Er sah völlig entspannt aus. Andere hätten bestimmt dicker aufgetragen. Aber Sebastian war die Ruhe selbst, als er von der Piste zum absoluten Traumstrand sprach. Atemberaubend schön sei er. Und die Piste nur auf den letzten 200 Metern anspruchsvoll. Aber das sei auch der Grund, warum dort keiner hinkäme. Außer eben er mit seinem Expeditions-Landcruiser. Und vielleicht Diana auf der XT und ich mit der Ténéré. Wenn wir denn so weit nach Osten führen. Der Landcruiser hätte uns eine Warnung sein sollen. Aber davon später mehr.
60 Zweitausender im hellenischen Inland
Wellen plätschern ans Ufer einer Bucht voll prallweißer Kieselsteine. Die gerade aufgehende Sonne tunkt das Meer in ein Paradies-Türkis. Eine leichte Brise weht durchs Zelt. Die Erde atmet ein. Ich luge aus dem Zelt und sehe die beste aller Reisegefährtinnen, wie sie sich das nasse Haar aus den Augen streicht. Glitzernde Wassertropfen perlen von ihrer Haut herab wie die Zeitlupe eines warmen Sommerregens. Was für einen Grund könnte es geben, diesen Ort zu verlassen? Tageshöchsttemperaturen um 40 Grad zum Beispiel. Auf die Mopeds und ab in die Berge! Auch wenn Griechenland eine der längsten Küstenlinien Europas hat: An Bergen mangelt es nicht. Allein 60 Zweitausender durchpiken das hellenische Inland. Eine Art unbekannte Schweiz. Und dazu Straßen, die so wenig befahren sind, als würde die Welt noch auf die Erfindung des Autos warten. So wie jene auf dem Weg zur Vikosschlucht. Vergessen ist das träge Trudeln an der tropisch heißen Küste. Jetzt schlenzen wir die Yamahas schwungvoll durch ein Kurvenlabyrinth aus kalkig-grauen Felspylonen. Bis der plötzliche Abbruch zur Schlucht dem ein eindrückliches Ende macht. Ein winziges türkises Band tief am Grund der Schlucht will diese gewaltige Kerbe in der Erdkruste verantworten. Unglaublich!

Ähnlich unglaublich: Obwohl definitiv in Europa, gibt es hier eine Art Regenzeit. Um 13.00 Uhr geht die Welt kurz in triefenden Schauern unter und zwei Stunden später grinst dir die Sonne wieder ins Visier. Das Grinsen können wir erwidern. Nicht nur wegen der Sonne, sondern auch wegen der folgenden Kilometer durch das Pindos-Gebirge. 150 Kilometer lang reiht sich Kurve an Kurve. Wenn irgendeine Region das Wort Kurvenparadies für sich reklamiert, muss sie sich mit dieser Route von der Vikosschlucht nach Meteora messen.
Meteora-Klöster auf Felsen
Vier Stunden später: Wir sind komplett im Eimer. Durchschnittsgeschwindigkeit: 40 Kilometer pro Stunde. Konzentrationsfähigkeit nach eben diesen 150 Kilometern: nahe null. Wir brauchen dringend eine Pause von der Euphorie. Die vor uns liegenden Felszähne, an denen die kreative Karies der Erdzeit genagt hat, kommen daher genau richtig. Den Namen der Felsen kennt fast niemand. Den der Bauten auf ihren schmalen Hochplateaus kennen viele. Die Meteora-Klöster. Ich war schon öfter hier und habe die epische Kulisse genossen wie eine Schachtel Pralinen, die man anschaut, ohne je einen Schokotrüffel anzurühren. Jetzt ist die Zeit, sich die Kostbarkeiten, die Klöster, die immerhin Weltkulturerbe sind, näher anzusehen.

Sofort nach dem Betreten der Klöster fällt die Farbenpracht auf, mit der die Kapellen und Altarräume ausgemalt sind. Heiligenstorys sind comicgleich, aber kunstvoll auf meterlange Wände gemalt. Die dominierenden Farben: Blau und Rot. Das Blau bestimmt den Hintergrund. Das Rot gehört zum Blut der Märtyrer. Die hatten es zu ihrer Zeit schwer. Ständig musste sich jemand den Kopf abschlagen lassen, um den Status als künftiger Heiliger zu erwerben. Ein aufreibender Job, der ziemlich aus der Mode gekommen ist. Da hatte es Maradona leichter. Aber der war kein Grieche. Und tot ist er nun auch. Aber ich schweife ab. Diana merkt das sofort. Und erinnert an den tiefenentspannten Landcruiser-Sebastian und seinen Tipp.
Boah, das ist steil!
Die drei Finger Chalkidikis greifen weit in die Ägäis. Die Halbinseln sind was für Strandurlauber. Also nichts für uns. Aber einen Tag an einem Strand, einem Traumstrand kann man sich geben. Die Wegbeschreibung ist ganz einfach: auf dem mittleren Finger Chalkidikis bis zum südlichsten Punkt fahren. Fertig. Vorausgesetzt man lässt sich von ein paar Kilometern offroad nicht schrecken. Nach drei Vierteln des Wegs kommen wir das erste Mal ins Stutzen. Ganz schön steil! Doch die Aussicht auf den Traumstrand überbrückt das flaue Gefühl in der Magengrube. Bis zum nächsten, dem letzten Stutzen. Da unten ist er, der Sebastian-Traumstrand. Mehr noch: eine Mini-Halbinsel mit zwei sich im Abstand von zwei Volleyballfeldern gegenüberliegenden Stränden. Wahnsinn! Aber: Boah, das ist steil! Fahren wir da wirklich runter? Es ist diese Stelle, an der ich einen neuen Begriff lerne: Reliefenergie. Das hat nichts mit Esoterik zu tun, sondern flapsig gesagt mit Steigung oder Gefälle. Anders als bei den beiden klassischen Begriffen sagt mir das Teilwort "Energie" in Reliefenergie, dass damit auch "Autsch!" verbunden sein kann. Und wer will sich freiwillig wehtun? Wie vor der Durchquerung einer isländischen Furt inspizieren wir die Downhillstrecke zunächst zu Fuß. Runterfahren könnte klappen. Irgendwie. Aber wieder hoch? Fast aus dem Stand müssten wir den völlig zerfahrenen, steinigen Anstieg bewältigen. Könnte an einem guten Tag mit Glück so groß wie zwei Betonmischer auch klappen. Aber mal unter uns: Sind wir auf Rallye oder auf Urlaub? Eine halbe Stunde später ist das Zelt oberhalb des Doppelstrands aufgebaut und wir nehmen die Reliefenergie unter die Füße hinunter zum Wasser. Mit dem Sonnenuntergang schwappt das Ägäisblau am Doppelstrand ins Ozeanblau des Himmels. Danke, Sebastian!

Ein Wolkenfetzen wie eine weiße Baskenmütze ist tags darauf unser Orientierungspunkt. Er bewegt sich nicht von der Stelle. Sollte er es dennoch tun, würde ihn die Sommersonne einfach wegschmelzen. So aber klemmt er am fast 3.000 Meter hohen Gipfel des Olymps und macht auf den kommenden 250 Kilometern das GPS überflüssig. Aber die Orientierung ist ohnehin nicht schwer. Solange das Meer links ist, cruisen wir nach Süden. Erst am Hafen von Volos wird eine Entscheidung fällig. Links auf die Halbinsel oder rechts Richtung Athen? Keine Frage. Eine Schotterpiste bahnt sich ihren Weg durch dichte Olivenhaine. Diana treibt die XT wedelnd den Berg hinauf, versucht ebenso wie ich, dem Autsch der Reliefenergie auszuweichen.
Mit nur einem Autsch rollen wir in zwischen den roten Dächern von Drakia, einem kleinen Dorf in den Bergen der Pilion-Halbinsel ein. Kaffeezeit! Unter einer gewaltigen Platane duckt sich das Kafenio von Vassilis. Der dunkelbärtige Hüne studiert eigentlich E-Technik in Athen, ist aber in den vorlesungsfreien Sommermonaten immer hier und serviert einen der besten Cappuccino Freddo Griechenlands. Der eisgekühlte Kaffee-Milchmix bringt uns erst wieder auf die Beine und dann auf die Räder. Wohin? Der Pilion ist noch lang. Natürlich ist eine Halbinsel immer eine Sackgasse. Aber viele von ihnen lohnen sich. So wie auch diese hier. Am südlichen Ende schwappen Fischerboote vor der Mole von Agia Kyriaki unterhalb des Dörfchens Trikeri. Tintenfische trocknen in der Sonne. Frisch gefangene Brassen werden in die Küchen der kleinen Lokale gebracht. Kinderlachen hallt von jahrhundertealten Pflastersteinen wider. Zwischen den sonnenweißen Wänden der kubischen Häuser zwinkert das Meer. Jenseits des Wassers kann man schon die Berge von Euböa, Griechenlands zweitgrößte Insel, erkennen. Dahin fahren wir morgen. Vielleicht. Oder übermorgen. Wir haben noch Zeit im Gepäck.
Infos zur Reise in Zentralgriechenland
- Anreise: Zwei Anreisevarianten stehen zur Wahl: über Land durch den Balkan oder per Fähre von Italien. Auf dem Landweg sind ab München knapp 1.900 km bis zum Startpunkt Igoumenitsa abzuspulen. Per Fähre stehen die Häfen Venedig (ab München ca. 500 km), Ancona (770 km), Bari (1.200 km) und Brindisi (1.330 km) zur Verfügung. Ab Venedig kostet die günstigste Überfahrt pro Person mit Motorrad 140 Euro, ab Ancona 108 Euro. Die Überfahrt dauert je nach Verbindung zwischen 25 und neun Stunden.
- Reisezeit: Wir waren im Hochsommer unterwegs. In den Küstenniederungen pendeln die Temperaturen um die 35 Grad Celsius. Erfrischende Abkühlung versprechen die Bergregionen.
- Strecke: Griechenlands Hauptverkehrsnetz ist in relativ gutem Zustand. Auf Nebenstrecken müssen Abstriche gemacht werden. Es gibt zudem ein weitverzweigtes Netz an Schotterstrecken. Das griechische Inland ist sehr gebirgig, die Strecken daher oft sehr kurvig. Bei der Routenkalkulation sollte man das berücksichtigen. Autobahnen sind mautpflichtig.
- Unterkunft: Viele Campingplätze und kleine Hotels machen den Reiz einer Griechenlandreise aus. Besonders charmant fanden wir die Übernachtungen im Gästehaus "Tritoxo" in Koukouli am Südende der Vikosschlucht. Doppelzimmer ab 65 Euro. In Delfi hat man vom Campingplatz "Apollon" einen herrlichen Blick auf den Golf von Korinth. Stellplatz ab 20 Euro.
- Sehenswert: Von den vielen Sehenswürdigkeiten Griechenlands gefielen uns der historische Komplex in Delphi und die Meteora-Klöster am besten. Wie vielfach empfiehlt sich der Besuch frühmorgens, um den Besuch möglichst allein genießen zu können. Unter Naturfreunden genießt der Olymp hohen Stellenwert. Ihn zu besteigen ist einen Versuch wert, aber kein Klacks. In der Gipfelregion muss mit Steinschlag und schnell umschlagendem Wetter gerechnet werden.
- Literatur & Karten: Wer sich schwere Kost zumuten möchte, kann über die jüngere griechisch-deutsche Geschichte lesen. In Kaiti Manolopoulous Buch "Juni ohne Ernte" wird beispielhaft das Verbrechen der SS im Dorf Distomo geschildert. 19,80 Euro, ISBN-10:3990210149. Von Marco Polo gibt es die Festland-Griechenland-Karte im Maßstab 1:300.000 für 9,99 Euro. Sie ist für diese Tour ausreichend detailliert. Eine komplette Karte von Griechenland im Maßstab 1:500.000 bietet Freiytag & Berndt für 11,99 Euro. Für den gleichen Preis sind auch einzelne Regionen im Maßstab 1:150.000 erhältlich. 2020 neu aufgelegt wurde der Lonely-Planet-Reiseführer für 27 Euro.