Das Gefühl pulsierender Bremshebel am Krad bei einer harten ABS-Bremsung ist manchem bekannt. Der ausbleibende Vortrieb und das blinkende Lämpchen im Cockpit bei zu hartem Gaseinsatz signalisieren: Die Traktionskontrolle arbeitet. Beide Fahrsituationen stehen immer am Ende einer langen Kette von Ereignissen und sagen deutlich: Bis hier hin und nicht weiter.
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Am Stammtisch: "Die Traktionskontrolle habe ich noch nie gebraucht und wer richtig bremsen kann, braucht auch kein ABS." Diese Selbsteinschätzung der Straßenhelden werden oft durch Aussagen wie "Mein Handgelenk ist die beste Traktionskontrolle" oder "feinfühlige Finger sind das beste Anti-Blockier-System" ergänzt. Vor dem Hintergrund der Regelsysteme der ersten Generationen mit dem Feingefühl eines Presslufthammers sind diese Wahrnehmungen vielleicht noch verständlich, seitdem aber selbst Mittelklasse-Motorräder mit modernen schräglagenabhängig agierenden Systemen (unter anderem von Bosch) aufwarten, ist die Idee der selten oder nur im Notfall regelnden Systeme schlicht und einfach falsch.
Schutzengel "Kurven-ABS"
Der Mut findet sich selten, in Schräglagen über 35 Grad – recht zackig unterwegs – einfach mal die Bremse zu fordern. Wer sich mit seinem schräglagenabhängigen Bremssystem physisch angefreundet hat, merkt dann nur ein Pulsieren an Hand- und Fußbremshebel, das Heck zieht sich leicht in die Feder und das Mopped bewegt sich minimal um die Hochachse, manchmal sind Drehimpulse im Lenker zu spüren. Dabei verzögert das Krad recht stark und stellt sich langsam und kontrolliert auf. Das gefürchtete eindrehende Bremslenkmoment bleibt aus: also das Einklappen des Vorderrads zum Kurveninneren mit schlagartigem Aufstellen des Motorrads mit Drang in den Gegenverkehr oder gar das Wegrutschen des Rads. Lockere Sache. Meint man.

Doch in diesem gesamten Vorgang von nur wenigen Augenblicken regelt das sogenannte Kurven-ABS nicht nur in der spürbaren Situation. Die Motorcycle Stability Control (MSC) von Bosch, unter anderem bei KTM und Ducati Serie, gleicht den geforderten Bremsdruck dauerhaft mit der maximal übertragbaren Bremsleistung ab und regelt bei Bedarf minimal nach. Der Fahrer merkt davon nichts. Zwar wird der Bremsdruck weiter aufgebaut, aber bei diesen Mikroregelungen wird die Geschwindigkeit der Bremskraftsteigerung etwas zurückgenommen. Das nennt Bosch die Pre-Control: Sie wird aktiv, sobald der Fahrer ab einer bestimmten Schräglage einen bestimmten Bremsdruck aufbaut und regelt den Bremsdruckgradient, wenn es Bremskraftspitzen gibt. Also immer, wenn der Fahrer mit der Bremse korrigiert. Mit dem Hauptvorteil, dass die Kurvenfahrt und das Bremsgefühl harmonischer verlaufen, ein echter Eingriff des Kurven-ABS würde hier zu Unruhen führen.
Fazit ABS
Frühe ABS haben einzig Raddrehzahlen gemessen und darauf reagiert, wenn ein Rad beim Bremsen stehen bleibt. Dann wurde kurzzeitig ein Ventil im Bremskreislauf geöffnet und der Bremsdruck so lange verringert, bis das Rad sich wieder zu drehen begann. Dann wurde wieder Bremsdruck aufgebaut. Das spürbare Regelintervall.
Moderne ABS bedienen sich einer Vielzahl an Parametern und arbeiten schon vor dem Erreichen der Haftgrenze des Reifens. Das macht einen Bremsvorgang besonders in Schräglage harmonischer und sicherer: In Schräglage einem rutschenden Rad wieder Haftung zu verschaffen ist schwieriger, als es erst gar nicht zum Rutschen zu bringen.
Geheimagent Traktionskontrolle
Eine Traktionskontrolle in Aktion ist eine seltene Erfahrung, auf der Straße stellt sie den schmalen Grat zwischen Fahren oder Abfliegen dar. Eine regelnde Traktionskontrolle kommt einem plötzlichen Leistungsverlust gleich. Als würde das Motorrad gebremst und das bei weit geöffneten Drosselklappen. Für den Fahrer ein großer Unterschied zwischen der erwarteten Beschleunigung und der tatsächlichen. Ein einmaliger und harter Einschnitt in die Leistungsabgabe? Nachvollziehbarer Gedanke.

In Schräglage jedoch wäre solch ein kurzes Regelverhalten mit einer hohen Zahl an Wiederholungen sehr schwer vom Fahrer ausgleichbar, da das Motorrad in der Situation enormen Lastwechseln unterläge. In Schräglage bestünde das Risiko plötzlich in die Kurve hineinzufallen. Bei der Motorcycle Traction Control (MTC) von Bosch, die an das MSC gekoppelt ist und somit auch schräglagensensibel arbeitet, kommt ebenfalls eine Vorstufe zum Einsatz. Das System gleicht dauerhaft das per Gasgriff geforderte Drehmoment mit dem in dieser Situation optimalen ab. Das ist abhängig von der Haftung des Reifens auf der Straße und der gefahrenen Schräglage. Besteht das Risiko, dass der Fahrer mehr Kraft abruft als der Reifen noch übertragen kann, senkt die MTC das Drehmoment des Motors minimal ab. Technisch greift das System je nach Motorradhersteller in die Drosselklappenstellung oder Einspritzung ein oder verschiebt den Zündzeitpunkt etwas. Auch diese Eingriffe merkt der Fahrer nicht, da weiterhin beschleunigt wird. Unterscheiden sich geforderte Motorkraft und die wahrscheinliche Haftung plötzlich zu sehr, kommt der Reifen also ins Rutschen, greift die MTC mit einem harten Einschnitt in das Drehmoment ein, bis das Rad wieder haftet. Das merkt der Fahrer wie eingangs beschrieben: die Leistung wird gedrosselt, die Warnlampe im Cockpit leuchtet.
Fazit Traktionskontrolle
Bei ziemlich sportlichen 50° Grad Schräglage regelt die MTC bereits sechsmal unmerklich. Aber auch auf der Landstraße und deutlich weniger Schräglage greift die MTC hier und da schon ein, bevor der Fahrer es merkt. Doch was würde passieren, wenn die kleinen Eingriffe nicht da wären? Dann wäre das Risiko von Traktionsverlusten deutlich höher, die dann wieder hart geregelt werden müssten und starke Lastwechsel verursachen würden. Das System bringt also Ruhe in die Fahrt. Wie beim Kurven-ABS auch: Ein rutschender Reifen ist schwerer einzufangen, als sein Rutschen vorab zu verhindern.
Fazit
ABS und Traktionskontrolle bringen Sicherheit in den zweirädrigen Verkehr. Das steht nach über 30 Jahren ABS fest. Mit den neuen schräglagensensiblen Systemen hat sich das ABS und folglich die Traktionskontrolle enorm weiterentwickelt.
Am MSC von Bosch ist gut zu erkennen, dass die Systeme schon deutlich vor dem spürbaren Regeleingriff für die Sicherheit in der Fahrsituation sorgen. Der Fahrer spürt das nicht. Das vernebelt vielleicht etwas die tatsächliche Brisanz, sorgt aber für Ruhe und Stabiltität, da die Dynamik des Motorrad nur minimalst verändert wird.
Erst wenn das nicht mehr hilft, regeln die Systeme nach dem bekannten Muster mit pulsierendem Hebel oder mit verknappter Leistung.