In Norwegen leben im Schnitt nur 14 Einwohner pro Quadratkilometer. Obwohl der Süden deutlich dichter besiedelt ist, findet man dort viele ruhige Straßen. Auf geht's nach Südnorwegen.
In Norwegen leben im Schnitt nur 14 Einwohner pro Quadratkilometer. Obwohl der Süden deutlich dichter besiedelt ist, findet man dort viele ruhige Straßen. Auf geht's nach Südnorwegen.
Bei der alljährlichen Suche nach einem Ausflugsziel für unsere Vatertags-Unternehmung tauchen die Gedanken in eine große Leere. Wohin soll man denn noch fahren? Nein, nicht wegen Corona. Diese Story spielt noch vor dem großen C. Aber seien wir mal ehrlich: Irgendwann hast du alle sieben Weltwunder gesehen! Wohin also? "Was wäre denn mit Norwegen?" Eine betretene Stille greift um sich.
"Norwegen?" Mehrere Gesichter formen sich zu Fragezeichen und entrollen sich in Zustände, die entweder in Richtung von Mr. Spocks hochgezogener Augenbraue oder völliger Erschlaffung tendieren. Ich werfe ein, mehr so der südländische Typ zu sein. Andere erwachen aus ihrem Delirium: "Das ist doch furchtbar teuer, oder?" Aber aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen werden die Bedenken über den Haufen geworfen. Fast wie damals bei Saharadurchquerungen, als wir auf Navigationskenntnisse pfiffen und einfach losfuhren. Noch ahnt keiner der lieben Freunde, dass dieser Ausflug mehr Überraschungen bieten wird als gewünscht. Vor allem hinsichtlich unentdeckter Wartungsmängel …
Nun also dort: Ein Schweizer Käse ist eine Lachnummer, gemessen an den Löchern, die Norwegen in seine Berge gebohrt hat. Seit wir in Kristiansand von der Fähre gerollt sind, durchqueren wir gerade Stollen Nummer sechs. Höchste Zeit, langfristig wieder Tageslicht auf die Pupillen zu lassen. Vorbei an Fjorden, die irgendwann gegen Seen getauscht werden, peilt Wolfram als personifizierte Kompassnadel nach Norden, um wieder einen Fjord zu erreichen. Den Lysefjord. Würde ich Norwegen so gut kennen wie Südfrankreich, wüsste ich, dass außer diesem Fjord auch Norwegens absolute Instagram-Highlights Kjeragbolten und Preikestolen vor uns liegen. Für die Monsterfelswand des Preikestolen sind wir aber auf der falschen Seite des Wassers. Aber die eingeklemmte Felskugel des Kjeragbolten läge in Reichweite. Wenngleich: Dahin muss man wandern. Mehrere Stunden.
26 Spitzkehren später
Gemustert wie ein Kuhfell breitet sich die Landschaft auf dem Fjell vor dem Lysefjord aus. Stattliche Schneereste und opalblaue Seen verströmen den Geist einer beeindruckenden Ödnis. Dann zwängt sich die dürre Straße mit der Telegrafenleitung in einen Hohlweg. Noch bevor wir den Streckenverlauf weiter einsehen können, stürzen die Telefondrähte in die Vertikale. Und wir hinterher. Ich bin mir sicher, hinter jedem Helmvisier ein atemloses "Boah!" zu hören. Alter Norweger! Da hast du ordentlich was aus der Erde gekloppt! 42 Kilometer weit strömt das Nordmeer hier ins Land und teilt das Land in Nord und Süd, in oben und unten. Wir sind oben. 26 Spitzkehren später unten. Willkommen in Lysebotn. Im winzigen Ort gehen die wenigen Lichter an. Alle Unterkünfte sind belegt. Aber seit den Saharazeiten haben wir ohnehin immer Zelte dabei. Fehlt nur noch ein gescheiter Platz.
Aber wo in dieser Welt der Steilwände? Ein steiler Weg führt hinauf auf die Nordseite des Fjord-Ursprungs. Von hier sehen wir die Kehrenanlage wie bei Google Earth 3-D. Nur besser. In einer steinigen Felsnische bauen wir die Zelte auf. Die Kocher fauchen das Abendessen zurecht. Über dem graublauen Fjord grummeln Wolkenberge, die 26 Kehren von gestern türmen sich vor uns. Die Temperatur hält sich im einstelligen Bereich. Gerade habe ich die Pneus in den schmissigen Kurven warm gefahren, als ich Ralfs 701 auf den Kjeragbolten-Parkplatz neben dem gleichnamigen Café einbiegen sehe. Die anderen stehen schon neben ihren Karren und nesteln sich aus den Klamotten. "Wie, schon Pause?" "Nee, wir wollen doch zum Kjeragbolten." – "Echt? Da habe ich gestern wohl was verpasst. Wie weit soll das denn sein?" – "So circa vier Stunden." Es beginnt zu nieseln. "Hatte ich schon erwähnt, mehr so der südländische Typ zu sein?", murmele ich in meinen Helm, ohne eine Antwort zu erwarten. Für meine Begriffe regnet es schon. Merken die anderen das nicht? Oder sind die schon im Kjeragbolten-Instagram-Fieber? Regelrechte Wanderklamotten hat keiner von uns dabei. Aber was soll’s? Grobe Schuhe sind beim Wandern nicht falsch, Regenkombis ersetzen die Gore-Tex-Fummel. Da wir auf einer Hochebene stehen, rechnet niemand mit außergewöhnlichen Steigungen. Erster Fehler. Besser gesagt: der zweite. Denn die wasser-, aber auch luftundurchlässigen Regenschützer lassen uns schwitzen wie Ozelots in der Sauna.
Nach einer Stunde habe ich genug, schließe mich Felix an, der den vorzeitigen Rückweg antritt. Die anderen gehen, wie bei Amundsens und Scotts Polarexpeditionen, alleine weiter. Sollen sie doch ihre Fotos auf der Kugel machen. Ich bin eben der südländische Typ. Dementsprechend komme ich, zurück am Parkplatz samt Café, an einem Cappuccino einfach nicht vorbei. Dabei mache ich noch mal nachdrücklich mit der norwegischen Preislandschaft Bekanntschaft. Für diesen Cappuccino hätte es in Deutschland drei gegeben. In Italien sechs.
Wir haben uns ans Cruisen durch die Seenlandschaft und an die schmalen Straßen gewöhnt. Der Blick geht weit ins Land, die deutsche Eile ist abgelegt. Kein Wunder, dass nicht nur Guido auf einem Parkplatz die beiden Uralt-Ténérés, eine davon zerrupft wie ein Huhn mit Verdauungsproblemen, auffallen. Wir halten und treffen auf zwei Tschechen, die noch bis zum Nordkap wollen. Der Zustand des Huhns lässt allerdings Zweifel am Gelingen aufkommen. Trotz versammelten Wissens und Werkzeug ist dem armen Ding kein Leben einzuhauchen. Die Tschechen nehmen es gelassen. Es wird schon irgendwie weitergehen. Kurz darauf geht es für uns nicht mehr weiter.
In Åmot, einem unscheinbaren Ort, dessen vorerst wichtigste Eigenschaft die Existenz einer Tankstelle ist, biegen wir nach Rauland ab. Beim Kontrollblick in den Rückspiegel, ob noch alle da sind, notiere ich zwei Fehlende: Ralf auf der betagten BMW F 650 GS und Klaus auf der fast neuen Honda Africa Twin. In Gedanken zähle ich bis zehn. Die beiden tauchen nicht auf, also Kehrtwende. Wenige Hundert Meter hinter der Kreuzung steht die F mit gerissener Kette. Ralf kann sich den Verschleiß nicht erklären. Die anderen Experten schon und mutmaßen Ende der Lebensdauer. Was Ralf jedoch brüsk zurückweist: "Ach, die paar Zehntausend Kilometer!" Und jetzt?
Panne 1: Kette
Der nächste Tag vergeht mit dem ungeplanten Ausflug von Ralf und mir nach Skien. 260 Kilometer, um eine neue Kette zu besorgen. 24 Stunden später hat die kleine Kommune Åmot einen Schneeschauer abbekommen und die F neue Kettenglieder. Nun steuern wir die Küste südlich von Stavanger an. Stolz verwitterte Landschaften und unergründliche Seen gleiten vorbei. Am Jøssingfjord sehen wir das Meerwasser wieder, und die Straße spült sich von einer Anhöhe durch Felswände hinab zum Fjord. Nur ein kleiner unter Tausenden Fjorden. Aber dafür mit besonderer Geschichte: Hier endete eine Verfolgungsjagd, die während des Zweiten Weltkriegs im Südatlantik irgendwo zwischen Uruguay und Südafrika begonnen hatte. Das deutsche Versorgungsschiff "Altmark" hatte 299 gefangene Seeleute ausKaperfahrten an Bord. Die Royal Navy wusste davon, spürte das Schiff schließlich im Jøssingfjord des damals neutralen Norwegen auf, befreite die Gefangenen und ließ die "Altmark" mit den erstaunten Deutschen zurück.
Panne 2: Batterie
Die Nordsee blitzt zwischen den besonnten Bergen von Åna-Sira durch. Wir folgen dem Lundevatnet-See bis zur Mündung der Sira und bleiben länger. Nicht nur wegen der Schönheit der Natur. Klaus’ Africa-Dampfer meldet eine übergekochte Batterie. Der kann sich den Schaden an der Zubehörbatterie nicht erklären. Die anderen Experten schon und mutmaßen Unverträglichkeiten des Lithium-Ionen-Packs mit dem restlichen Bike. Was Klaus brüsk von sich weist. Und jetzt?
Panne 3: Ölleck
Die 701er-Husqvarna vom zweiten Ralf hat die wenigsten Kilometer auf der Uhr und kommt als Batteriebesorgungsmobil an den Start. Drei Stunden sonnen wir uns am Wasser. Dann geht auch für Klaus und die Africa-Twin wieder die Sonne auf. Dafür verdunkelt sich kurz vor dem Fährhafen der Asphalt unter Felix’ Dominator, Jahrgang 1988, erste Baureihe. Felix kann sich das Öl-Leck nicht erklären – das Bike sei doch jung, nur knapp über 30. Die anderen Experten schon. Und jetzt? Lieber schnell auf die Fähre, solange es noch geht!
Anreise/Jahreszeit: Das Reiseziel ist am kürzesten über die Fährverbindung Hirtshals im Norden Dänemarks nach Kristiansand im Süden Norwegens zu erreichen. Von Hamburg nach Hirtshals laufen 520 Kilometer durch den Zähler. Von Berlin aus sind es 790, ab Dortmund etwa 840 Kilometer. Wir waren in der letzten Maiwoche unterwegs und hatten fast beständig mildes Wetter. In Hochlagen wurde es zum Teil empfindlich kalt. Regenfeste Kleidung und Wechselhandschuhe sollten ins Gepäck.
Die Strecke: Auf den Hauptrouten kommt man gut voran, wenngleich viele küstennahe Straßen durch Fjordumfahrungen ein Zeitextra verlangen. Viele Inlandstrecken sind kurvenreich, der Straßenzustand ist gut. Bisweilen haben sie Singletrail-Charakter. Ausweichstellen gibt es in regelmäßigen Abständen. Der Weg zum Kjeragbolten und weiter nach Lysebotn am Lysefjord führt in eine Sackgasse. Es sei denn, man nimmt die dort zweimal täglich verkehrende Fähre. Besonders reizvoll sind die Routen nach Lysebotn und von dort nach Rysstad/Valle über die Fv 337. Insgesamt legten wir in Norwegen 940 Kilometer zurück. Die Extra- Etappe, um eine neue Kette zu besorgen, wurde allerdings nicht mit eingerechnet.
Unterkunft: In Åmot haben wir uns bei "Groven Camping & Hyttegrend" eine gemütliche Hütte gegönnt. Die kleinste gab es ab 56 Euro. Vor der Überfahrt nach Dänemark haben wir vor Kristiansand in Søgne ebenfalls eine Hütte für ein festes Dach überm Kopf gemietet. Für sechs Personen kostet sie ab etwa 100 Euro. Die übrigen Nächte wurde wild gezeltet.
Aktivitäten: Am Lysefjord befinden sich gleich mehrere fotogene Highlights Norwegens. Zum einen wäre da die spektakulär eingeklemmte Felskugel des Kjeragbolten zu nennen. Für die Wanderung dorthin sollte man fünf Stunden einplanen. Ein ähnliches Highlight ist der Preikestolen mit einer fantastischen Aussicht über den Fjord. Wer körperlich richtig fit ist, kann sich an der 4.440 Stufen hohen Holztreppe von Flørli versuchen. Oben angekommen hat man, schwer atmend und gut verschwitzt, wieder den prächtigen Lysefjord vor Augen.
Karte: Die Südnorwegen-Karte von freytag & berndt bildet im detailreichen Maßstab 1:250.000 alles zwischen Oslo, Bergen und Stavanger ab. Diese gute Orientierungshilfe gibt es für 11,90 Euro.