Wenn Suzukis nacktes Tausender-Vieh über 7000/min zornig brüllt, steht die Welt in Flammen. Ob Michio Suzuki das typische Kreischen des Reihenvierers der Suzuki GSX-S 1000 bereits hörte, als er seinen ersten Webstuhl baute?
Wenn Suzukis nacktes Tausender-Vieh über 7000/min zornig brüllt, steht die Welt in Flammen. Ob Michio Suzuki das typische Kreischen des Reihenvierers der Suzuki GSX-S 1000 bereits hörte, als er seinen ersten Webstuhl baute?
Zum Denken hatte ich keine Zeit. Der laut PS-Prüfstand knapp 160 PS starke Vierzylinder der Suzuki GSX-S 1000 brüllte die Sinfonie des Wimpernschlags und zippte mich so forsch durch die Welt der Voralpen, dass ich ganz und gar auf das Fahren fokussiert war. Mit voll aktiviertem, siebten Sinn für den Streckenverlauf, die Asphaltbeschaffenheit und das Verkehrsgeschehen. Das innere Radar scannte die Welt. 7000, 8000, 9000, 10.000 Umdrehungen pro Minute, einfach mörder! Was für eine brachiale Gewalt, was für ein Sound! Eigentlich irr, herrlich irr.
Dann der forsche Ankerwurf. Die weite, griffige Kehre, in der ich 2002 mit der doppeltbesetzten Kilogixxer einen bayerischen Boxer außen hergebrannt hatte (so was vergisst man nicht!), nahm ich jetzt mit der Suzuki GSX-S 1000 wie ein junger Hund. Voll spielerisch. Über die wohlgeformte Renthal-Lenkstange ließ ich die nackte Suzi barsch in den Radius kippen, nahm eine kleine Linienkorrektur vor, weil genau auf der Ideallinie ein Mars-Papier (obwohl ohne Kunststoffteilchen) lag, und feuerte mit voller Zuversicht und vollem Zunder aus der Kurve. Traction-Control-Style halt. Feuer frei!
Während einer Rauchpause dachte ich an die göttliche K2. Suzuki hatte damals einfach ganz normal zehn PS mehr in den Kessel gefüllt als die Konkurrenz und war im Amateur-Racing eine echte Macht. Solange kein kompletter Eierbär im Sattel saß, standen die Chancen gut, dass die Gixxer als Erste die Zielflagge sah. Serienmäßig leistete sie 160 PS.
Für mich war 2002 die beste Rennsaison ever. In den Kurven musste ich mit der K2 kein hohes Risiko nehmen, weil ich auf der Geraden einfach einen nach dem anderen abpflücken konnte. Das war echter Luxus, das war Komfort, das war herrlich. Pokale kamen wie von selbst.
Und auch auf der Straße war die rau kreischende, brachiale Suzuki ein gefürchteter Räuber, weil der Reihenvierer eben nicht nur eine mörder Leistung, sondern auch viel Drehmoment hatte und schon im mittleren Bereich mächtig austeilen konnte. Glorreiche Zeit. Aber richtig schön war die K2 in meinen Augen nicht.
„Dagegen ist die Suzuki GSX-S 1000 jetzt ein Meisterwerk des Designs“, dachte ich, während ich am brennenden Kraut von der irischen Eiche anzog. Das gedrungene, nackte Tier im hellen Suzuki-Blau mit der rennorientierten Superbike-Schwinge und dem ebensolchen schwarzen Alu-Brückenrahmen, mit den 310-mm-Scheiben samt radial aufgenommenen Brembos und der scharfen, nach vorne orientierten Gesamtlinie fährt mir schon fest in die Seele. Scharfes Teil!
Und gerade so im Mainstream, dass sie nicht aneckt – aber halt auch nicht wahnsinnig stark heraussticht. Ich dachte an die 1100er Katana. Was war das damals für ein außergewöhnliches, unverwechselbares und originelles Eisen, was für ein aufsehenerregender Wurf!? Dass die triplespeed headquarters-Tuner für ihr GSX-S-Projekt optische Anleihen an der Katana nahmen (siehe PS 01 und 02/2016), taugt mir schon deshalb sehr.
Im Rahmen meiner Attacke fuhr ich die Suzuki GSX-S 1000 komplett serienmäßig. Natürlich hat die Maschine ein paar kleine Eigenheiten und ein paar Mankos und wird von der präzise getunten „Tsurugi“ sicher fürchterlichst hergebrannt.
Aber erstens werden die meisten Suzuki GSX-S 1000 ziemlich serienmäßig bleiben und zweitens ist serienmäßiges Stürzen einfach viel billiger und weitaus unkomplizierter. Ist natürlich nicht so, dass ich mich bei jeder Ausfahrt mindestens einmal ausbreite, aber trotzdem machen mich getunte Maschinen mit aufwendigen Paint-Jobs irgendwie unrund.
Wenn du die Serien-GSX-S in den Asphalt reibst, wird dich der Importeur vielleicht einen „Mördertrottel, der noch immer nicht fahren kann“ schimpfen oder etwas aufbauend Nettes sagen wie: „Ich habe nichts anderes erwartet“, aber das Versenken eines Einzelstücks ist nie eine gute Idee. Ich erinnere mich genau an das GSR 750-Projekt, das punktgenau zum Saisonstart am Pannoniaring finalisiert worden ist (mit großem Druck des Besitzers an den Lackierer: „Die Maschine muss unbedingt fertig werden! Habe die Presse schon eingeladen“) und dann die ersten drei Einführungsrunden nicht überlebte. Die Überdrüber-GSR fing sich beim Schlittern so unglücklich an einer erheblichen Grasnarbe, dass sie aufstieg und sich zweimal überschlug.
Sie war fetzenhin. Der Tank hätte als Skulptur eines wahnsinnig gewordenen Bildhauers in der internationalen Kunstszene für Furore gesorgt. Ganz sicher. Ich war dann dabei, als der Besitzer den – wegen der arbeitsintensiven Nächte – ohnehin schon auf dem Zahnfleisch gehenden Lackierer mit der Wahrheit konfrontierte: „Es gibt keine Bilder. Sie ist mir in der dritten Runde ausgekommen.“ War ein Wahnsinn! Der Meister des Pinsels bewegte den Mund sekundenlang stumm wie ein Goldfisch, bis er sich endlich fasste und seiner Entrüstung freien Lauf ließ. Das meiste, was er dem Besitzer sagte, war zu derb, um es schriftlich wiederzugeben (zartbesaitete Leser könnten Schaden nehmen), aber den poesievollen Gipfel des Ausbruchs darf ich zitieren: „Du bist der schlechteste und dümmste Fahrer, der je auf diesem Planeten gelebt hat!“
Nein, nein, serienmäßiges Schrotten ist verträglicher. Den erwähnten Satz „Ich habe nichts anderes erwartet“ hörte ich tatsächlich vor vielen Jahren bei der Präsentation der GSX-R 750 in Misano. Als Journalisten-Neuling konnte ich es einfach nicht akzeptieren, dass mich ein deutscher Kollege überholte und heftete mich an sein Heck mit einem klaren Gedanken: „Sicher nicht! Jetzt wirst herbrennt!“
Zwei Kurven lang konnte ich dranbleiben, in der dritten riss ich schon etwas Abstand auf und in der vierten drillte es mich ins Kiesbett wie ein flink geführtes Nudelholz. Super, ganz super! Und wie ich dann etwas verloren im Schotter hockte, dämmerte mir die Bedeutung von „fahrtechnischer Überlegenheit“.
Der Importeur, der in der Box schon auf mich wartete, reagierte wie erwähnt aufbauend nett, aber den Satz des Tages hatte ich selbst abgeliefert, als mich der Suzuki-Testfahrer mit seiner GSX-R 750 aus dem Kiesbett holte und mich hinten aufsitzen ließ. Ich sagte: „Please, ride carefully!“
Ein kleines Manko an der Suzuki GSX-S 1000 sind die harte Gasannahme und die entsprechenden Lastwechsel. An sich ist der auf dem PS-Prüfstand mit 156 PS Spitzenleistung gemessene Reihenvierer ein überaus würdiger Killer-Motor für ein Naked (dass die 1290 Super Duke R, die S 1000 R und die Tuono 1100 V4 zehn bis 15 PS stärker sind, macht auf der Straße keinen Unterschied), aber der Vierzylinder hängt leider nicht brillant am Gas.
Das hat natürlich nichts damit zu tun, dass Suzuki noch echte Gasseile und kein Ride-by-Wire verbaut hat. Das System mit den doppelten Drosselklappen (betätigt über Seilzug und Servomotor) hat schon Großartiges geleistet, in der Suzuki GSX-S 1000 aber kann es die etwas zu harte Gasannahme nicht entschärfen. Man bemerkt das vor allem, wenn man nicht richtig Feuer gibt.
Auffallend ist auch eine leichte Flaute im mittleren Drehzahlbereich. Dieses Loch in der Abstimmung ist zwar schade, weil ja der Suzuki-Tausender, der aus der GSX-R abgeleitet ist (K5 bis K8), durch den für Superbike-Motoren langen Hub mächtiges Drehmoment auch ohne hohe Drehzahl liefert, und andererseits aber nicht tragisch, weil ab 7000/min dermaßen die Post abgeht, wie man so sagt, dass man euphorisch in den Helm brüllt.
Wow! Da treten dann die etwas harte Gasannahme und das leicht verzögerte Ansprechverhalten, wenn man vom Last- in den Schiebebetrieb wechselt, komplett in den Hintergrund. Präsent sind dann nurmehr das erregend heisere Kreischen aus der Airbox, die immense Power des Triebwerks, das makellos zu schaltende Getriebe und das Handling, das sportlich scharf, aber nicht radikal ist. Und da Suzuki der Suzuki GSX-S 1000 eine sehr gut funktionierende, dreistufige Traktionskontrolle spendiert hat, wird man auf der Bergwertung die erwähnten Klassen-Kaiser hart bedrängen und mitunter auch herbrennen können. Sozusagen mit echtem Preisvorteil.
Mit der Kohle, die man sich bei der Anschaffung der Suzuki gespart hat, kann man oben beim Gipfelwirt immer das größte Schnitzel ordern – und die abgelederten Freunde einladen. Außerdem kann man zitternden Laien, die den scharfen Ritt aus der Autoperspektive kurz miterleben durften, auf die Frage: „Was ist denn das für eine unglaublich schnelle Maschine?“ locker ein paar Fakten an den Schädel klatschen: „Suzuki GSX-S 1000.
Prüfstandbeglaubigte 156 PS, marschiert in drei Sekunden von null auf 100, von null auf 150 braucht sie läppische fünf Sekunden. Da gewinnen die nackte bayerische Tausender und die 1290er-Super Duke rein gar nichts. 212 Kilo vollgetankt, 240 km/h. Und ja: 51,5 Prozent des Gewichts liegen vorne. Damit kann man schon passabel fahren, Meister.“
Sieht man von den Beschleunigungswerten bis 100 und 150 km/h ab, ist die Suzuki GSX-S 1000 kein Eisen, das Superlative für sich in Anspruch nehmen kann. Sie funktioniert auf der Bergwertung großartig und flutet im Piloten das Adrenalin, aber auf der Rennstrecke kann sie serienmäßig gegen die europäischen Raketen nichts ausrichten.
Die Grenzen der Suzuki liegen jedoch weniger in den fehlenden zehn bis 15 PS, sondern im Fahrwerk und im Anker. Die 310er-Doppelscheiben-Brembo-Anlage bremst für den Straßenbetrieb hervorragend (auch das Bosch-ABS funktioniert top, regelt spät, aber sehr effektiv), hat allerdings nicht ganz den rennwürdigen Biss der Konkurrenz. Erschwerend kommt für den Ringfahrer hinzu, dass man das ABS der Suzuki GSX-S 1000 nicht ausschalten kann. Das ist eine Niederlage für alle, die gerne dort fahren, wo sich die Rennleitung mit karierten Flaggen und nicht mit Strafzetteln bemerkbar macht.
Ich kam mit dem Serienfahrwerk sehr gut zurecht. Mit dem von PS erarbeiteten Setup (siehe Daten) präsentierte die Suzuki GSX-S 1000 ein logisch scharfes Einlenkverhalten ohne Radikalität, lieferte Rückmeldung auf hohem Niveau (wenn auch nicht auf höchstem) und schluckte gewöhnliche Fahrbahnunebenheiten souverän. Nichts zu meckern. Rabauken ohne Kompromiss. Volles Rohr. Sehr würdig.
Lediglich auf harten Kanten teilte das stark vorgespannte Federbein der Suzuki GSX-S 1000 nicht gerade mitfühlend aus. Was wiederum die Vorzüge eines aktiven Fahrstils unterstrich: Der Vorausschauende hebt den Allerwertesten kurz wie ein Jockey und hilft damit der Maschine und sich selbst. Der dämmernde Passivist bekommt einen tadelnden, dumpfen Stoß. Das ist gerecht. Pädagogisch wertvoll. Sollte man die GSX-S 1000 aber auch als Renneisen nützen wollen, würde ich persönlich ins Fahrwerk investieren. Selber habe ich noch keine Erfahrungen mit anderen Komponenten auf der nackten Killer-Suzi gesammelt, aber Mupo hat in der PS-triplespeed-Tsurugi großartig funktioniert. Kostet nicht die Welt, bringt aber viel, wenn man hart attackieren möchte.
Nach der wirklich scharfen Ausfahrt am Pass der guten Hoffnung beruhigte ich meinen aufgeregten Körper mit einem Pfeiferl und ließ zufrieden und glücklich den Blick über die Suzuki GSX-S 1000 und meine Gedanken über Suzuki im Allgemeinen schweifen. In den Bann gezogen hat mich Suzuki mit der irren RV mit den Ballonreifen. Habe nie eine 50er, 90er oder 125er besessen, aber getaugt haben mir diese einzigartigen Geräte sehr.
Endgültig erlegt haben mich die GS-Vierzylinder mit dem mörder Spruch. Der Klang beim Gasaufziehen durch die offene Marving war einfach Weltklasse. Und der Wes Cooley, der bei den AMA-Superbikes eine GS 1000 spektakulär abfeuerte, war sowieso ein echter Held. Wobei mich der wahnsinnige Kevin Schwantz mit seinen unfassbaren Manövern in der Königsklasse später noch mehr begeisterte. Mich selbst hat dann die Kilogixxer K2 so schnell gemacht wie nie zuvor, und für die Erschaffung der Hayabusa werde ich Suzuki immer dankbar sein.
Beeindruckend finde ich, dass dieses gewaltige Motor-Unternehmen seinen Ursprung in der Erfindung eines pedalgesteuerten Webstuhles hat. Michio Suzuki wurde 1887 als Sohn eines Baumwollbauern in Hamamatsu geboren, wo Suzuki heute noch seinen Sitz hat, und lernte den Beruf des Tischlers. Für seine Mutter baute er einen Webstuhl, der so gut funktionierte, dass die Nachfrage rasch über den Bekanntenkreis hinauswuchs.
1909 gründete er „Suzuki Loom Works“, 1920 ging er damit an die Börse. Und in den 50er-Jahren, nachdem die Nachfrage nach manuellen Webstühlen immer weiter gesunken war, fing man an, Motorräder und Autos zu bauen. Noch unter der Präsidentschaft von Michio Suzuki wurde die Firma 1954 in „Suzuki Motor Company“ umbenannt. Vom Webstuhl zum Feuerstuhl. Mögen die Flammen des scharfen Tausender-Motors ewig lodern!
„Wenn ich so über die Suzuki GSX-S 1000 nachdenke, fällt mir meine K2-Kilogixxer ein, die mich 2002 mit ihren 160 PS fürchterlich durch die Welt geschossen hat. Jetzt hat Suzuki diese mörderleinwande Leistung in ein Naked Bike gefüllt. Durch die Traktionskontrolle, die das Vorderrad am Boden hält, muss man sich aber beim Auswinden der GSX-S trotz der aufrechten Sitzposition nicht vor einem Überschlag fürchten und kann beherzt ans Gas gehen – sofern man mit einer Beschleunigung von null auf 150 in fünf Sekunden mental zurecht- kommt. Gewöhnungsbedürftig ist der etwas zu harte Gaseinsatz, der aber vollkommen in den Hintergrund tritt, sobald man 7000/min überschreitet und damit die Welt des Infernos betritt. Ein echter Feuerdrachen!