Im Shaolin-Kloster in Otterberg hat sich ein Meister der 35. Generation ein kampfstarkes und bildschönes Monster gebaut. 40 Jahre nach der Fernsehserie „Kung Fu“ feuerte ich jetzt die Shaolin-Rakete ab.
Im Shaolin-Kloster in Otterberg hat sich ein Meister der 35. Generation ein kampfstarkes und bildschönes Monster gebaut. 40 Jahre nach der Fernsehserie „Kung Fu“ feuerte ich jetzt die Shaolin-Rakete ab.
Natürlich war ich sehr gespannt. Shi Heng Yi, ein Shaolin-Meister der 35. Generation, hatte in Otterberg in der Pfalz gehört, wie wir auf der Schwäbischen Alb die durch das offene SC-Project-Rohr brüllende Ronin-XJR von Dominik Klein angerissen haben (PS 07/2016), und einen klaren Gedanken gefasst: „Solche Maschinen sind eine Inspiration für viele Menschen. Ich werde meine Ducati, die ich im Rahmen meiner Meditationen bis auf die letzte Schraube zerlegt und neu aufgebaut habe, für eine PS-Attacke zur Verfügung stellen. Ich möchte meine Freude teilen.“
So dieselte ich jetzt mit meinem treuen Mazda-Pick-up von Wien ins Shaolin-Kloster hinter Kaiserslautern und hatte viel Zeit zum Denken. „Kung Fu“ mit David Carradine in der Hauptrolle habe ich geliebt. Kann mich noch extrem gut an die Szene erinnern, als irgendwelche ehrlosen Wildwest-Kleinstädter Kwai Chang Caine gemeinsam mit einem Verbrecher bei sengender Hitze in eine sehr kleine Wellblechhütte sperrten. Der Schurke drohte schon nach einer Stunde zu kollabieren, der Shaolin-Meister aber blieb vollkommen locker und sagte: „Stell dir einfach vor, es sei Winter und sehr kalt.“
So einen Gedanken vergisst man nicht. Zwar habe ich bei meinen selbstverschuldeten Sauna-Aufenthalten (ich weiß nicht, welcher Teufel mich ritt, dass ich mich dreimal überreden ließ, mich in so eine absurde Schwitzhütte zu setzen) nie davon profitieren können, weil ich in dieser irren Hitze an nichts anderes denken konnte als an diese irre Hitze, aber als die Kleinstädter nach 24 Stunden die Wellblechhütte in der Erwartung zweier Toter öffneten, schleppte sich der röchelnde Schurke aus eigener Kraft ins Freie und Kwai Chang Caine ging ganz normal raus. Weltklasse! Was für ein cooler Typ! Mit seiner enormen mentalen Stärke, seiner inneren Ruhe, seinem ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit, seinem Verständnis für die Schwächen der Menschen und seinem äußerst geschmeidigen und wirkungsvollen Kung Fu, das er selbstverständlich nur einsetzte, wenn es gar nicht mehr anders ging (zum Glück passierte das in jeder Folge mindestens einmal), begeisterte er mich. Kwai Chang Caine konnten sie mit fliegenden Todessternen oder krachenden Flinten angreifen, letztendlich verließ er die Stätte des unausweichlichen Kampfes immer als Unbesiegter. Zu Fuß. Eine Ducati hatte er keine.
Keine Frage, wäre Kwai Chang Caine kein Tramper gewesen, sondern mit einem scharfen Eisen ordentlich durchs Land geböllert, hätte ich die Fernsehserie höchstwahrscheinlich noch mehr geliebt, aber auf der anderen Seite hätte die Klarheit der philosophischen Stoßrichtung darunter gelitten. Denn auf den ersten Blick gibt es eine durchaus bemerkenswerte Disharmonie im Sachverhalt: Der leitende Meister eines Shaolin-Tempels baut sich eine mörder Duc für die Rennstrecke. So was sieht man im stereotyp ausgerichteten Mainstream-Fernsehen nicht. Im wirklichen Leben aber schon. Konkret: in Otterberg hinter Kaiserslautern.
„Ist es noch weit?“, klopfte ein Gedanke an. Nur noch 400 Kilometer. Passt. Weiterdenken.
Ich freute mich, dass der Shifu (übersetzt: Meister, Lehrer) Shi Heng Yi im Rahmen seiner Meditationen nicht irgendeine räudige Kraxe bis auf die letzten Schrauben zerlegt und Schritt für Schritt wieder zusammengefügt hatte, sondern eine S4RS. In meinen Augen ist diese Maschine die letzte und höchste Ausbaustufe des Ur-Monsters und zeitlos faszinierend. Ein von Haus aus schon großartiges Geschoss. 1000er-Testastretta mit serienmäßigen 130 PS in der Spitze und einer breiten, sehr potenten Mitte, Gitterrohrrahmen aus Stahl, Öhlins-Fahrwerk, Einarmschwinge, keine elektronischen Fahrhilfen. Und ganz wichtig für mich: der charakteristisch schlanke, hochbuckelige Tank. So eine perfekte Linie erfindet man nur einmal im Jahrhundert. Die Monster-Reihe von der M900 bis zur S4RS wird als Geniestreich des Designers Miguel Galuzzi in die Geschichte eingehen. Einfach perfekt.
Vor der Pforte des Shaolin-Tempels in Otterberg nahm ich dann fünf tiefe Züge aus der Pfeife (drinnen herrscht Alkohol- und Rauchverbot) und nickte dem virtuosen Lichtbildner Jacek zu: „Geh du zuerst rein. Du bist robuster als ich. Wenn dich ein flink geführter Stock trifft, gehst du vielleicht nicht gleich zu Boden. Aber hüte dich vor den chinesischen Schwertern! Die hacken und schneiden im Gegensatz zu den ritterlichen und japanischen nichts ab beziehungsweise durch, aber sie zerfetzen Sehnen mit ihren peitschenden Klingen. Schlecht für deinen Auslösefinger.“
Die Rede war keine gute Idee. Jacek bestand darauf, mir den Vortritt zu lassen, und ließ seiner vorausschauenden Weisheit freien Lauf: „Setz den Helm auf. Und vergiss nicht, den Kinnriemen zu schließen!“ Was soll’s. Shaolin-Kung Fu wird sowieso nie zum Angriff eingesetzt, und dass der Meister der 35. Generation, der seit seinem vierten Lebensjahr diese Kampfkunst täglich ausübt, vollkommen die Kontrolle verliert und uns unabsichtlich mit Stock oder Schwert trifft, konnte man eigentlich ausschließen. Also traten wir ein – und wurden sehr freundlich begrüßt.
Das Monster war eine Augenweide! S4RS in Tricolore, Holmlenker, Fresco- 45-Grad-Komplettanlage, viele Teile aus edlem Karbon. Wow, wirklich wunderschön! Am liebsten hätte ich sie sofort angerissen und durch die Pfalz getrieben, aber es gab erst noch viele brennende Fragen zu klären. Zum Beispiel: „Warum baut sich ein Shaolin-Meister der 35. Generation ein dermaßen arges Monster?“
Der Shifu schenkte weißen Tee ein und erzählte kurz von der Flucht seiner Eltern während des Vietnam-Krieges nach Deutschland. Seit seinem vierten Lebensjahr praktiziert er Shaolin-Kung Fu, absolvierte nebenher die volle akademische Ausbildung, im Kloster lebt er seit sechs Jahren, heute ist er 33. „Von nichts kommt nichts“, sagte Shi Heng Yi, „und wenn es etwas Gutes werden soll, dann passiert es auch nicht von heute auf morgen, sondern verlangt konsequentes Training. Man muss sich darum kümmern. Das Leben nach Shaolin-Philosophie auszurichten, bedeutet auch, sich möglichst oft im Hier und Jetzt zu befinden. Mit den Gedanken dort zu sein, wo das Leben spielt. Konzentriert und achtsam den Dingen begegnen, die unmittelbar im Leben erfahrbar sind. Dieses Prinzip setzen wir nicht nur in den Kampfkünsten um, sondern übertragen es auch auf alle restlichen Lebensbereiche. Ob beim Schrauben, ob beim Fahren, ob beim Lesen oder beim Tee trinken. Ein weiteres Prinzip der Shaolin-Philosophie ist die tägliche Praxis darin, Harmonie und Balance ins Leben zu integrieren. Akku laden, Akku entladen. Arbeit für das Kloster, Arbeit an mir. Mal Stress, mal Entspannung. Und so ergab es sich, dass ich oftmals die Zeiten der Stille nutzte, um mir in der Garage Gedanken zu machen, wie sich solch eine Art Lebensphilosophie eigentlich in einem Motorrad widerspiegeln würde, das von der kleinsten Schraube ausgehend aufgebaut wird. So entstand über die letzten vier Jahre Schritt für Schritt das Monsterlein, das mein vollstes Vertrauen genießt, da es sicherlich mehr kann, als ich ihm abverlangen könnte.“
Das Monster, das geduldig vor dem Holztor mit den goldenen Drachenköpfen auf die Attacke wartete, traf mich im Innersten. Durch die Holmstummel, die flachen Motogadget-Armaturen und die an den Lenkerenden montierten, kleinen Spiegel wirkte die Duc in ihrer Gesamtheit wie eine sprungbereite Raubkatze.
Ich lächelte. Ich hatte ja keine Ahnung, dass Meditation zu so etwas führen kann. Ehrwürdiger Shifu, was steckt denn da alles drinnen? „So viele Schrauben wie möglich sind aus Titan von der IM-Manufaktur“, erklärte der Meister, „und Karbon gibt es vom Windschild bis zur Hinterradabdeckung. Das Heck ist gekürzt, die Fußrasten sind MR-Evo 5 Titanium. Offener MWR HE-Luftfilter, Fresco-Komplettanlage, Rexxer-Mapping, Jogo’s Kabelbaum plus M-Unit V2, Öhlins FG338- Gabel mit SBK-Federn 9.0, Öhlins DU 333-Federbein mit 90er-Feder, Brembo RCS19-Zylinder, Brembo-Monoblocks M4, 320-mm-Braketech BTD, Gabelbrücken und Lenkerstummel von PerformanceParts.“
Ich drückte auf den Startknopf. Das dumpfe Bollern des Testastrettas weckte sofort die Gier. Was da aus dem schlanken Doppelrohr kam, war nicht übertrieben laut, aber unüberhörbar der Klang eines sehr gut im Futter stehenden Ducati-L2. Kurze Gasstöße zum Aufwärmen. Ein Traum! Was für ein satter Sound! Na, jetzt gab es kein Halten mehr. Ich drückte den Einser nach unten, ließ die Kupplung kommen und manövrierte das Monster behutsam über den Kies des Klosterhofes hinaus auf den pfälzischen, griffigen Asphalt.
Was sich da dann abspielte, war einfach wunderbar und euphorisierend. Zum einen, weil der Testastretta diese potente Mitte hat und erregend forsch aus den Ecken andrückt, und zum anderen, weil er so unmissverständlich am Gas hängt, dass jede Bewegung des Handgelenks eine zwar unmittelbare, aber keine abrupte Reaktion erzielt. Ja Himmel, wenn ein Motor dermaßen superb funktioniert, wer braucht dann verschiedene Fahrmodi?! Ich definitiv nicht. Okay, der L2 mit dem offenen Luftfilter, dem Rexxer-Mapping und dem Fresco-Puffer liefert „nur“ 133 PS und 104 Nm am Hinterrad ab, aber auf der Landstraße ist das schon eine erhebliche Motorisierung – auch in Zeiten, in denen es 200 PS an der Kupplung serienmäßig gibt. Ja, und eine Traktionskontrolle habe ich auch keine Sekunde lang vermisst. Weil nämlich das Fahrwerk dermaßen gut war, dass die Maschine mit dem Racetec RR K3 hervorragenden, mechanischen Grip aufbaute.
Ich brüllte vor Freude in den Helm! Das Federbein ließ mich den 180er glasklar spüren und hielt auch auf den welligen Abschnitten immer den Kontakt zum Asphalt, ohne den Eindruck übertriebener Härte zu erwecken. Und die Front war sowieso eine Offenbarung. Durch die tiefen Holmlenker hatte ich erstens das Gefühl, die Achse des Vorderrads perfekt in den Händen zu haben, und zweitens arbeitete die Gabel mit SBK-Kolbenkit (Zugstufe 13, Druckstufe 9) auf sehr hohem Niveau. Ich war tief beeindruckt. Mir hat die S4RS immer schon sehr getaugt, aber die Shaolin-Rakete mit den Holmlenkern war eine neue Dimension. Im Alltag ist ein Hochlenker praktischer, aber bei der Attacke auf der Landstraße sind Stummel eindeutig in Führung. Gewaltig, wie man es mit dieser nackten Duc krachen lassen konnte, ohne die gesundheitsorientierte Komfortzone verlassen zu müssen. Auch der Anker war top. Die Brembo-Monoblocks bissen sich perfekt dosierbar in die 320er-Braketech-Scheiben. ABS? Ja, aber nicht elektronisch, sondern in den zwei Fingern am Hebel.
Selbstverständlich bat ich dann noch den Shifu um eine kleine Demonstration seiner Kampfkunst. Er nahm ein chinesisches Schwert, konzentrierte sich kurz, verneigte sich und wirbelte dann so kraftvoll dynamisch über den Trainingsplatz, dass es Jacek und mir die Sprache verschlug. Wir schauten uns kurz an, als die Luft vom metallisch scharfen Klang der peitschenden Klinge erfüllt wurde, und nippten am weißen Tee. Wahnsinn, was für eine Körperbeherrschung!
Im Anschluss daran unterhielten wir uns noch über die Shaolin-Philosophie, die mich brennend interessierte. Es ging um „Beharrlichkeit und Geduld in den Dingen, die man tut“, um „Die Ausprägung menschlicher, aber auch körperlicher Fähigkeiten zum Wohle des Umfeldes“, um „Perfektion kommt durch Wiederholung – und Meisterschaft durch Kontinuität gepaart mit Disziplin“, um „Wenn man etwas langsam nicht kann, kann man es auch nicht schnell“, um „Das Prinzip des Ausschöpfens des Potenzials durch Vereinheitlichung, Synchronisierung und Harmonisierung“ und natürlich um die Frage: „Warum musste es denn eine Ducati sein?“
Shi Heng Yi hat in seiner Jugend als Fahrradkurier gearbeitet. Und da sah er an der Eisdiele, wie eine Monster M750 gestartet wurde. Optik und Klang haben ihn tief fasziniert. Und wenig später sah er in der PS die Vorstellung einer M900 mit Turbo. Ducati Monster – was anderes kam nicht mehr in Frage.
Abschließend wollte ich unbedingt noch wissen, was in seinen Augen das Wichtigste im Leben sei. Shifu: „Ein Leben zu leben, in dem ich an den meisten Tagen sagen kann: Eigentlich geht’s mir gut. Und die Tage, an denen es mal nicht so ist, diese versuchen zu wandeln, damit es so wird.“
Wenn ich so über die Shaolin-S4RS nachdenke, spüre ich wieder ganz deutlich, dass man zum Motorradfahren keine elektronischen Fahrhilfen braucht. Wenn ein Motor so wunderbar am Gas hängt und so schön zu dosieren ist wie der Testastretta, verzichte ich mit Freuden auf verschiedene Fahrmodi. Und wenn das Fahrwerk so gut arbeitet und so transparent ist wie die Öhlins-Komponenten im Shifu-Monster, wünsche ich mir keine Traktionskontrolle. Keine Frage, die Errungenschaften der modernen Technik sind großartig, aber am Pass der guten Hoffnung ist man mit einer Monster S4RS noch immer voll dabei. Tief beeindruckt hat mich auch Shi Heng Yi, der leitende Meister des Shaolin-Tempels in Otterberg. Der favorisierte Weg der Mitte diesseits von Extremen und die Wertschätzung des Hier und Jetzt sind Einstellungen, die mir taugen. Und dass man im Zuge der Meditationen so eine fantastisch funktionierende Maschine aufbauen kann, ist schlicht Weltklasse. Ganz abgesehen vom unglaublich beeindruckenden Kung Fu. Von nichts kommt nichts. Diesen Satz habe ich schon oft gehört, aber erst jetzt begriffen.
Antrieb: Zweizylinder-90-Grad-V-Motor, vier Ventile/Zylinder, 97 kW (133 PS) bei 9500/min am Hinterrad, 104 Nm bei 7500/min am Hinterrad, 998 cm³, Bohrung/Hub: 100/63,5 mm, Einspritzung, 50-mm-Drosselklappen, Trockenkupplung, Sechsganggetriebe, Kette
Chassis & Bremsen: Gitterrohrrahmen aus Stahl, Radstand: 1440 mm, Öhlins FG338-Gabel, Ø 43 mm, Öhlins DU 333-Federbein, Felgen: Marchesini 10Y, Reifen vorn: 120/70-17, hinten: 180/55-17, Bereifung: Metzeler Racetec RR K3, 320-mm-Doppelscheibenbremse mit Brembo-Monoblocks M4 vorne, 245-mm-Scheibenbremse mit Zweikolben-Festsattel hinten
Maße & Gewicht: Sitzhöhe: 805 mm, Tankinhalt: 13,5 Liter, Gewicht: 170 kg trocken