Knarr, krächz. Das Garagentor öffnet sich, und da steht
sie, die alte Yamaha RD 80 MX. Meine erstes »Motorrad«. Lenkerverkleidung, goldene Gussfelgen, Design genau wie die
großen RD und XJ. War sie immer schon so klein? Sie ist eine der letzten Überlebenden. Obwohl Yamaha einst nahezu unfassbare 16000 Stück davon verkauft hat, scheinen alle MX vom Erdenboden verschwunden verrottet, verlebt, ausgebeint, an Leitplanken pulverisiert. Für diese habe ich einen Deal ausgehandelt: Ich bekomme sie geliehen und bringe sie dafür zum Laufen.
Klar, früher im Schlaf auseinandergenommen, das Ding, no problem. Neue Batterie und Zündkerze samt Stecker sind schnell ersetzt, doch die komplette Vergasersanierung und ein Wackler
in der Elektrik kosten einiges an Zeit und Nerven. Egal, rauf auf den Sattel. Nanu, aufrechte Sitzposition? Mit meinem M-Lenker war
sie doch ein richtiges Renngeschoss! Knieschluss is auch nich, die Tankecken drücken unangenehm und provozieren eine leichte Grätsche. Komisch, früher nie bemerkt.
Ein Ruck, der Hauptständer schnalzt unwillig ein, die angeblichen Federelemente ebenfalls. Zündung an, Benzinhahn auf und den Kickstarter raus. Der erste beherzte Tritt bleibt fast ohne jeden Widerstand. Wären nicht die leichten Ansauggeräusche, könnte man meinen, die Kickstarterwelle liefe ins Leere. Endlich, nach unzähligen Versuchen plätschert dünnes Zweitakt-Gepötter aus den Endtüten. Na, mit dem Sebring-Sportauspuff hörte sich das aber ganz anders an, roch auch anders
Rizinusöl. Hatten wir zwecks besserer Verbrennung immer reingemischt... Weiß der Himmel, wer uns das mal gesteckt hat.
Erster Gang, die Fuhre kommt in Fahrt. Wie easy die Kleine ums Eck geht, locker in die Kurven, vorbei an jeder Autoschlange, ich bin sofort wieder drin. Handikap sind höchstens die Reifen Baujahr 82, doch für eine Runde werden sie reichen. Rechts ab, Richtung Heidelberg-City, ins Jagdrevier von anno 1990.
1990. Endlich 16, endlich Schluss mit der ewigen Busfahrerei, mit dem Betteln bei den Eltern, ob sie vielleicht... nur mal ins Kino oder zur Party in den Nachbarort bringen... Endlich zu der coolen Clique gehören, die morgens vor der Schule gelangweilt und rauchend an ihren RD und DT lehnt. Viele waren schon weg, Lehre, Knast, wer weiß wohin, dafür bin ich jetzt da. Lange genug hatte es gedauert und viele Mühen gekostet, doch dann war er in der Tasche, der 1b-Führerschein. Und ich
bin stolz wie Harry, hätte mir das rosa Papier am liebsten um den Hals gehängt, damit jeder sehen konnte: »Bald gehts los Mädels, haltet euch fest!« Monatelang Zeitung ausgetragen, im Restaurant Salat geputzt und Spülmaschinen
gefüllt und was war bei rumgekommen? Für die Pappe hatte es gereicht, danach waren nur noch ein paar Piepen über. Egal, eine 80er musste her, ganz gleich, was.
Woche für Woche auf der Suche nach einem Schnäppchen unzählige Anzeigenblättchen zerfleddert. Keine Chance, die erträumte RD 80 LC II rückte in unerreichbare Ferne. Endlich gab eine Anzeige Hoffnung: »Yamaha RD 80 MX, Bj. 81, guter Zustand, lange abgemeldet, 400 Mark.« Hin, besichtigt, verhandelt und gekauft. Yamaha RD 80 MX, nix mit LC wie Liquid Cooled, sondern mit dicken Kühlrippen am Zylinder. Sah zwar ultra-alt aus, aber das ließ sich hinbiegen.
Denn Helm spendierten die Eltern nachdem sie sich
damit abgefunden hatten, dass ihr Sohn fortan mit einem
äußerst gefährlichen Fortbewegungsmittel unterwegs war. Gefährlich gerade recht. Der Helm störte dabei nicht
wirklich, denn auch wenn er die Frisur ruinierte, kamen die Grünen bei Kopfbedeckung nicht ganz so schnell an-
geflogen. Und mit schwarzem Visier ließ sich da sogar was in Richtung Coolness drehen.
Die erste Ausfahrt, Hahn auf, 50, 60 Sachen, die Gänge durchgerissen, doch im Fünften war bei 70 Ende. Was!? So ein Mist! Birne auf den Tank, die Tachonadel kletterte auf 75, dann war Schluss. Rien ne va plus, nichts ging mehr. Die Enttäuschung: kolossal. Liefen doch die wassergekühlten DT und RD der Kumpels locker über 100. Sagten die jedenfalls. Der entscheidende Tipp kam ausgerechnet vom Vater: »Junge, das ist ein Zweitakter! Der hat lange
gestanden und ist bestimmt total zu.« Okay, Auspuff abschrauben, ausbrennen, Vergaser runter, sauber machen. »Nur bloß nirgends dran rumdrehen, sonst kriegst du sie
nie mehr zum Laufen.« Vattern schien sich auszukennen.
Ansaugstutzen aufbohren und polieren stand jedoch nicht auf der Verbotsliste. Membrananschläge? Mülleimer! Überströmkanäle: auf Hochglanz polieren. Ein- und Auslassbohrung: feilen, feilen, feilen. Alles streng nach Tuninghandbuch. War beinahe ein wenig überrascht, dass nach einer Woche Bastelkeller sämtliche Teile tatsächlich wieder zusammenpassten und die nun schwer getunte Karre sogar ansprang. Sebring-Sportauspuff, ein verchromter M-Lenker und eine Rennkerze von Götz vernichteten endgültig das letzte Ersparte, doch das Ergebnis war phänomenal: 95 laut Tacho. Die LC der Kumpels konnten einpacken. Liefen zwar nicht so laut und illegal wie meine, doch no risk, no fun. Auf jeden Fall standen da jetzt deutlich mehr als die schmächtigen 6,8 PS im Futter.
Eine kräftige Windböe holt mich auf der Neckarlandstraße aus meinen Gedanken zurück in die Gegenwart. Trotz Regen und Temperaturen um die fünf Grad ist das luftgekühlte Aggregat nach wenigen Kilometern warm gefahren und nimmt gut Gas
an. Ja, warm wurde ihr schon immer schnell. Zu warm allerdings. Denn die luftgekühlte RD 80 MX war alles, nur nicht thermisch
ausgeglichen. Schon gar nicht in meiner »verbesserten« Version. Mit Sozius war im Sommer oft schon nach wenigen Minuten die Luft raus. Meine Güte, damals mit Thorsten hintendrauf, auf der Neckar-Uferstraße, als wir zu dem blöden Handballspiel wollten und die Kiste gerade mal noch 30 km/h auf den heißen Asphalt drückte. Mann, war das peinlich! Stunden später kamen wir an, und die ganze wassergekühlte Clique bepinkelte sich schier vor Lachen. Einmal kippte ich vor lauter Frust einen Eimer Wasser über den heißen Zylinder. Nachdem sich die Nebelwolken verzogen hatten, sprang sie sogar wieder an. Nicht totzukriegen.
Mit jeder Zweitakt-Wolke und jeder Straßenecke
fallen mir neue Geschichten ein, Christians Winterfahrten in T-Shirt und mit Nierengurt oder Markos
missglückte Wheelies quer über die Fahrbahn. Oder die beinahe
täglichen Polizeikontrollen, die Rennen auf der letzten Rille und die Grabereien an der schönsten Sozia. Fahren, stürzen, schrauben, Party machen das Leben war herrlich.
Das Gefilde wird immer vertrauter: Bismarckplatz, Untere
Straße, Alte Brücke, der ehemalige Bierbrunnen, die Sonderbar und die Destille absoluter Kult. Hier wurde gecruist, was das Zeug hielt. Plötzliches Gurgeln aus dem Auspuff, peng, aus! Unsanft holt mich der verendende Motor erneut in die Gegenwart zurück. Hey, was ist los? Ich komme im letzten Kapitel der Vergangenheitsbewältigung an, und es heißt wie damals: Werkzeug
freimachen. Nach einer Stunde nächtlicher Schrauberei unter
einer Straßenlaterne gebe ich auf. Mein Revival ist authentischer geworden, als ich wollte schon damals habe ich sie eigentlich viel zu oft nach Hause geschoben. Ehem, Papa...