Die mörder edle Yamaha XJR 1300 des Tuners Klein brüllte auf der Schwäbischen Alb die Arie der ewigen Liebe und des lodernden Feuers.
Die mörder edle Yamaha XJR 1300 des Tuners Klein brüllte auf der Schwäbischen Alb die Arie der ewigen Liebe und des lodernden Feuers.
„Bist du sicher, dass du das hinkriegst?“ – „Ich hab schon mal einen Blinddarm mit einem Grapefruitlöffel entfernt.“ Und dann schneidet sich Robert de Niro selbst die Kugel aus dem blutenden Rumpf und Jean Reno assistiert. Dieser Dialog aus dem Film „Ronin“ führt mich direkt zu Dominik Klein und seiner irren Yamaha XJR 1300 – ein absolutes Meisterwerk der mechanischen Chirurgie. Dabei hatte Klein bei der Taufe des Mörderofens gar nicht den Film im Sinn, sondern dachte an die ursprüngliche Bedeutung des japanischen Wortes Ronin: einen herrenlosen, durchs Land ziehenden Samurai.
Vielleicht, weil diese Yamaha XJR 1300 36.000 Euro kostet, von Messe zu Messe wandert, und die Menschen voller Ehrfurcht in die Knie gehen lässt? Oder weil der Muscle-Racer im metaphorischen Sinn die längst verblichene AMA-Superbike-Szene der 80er ist, als Eddie Lawson und Co. mit ihren luftgekühlten, brachial ausbrechenden Japan-Nakeds die Menschen begeistert haben? „Für mich war Noriyuki Haga ein Ronin, als er bei Yamaha weg musste und zu Ducati und später auch zu Aprilia wechselte“, stellt Klein klar, der auf seinen Projekt-Maschinen als Tribut an den wilden Japaner immer dessen Startnummer 41 verwendet.
Einen Tag vor der PS-Industrieausfahrt traf ich in der Zentrale der Motor Presse Stuttgart ein und verlor in der Tiefgarage fast den Verstand, als ich die „Ronin“ sah. Wow, was für ein unvorstellbar charismatisches, wunderschön gemachtes Mördereisen! Einarmschwinge, Speichenräder, Racing-Höcker, offenes Rahmendreieck mit Öhlins-Zentralfederbein, 320er-Brembo-Doppelanker, Öhlins-Gabel, goldene, gefräste Magura-Pumpen, BKG-2D-Lenker, Over-Rahmenstreben, Einzelluftfilter und eine äußerst verheißungsvolle Vier-in-eins-Anlage in Titan von SC-Project. Diese Yamaha XJR 1300 ist ein Traum!
Ich ging null Risiko ein und sprintete wie ein Irrer durchs Treppenhaus hinauf in die PS-Redaktion (der Lift hätte zu langsam sein können), vergaß im Eifer des Gefechts sämtliche Benimm- und Grußregeln und stieß vor dem Seitz’schen Schreibtisch den aufs Entscheidende verdichteten Satz aus: „Bitte den Zündschlüssel!“
Als er kurz zögerte, legte ich sofort nach: „Du wirst es nicht bereuen! Ich werde die Stadt mit dem erregenden Brüllen des großen Vierzylinders der Yamaha XJR 1300 verzaubern. Ich werde Stuttgart zur Metropole des Wahnsinns machen. Natürlich voll kontrolliert. Das wird legendär. Von dieser Fahrt werden alle noch lange sprechen und ja klar, alle werden davon profitieren! Win-win-win, du weißt schon.“
Aber trotz dieses überzeugenden Plädoyers wollte der Seitzmograf den Schlüssel partout nicht rausrücken. Ich war fassungslos und stammelte: „Bitte! Wenn ich diese mörderfesche Yamaha XJR 1300 nicht gleich abfeuern darf, werde ich schweres, psychosomatisches Zahnweh bekommen, vielleicht sogar resignativ trotziges Herzrasen und möglicherweise – ich will gar nicht daran denken – verwelke ich augenblicklich wie ein Maiglöckchen im Heißluftherd!“
Graf Seitzmo blieb stur. Zum Glück. Denn weit wäre ich mit der Klein-Yamaha XJR 1300 in Stuttgart nicht gekommen. Rod sitzt noch immer in der Schweiz ein, und mich hätten sie womöglich hier im Zentrum von Baden-Würgenberg kassiert. Keine nette Vorstellung. Ein Schluchtenscheißer im Piefke-Gefängnis. Sicher hardcore. Dabei hätte ich in Stuttgart gar keine hysterisch japsenden Fellwürste mit dezenten Slides nahe des Bürgersteigs erschrecken oder mit spektakulär harschen Ampel-Wheelies für entsetztes Aufsehen sorgen müssen. Nein, das brachiale Motorgeräusch wäre vollkommen ausreichend gewesen, um die Grenzwerte der Toleranz selbst des mildesten Gesetzeshüters um ein Vielfaches zu überschreiten. Der gottvolle Klang des 1251er- Reihenvierers aus dem offenen SC-Project-Pufferrohr hätte dem Beamten die Sicherungen unter der Kappe rausgedreht. Amtlich!
Wir schafften die Ronin im fensterlosen Frachtraum des PS-Gefahrguttransporters hinaus auf eine kleine Teststrecke auf der Schwäbischen Alb und entsicherten sie. Und, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich werde den druckvollen Klang dieses Killermotors nie mehr vergessen. Wahnsinnig schön! Als wir den Reihenvierer der Klein-Yamaha XJR 1300 mit einem kurzen Druck auf einen der metallisch glänzenden Mikroknöpfe von Motogadget am linken Lenkerstummel aufweckten, wurde der enge Talkessel, in dem wir uns befanden, von einem tiefen, bedrohlich hungrigen Wolfsröcheln erfüllt.
Was für ein Sound! Durch die nahezu dämpfungslose Titan-Anlage, die extra für die Klein-Yamaha XJR 1300 angefertigt wurde, verdichteten sich die Explosionen in den vier großen Zylindern zu einer unfassbar forsch instrumentierten Sinfonie. Musikliebhaber mögen mich für einen fürchterlichen Banausen halten, aber der Klang, der in perfektem Mezzoforte aus dem Rohr drang, war der beste, der bisher durch meine Ohren gefahren ist.
So müssen Motorräder klingen! Freies Einatmen durch kleine Einzelluftfilter, freies Ausatmen durch ein glattes Rohr ohne Dezibel-Knebel. Schlaraffenland! Keine Frage, in der heutigen Zeit, in der die Siedlungsdichte immer stärker wird und die Menschen aufgrund des enormen Leistungsdrucks immer dünnere Nerven haben, muss man Verständnis aufbringen für gesetzliche Lärmrestriktionen, aber bei aller Einsicht möchte ich im Sinne der Gesundheitsvorsorge noch zu bedenken geben, dass der Sound der Ronin meine Seele reinigend durchblies und mit Euphorie anreicherte. Egal, wie viele Tabs sich Stresspillenschlucker einwerfen – diesen Zustand der inneren Glückseligkeit werden sie nie erreichen. Und als ich dann die Klein-Yamaha XJR 1300 abfeuerte, gab es innerlich sowieso kein Halten mehr!
Wahnsinn, wie der Motor der Klein-Yamaha XJR 1300, der gierig von ganz unten bis 9500/min dreht, entfesselt brüllte. Fortissimo! Bei meinen harschen Beschleunigungsorgien auf der Geraden sah ich aus den Augenwinkeln Graf Seitzmo am Streckenrand selig lächeln, und Fotomeister Jacek, dessen zerzauste Frisur mich an Beethoven erinnerte, verfolgte mich mit offenem Mund. Eine derart wunderbare Soundkulisse hatte der Talkessel sicher noch nie erlebt.
Da ich der festen Überzeugung bin, dass die Natur ein Empfinden hat, gehe ich davon aus, dass der Kessel noch sehr lange von unserer Testfahrt zehren wird. Und für das fliehende Wild im Wald war es wohl die beste Form von Bewegungstherapie. Pilates für Hirsch, Hase und Igel.
Der große, luftgekühlte Viererblock drückte am PS-Prüfstand 122 PS und 123 Nm ab. Das ist natürlich gegenüber den nominell 98 PS aus der Serie schon eine deutliche Steigerung, wenn auch keine Welt (die letzte XJR drückte schon serienmäßig 107 PS auf unserem Prüfstand). Warum hat Dominik Klein nicht die 1400-Kubik-Over-Kolben eingebaut? „Ich weiß gar nicht“, sagt er, „ob Over diese Kolben noch anbietet. Seit die Zylinder aus Alu sind – früher waren sie ja aus Guss –, ist das Aufbohren wesentlich aufwendiger. Außerdem macht der 34er-Querschnitt der Einspritzung erhebliches Motortuning nicht einfach. Da müsste man wieder auf die Flachschieber zurückkommen. Ich denke, die Performance des Motors passt jetzt sehr gut.“
Absolut! Der unglaublich elastische Vierer zieht schon ab 2000/min extrem kultiviert durch und serviert dann bis 8000/min ein nahezu dellenloses, sehr starkes Crescendo (um in der Musiksprache zu bleiben). Über den gesamten Bereich ist der Motor der Klein-Klein-Yamaha XJR 1300 viel potenter als das Serien-Triebwerk. Entscheidend ist aber nicht nur der generelle Powerzuwachs, sondern das breite Plateau von 8000 bis 9500/min. Während der Serienmotor ab 8000 Touren deutlich abfällt und den Fahrer somit zum Schalten zwingt, hält der Klein-Vierer die volle Power bis in den Begrenzer. Andere Nockenwellen? „Nein“, stellt Klein fest, „wir haben den Motor nicht verändert, sondern nur die Peripherie und das Management. Also Luftfilter, Auspuff und Software.“
Apropos Auspuff: Der volle Sound ist zwar unendlich begehrenswert in meinen Ohren, aber Ordnungshüter hören meist anders. Gibt es das klangtechnische SC-Superrohr auch mit db-Killer und wenn ja, wie viel Leistung killt das? Klein nickt: „Bei einem Viertakter kostet der Auspuff immer Leistung.
Je freier er ist, also je weniger im Rohr steckt, desto mehr Leistung kann der Motor produzieren. Jetzt sind wir etwa 25 PS über der Serienleistung, mit dem db-Killer bleiben nur knapp acht PS über.“ Alles klar, ich will das leere Rohr!
Im Reich der öffentlichen Radien wandte ich den „Trick des Friedens“ an. Also keine hohen Drehzahlen und damit wenig Lärm. Der gewaltige Reihenvierer funktioniert auch im Drehzahlkeller brillant und schiebt die vollgetankt 219 Kilo schwere Klein-Yamaha XJR 1300 beeindruckend durch die Welt. Ab 50 km/h kann man locker den Fünfer einlegen, einen Sechser gibt‘s nicht.
Ich bin schon sehr viele XJRs gefahren und habe sie alle geliebt, aber keine hat mich dermaßen in den Bann gezogen wie diese Klein-Yamaha XJR 1300. Mindestens so vereinnahmend wie der göttliche Klang des Motors ist die optische Erscheinung der Maschine. Das Eisen wirkt in jedem Detail unglaublich stimmig und schlüssig. Wie aus dem Vollen gefräst. Ein Gesamtkunstwerk.
Dabei ist die Ronin eigentlich ein Sammelsurium aus edlen Komponenten. Die 48er-Öhlins FGRT-Gabel kommt von der Ducati Diavel, das zentrale Federbein wurde für die Yamaha R3 gemacht, die Einarmschwinge der Klein-Yamaha XJR 1300 stammt aus einer Ducati Hypermotard 796. Klein: „Die Innereien der Öhlins-Komponenten haben wir in 15 Testschritten angepasst. Die Schwingenlagerung im Stahlrahmen war kein großes Problem, aber an der Umlenkung mit Wippe haben wir länger gearbeitet.“
Wahnsinnig aufbauende Glücksbringer sind auch die beiden Gold schimmernden, ultrapräzise funktionierenden Magura HC3-Pumpen für Bremse und Kupplung, die Kineo-Speichenräder (3.50 x 17, 6.00 x 17) und das handlaminierte Heck mit Innenkotflügel, das die Batterie und diverse elektronische Bauteile aufnimmt. Wohin der Blick auch fällt, die Klein-Yamaha XJR 1300 ist unfassbar edel und schön.
Gewöhnungsbedürftig beim Anrauchen ist die Sitzposition. Haga, 168 Zentimeter, wäre vermutlich für die Klein-Yamaha XJR 1300 etwas zu klein. Mit meinen 178 Zentimetern spannte es mich schon ordentlich nach vorne. Sobald man sich daran gewöhnt hat, steht dem vollen Feuer aber nichts mehr im Wege. Das Fahrwerk ist das mit Abstand beste, das ich je in einer XJR erlebt habe, und die Schräglagenfreiheit ist im freien Land immer größer als der Mut des Piloten.
Man könnte wieder mal einen Klassiker bringen: „Die Fuhre kratzt erst, wenn an ein Wiederaufrichten nicht mehr zu denken ist.“ Meist spielt es für mich keine Rolle, dass ich nicht im Geld schwimme, aber die 36.000 Euro für die Klein-Yamaha XJR 1300 hätte ich wirklich gerne. Und ja: Die Fahrt mit der Ronin werde ich immer in meinem Herzen tragen. So etwas verblasst nie.
Technische Daten Klein-Yamaha XJR 1300
Antrieb: Vierzylinder-Reihenmotor, vier Ventile/Zylinder, 90,1 kW (122 PS) bei 8100/min**, 123 Nm bei 5700/min**, 1251 cm³, Bohrung/Hub: 79,0/63,8 mm, Verdichtungsverhältnis: 9,7:1, Zünd-/Einspritzanlage, 34-mm-Drosselklappen, hydraulisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Fünfganggetriebe, Kette
Fahrwerk: Doppelschleifenrahmen aus Stahl, Lenkkopfwinkel: k. A., Nachlauf: k. A., Radstand: 1480 mm, Upside-down-Gabel, Ø Gabelinnenrohr: 48 mm, einstellbar in Federbasis, Zug- und Druckstufe. Zentralfederbein mit Umlenkung, einstellbar in Federbasis, Zug- und Druckstufe. Federweg vorn/hinten: 120/110 mm, Leichtmetall-Gussräder, 3.50 x 17/6.00 x 17, Reifen vorn: 120/70 ZR 17, hinten: 190/55 ZR 17, Erstbereifung: Bridgestone S21, 320-mm-Doppelscheibenbremse mit radial angeschlagenen Vierkolben-Festsätteln vorn, 245-mm-Einzelscheibe mit Zweikolben-
Festsattel hinten
Max. Hinterradleistung**: 84 kW (114 PS) bei 7800/min
Beschleunigung**: nicht ermittelt
Durchzug**: nicht ermittelt
Höchstgeschwindigkeit: nicht ermittelt
Gewicht: 219 kg vollgetankt
Tankinhalt: 14,5 Liter
Setup Gabel: k. A.
Setup Federbein: k. A.
Preis: 36.000 Euro
alle Dämpfungseinstellungen von komplett geschlossen gezählt; statischer negativer Federweg senkrecht stehend ohne Fahrer; U=Umdrehungen; K=Klicks *Herstellerangabe **PS-Messung
Wenn ich so über die Klein-Yamaha XJR 1300 nachdenke, fällt mir bei aller Euphorie natürlich schon auf, dass das bildschöne Eisen im Ernstfall gegen Power-Nakeds wie Tuono 1100, S 1000 R, 1290 Super Duke R und MT-10 keine Chance hätte. Aber das schmälert meine tief empfundene Liebe und meine unbremsbare Sehnsucht keineswegs.
Die Klein-Yamaha XJR 1300 ist ein extrem charismatisches Muscle-Bike, das an die zügellos wilde Zeit der frühen 80er erinnert, und gleichzeitig ein mit äußerst hochwertigen Komponenten hochgerüstetes Kampfeisen. Ein Kunstwerk der Emotion. Die irrste XJR aller Zeiten – und ich bin schon viele gefahren, liebe diesen luftgekühlten Big Block inniglich, diesen Vierzylinder gigantischer Maße. Dieser Motor in diesem Chassis – das ist die Krone der Schöpfung!