und das Weitertragen einer Tradition sind nicht messbar. Wären sie es, bliebe der MOTO GUZZI V7 RACER mit ihrer wunderbaren Liebe zum Detail ganz sicher ein Titel - den der Siegerin der Herzen.
Technische Daten:
Triumph Thruxton
Motor:
Luftgekühlter Zweizylinder-Viertakt-Reihenmotor, Bohrung x Hub 90 x 68 mm,Hubraum 865 cm³, Fünfganggetriebe, X-Ring-Kette.
Fahrwerk:
Doppelschleifenrahmen aus Stahl.
Maße und Gewicht:
Radstand 1510 mm, Federweg v/h 120/106 mm, Sitzhöhe* 830 mm, Gewicht vollgetankt* 231 kg, Tankinhalt/Reserve 16/3 Liter.
Preis:
8990 Euro, Nebenkosten 350 Euro.
Moto Guzzi V7 Racer
Motor:
Luftgekühlter Zweizylinder-Viertakt-90-Grad-V-Motor, Bohrung x Hub 80 x 74 mm, Hubraum 744 cm³, Fünfganggetriebe, Kardan.
Fahrwerk:
Doppelschleifenrahmen aus Stahl.
Maße und Gewicht:
Radstand 1449 mm, Federweg v/h 130/118 mm, Sitzhöhe* 810 mm, Gewicht vollgetankt* 201 kg, Tankinhalt/Reserve 17/2,5 Liter.
Preis:
9335 Euro, Nebenkosten 255 Euro.
*MOTORRAD-Messungen