Ach, wäre man doch durch die Vogesen eingeflogen, hätte für die Anreise nicht, nur um ein paar Stündchen zu sparen, die französische Autobahn genutzt. So stehen wir jetzt zwischen Mulhouse und Belfort an einer Mautstation und produzieren, selten genug für Motorradfahrer, einen kleinen Stau. Irgendwo klemmt’s im System, der Automat nimmt weder Kreditkarte noch Bargeld. Die Schranke bleibt unten, da hilft kein Fluchen und Hupen. Erst die Notruftaste lässt es dann doch noch fluppen – und das ganze Theater wegen 1,60 Euro. Natürlich eine Petitesse im Vergleich zu dem, weswegen du immer wieder gerne ins gelobte Nachbarland fährst. Liberté, Égalité, Fraternité? Cuisineté! Futtern wie Gott in Frankreich, abends, wenn du dich auf kurvigen Département-Sträßchen sattgefahren hast. Eine glückliche Fügung hat uns passenderweise als Quartier für die folgenden Tage am Doubs das "Hôtel de France" in Villers-le-Lac beschert, wo Küchenchef Hugues Droz, geadelt mit einem Michelin-Stern, kunstvoll leckere Tellerlandschaften entwirft.
Region Bourgogne-Franche-Comté
Schnell einquartiert und die per Autobahn erkaufte Zeit in eine erste Erkundungsrunde am Nachmittag investiert. 90 Kilometer Luftlinie beträgt der Abstand zwischen Quelle und Mündung des Doubs – und das bei einer Flusslänge von 430 Kilometern. Ähnlich verschlungen wie der Lauf des Wassers ist das engmaschige Straßennetz hier in der Region Bourgogne-Franche-Comté. Endlos lange kannst du da über dem optimalen Streckenverlauf brüten. Akribische Naturen füttern schon zu Hause ihr Navi mit Hunderten von Wegpunkten, Freunde des Laisser-fahr lassen es lieber laufen, entscheiden unterwegs spontan, wo’s kurvig lang- und weitergeht.
Wie auch immer: Via Pontarlier und der Route de l’Absinthe – auch das etwas, an dem sich die Geister scheiden, unterlag doch der grünlich schimmernde Absinth, erfunden im Val-de-Travers und beliebt nicht zuletzt bei kreativen Köpfen von Vincent van Gogh bis Oscar Wilde, lange Zeit der Prohibition – erreichen wir bei Mouthe die Quelle des Doubs. Ein fast mythisch anmutender, durch einen kurzen (wirklich!) Waldspaziergang erreichbarer Ort. Aus dunklem Felsenschlund gurgelt das Wasser, ergießt sich in ein glitschiges Labyrinth grün bemooster Felsbrocken, bis es wenig später ein paar Meter in die Tiefe fällt und auf die weite Reise geht. Wer über Nacht bleiben möchte, findet mit dem rustikalen "Chalet de la Source du Doubs" oder auch einem kleinen Campingplatz geeignete Adressen. Was wir gar nicht gut finden: Fieser Rollsplitt, Gravillons auf Französisch, prasselt auf diversen Nebensträßchen des Jura ungeniert gegen die Krümmer der Vierzylinder und verhagelt des Öfteren einen flotten Strich. Was wiederum spätestens beim Diner vergessen ist, wenn Maître Droz die Geschmacksnerven kitzelt.
Kurvigst geht’s bergauf und bergab
Mittwochmorgen. Die Sonne lacht am blau-weiß getupften Himmel. Von Villers-le-Lac aus zum imposanten Wasserfall Saut du Doubs (Sprung des Doubs) gondeln, auf einer 14 Kilometer langen, durch wildromantische Felsschluchten führenden Bötchentour? Och nö. Statt für zwei Stunden in den Wasseromnibus zu klettern, starten wir lieber die Boliden – auch wenn so die Flusslandschaft manchmal nur von einem Vue panoramique aus luftiger Höhe zu goutieren ist. Wer’s intensiver möchte, bequeme sich zum atemberaubenden Kletterstieg Échelles de la Mort, der Todesleiter, ausgeschildert ab Charquemont. Besonders im französisch-schweizerischen Grenzgebiet zwischen La Chaux-de-Fonds und Saint-Hippolyte haben Straßenbauer dem Doubs gezeigt, wo der Hammer respektive der Korkenzieher hängt. Kurvigst geht’s bergauf und bergab, rein ins Tal und wieder raus, oft durch dichten Wald, mal vorbei an lichten Almwiesen, inmitten derer man die blau schillernde XJR 1300, hätte sie nicht so viel Speck auf den luftgekühlten Rippen, fast für eine tanzende Libelle halten könnte. Na ja, immerhin unzweifelhaft: Die dicke Yamaha schiebt schön von unten. Apropos: Den Doubs kriegt sie auf diesem Abschnitt meist nur dicht vors Rad, wenn sich die Straße zum Fluss hinabneigt, ihn wie an der Landesgrenze bei La Goule, Goumois oder Soubey mithilfe einer Brücke überspannt.
Spannend dann die Frage, warum der Doubs, kaum ist er ein paar Kilometer durch die Schweiz geflossen, im hübschen Saint-Ursanne urplötzlich eine doubiose 180-Grad-Wende macht und zurück nach Frankreich strebt. Nun, uns soll’s recht sein, üben sich ab hier doch Fluss und Straße quasi im Synchronschwingen auf Augenhöhe, weicht die D 437c dem kurvigen Uferverlauf bis Saint-Hippolyte nicht von der Seite. Ähnlich symbiotisch anschließend das Verhältnis zwischen D 39 und windungsreichem Dessoubre, dem wir bis Gigot folgen, bevor in Villers-le-Lac wieder ein Menü der Sonderklasse für Staunen sorgt. Nur böse Zungen kommentieren nimmersatt: "Die Portionen würden unseren Meerschweinchen zu Hause reichen."
Aussichtspunkt Roche du Prêtre
Adleraugen, die Flügel eines Mauerseglers sowie die Ohren eines Luchses müsste man haben, hoch oben am Aussichtspunkt Roche du Prêtre, von wo sich ein grandioser Blick in den Talkessel Cirque de Consolation bietet. Irgendwo da unten, gut versteckt in dichtem Wald, die Quellen von Dessoubre, Lançot und Tabourot, dazu die Wallfahrtskirche Notre-Dame-de-Consolation. Tröstlich für den Homo motoricus, dessen Sensorium ja nicht unbedingt ideal ist, um alle Reize eines solch überirdischen Ortes optimal zu verarbeiten: Er hat eine Gashand, die es jetzt nach dem Predigerfelsen wieder fleißig zu nutzen gilt.
Zum Tränken der Pferdchen noch mal nach Saint-Hippolyte galoppiert, am dortigen Marktplatz das Fahrpersonal verproviantiert und einem BMW-Treiber kondoliert, dessen treue K 100 unter ungesundem "Kardanknurren" leidet, und dann wird’s höchste Zeit, mal wieder nach dem Doubs zu schauen. Groß geworden ist er. Kleine Motorradsträßchen, die sich verführerisch an ihn schmiegen, sind rar zwischen Montbéliard, Baume-les-Dames und Besançon. Und auch bis zur Mündung in die Saône bei Verdun-sur-le-Doubs sieht’s auf der Karte kaum besser aus.
So fällt es nicht schwer, sich vom "blauen Faden" der Tour vorerst zu verabschieden und nach Alternativen zu suchen. Der Karten-Tisch ist reich gedeckt. Unser erstes Ziel heißt Ornans, ein buchstäblich malerisches Städtchen, in dem einst die Wiege von Gustave Courbet stand. Der Begründer des französischen Realismus fand als Maler seine Motive direkt vor der Haustür, vor der zu allem pittoresken Überfluss auch noch die liebreizende Loue leise plätschernd ihre Bahn zieht. Ein Ensemble, wie geschaffen, es per Pinsel oder Pixel zu bannen. Und die PS-Fraktion? Eine knallrote Guzzi Centauro und ein quietschegelber Audi R8 sorgen akustisch für tolle Töne – und dann ist man es selbst, der, je nach Temperament mehr oder weniger laut, auf der D 67 durchs Tal der Loue und die Nouailles-Schlucht bis Mouthier-Haute-Pierre vor Begeisterung in den Helm brüllt. Auch zum Schluchzen schön: südlich von Morteau an der D 437 die Engstelle Défilé d’Entre-Roches, wo der Doubs stromschnellt und du unter überhängendem Fels, der wie eine gigantische Leitplanke in den Himmel ragt, an fest installierten Picknicktischen Platz nehmen sollst. Eile mit Weile. Rasten ohne rasen.
Von Lods hoch nach Hautepierre-le-Châtelet
Wer zu viel pausiert – sich einen weiteren Tag lang amüsiert. Dialektik statt Hektik. Soll heißen: Zugabe, die Motorräder noch mal anschmeißen, sie wieder dorthin lenken, wo gestern wir fast unser Herz verschenkten. Kitschig? Courbet würde es verstehen. Ebenso, wer nach einem morgendlichen Muntermacher durch die Nouailles-Schlucht ein erneutes Rendezvous mit der quicklebendigen Loue hat, vielleicht am besten in Lods, wo du es dir auf der blätterbedachten Terrasse des "Hôtel de France" (nicht zu verwechseln mit unserem gleichnamigen Quartier) gut gehen lassen kannst, während vis-à-vis ein Entenpärchen auf die perfekte Welle wartet.
Schluss mit Chillen, Zeit, die Sitzbänke zu entern. Wie reife Kirschen pflücken wir die Leckerchen von der Karte. Es beginnt gleich mit saftigen 400 Höhenmetern auf dem kringeligen Sträßchen von Lods hoch nach Hautepierre-le-Châtelet, geht herrschaftlich weiter am Château de Cléron und endet noch längst nicht mit Blicken in die Tiefe wie auch Ferne an diversen Belvédères zwischen Amondans und Courcelles. Sondern, nach Ampel-und-Kreisverkehr-Hopping durch Pontarlier sowie einer "Rasch-Hour" auf der kaum frequentierten D 47 nach Morteau, wo die 1300er noch mal kräftig säuseln kann, erst wieder in Villers-le-Lac. Ein Ort, dessen "Verlebtheit in eigentümlichem Kontrast zur vitalen Landschaft steht", so der Reiseführer. Doch was macht das schon, wenn Hugues Droz mit seiner charmanten Frau Natalie und dem Küchenteam auf die zu verwöhnenden Gäste wartet? Auf dass diese die Philosophie des äußerlich recht unscheinbaren Hauses verinnerlichen: l‘éveil des sens – das Erwachen der Sinne. Oder auch: mehr Sein als Schein! Bon appétit, danke Doubs!