Motorrad-Wheelie in Theorie und Praxis

Finale: Wheelie in Theorie und Praxis Das spektakuläre Motorradfahren auf nur einem Rad verständlich erklärt

Seit der Mensch mit technischem Gerät zu tun hat, versucht er, dessen Grenzen auszuloten. Das ist nicht immer vernünftig, endet manchmal auf dem Hinterrad und kann sogar Spaß machen. Vorausgesetzt, der Mensch beherrscht die Technik. Tut er das nicht, kann die Sache fatal ausgehen. Im schlimmsten Fall mit einer Abo-Kündigung.

Das spektakuläre Motorradfahren auf nur einem Rad verständlich erklärt Wolf
8 Bilder

Natürlich ist das, was Sie hier sehen (müssen), unglaublicher Blödsinn, spätpubertäres Imponiergehabe und sowieso völlig verrückt. Und es ist zutiefst menschlich, denn vielleicht ist es gerade die manchmal etwas irrationale Freizeitgestaltung, die den Homo sapiens vom zum Beispiel Proteus anguinus unterscheidet. Während der Europäische Grottenolm nämlich fast ausschließlich damit beschäftigt ist, sich um Nahrungserwerb und Fortpflanzung zu kümmern, hat der Motorrad fahrende Mensch immerhin die Chance, als kleinen Ausgleich zum täglichen Überlebenskampf ab und an das Vorderrad steigen zu lassen. Also Wheelie zu fahren. Eine mehrstündige Forschungsreise ins MOTORRAD-Archiv förderte belastendes Material zutage, das eindeutig beweist, dass der sinnfreie Einradbetrieb bereits in der Motorrad-Frühzeit praktiziert wurde. Erstmalig urkundlich erwähnt wird der Wheelie, der damals noch Hochstart hieß oder gar keinen Namen hatte, in der MOTORRAD-Ausgabe 7/1966. Natürlich gab es auch schon in den Jahren zuvor Bilder zu sehen, die Vorderräder in der Luft zeigten, doch dabei handelte es sich ausschließlich um Trial- oder Enduro-Fahrer, die aus rein zweckmäßigen Gründen das Vorderrad gelupft hatten. Die Ehre, als erster Mensch aus reiner Lust an der Freude in MOTORRAD das Vorderrad steigen zu lassen, gebührt dem NSU-Mitarbeiter Werner Sautter. Der Deutsche Geländemeister in der 250er-Gespannklasse 1955 bis 1957 drehte ohne Helm (!) mit der ersten Münch Mammut 1000 ein paar flotte Runden auf dem NSU-Werksgelände in Neckarsulm, bevor der Vierzylinder-Klotz mit Ernst „Klacks“ Leverkus auf MOTORRAD-Testfahrt gehen konnte.

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Die Durchsicht der Bildproduktionen der folgenden Jahre und Jahrzehnte belegt, dass sich die Kollegen Testfahrer bei sehr vielen Geschichten zu Wheelie-Einlagen hinreißen ließen. Veröffentlicht wurden die Bilder eher selten. Zum einen wirkte die Totschlagskeule „Vorbildfunktion“, zum anderen gab es mittlerweile das Schwesterblatt „PS Das Sport-Motorrad Magazin“, das solchen Unfug ungestraft betreiben durfte. Trotzdem entstanden auch bei MOTORRAD beeindruckende Bilddokumente, die zum Beispiel beweisen, dass sich Chopper oder Kardan mit dem Thema Wheelie vereinbaren lassen. Und das sogar in Kombination, wie es die für den internen Gebrauch bestimmten Bilder einer wheelenden Kawasaki VN-15 eindrucksvoll zeigen.

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Frühzeit-Wheelie: NSU-Testfahrer Werner Sautter gibt 1966 einer Münch Mammut 1000 die Sporen.

Da natürlich immer die Gefahr besteht, dass sich ein paar Zeitgenossen durch solche Bilder zum hedonistischen Treiben verführen lassen, ließ MOTORRAD den hauptberuflichen Free- und Funrider (er hasst den Begriff „Stuntfahrer“) Oliver Ronzheimer auf abgesperrter Strecke zeigen, was ausschließlich den Profis vorbehalten bleiben sollte. Doch auch für den Wheelie-Neuling hat der Kawasaki-Mann ein paar Tipps parat: „Wheelie-Fahren hat nichts mit Power zu tun. Das geht auch mit dem Fahrrad oder Scooter. Ganz wichtig ist, dass die Hinterradbremse immer und überall im Zugriff ist, denn darüber wird in Zusammenspiel mit der Kupplung alles ausbalanciert, weniger mit dem Gasgriff. Zerren und Reißen am Lenker bringen vielleicht das Vorderrad etwas in die Luft, mit einem kontrollierten Wheelie hat das aber nichts zu tun.

Hohes Tempo ist ebenfalls unnötig - einfach leicht anrollen, Kupplung ziehen, kräftig, aber nicht digital Gas geben, Kupplung blitzartig kommen lassen - aber nicht loslassen - und am Druckpunkt halten. Die Kupplung immer dann ziehen, wenn das Vorderrad zu sehr steigt. Die Hinterradbremse ergänzt die Kupplungsarbeit, aber nicht grobmotorisch drauftreten. Wichtig: Nichts mit der Vorderradbremse machen!“ So weit ein wenig Theorie, die man aber nicht unbedingt in die Praxis umsetzen muss. Und wenn, dann nur abseits des öffentlichen Straßenverkehrs und mit sehr, sehr viel Platz drum herum. Noch besser: Olly und Kollegen bei ihren völlig sinnfreien und verrückten Shows bestaunen. Weniger gut: jetzt MOTORRAD-Abo kündigen - von wegen „Vorbildfunktion“.

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