- Was Recht und Gesetz ist
- Fokus auf Bremse vorn
- Hondas Sport-ABS
- Mehr Schräglage durch Bremsen
- Cruiser bremsen anders
- Profis bremsen hinten
- Fazit
Natürlich bin ich schuldig. Vielleicht wir alle. Egal welches Motorrad, die Bremse am Vorderrad steht im Fokus. Scheibendurchmesser, Bauweise und Montage der Bremszangen, Funktionen der Bremspumpe, all das wird maximal beleuchtet. Im besten Falle in einem Nebensatz erfährt die Bremse am Hinterrad Aufmerksamkeit, im schlechtesten Fall bekommt sie das Prädikat "bremst so mit."
Was Recht und Gesetz ist
In Paragraph 41 der Straßenverkehrzulassungsordnung (StVZo) ist klar aufgeführt: Kraftfahrzeuge müssen zwei voneinander unabhängig wirkende Bremsanlage haben. Verbundbremsen sind erlaubt, wenn sie auf unterschiedliche Weise betätigt werden können. Seit 1926 ist das so und zeigt klar: Es gibt einen rechtlichen Grund, eine Bremse am Vorderrad und Hinterrad zu haben. Im Notfall soll das Fahrzeug kontrolliert gebremst werden können.
Fokus auf Bremse vorn
Unabhängig vom Gesetz ist der allgemeine Fokus auf die Bremse vorn geprägt von der Physik: Beim Bremsen wandert durch die Trägheit der Masse das Gewicht nach vorn. Diese dynamische Radlastverteilung erlaubt die Übertragung höherer Bremskräfte über das Vorder- als über das Hinterrad, weshalb es sinnvoll ist, vorn eine leistungsstärkere Bremsanlage zu installieren. Verständlich ist daher die Konzentration auf die Leistung der vorderen Bremse und deren Bedienung mit raffinierten Bremspumpen zum Dosieren des Bremsdrucks. Hinten blockiert das Rad hingegen sehr früh oder das ABS regelt früh, weil das entlastete Rad nicht genug Bremskraft übertragen kann. Der kleinere Scheibendurchmesser hinten und die geringere Bremsbelagfläche stellen die Hinterradbremse aber optisch ins Abseits. Brauchen wir die Bremse hinten trotzdem? Ja, unbedingt.
Hondas Sport-ABS
Zum Modelljahr 2009 hat Honda die Supersport-Modelle CBR 600 RR (PC 40) und die Fireblade (SC 59) mit dem sogenannten Combined-ABS angeboten, einem integralen System, das je nach Fahrsituation beide Bremsen unterschiedlich stark aktiviert hat. Dieses System gab der Hinterradbremse neue Bedeutung. Selbst wenn der Fahrer nur per Handhebel die Vorderradbremse betätigte, baute die Steuerelektronik des Combined-ABS zuerst an der Hinterradbremse Druck auf. Der Effekt: Das Heck sackte leicht ein, verzögerte um Sekundenbruchteile die Lastverteilung nach vorn und stabilisierte so das Motorrad beim Bremsen. Selbst die hochmodernen Schräglagen-Systeme arbeiten so.
Mehr Schräglage durch Bremsen
Nicht nur fürs Verzögern ist die Hinterradbremse sinnvoll, sondern auch fürs Lenken. Wer in Kurven den Kurs nach innen korrigieren will, kann dabei sehr effizient die Hinterradbremse einsetzen. Durch das Abbremsen des schweren Hinterrads reduzieren sich die stabilisierenden Kreiselmomente, ohne dass, wie beim Bremsen in Schräglage mit der Vorderradbremse, ein aufrichtendes Lenkmoment erzeugt wird.
Cruiser bremsen anders
Jetzt kommt der große Moment der Cruiser. Denn aktuelle Indian und Harley-Modelle haben meist gleichgroße Bremsscheiben und gleiche Bremszangen vorn und hinten, vorn aber meist in doppelter Ausführung. Das liegt entgegen aller Klischees nicht an fehlender Fahrdynamik, sondern an der speziellen Bauart. Cruiser sind von Haus aus schwer, tragen viel Gewicht im Heck und haben einen niedrigen Schwerpunkt. Der Hinterreifen kann daher viel mehr Bremskraft übertragen als bei einem Naked Bike oder Sportler. Hinzu kommt durch lange Radstände, flache Lenkkopfwinkel und langen Nachlauf, dass das Vorderrad deutlich weniger Last durch die dynamische Radlastverteilung bekommt und so weniger Bremskraft übertragen kann. Eine große Bremse hinten macht bei Cruisern also Sinn.
Profis bremsen hinten
Jüngst hat die MotoGP ein interessantes Video gezeigt, in dem Jorge Martin von Pramac erklärt, wie und wie oft der die vermeintlich sinnlose Hinterradbremse nutzt. Spoiler: Sehr oft. Ob als Daumenbremse oder Fußbremse ausgeführt. Für das Anbremsen einer Kurve und das Korrigieren der Linie ist die Bremse dauerhaft im Einsatz. In der MotoGP nutzen die Fahrer die Hinterradbremse beim Beschleunigen, mildern einen Wheelie oder bringen Ruhe ins Motorrad, wenn sie auf welligem Untergrund beschleunigen.
Fazit
Die Hinterradbremse ist viel wichtiger als viele von uns denken. Sie kann das Motorrad stabilisieren, hilft in Notsituation und ist wesentlicher Bestandteil moderner Fahrhilfen. Je nach Motorrad kann sie mehr oder weniger Bremskraft aufbauen, sinnlos ist sie in keinem Fall. Und wer schon einmal versucht hat beim Auto mit dem Kupplungsfuß zu bremsen, erkennt vielleicht wie feinfühlig der Bremsfuß arbeitet. Kein Grund ihn beim Motorrad unbeschäftigt zu lassen.