Gefahren bei Gruppenfahrten und Motorrad-Demos
Ärger um Schadenersatz

Gruppenausfahrten unter Motorradfahrern gibt es häufig. Und oft ist es Ehrensache, bei Demos gegen Streckensperrungen Flagge zu zeigen. Beides kann für böse Überraschungen sorgen.

Motorrad-Demo, Fahren in der Gruppe
Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa
In diesem Artikel:
  • Auffahrunfall während Motorrad-Demo
  • Urteil Amtsgericht Hannover
  • Motorradfahren in der Gruppe
  • Urteil Oberlandesgericht Frankfurt

Am ersten Julisonntag 2021 trieb es Tausende Motorradfahrer aus Sorge vor Fahrverboten zu Demos auf die Straße. Ein zweiter Aktionstag mit Protestzügen gegen Streckensperrungen folgt am 1. August. Bereits am 4. Juli vorigen Jahres gingen ebenfalls Zehntausende Motorradfahrer in den deutschen Metropolen auf die Straße, um ein Zeichen des Protests gegen Lärmfahrverbote zu setzen. So auch Richard Harms (53), der sich mit 1.600 Gleichgesinnten aus Hannover und dem Umland der niedersächsischen Landeshauptstadt zum Demonstrationszug von einem Parkplatz auf dem Messegelände bis zum Georgplatz am Südende der hannoverischen Innenstadt aufmacht. Das Ganze mit Genehmigung der Polizeidirektion Hannover und unter strengen Auflagen wie etwa "Die Fahrgeschwindigkeit der Versammlungsteilnehmer hat sich nach der des vorausfahrenden Einsatzfahrzeugs der Polizei zu richten" und "Die Fahrzeugkette muss geschlossen bleiben. Willkürliches und nicht mit der polizeilichen Einsatzleitung abgesprochenes Anhalten wird untersagt".

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Auffahrunfall während Motorrad-Demo

Als der Tross an jenem Samstag im Juli von der Polizei eskortiert in Schleichfahrt über den Messeschnellweg rollt, passiert es dann: Der Fahrer einer Suzuki VL 1500 hinter Richard Harms auf seiner Harley-Davidson Road Glide ist für einen Augenblick von den auf einer Brücke winkenden Passanten abgelenkt und es kommt zum Auffahrunfall. Harms stürzt und noch am selben Tag wird er wegen eines gebrochenen Sprunggelenks im Krankenhaus operiert. Der Schaden an seiner Road Glide summiert sich auf über 10.500 Euro, wie ein Gutachter später feststellt. Doch da geht der Ärger erst richtig los. Obwohl die Sachlage laut Unfallaufnahmebericht der Polizei völlig klar ist – Harms trifft keine Schuld am Unfall, der Suzuki-Fahrer ist klipp und klar der Verursacher –, verweigert die Debeka-Versicherung den Schadenersatz. Unfallopfer Harms schaltet daraufhin den Anwalt Rolf Deichmann aus Hannover ein. In einer geradezu haarsträubenden Begründung der Debeka an Deichmann heißt es unter anderem zu der Weigerung, für den Schaden geradezustehen: dass die Demonstration "nur unter Verstoß gegen eine Vielzahl von Vorschriften der StVO (Abstandsregeln, Rechtsfahrgebot, Geschwindigkeitsverstöße usw.) mit bis zu 1.600 Teilnehmern überhaupt stattfinden konnte". Dies sei den Teilnehmern der Demonstration vorher bewusst gewesen und sie hätten auch einvernehmlich und gemeinsam gegen die Regeln der StVO verstoßen. "Sämtliche Teilnehmer der Demonstration nahmen daher billigend in Kauf, dass entweder sie selbst oder der vor ihnen oder hinter ihnen fahrende Motorradfahrer bei einer Unfallsituation oder sonstigen Störung im Ablauf der Demo nicht ausreichend bremsen konnte und es mithin zur Schädigung der anderen Teilnehmer der Demo kommen konnte", so die Debeka. Ziel der ganzen kruden Argumentationskette ist indes, auf ein Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt aus dem Jahr 2015 zu lenken, das in einem Fall des Motorradfahrens im Pulk einen Haftungsausschluss bestätigte.

Klage auf Schadenersatz

Dazu Rechtsanwalt Rolf Deichmann: "Hier wurden Äpfel mit Birnen verglichen." Deshalb rät er seinem Mandaten im Herbst 2020, die Debeka auf Schadenersatz zu verklagen. Während bei der Demo auf abgesperrtem Gelände mit wenig mehr als Schrittgeschwindigkeit um die 30 km/h und mit Polizeigeleit gefahren wurde, bezieht sich das Frankfurter Urteil auf einen Unfall, der sich beim freien Fahren auf der Landstraße ereignete. Schon der Laie kann erkennen, dass sich hieraus ganz andere Gefährdungspotenziale ergeben als bei langsamer Kolonnenfahrt. Doch wie heißt es: Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand.

Urteil Amtsgericht Hannover

Für Harley-Fahrer Harms ist die Sache vorerst gut ausgegangen: Schon bei der ersten mündlichen Verhandlung am 3. Juni stellte die Richterin am Amtsgericht Hannover klar, dass die Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Frankfurt in seinem Fall keine Anwendung finde. Dieses hatte – wie erwähnt – stillschweigenden Haftungsausschluss angenommen, wenn Motorradfahrer im Pulk fahren. Harms Klage gegen die Debeka wurde mit Urteil vom 8. Juli in vollem Umfang stattgegeben. Offen ist jedoch noch, ob diese in Berufung geht. Für Biker, die an angemeldeten und genehmigten Demos teilnehmen, ist jedenfalls insoweit erst einmal Rechtssicherheit geschaffen, als dass das Amtsgericht Hannover in solchen Fällen keinen Haftungsausschluss sieht.

Motorradfahren in der Gruppe

Damit ist aber die Kuh nicht vom Eis, was das Fahren in der Gruppe anbelangt. Das macht Spaß und gute Laune, vorausgesetzt, der Ausflug verläuft ohne Unfall. Denn die versicherungstechnischen Gefahren bei dieser Art der gemeinschaftlichen Fortbewegung sind nicht zu unterschätzen. Wenn ein vorausfahrender Biker verunglückt und der Rest der Truppe nicht rechtzeitig bremsen kann, droht eine Massenkarambolage. Und dann ist es schnell mit der Fahrfreude, dem gemeinsamen Erleben und machmal auch der Freundschaft vorbei.

Urteil Oberlandesgericht Frankfurt

Genau so verhielt es sich in jenem Fall, über den das Oberlandesgericht Frankfurt zu entscheiden hatte – das Urteil, welches die Versicherung bei Harley-Fahrer Harms bemühte, um sich vor Schadenersatz zu drücken.

Doch die Sache lag völlig anders. Eine Gruppe von vier Bikern war unterwegs, als der Vorausfahrende und spätere Kläger in einer Kurve mit einem Auto zusammenprallte. In der Folge stürzten zwei weitere Fahrer. Für das Gericht war entscheidend, dass die vier Motorradfreunde – laut Sachverständigengutachten – mit einem Abstand von fünf Metern in der Gruppe dicht beieinander fuhren. Was bei einer Geschwindigkeit von 60 km/h ein eindeutig zur geringer Sicherheitsabstand war. Da die Gruppe bis zum Unfall einvernehmlich in wechselnder Reihenfolge fuhr, schlossen die Frankfurter Richter daraus, dass alle mit einem zu geringen Sicherheitsabstand einverstanden waren – was am Ende als stillschweigender Haftungsausschluss gewertet wird.

Aber Hand aufs Herz, wer schert sich bei einer Ausfahrt mit den Kumpels schon um den vorgeschriebenen Abstand? Nur zur Erinnerung: Laut Straßenverkehrsordnung sind bei Überlandfahrten zwei Sekunden oder der halbe Tachowert an Sicherheitsabstand gefordert, was bei 100 km/h nach einer Lücke von mindestens 50 Metern verlangt.

Fahrende Gesellschaft mit beschränkter Haftung?

Motorradfahren in der Gruppe
Markus Jahn
Fahren in der Gruppe macht Spaß, birgt aber Risiken und Nebenwirkungen, die die gute Laune dämpfen können.

Frank Langenbacher, Rechtsanwalt in Schramberg, zu den manchmal verzwickten Haftungsfragen beim Motorradfahren in Gruppen. Der Suzuki V-Strom 1000-Fahrer aus dem Schwarzwald gibt Tipps, wie Haftungsfallen erkannt und vermieden werden können.

Kürzlich verabschiedete sich ein Mandant von mir mit den Worten: "Wir können jetzt endlich wieder eine Motorradtour machen. Bald geht’s los. Wir fahren mit zwölf Motorrädern nach Südtirol. Ich organisiere alles, suche die Strecke aus, buche die Hotels und kümmere mich um die Verpflegung bei den Boxenstopps." Gut gemeint, aber auch gut gemacht? Dem begeisterten Biker war – wie wahrscheinlich vielen – kaum bewusst, dass er somit als Veranstalter beziehungsweise Organisator der Reise gilt. Und der hat dafür geradezustehen, wenn irgendetwas auf der Tour schiefläuft. Speziell unter Motorradfreunden kann man sich natürlich darauf verständigen, dass jeder für sich selbst verantwortlich ist und man auf eigenes Risiko mitfährt, was eigentlich auf der Hand liegt. Doch die Tücke dabei ist: Polizei, Staatsanwaltschaft und insbesondere Versicherungen können dies im Schadenfall völlig anders sehen.

Als Reiseveranstalter gilt, wer für mindestens zwei Leistungen wie geführte Tour, Routenplanung, Hotelbuchung oder Reservierungen in Gaststätten die Verantwortung übernimmt – erst recht, wenn alles im Paket organisiert ist. Dies wiederum bedarf aber nicht der Schriftform. Eine mündliche Vereinbarung reicht aus, was freilich im Streitfall zu Beweisnot führt. Der Veranstalter ist verpflichtet, die Reise so durchzuführen, wie sie zugesichert war, und dass sie reibungslos verläuft – es sei denn, höhere Gewalt ist im Spiel. Der "Organisator" ist qua Definition eine Person, die – etwa eine Ausfahrt – verantwortlich ausrichtet. Grundsätzlich ist er in der gleichen Haftung wie ein Veranstalter. Im Klartext: Wer etwas Konkretes verspricht, muss dafür geradestehen, auch wenn ihn keine Schuld trifft. Und wie sieht es aus, wenn die Tour von einem Verein organisiert wird? Noch komplizierter, denn der Vereinsvorstand hat eine eigene gesetzlich verankerte Haftung. Der Verein selbst ist aber ebenfalls für den Schaden verantwortlich, wenn der Vorstand, ein Vorstandsmitglied oder ein anderer satzungsgemäß berufener Vereinsvertreter Mist gebaut hat, der zu Schadenersatzanspruch gegenüber Dritten führen kann.

Neben der Haftung, die sich aus den entsprechenden gesetzlichen Regelungen für Veranstalter und Organisatoren ergibt, kann diesen unter Umständen darüber hinaus eine sogenannte deliktische Haftung aufgebürdet werden. Was das ist? Laut § 823 BGB ist, "wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, … das Eigentum … eines Anderen widerrechtlich verletzt, dem Anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet". Auf Unfälle im Straßenverkehr bezogen, ist im Normalfall die Kfz-Haftpflichtversicherung dafür zuständig. Nicht so, wenn der Veranstalter oder Organisator rechtlich bedeutsame und ihm zumutbare Pflichten wie etwa Sicherheitsvorkehrungen vernachlässigt hat. Dazu zählen persönliche Dinge der Tour-Teilnehmer wie etwa Fahrtauglichkeit, Führerscheinbesitz und ausreichende Fahrpraxis ebenso wie fahrzeugbezogene Komponenten, zum Beispiel, wenn eine Maschine abgefahrene Reifen hat. Aber auch aus zu schwierigen Strecken, zu langen Etappen oder Missachtung der Wetter- und Straßenverhältnisse, beispielsweise ein verschneiter Pass, lässt sich im Fall des Falles deliktische Haftung ableiten.

Das Haftungsrisiko fährt also immer mit, auch wenn es sich lediglich um einen Tagesausflug mit den Kumpels handelt. So wie im Lauftext oben geschildert, als die vier Kumpels zusammen losfuhren. Der Vorausfahrende kollidiert mit einem entgegenkommenden Auto. Sein Sturz löst eine Kettenreaktion aus, zwei weitere Fahrer aus der Gruppe stürzen. Ein Sachverständiger wertete das Ganze später als "Fahren im Pulk". Der Streit um den Schadenersatz landete vor Gericht. Das Oberlandesgericht Frankfurt entschied am 18. Mai 2015 (AZ 22 U 29/14): Wenn Motorradfahrer einvernehmlich auf der Landstraße in wechselnder Reihenfolge als Gruppe ohne Einhaltung des Sicherheitsabstands fahren, führt dies zu einem Haftungsausschluss. Sie hätten das besondere Risiko billigend in Kauf genommen, was einem stillschweigenden Verzicht auf Schadenersatzansprüche gleichkomme.

Als Gruppe werden übrigens bereits mehr als zwei Motorradfahrer eingeschätzt, die auf Tour gehen. Die Klippen und Untiefen der Haftungsproblematik können aber durchaus umschifft werden. Wer auch immer die Idee hat, eine größere Ausfahrt zu machen, darf auf keinen Fall den "Chef" geben, also zwangsläufig als Veranstalter oder Organi- sator ausgemacht werden. Lediglich eine Strecke oder ein Hotel vorschlagen, nicht fest reservieren, alle Entscheidungen sollten gemeinsam getroffen werden. Sämtliche Aufgaben wie Tourenplanung, Buchungen, Kassenführung und dergleichen auf die einzelnen Mitglieder der Biker-Truppe verteilen. Sollte sich bedauerlicherweise während der Ausfahrt ein Unfall ereignen, an dem Teilnehmer beteiligt sind, ist Vorsicht in der Kommunikation mit der Polizei, sonstigen Ermittlungsbehörden und Versicherungen geboten. Vor Ort sich nicht aktuell zur Sache äußern, lediglich die Personalien angeben. Empfehlenswert ist auf jeden Fall, danach anwaltlichen Rat einzuholen.

Tipp zum Schluss: Sind größere gemeinsame Motorradreisen geplant, lohnt es sich, Versicherungsschutz anzufragen. Einige Gesellschaften bieten für überschaubares Geld sogenannte Veranstalterhaftpflichtversicherungen an.

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Erscheinungsdatum 26.05.2023