Gebrauchtberatung Vespa P(X) 200 E
Heiligs Blechle

Kultgegenstand und Alltagsmuli: Mit der Vespa P 200 E gelang den italienischen Rollerbauern 1977 ein Klassiker, der, bis heute als PX 200 produziert, noch immer als Vehikel junggebliebener Mobilität gilt.

O-Ton MOTORRAD-Langstreckentest 1982: »Wer sich einmal an die rollertypischen Eigenschaften gewöhnt hat, traut sich in den Kurven bisweilen ordentliche Schräglagen zu. Links streift dabei der dicke Gummi am Hauptständerfuß und mahnt so vor Schlimmerem. Rechts dagegen kratzt gelegentlich sogar das untere Kickstarter-Ende auf dem Asphalt, worauf das Rollerheck - o Schreck laß nach - ein Stück gen äußeren Kurvenrand gehebelt wird. Im Normalbetrieb wird diese Grenze freilich nicht erreicht.«
Die Vespa PX 200 überzeugte aber nicht nur als wendiges Stadtfahrzeug, sondern echte Rollerfreaks unternahmen mit ihr alles vom ausgedehnten Wochenendausflug bis zur mehrwöchigen Sommerreise mit dem sparsamen und problemlosen Fahrzeug. Noch heute verkörpert die seit 20 Jahren zweitaktende PX-Serie den Urtyp des zur Legende gereiften Motorrollers.
Corradino d´Ascanio, eigentlich von Profession Flugmotoren-Ingenieur, konstruierte 1946 mit der Ur-Vespa das preiswerte Zweirad für die italienische Nachkriegs-Generation. Wetter- und Schmutzschutz sowie Wartungsfreiheit hatten dabei oberste Priorität, ihre Verwandtschaft mit dem Flugzeugbau stand der fertigen Vespa ins Blechgesicht geschrieben: Die selbsttragende Karosserie, einseitig aufgehängte Räder und eine Luftkühlung des Motors mittels Gebläse hat sie bis heute beibehalten. Ihren Erfolg bestätigen sowohl unzählige Lizenzfertigungen rund um den Globus wie auch die Produktionszahlen. Als die ersten P 200 E der »Nuova Linea” genannten Modelle 1977 in Pontedera vom Band liefen, rollerten weltweit bereits sechs Millionen Vespa über die Straßen.
Die P 200 E löste im Herbst 1978 hierzulande den Vorgänger Rally 200 ab, besaß nun ein Reserverad und eine elektronischer Zündanlage. Der Federweg der gezogenen Kurzschwinge wuchs auf komfortablere 90 Millimeter, und es gab endlich ein abschließbares Gepäckfach. Gediegenere Rastung mit neuen Schaltzügen sollten die Bedienung der Viergang-Drehgriffschaltung am linken Lenkerende erleichtern, auch Form und Lagerung des Fußbremshebels gerieten ergonomischer. Aus versicherungstechnischen Gründen wurde die P 200 E in Deutschland mit geänderten Steuerzeiten von zwölf auf zehn PS gedrosselt, gut für immerhin 100 km/h Spitzengeschwindigkeit.
Die erste Modellreihe, erkennbar am Zündschloß in der Scheinwerfer-Abdeckung, wurde später nur geringfügige modifiziert: Ab Fahrgestellnummer VSX 1T 112652 erhielt die Lenksäule einen größeren Durchmesser von nun 36,5 Millimeter, fast gleichzeitig wuchs die Vorderradachse um vier auf 20 Millimeter Durchmesser. Motoren- und Seitenhaubenklau gehörten seit 1982 der Vergangenheit an, als die Backenverriegelung unter die abschließbare Sitzbank wanderte.
Diese Standard-Serie lief in Italien erst 1985 aus, unter dem Namen Arcobaleno war dort bereits 1983 eine komplett überarbeitete Linie der PX-Modelle gestartet, die aber erst ein Jahr später als Lusso-Reihe nach Deutschland kam. Wichtigste Änderung: die längst überfällige Umstellung auf Getrennschmierung.
Den stets rubbelnden Trommelbremsen versuchten die Ingenieure mit schwimmend gelagerten Bremsnocken und jetzt per Stellschraube zu justierenden Seilzügen abzuhelfen. Ein kombiniertes Zünd/Lenkschloß samt neuem Tacho mit Benzinanzeige erleichterten den Rolleralltag. Für Kickmüde gab es sogar die »Elestart« mit Elektrostarter, die eine Neun-AH-Batterie, im Ersatzrad unter der linken Backe versteckt, speiste. Sämtliche Bowdenzüge wurden ab 1985 servicefreundlich teflonbeschichtet. Im gleichen Jahr erfreute der Augsburger Importeur auch sportlich orientierte Vespisti mit der zwölf PS starken GS-Version, die bis heute angeboten wird.
Beim MOTORRAD-Langstreckentest 1982 mußte die P 200 E über 12500 Kilometer ihre Qualitäten unter Beweis stellen. Während dieser Distanz fiel zweimal die Zündbox durch ein abvibriertes Kabel aus, außer einem defekten Kolbenring und dem verschlissenen Schaltkreuz war nichts zu bemängeln. Letzteres streikt aber nur, wenn die beiden Schaltzüge nicht exakt eingestellt sind - dann springen der dritte und vierte Gang raus.
Ab 1983 hatte Piaggio ein Einsehen und setzte flacheres Schaltkreuz, eine geänderte Hauptwelle und verstärkte Getriebezahnräder ein. Rostfraß am Fahrgestell ist verbreitet, eingelaufene Nadellager am Vorderrad sind ebenfalls keine Seltenheit. Rupfende Kupplungen inzwischen schon, da die PX 200 seit Ende 1993 die verstärkte Dreischeiben-Kupplung des Modells Cosa erhielt. Wenn die Lampen in schöner Regelmäßigkeit durchbrennen, ist ein defekter Spannungsregler schuld; wollen die Blinker nicht mehr, liegt es oft an den Massekontakten der Haubenverschlüsse oder Backendorne.
Da der Zubehörmarkt einiges an Tuningteilen bietet, werden dem Gebrauchtkäufer oft stark modifizierte PX 200 angeboten. Vorsicht ist angebracht, da vieles nicht zugelassen oder wenig laienhaft ausgeführt ist. Wer selbst aktiv werden und seine Vespa auf sportlich trimmen will, kann defekte Stoßdämpfer durch Gasdruckdämpfer von Bitubo ersetzen (mit Festigkeitsgutachten bei alpha-technik, Telefon 08036/4545), für seriöses Motortuning eignet sich der nikasilbeschichtete 210-cm³-Leichtmetallzylinder samt Kolben von Malossi am ehesten (mit TÜV-Gutachten bei Scooter Center Köln, Telefon 02238/945161, oder Rollerzentrale München, Telefon 089/ 502 88 43).
Handwerklich begabte Naturen können ihre Vespa selbst warten, Bücher für Selbstschrauber sind im Handel (Vespa Motorroller, Editions Schneider Text, ISBN 2-911870-00-X, 29, 80 Mark, oder die
Reparaturanleitung Vespa PX/Cosa, Bucheli-Verlag, ISBN 3-7168-1804-6, 42 Mark).
Die Auswahl an gebrauchten P(X) 200 ist enorm, in Deutschland sind rund 26 000 Exemplare zugelassen. Ab etwa 1500 Mark ist eine halbwegs ordentliche PX 200 mit Gemischschmierung, ab etwa 2000 Mark eine gut erhaltene Lusso zu ergattern. Und wer sich in Italien eine schnurrende Wespe zugelegt hat, kann sich für die deutsche Zulassung an Import-Spezialist Stefan Huber wenden (Telefon 08102/783564).

Unsere Highlights

Lesererfahrungen

MOTORRAD-Leser benützen ihre PX 200 E oft häufiger als ihr Motorrad, schrauben meist selbst und ärgern sich nur über häufig reißende Bowdenzüge.

Meine Frau und ich besitzen je eine Vespa PX 200 mit 24000 und 5000 Kilometern. Zuvor hatten wir uns eine solche Vespa geteilt und mit zirka 30 000 Kilometern und geringem Wertverlust wieder verkauft. Noch keine hat eine Werkstatt von innen gesehen. Ärgerlich ist der Verbrauch des kleinen Motors von 5,5 Litern auf 100 Kilometer). Dafür lassen die 201 Kilogramm Zuladung der PX sogar unsere Honda Seven-Fifty neidisch werden.Thomas Mayer, OldenburgMeine PX 200 Lusso wurde 1990 neu gekauft und ist vor drei Wochen bei Kilometerstand 69 596 zum ersten Mal unterwegs stehengeblieben (Kerzenelektrode nach 35000 Kilometern total abgebrannt). Bei Tachostand 20000 war ein neuer Auspuff fällig (restlos verkokt, seitdem bekommt sie Castrol greentec). Nach 10000 Kilometern spendierte ich ihr einen Cosa-Hauptscheinwerfer, die Bremsen wurden je einmal belegt und ziehen wie am ersten Tag - nämlich gar nicht. Die Lusso ist das zuverlässigste und unkomplizierteste Fahrzeug, das ich kenne - und springt nie auf den ersten, aber immer auf den zweiten Tritt an. Michael Wickenhäuser, Diersburg Für den Gespannbetrieb muß das Übersetzungsverhältnis der PX 200 GS geändert werden. Es gibt die Möglichkeit, nur den kürzeren vierten Gang der Vespa T 5 einzubauen oder den Primärantrieb zu ändern. Ich habe das Primärrad mit 65 Zähnen gegen das der PX 80 mit 68 Zähnen ausgetauscht und kann so wahlweise Kupplungsräder mit 20, 21 oder 22 Zähnen benutzen. Seit 13000 Kilometern fahre ich nun schon die Cosa-Kupplung mit 20 Zähnen auf dem 68er Primärrad.Herbert Gilch, Schauenburg 100-Mark-TipGleich nach dem Kauf meiner PX 200 GS im Mai 1996 habe ich mir eine Tourenscheibe angeschafft. Um die Bowdenzüge schmieren zu können, muß man die Spiegelausleger demontieren, und die lassen sich nur nach Abbau der Scheibe entfernen. Mein Tip: Spiegel mit Auslegern aus dem Handel von unten am Lenkkopf befestigen (Innengewinde sind vorhanden) und die Abdeckung einer älteren PX ohne integrierte Spiegelausleger verwenden — die läßt sich nach Lösen von vier Schrauben entfernen. Werner Kientz, Esslingen Von 1982 bis 1996 fuhr ich mit der Vespa 167 820 Kilometer, davon zirka 90000 mit zwei Personen und Gepäck. Nach 14 Wintern trennte uns der Rost. Das Konstruktionsprinzip ist genial einfach, nur die Verarbeitung läßt zu wünschen übrig und zwang zu vielen kleinen Reparaturen.Trotzdem kaufte ich mir zwei neue: eine zum Fahren und eine, um in Zukunft unter den Plastikrollern aufzufallen.Reinhold Stößel, Starnberg

Technische Daten - Vespa PX 200 E

Stärken Robuster, elastischer MotorPflegeleichte KonstruktionRiesige Auswahl an Zubehör- und Tuning-TeilenSchwächen Antiquierte HandschaltungSchwache BremsenMageres LichtTechnische Daten MotorGebläsegekühlter Einzylinder-Zweitakter mit Drehschieber-Einlaßsteuerung, Hubraum 198 cm3, 10 PS (7 kW) bei 5000/min, Gemischschmierung 1: 50 (Lusso: Getrenntschmierung), Kickstarter (Lusso Elestart: E-und Kickstarter), ein Dellorto-Vergaser, Durchlaß 24 mm, kontaktlose Zündung, Mehrscheibenkupplung, Vierganggetriebe mit Drehgriffschaltung, Direktantrieb.FahrwerkSelbsttragende Stahlblechkarosserie in Schalenbauweise, gezogene Einarm-Kurzschwinge vorn, Triebsatzschwinge hinten, jeweils ein hydraulisches Federbein vorn und hinten, zwei Trommelbremsen.Maße und GewichteLenkkopfwinkel 65 GradNachlauf 76 mmRadstand 1240 mmSitzhöhe 810 mmLenkerbreite 700 mmTankinhalt/Reserve 8/2,1 LiterÖltank (Lusso-Version) 1,5 Liter/ 0,45 ReserveGewicht vollgetankt 109/114 kg (Lusso Elestart)Zul. Gesamtgewicht 290 kgTestwerteHöchstgeschwindigkeitSolo/mit Sozius 92/84 km/hBeschleunigung 0 - 80 km/h 4,1sVerbrauch 4,7 LiterKraftstoff NormalErsatzteil-PreiseKupplungshebel 12 MarkKupplungszug 28 MarkTachometer 148 MarkGabel komplett 208 MarkVorderrad-Felge 60 MarkAuspuff komplett 68 MarkRahmen komplett 1410 MarkKupplung komplett 255 MarkKupplungsscheibe 7 MarkFederbein hinten 92 MarkSteuerrohr 242 Mark Test in MotorradLangstreckentest 11/1982Vergleichstest 15/1992Reifen3.50 -10 3.50 - 10ohne Markenbindung(Empfehlung: Michelin S 1 oder Michelin Dexter)für Neun-kW-Modelle Reinforced-Reifen (Empfehlung: Metzeler ME 1 oder Heidenau K 38)ModellpflegeP 200 E1977 ab VSX 1T 1 101Modellstart in Italien, noch ohne Blinker1978Einführung der P 200 E in Deutschland im Herbst mit Blinkern, kontaktloser Zündung und 5,5 Ah-Batterie, Gemischschmierung 1: 501982 ab VSX 1T 112 625 verstärkte Gabel mit 20 mm Achsdurchmesser am Vorderrad, neue Lagerung und Abdichtungab VSX 1T 111922 geänderte BackenverriegelungPX 200 E1983 ab VSX 1T 300 001 Lusso-Version in Deutschland mit Getrenntschmierung1984 ab VSX 1T 3000 001 Lusso Elestart (E-Starter) in Deutschlandab VSX 1T 315 267Getriebe mit breiteren Zahnflanken , flachem Schaltkreuz, neuer Getriebehauptwelle, Bremsen mit schwimmend gelagerten Bremsnocken, Nachstellmöglichkeit mittels Rändelmutter am Bowdenzugende1985 mit VSX 1T 195574 läuft Standard-Modellreihe in Italien aus ab VSX1 T 3003 760GS-Version in Deutschland mit 9 kW/12 PS bei 5700 U/min1996Kupplung der Cosa jetzt mit 3 statt vorher 2 Reibscheiben, anstatt 7 nun 8 FedernSchwacke-Gebrauchtpreise1978 - 1991: 1500 bis 2400 Mark1992:(48 300 km) 2750 Mark1993:(39 900 km) 3000 Mark1994:(31 500 km) 3350 Mark1995:(23 100 km) 3650 Mark1996:(14 700 km) 4100 Mark1 Tests können bei Verlag bestellt werden, Telefon siehe Kasten auf Seite ??

Blech-Alternativen

Kleinere PX-Modelle und die indische LML-Vespa als Varianten

Äußerlich sind die PX 125/150 kaum von der 200er zu unterscheiden. Bis zum Start der SKR-Modelle 1993 war die 125er Italiens meistverkaufter Roller. Sie wird auch heute noch hierzulande angeboten, während die 150er 1992 aus dem Programm verschwand. Ab 1985 gab es die T 5 als 125er Sportausführung mit zwölf PS und rechteckigem Scheinwerfer. Auch für 16jährige sind ältere PX 125 interessant, ein Drosselauspuff auf 80 km/h mit TÜV-Gutachten kostet 199 Mark etwa bei SIP Scootershop, Telefon 08191/942303.

LML steht für die indische Firma Lohia Machines Ltd. Seit 1985 lief in Kanpur die PX 150 E in Großserie vom Band. Mehrheitsbesitzer Piaggio läßt dort auch einen Großteil der PX-Teile für den europäischen Markt herstellen. Die Firma RWN aus Penzberg importiert die indischen Vespa. Da der Neupreis einer LML-Vespa deutlich unter dem einer italienischen liegt, sind Gebrauchte aus Indien auch preiswerter. Allerdings konsumiert der mit leichterem Lüfterrad spontaner ansprechende Motor noch immer Gemisch 1:50.

Die aktuelle Ausgabe
MOTORRAD 12 / 2023

Erscheinungsdatum 26.05.2023