Yamaha FZ1 und Yamaha MT-10 im Vergleichstest
Ten years after

2006 betrat die Yamaha FZ1 die Bühne. Kein weichgespültes Naked Bike, ein nackter Sportler. Nun steht mit der Yamaha MT-10 die Nachfolgerin bereit. Optisch trennen sie Welten, technisch hat sich auch einiges getan. Ist die MT-10 bereit zur Stabübergabe?

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Jens grinst. Hat sich die Pole Position am Schlüsselbrett erkämpft und den Schlüssel der Yamaha MT-10 für die Ausfahrt mit der Yamaha FZ1 gesichert. Klar, der Reiz des Neuen. Fahrwerk vom Superbike R1, Motor auch. Nur mit mehr Drehmoment und immer noch saftigen 160 PS. Dazu eine straßenkampftaugliche Sitzposition. Mit diesem Rezept trat vor genau zehn Jahren die FZ1 auch an, die von der MT-10 abgelöst wird. Das heißt von nun an 160 statt 150 PS, 111 statt 106 Newtonmeter, 223 statt 230 Kilo. Plus aktuelle Elektronik, Ride-by-Wire, Fahrmodi und Traktionskontrolle.

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Na schön, Jens. So weit die Papierform. Aber wie groß ist der Fortschritt wirklich? Auch angesichts des Preises. In den einschlägigen Internet-Portalen werden die Restbestände an Yamaha FZ1 – letzter Listenpreis 11.750 Euro – bereits für merklich unter 10.000 feilgeboten. Weniger als bei ihrer Kiellegung anno 2006. Für die Yamaha MT-10 werden 12.995 Euro fällig. Und für die rund 3000 Euro Preisdifferenz sind ein paar nette Accessoires drin.

Generationenunterschied kommt schon rein optisch zum Ausdruck

Nach vorne geduckt mit klarer, klassischer Linie, den Motor schön in Szene gesetzt die Yamaha FZ1. Grimmig, fast bedrohlich, zerklüftet und technokratisch die Yamaha MT-10. Die Sitzprobe jedenfalls entscheidet die MT klar für sich. Jens strahlt zum zweiten Mal. Hat seine knapp zwei Meter Länge kommod in ihrem Sattel platziert. Sitzt richtig entspannt. Mancher Kollege zückte zwar auch mal das Prädikat „passiv“, aber harmonischer als die Sitzgelegenheit auf der FZ1 ist’s in jedem Fall. Bei deren Gestaltung hatten die Erbauer kein ganz so glückliches Händchen.

Auch wenn die Yamaha MT-10 im Kniebereich nicht so wunderbar schmal ist wie ihre Gen-Spenderin R1, der Tank der Yamaha FZ1 spreizt die Knie des Fahrers ungleich stärker. Dazu sitzen ihre Rasten höher und weiter vorne, was in Verbindung mit dem zum Fahrer hin gekröpften Lenker und der geringen Sitzhöhe eine zwar kompakte, aber etwas eigenwillige Mischung ergibt.

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Die MT-10 geht den Weg, den die FZ1 einst beschritt, konsequent weiter.

Auch der Soundcheck geht an die Yamaha MT-10. Das dumpfe Grollen des Crossplane-Motors schleicht sich einfach schmeichlerisch ins Ohr. Mit seinem Hubzapfenversatz von 90 Grad (siehe "Der große Knall") imitiert er unnachahmlich einen V4. Das herzhafte Röhren bei hohen Drehzahlen inklusive. Da kann die FZ noch so satt grummeln oder bei höheren Drehzahlen das typische Vierzylinder-Geheul anstimmen. Der MT-Sound geht unter die Haut. Aber auf den ersten Kilometern hinaus aus dem Großstadt-Moloch sammelt die FZ dennoch Sympathie-Punkte. Sie kommt beim Anfahren etwas druckvoller von der Kupplung, die ist dazu etwas feiner dosierbar. Die FZ reagiert zudem viel sensibler auf kleine Lenkbewegungen als die MT-10 mit ihrem Lenkungsdämpfer. So lässt es sich wohl­dosiert aus der Stadt schleichen. Doch nur bis zum Ortsausgang. Dort ist’s vorbei mit der vornehmen Zurückhaltung. Drosselklappen auf Durchzug – ab geht’s. Und Jens bleibt erst einmal die Spucke weg. Denn die FZ1 vor ihm schlägt auf den verzwirbelten Sträßchen Haken wie ein Hase. Kurzer Stopp, Maschinentausch – und wenige Kilometer später sprudelt es unter Jens’ Helm hervor: „Das ist ja unglaublich, wie die Yamaha FZ1 in die Kurven fällt.“

Stimmt, obwohl sie eigentlich nicht für verwegenes Handling bekannt war. Doch krankte sie an der Erstbereifung mit ziemlich altbackenen Dunlop D 221. Deshalb haben wir ihr freundlicherweise brandaktuelle Dunlop Roadsmart 3 auf die Felgen geschnallt. Und damit zackt die Yamaha FZ1 tatsächlich ultragierig in Schräglage, lässt sich fast willenlos von links nach rechts pfeffern. Erst ab mittleren Schräglagen baut sich etwas Gegendruck am Lenker auf. Das braucht ein wenig Gewöhnung, aber dann ist’s eine Wucht. Vielleicht auch ein bisschen zu viel des Guten, zeigt aber, dass sich mit entsprechendem Reifen der eher betulich einlenkenden FZ richtig Beine machen und sie in Sachen Handling auf Augenhöhe zur Yamaha MT-10 bringen lässt. Die wirkt kaum weniger wendig, aber bestimmter beim Einbiegen, abgeklärter, konzentrierter bei der Linienwahl.

Yamaha MT-10 bekam die Sahneteile der R1 spendiert

Wie sich doch die Zeiten ändern. Bei ihrem ersten Auftritt im Top-Test im Jahr 2006 monierten die Tester bei der FZ1 eine zu straffe Fahrwerksabstimmung und das wenig sensible Arbeiten der Federelemente. Vielleicht sind wir ja heute, zehn Jahre später, Härteres gewohnt. Siehe die Hinterhand der Yamaha MT-10. Doch die Fahrwerksabstimmung der Yamaha FZ1 kann eigentlich als guter Kompromiss aus sportlich straff und komfortabel dämpfend durchgehen. Nur die Sache mit dem Ansprechverhalten, die stimmt immer noch. Vor allem, wenn man so eine sahnig arbeitende Gabel wie die der MT-10 als Vergleich dabeihat. Dafür rumpelt aber ihr Federbein deutlich rezenter über kurze, harte Fugen und Stöße.

Entlohnt wird der MT-Pilot mit sagenhafter Stabilität selbst in pfeilschnellen Biegungen, ob mit Bodenwellen gespickt oder nicht. Der Yamaha MT-10 ist’s wurscht. Sie liegt bolzstabil, zieht sauber ihre Bahn. Das ist der Lohn dafür, dass Yamaha bei den Federelementen nicht geknausert hat wie noch bei der Yamaha FZ1. Der blieb die edle Dämpferware der R1 seinerzeit verwehrt. Zug- und Druckstufe sitzen bei ihr getrennt in je einem Gabelholm, und das Federbein kommt ohne Ausgleichsbehälter oder justierbare Druckstufe daher. Die MT dagegen bekam die Sahneteile der R1 spendiert, inklusive High- und Lowspeed-Druckstufe am Federbein.

Fahrwerk der Yamaha FZ1 im Vergleich schwächer

Im Grunde meistert aber auch die Yamaha FZ1 fetziges Kurvenräubern klaglos, nur ist stets ein wenig mehr Bewegung im Fahrwerk, liegt sie nicht ganz so erdig-satt. Und wo Jens in Kehren die MT lässig immer weiter abwinkelt, zieht der Autor mit den Rasten der FZ bereits kräftig Furchen in die Fahrbahn. Der Punkt Schräglagenfreiheit geht klar an die MT. In Sachen Fahrwerk sticht die neue Konstruktion der Yamaha MT-10. Sie wirkt satter, souveräner, konzentrierter.

Dennoch kommt Jens beim Kurvenräubern auf unserer Teststrecke ins Grübeln. „Sag mal, aus den Kehren raus, fährst du da im Zweiten oder Dritten? Die Yamaha FZ1 geht ja tierisch ab.“ Keine Bange Jens, ich zwiebel die FZ im Zweiten aus den Kehren raus. Im Dritten würdest du mir wahrscheinlich ins Heck rumpeln.

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Da kommt Freude auf. Dynamische Landstraßen-Brenner mit tollen Fahrwerken.

Womit wir beim Motor wären. Der sorgte nämlich beim Erscheinen der Yamaha FZ1 für lange Gesichter. Die Techniker hatten dem R1-Motor seinem Einsatzzweck entsprechend zwar gut 25 PS genommen, aber kaum mehr Druck untenrum eingehaucht. Und kombinierten das Ganze auch noch mit dem rennmäßig gestuften Getriebe mit langem ersten Gang der R1 und einer ellenlangen Gesamtübersetzung. Unterm Strich rangierte die Durchschlagskraft des FZ1-Motors in der ersten Hälfte seines Drehzahlspektrums, na, sagen wir mal, am unteren Ende seiner Klasse.

Entsprechend ist für flottes Vorankommen ein fleißiger Schaltfuß gefragt. Und keine Scheu vor hohen Drehzahlen. Erst ab 7000/min lässt die Yamaha FZ1 ordentlich die Muskeln spielen. Sie liebt und braucht Drehzahl. Auf Samtpfoten kommt sie dabei nicht daher. Spürbare Vibrationen begleiten den Marsch durchs Drehzahlband.

Ernüchterung beim Blick auf das Leistungsdiagramm

Da ist der MT-Antrieb schon aus anderem Holz geschnitzt. Aber zunächst macht sich beim Blick aufs Leistungsdiagramm Ernüchterung breit. Wo ist da der Fortschritt von zehn Jahren? Fast deckungsgleich verlaufen die beiden Kurven. In der Praxis kocht die MT ihre Vorgängerin trotzdem ab. Wenngleich Yamaha das hauptsächlich mit recht profanen Mitteln, nämlich einer deutlich kürzeren Gesamtübersetzung, erreicht. Die Durchzugswerte sprechen Bände. Im letzten Gang nimmt die MT der FZ von 60 auf 100 km/h fast eine Sekunde ab. Bis 140 noch mal. Von 140 auf 180 sind es gar fast zwei. Dazu hängt die Yamaha MT-10 viel direkter am Gas, beantwortet Kommandos der rechten Hand umgehend mit Vortrieb. Wirkt dadurch wesentlich lebendiger und agiler, dreht leichtfüßiger in die Höhe und läuft auch deutlich geschmeidiger. Wobei das tieffrequente grummeln des Crossplane-Motors stets weniger Drehzahl vermittelt als gerade anliegt. Dadurch ertappt man sich öfter dabei, den Motor bis in höchste Lagen auszupressen, einfach den Gang drin zu lassen. Während die Yamaha FZ1 in fünfstelligen Drehzahlen schreiend eher dazu animiert, den nächsten Gang reinzusteppen.

Dennoch nimmt Jens mit der antrittsstärkeren MT Kurven fast durchweg einen Gang höher als der Autor auf der FZ und hängt trotzdem formatfüllend in dessen Rückspiegeln. Logisch, Jens kann am Kurvenausgang auch unbefangen am Kabel ziehen, schließlich grätscht, wenn’s brenzlig wird, die Traktionskontrolle ein. Die holt auf der sanftesten Stufe auch ein aufsteigendes Vorderrad wieder auf den Boden der Tatsachen. Ohnehin reißt es die MT mit ihrem Temperament schneller aufs Hinterrad als die FZ. Traktionskontrolle? Da muss sie passen – und die Yamaha MT-10 schließlich vorbeiziehen lassen. Der MT-Motor drückt einfach energischer, dreht wie angestochen, da kann die Yamaha FZ1 nicht dagegenhalten.

Wie sieht es beim Thema Bremsen aus?

Beim Anbremsen dagegen schon. Kanonenfutter auf der Bremse? Ist die Yamaha FZ1 ­sicher nicht. Im Gegenteil. Ihre Bremse packt spontaner und kräftiger zu. Ist feiner dosierbar, ihr Druckpunkt etwas präsenter – obwohl „nur“ mit konventionell verschraubten Bremszangen bestückt. Radialbremspumpe? Bei beiden Fehlanzeige. Ja, der Rotstift. Doch auf der nächsten Geraden hat es Jens dann geschafft, zieht mit kehlig röhrender MT vorbei. Nur um im nächsten Ort zur Zapfsäule abzubiegen. Nicht nur bei den Fahrleistungen hat die Yamaha MT-10 die Nase vorn. Auch beim Durst. Sie genehmigt sich mit 6,8 einen guten Liter mehr auf 100 Kilometer als die FZ und hat nach rund 250 Kilometern den Tank leer gesaugt. Da hat die „Eco“-Anzeige im Cockpit bei verhaltener Fahrweise fast schon etwas von Realsatire. Apropos Cockpit. Mit Anzeigen für Gang, Außentemperatur und Verbrauch, dazu dem gewählten Motormapping, ist es ungleich informativer als jenes der FZ, das im Grunde nur die nötigsten Informationen bereithält. Auch hier ist die Zeit nicht stehen geblieben.

Das muss letztlich auch die Yamaha FZ1 anerkennen. „Mit kürzerer Übersetzung wäre die FZ1 vielleicht bei der Musik“, sinniert Jens, streift sich den Helm über und schwingt sich in den Sattel der MT-10. „Und ein Sozius findet wenigstens ein halbwegs akzeptables Plätzchen“, füge ich hinzu. Hilft aber alles nix, die Yamaha MT-10 ist das modernere, letztlich bessere Wetzeisen. Und Jens hat allen Grund zum Grinsen.

Konventioneller Reihenvierzylinder vs. Crossplane

Das ist der Unterschied zwischen einem konventionellen Reihenvierzylinder (180 Grad-Versatz) und einem Crossplane-Motor (90 Grad-Versatz).

Big Bang, Screamer, Crossplane. Ein konventioneller Reihenvierzylinder zündet aufgrund seiner 180 Grad Hubzapfenversatz gleichförmig alle 180 Grad Kurbelwellenumdrehung. Das verleiht ihm den typisch schreienden Klang bei hohen Drehzahlen. Beim Crossplane-Motor mit seinen um 90 Grad versetzt angeordneten Hubzapfen läuft der Motor mit ungleichmäßigen Zündabständen.

Nach der ersten Zündung folgt eine dreiviertel Kurbelwellenumdrehung Pause, zweite Zündung, halbe Umdrehung Pause, dritte Zündung, viertel Umdrehung Pause, vierte Zündung. Was im Grunde einem 90-Grad-V4 mit 180 Grad Hubzapfenversatz entspricht. In der Theorie soll sich dies günstig auf die Traktion im Rennbetrieb auswirken. Drehmomentvorteile lassen sich bei dieser Konstruktion allerdings nicht ausmachen. Der Klang ist aber auch im Alltag ein Genuss.

Technische Daten

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Die Yamaha FZ1 trug ihre Lenkerböcke vibrationsmindernd in Gummi gelagert.

Hier sehen Sie einen Auszug der technischen Daten. Wenn Sie die kompletten, von uns ermittelten Messwerte inklusive aller Verbrauchs-, Durchzugs- und Beschleunigungswerte möchten, können Sie den Artikel als PDF zum Download kaufen.

MOTORRAD-Fazit

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Die Yamaha MT-10 übernimmt das Erbe der Yamaha FZ1.

Sie ist agiler und präziser. Sie ist stabiler, und sie ist stärker. Vor allem im Antritt. Auch wenn die Yamaha MT-10 hierbei mehr von ihrer kurzen Übersetzung denn von stiernackigem Drehmoment profitiert. Sie geht den Weg, den die Yamaha FZ1 einst beschritt, konsequent weiter. Den eines dynamischen, unverkleideten Sportlers für die Landstraße. Die Stabübergabe ist geglückt.

Die aktuelle Ausgabe
MOTORRAD 20 / 2023

Erscheinungsdatum 15.09.2023