Der Abend hätte so schön werden können, denn in Pedros spanischem Lokal „La Guitarra“ war Flamenco angesagt. Doch die Tänzerin war irgendwie verhindert, also spielte Pedro alleine. Und ich lehnte wie ein spanischer Torero leicht melancholisch an der Bar und kam in Kontakt mit einer netten Kindergärtnerin namens Gesine, die mir erzählte, dass sie sich gerade ein Motorrad gekauft hat, weil sie erstens schon einige Jahre „29 plus“ sei und damit im besten Alter, in dem Frauen sich endlich ihren Traum „Kind oder Bike“ erfüllen müssen. Zweitens hätte sie zwar einen festen Typen, der sich aber nur für Fußball interessieren würde. Und drittens hätte sie Harleys schon immer toll gefunden. Im Lauf des Abends tranken wir noch mehr Rioja Rosé, fuhren gedanklich über die Route 66 und zu guter Letzt erzählte ich ihr sogar von Angel Delgadillos legendärem Friseursalon in Seligman, Arizona - der ersten Adresse unter allen Barbershops an der Route 66. Gesine war schwer beeindruckt.
Irgendwann später enterte sie mit flottem Beinschwung doch noch ihre Sporty, wuchtete sie vom Seitenständer, schaltete das Zündschloss auf „On“ und drückte den Anlasserkopf - aber der rappelige V2 wollte nicht anspringen: „Hab ich gleich, kenn ich doch. Dafür habe ich doch extra meinen Werkzeugkasten dabei,“ murmelte sie und kramte ihn aus Lederhandtasche. Als ich sah, was sie zeigte, fiel ich fast in Ohnmacht: Ein tatsächlich rosarotes Plastikköfferchen namens „Tussi on Tour“, in dessen Innern ein Horrorteil neben dem anderen auf seinen Schraubenkopf mordenden und Schrauberhände verletzenden Einsatz wartete.
Wir sogenannten „Fachleute“ sollten nicht lachen, aber wir können traurig sein. Denn was Gesine vor einiger Zeit in einem ostfriesischen Kaufladen als ernsthaften „Werkzeugkoffer mit 88 Teilen saubillig“ erstanden hat, treibt sich in vielen Motorradhobbywerkstätten als Basisausstattung für engagierte Schrauber herum: „Gab es mal als Supersonderpreisaktion im Baumarkt.“ Manchmal hört man auch: „Aus dem Internet, bei dem Preis musste ich einfach mitbieten.“ Das Zeug ist so schlecht, dass es sich noch nicht einmal lohnt, es einzuschmelzen. Der erfahrene Schrauber kann bei dem Anblick nur noch mit dem Kopf schütteln und verzweifelt rufen: „Nein, bitte kauf dir kein billiges Werkzeug! Mit schlechtem Werkzeug kann man keine gute Arbeit machen!“ Dazu diese kleine Horrorbilanz aus meinem Kuriositätenkabinett.
Schermer
Bild eins: Hier ist man verloren.
Schauen Sie sich nur einmal die zerfranste Bürste auf Bild eins an. 1a-Ware aus dem Baumarkt. Unterstes Regal. Und damit auch unterste Schublade. Noch nicht einmal ein paar Schrauben konnte man damit von Loctite-Resten befreien, und schon war die Bürste hin.
Schermer
Bild zwei: Sprengmeister am Werk.
Auf Bild zwei ist die Zwölfer-Nuss geplatzt. Einfach so, beim Lösen einer „etwas“ zu fest angezogenen Achter-Mutter. Zugegeben, ein wenig Rost war auch im Spiel, aber 50 Newtonmeter sollte eine solche Nuss schon aushalten, ohne mit lautem Knall zu zerspringen.
Schermer
Bild drei: Kopfsache - Werkzeug richtig einsetzen.
Aber: Auch wenn man kein schlechtes Werkzeug in der Werkstatt hat - man kann auch mit gutem Werkzeug scheitern, wenn man es laienhaft anwendet. Häufig zu beobachten: ein falsch eingesetzter Schlitz- oder Kreuzschlitzschraubendreher (Bild drei). Nur wenn die Spitze korrekt in den Kopf der Schraube passt, kann man diese auch öffnen bzw. ordentlich festziehen. Gerne werden die kleinen Elektrikerschraubendreher genommen, um alle möglichen Schlitzschrauben öffnen zu wollen, und immer lautet das Ergebnis: Schraube fest, Schlitz vermurkst, Klinge abgebrochen.
Schermer
Bild vier: Sechs - oder Zwölfkant? Die ewige Leier.
Es ist auch nicht möglich, mit einem normalen Gabelschlüssel einen Speichennippel zu drehen. Dafür gibt es extra Nippelschlüssel in Abstufungen von einem halben Millimeter Schlüsselweite. Wenn es gar nicht anders geht, nimmt man als Notbehelf zwei normale Gabelschlüssel, um den Nippel festzuziehen. Die Frage, ob Schraubenköpfe besser mit einem Sechs- oder Zwölfkantschlüssel gedreht werden sollen, ist schon höheres Schrauberlatein und wird auch an Pedros Bar ausführlich und kontrovers diskutiert: Dazu schauen wir uns mal Bild vier an, wo eine der heute üblichen Sechskantschrauben abgebildet ist. Sie hat angeschrägte Seiten und abgerundete Ecken, damit die Nüsse der am Montageband im Werk installierten Pressluftschrauber besser draufrutschen. Eine solche Schraube geht man in der heimischen Garage nicht mit einem Zwölfkant an. Es muss eine Präzisionssechskantnuss sein, auf keinen Fall aber ein Gabelschlüssel.
Schermer
Bild fünf: ein Bike, zig Schraubversionen.
Zum Haareraufen ist natürlich das Potpourri einer Verkleidungsverschraubung wie in Bild fünf zu sehen: Alle Schrauben und Schnappnieten, mit denen die Verkleidungsteile einer 2004er-Yamaha R6 befestigt sind oder zusammengehalten werden, haben keine einheitlichen Köpfe. Auch dafür braucht man Präzisionswerkzeug, das lässt sich nicht mit Elektrikerschraubendreher und Wasserpumpenzange beschrauben!
Viele der heutigen Maschinen, ganz speziell BMWs, haben Torx-Schrauben. Dafür muss ein anständiger Torx-Kasten her. Nicht erschrecken, wenn der Verkäufer bei dem empfehlenswerten Hazet-Kasten „109 Euro“ aufruft. Der Einsatz zahlt sich bei der gebotenen, nahezu unkaputtbaren Qualität locker aus.
In diesem Sinne wünschen wir frohes Schrauben in der neuen Motorradsaison. Gesine hat’s jetzt auch verstanden. Ihr rosa Tussikoffer liegt jetzt irgendwo im Straßengraben. Nicht gerade an der Route 66, aber vielleicht an der B 14. Wer ihn findet, mit nach Stuttgart bringt und beim nächsten Flamencoabend im „La Guitarra“ abgibt, bekommt von Wirt Pedro einen Osborne im vorgewärmten Glas serviert. Auf meine Kosten.