100 Jahre BMW Motorrad
Die 1970er-Jahre

Im Jahr 2023 blicken wir auf 100 Jahre BMW-Motorradbau zurück. Wir begleiten dieses Jubiläum mit 10 Geschichten. Hier die 6. Folge.

100 Jahre BMW Motorrad 1970er-Jahre
Foto: BMW Group Classic

Schon die allererste BMW, die R 32, wurde im September 1923 in Berlin präsentiert. 1969 zog die komplette Motorrad-Produktion von der Isar an die Spree, nach Spandau. Seit dem Modelljahr 1970 tragen alle BMWs Berliner Luft in ihren Reifen. Wobei Forschung und Entwicklung ja stets in München verblieben: in Bayern erdacht, von Preußen gemacht. Was die "Berliner Motorenwerke" zu Beginn der 70er-Jahre produzierten, markierte einen Aufbruch. Die R 50/5, R 60/5 und R 75/5 hatten ein völlig neues Fahrwerk mit langhubigen Telegabeln.

BMW Motorrad Jubiläum

Endlich knallig bunten Farben

Ihr leichter und kompakter Doppelschleifen-Rahmen mit angeschraubtem, dünnwandigen Heckrahmen sparte fast fünf Kilogramm an Gewicht ein. Nur taugte er nicht mehr für Seitenwagen. Als Zeichen einer neuen Zeit waren die "Strich-Fünfer" auch in knallig bunten Farben erhältlich. Das neue, bullige 750er-Topmodell R 75/5 stemmte volle 50 PS – satte acht PS mehr als zuvor die 42 PS starke R 69 S eine 600er. Komplett neu konstruiert präsentierte sich die Motorengeneration der /5: Das glattflächige, mächtige Kurbelgehäuse mit integriertem Luftfiltergehäuse beherbergte endlich einen elektrischen Anlasser.

Die Zylinder bestanden erstmals bei BMW-Motorrädern aus einer Aluminiumlegierung. Neuland markierte die sich in Gleitlagern drehende Kurbelwelle. Sie war aus einem Teil geschmiedet und dadurch wesentlich steifer. Dies versprach bessere Laufruhe und höhere Standfestigkeit. Im doppelten Sinn war die einzelne, rollengetriebene Nockenwelle der /5 "untenliegend" – in den Tiefen des Kurbelgehäuses. Also lagen die Hüllrohre der ellenlangen Stoßstangen nun unterhalb der Zylinder. Sie betätigten via Kipphebel mit Einstellschrauben je zwei Ventile pro Zylinder.

MOTORRAD lobte "bestes Fahrwerk"

Alle drei "Runddeckel"-Motoren hatten 70,6 Millimeter Hub, sie unterschieden sich bloß durch die Bohrung. Nur das Topmodell R 75/5 verfügte über moderne, stilprägende 32er-Gleichdruckvergaser von Bing. Die kleineren /5-Modelle R 50 und R 60 hatten einfache 26er-Schiebervergaser. Ernst "Klacks" Leverkus äußerte sich im Fahrbericht in MOTORRAD 18/1969 lobend über das "bemerkenswerte Chassis": "Das Fahrwerk ist das Beste, was es zurzeit bei den dicken Brummern gibt, es macht glatt etwaige fehlende PS wett." Große Worte.

Kehrseite des kurzen Radstands von 1385 Millimetern war eine Pendelneigung bei Vmax, lang liegend rund 170 km/h, speziell mit Koffern. Spürbare Kardan-Reaktionen (Heck hebt sich beim Gasgeben und sackt beim Gaswegnehmen in sich zusammen) brachten der R 75/5 den liebevollen bis despektierlichen Spitznamen "Gummikuh" ein. Trotz Verdreifachung der Produktion von 1969 auf 1970 kam das Berliner Werk der Nachfrage speziell nach der 750er kaum nach. Große Lieferengpässe waren die Folge.

500.000ste BMW

Zum Modelljahr 1973 brachte BMW ein Getriebe mit fünf statt vier Gängen und eine steifere, fünf Zentimeter längere Schwinge. Solche "Langschwingen-Modelle" laufen wesentlich stabiler geradeaus. Sein 50-jähriges Jubiläum krönte BMW Motorrad mit der 500.000sten Maschine und dem neuen Flaggschiff R 90 S als Krönung der neuen /6-Baureihe. Diese erste BMW mit mehr als 750 Kubik wurde mit lenkerfester Cockpitverkleidung aus GFK und Zweifarb-Metallic-Lackierung zu einer Stil-Ikone.

Zum ersten Mal war eine BMW vom Bürzel der Sitzbank bis zur Lampenmaske von einem Designer entworfen worden: Hans A. Muth zeichnete später auch für die R 100 RS und die Suzuki Katana (mit-)verantwortlich. Auch technisch machte die R 90 S von sich reden: 90er-Kolben, 67 PS und fast 200 km/h Spitze! Speziell im leuchtenden "Daytona-Orange" ging der Sport-Boxer R 90 S ins kollektive Motorradfahrer-Gedächtnis ein. Dabei gab es diese Farbkombination erst in der zweiten Version ab 1975. Insgesamt entstanden 17 465 Exemplare dieser, jawohl, betörenden BMW.

Nur ein Antriebskonzept

Exklusiv setzte die R 90 S auf zwei 38er-Schiebervergaser von Dell’Orto mit Beschleunigerpumpe. Gesteigerten Fahrleistungen trug an der 900er und 750er eine vordere Scheibenbremsanlage Rechnung, bei der R 90 S gleich als Doppelscheibe. Unkonventionell war die Betätigung dieser Schwenksattelbremse von ATE: Ein Bowdenzug betätigte den Hauptbremszylinder unterm Tank. Von dort führten Hydraulikleitungen zu den Bremssätteln.

Vor rund 50 Jahren war die deutsche Vorzeigemarke völlig "monomotorisch" mit nur einem Antriebskonzept aufgestellt. Alle Modelle hatten einen "verhalten-kraftvoll laufenden Zweizylinder-Boxermotor" (Zitat BMW). Einst so erfolgreiche Einzylinder waren längst Geschichte, Vierzylinder noch Zukunftsmusik. Dies blieb auch mit der nächsten Evolutionsstufe, der "Strich Sieben" ab 1976, so: Nun brachte BMW erstmals eine echte Tausender, die R 100-Familie mit 980 Kubik und eckigen Ventildeckeln. Innovativ war die R 100 RS mit ihrer im Windkanal optimierten Vollverkleidung. Ihr reichten 70 PS für rund 195 km/h Spitze – völlig ermüdungsfrei hinter schmalen Lenkerstummeln abzureißen.

RS – Reise & Sport statt Rennsport

Nach der RS-Reihe, die man eher mit "Reise & Sport" als mit Rennsport erklären sollte, brachte BMW in Gestalt der R 100 RT den nächsten Archetyp einer bis heute besonders auch als Behördenfahrzeug beliebten Baureihe. Beim komfortablen "Reise-Tourer" mit seiner Koffer-Option war die Vollverkleidung noch ausladender, der Windschutz besser, die Sitzposition aufrechter.

Im Zeichen der Ölkrise nannte BMW bereits in den 70er-Jahren Verbrauchswerte auf freiwilliger Basis: von fünf Liter je 100 Kilometern bei der R 80/7 bis zu 5,75 Liter der R 100 RS nach DIN 70 030. Dies war ganz klar seiner Zeit voraus. Doch dem Modellprogramm fehlte noch ein Highlight. Das kam dann 1980 …

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MOTORRAD 20 / 2023

Erscheinungsdatum 15.09.2023