Neue Supersport-Motorräder 2015 im Technikvergleich - Teil 1
RSV4 RR, S 1000 RR, Panigale, H2, R1

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Mit R1, RSV4 RR, S 1000 RR, 1299 Panigale und H2 treten 2015 fünf neue Supersport-Motorräder an. Wer hätte das noch vor ein paar Jahren vorhergesagt? PS macht einen ersten Technikvergleich.

RSV4 RR, S 1000 RR, Panigale, H2, R1
Foto: Fotos: Hersteller

Totgesagte leben länger. Hoch lebe die Supersportlerklasse! Vorbei die Agonie, die uns vor ein paar Jahren noch befiel, als wir keine neue Yamaha YZF-R1, keine neue Suzuki GSX-R 1000 oder keine neue Honda Fireblade erleben durften. Im vergangenen Herbst haben uns die beiden großen Weltmessen ­INTERMOT und EICMA wieder Spaß gemacht. Zuerst kam BMW mit der komplett überarbeiteten S 1000 RR. Dann Ducati mit der wahnsinnigen 1299 Panigale! Kawasaki brachte die aufgeladene Ninja H2. Und schließlich folgten noch die komplett neu entwickelte Yamaha YZF-R1 und die umfänglich überarbeitete Aprilia RSV4 RR. 

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RSV4 RR, S 1000 RR, Panigale, H2, R1
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In dem ganzen Trubel ging fast ­unter, dass Honda eine waschechte MotoGP-Replika mit Straßenzulassung vorstellte, die RC 213 V-S. Deren Datenlage ist aber noch so geheimnisvoll, dass PS sie hier nicht in den ersten Technikvergleich aufnehmen kann. Nur so viel: Der V4-Motor soll deutlich über 200 PS leisten und sehr hoch drehen. Höher als alle andern 1000er. Da die Maschine nur auf Bestellung gebaut wird und sicher über 100.000 Euro kosten wird, schenken wir sie uns dieses Mal. Sorry. Dafür rücken wir den fünf anderen Neuheiten auf den Pelz, beziehungsweise in dieser Ausgabe von PS in die Zylinder. Denn hier wollen wir die Technik vergleichen, die die fünf Hersteller einsetzen, um in die 200-PS-Klasse aufzusteigen. Ja, richtig: Die Werksangaben lauten auf 200 PS oder sogar mehr. Ein Rätsel bleibt allerdings, warum BMW krampfhaft 199 PS angibt, aber locker 206 PS auf den Prüfstand schreit.

Komplette Leistungskur für Aprilia RSV4 RR

Doch beginnen wir mit A wie Aprilia. Die herrlich handlich zu fahrende RSV4 wurde für das Modelljahr 2015 deutlich leistungsgesteigert, und zwar in klassischer Tuningmanier. Der einzigartige und sehr kompakt bauende 65-Grad-V4 erhielt dazu neue Zylinderköpfe. Mit neuen Kanalformen, schärferen Steuerzeiten der Nockenwellen und einer höheren Verdichtung wurden 16 PS gewonnen. Aprilia gibt nun 201 PS bei 13.000/min an, also eine um 500 Umdrehungen gesteigerte Nenndrehzahl. Die Brennräume wurden feinbearbeitet, und die Ventile bestehen komplett aus Titan. Erleichtert wurden die Pleuel, die nun vom Edelhersteller ­Pankl stammen. Auch an der Kurbelwelle sparte Aprilia Gewicht, die Hubzapfen wurden sogar verkleinert. Frei nach dem Motto: je leichter, desto weniger Belastung. Im neu abgestimmten Luftfilterkasten arbeiten variable Saugrohre, die Auspuffanlage der Aprilia RSV4 RR wurde ebenfalls überarbeitet – eine komplette Leistungskur also.

BMW S 1000 RR mit mehr Drehmoment und Spitzenleistung

Über den Motor der BMW S 1000 RR lässt sich viel schreiben. Er ist schlicht der derzeit stärkste Supersport-Motor mit Straßenzulassung. Zumindest, solange wir nicht die vier neuen Konkurrenten gemessen haben. Wohl in Vorahnung dieser neuen Gegner setzte BMW eine kleine Leistungskur an, die nicht nur das Drehmoment über fast den gesamten Drehzahlbereich anhob, sondern auch die Spitzenleistung. Neue Kanalformen, verbesserte Steuerzeiten der Titanventile und viel Feinarbeit im Ansaug- und Abgastrakt ermöglichten diesen Schritt vorwärts. Die grundsätzliche Konstruktion des Reihenmotors mit sehr kurzem Hub, großen Kolben und den winzigen, aber drehzahlfesten Schlepphebeln im Zylinderkopf blieb erhalten. Yamaha hat da bei der R1 viel übernommen, aber davon später.

Ducati 1299 Panigale mit stärkstem V2-Motor

Jetzt geht es um Ducati. Um den sensationellen, weil stärksten V2-Motor, der jemals in einem Motorrad verbaut wurde. Sagenhafte 205 PS bei 10.500/min soll der tragend in der Panigale eingebaute 90-Grad-V2 leisten. Weltrekord! Und dazu sausen jetzt auch noch gigantische, 116 Millimeter dicke Kolben in den Zylindern auf und ab. Ebenfalls Weltrekord für einen Hochleistungsmotor. Hinzu kommt noch die einzigartige desmodromische Ventilsteuerung von Ducati, durch die die Ventile nicht mit Federn auf die Nockenbahnen gedrückt werden, sondern mit Schließerhebeln. So spart sich Ducati eine Menge Reibung in den Köpfen, weil nicht gegen Federn gearbeitet werden muss, sondern nur gegen die Massenträgheit des Ventils. Auf diese Art realisiert Ducati sehr hohe Ventilhübe und damit viel Freiraum für einströmendes Frischgas. Auch die Ducati 1299 Panigale trägt Titanventile, die natürlich für einen V2 riesig ausfallen müssen.

Kawasaki Ninja H2 mit aufwendigem Ladermotor

Kawasaki hat dieses Problem nicht. Zum einen handelt es sich bei dem Motor der H2 um einen klassischen Reihenvierzylinder mit entsprechend kleinen Brennräumen. Zum zweiten bläst Kawasaki den 1000er einfach mal auf. Sprich, ein mechanisch angetriebener Turbolader drückt die Luft in die Brennräume, was der Füllung und damit der Leistung zugute kommt. Dazu kann das Drehmoment über den ganzen Drehzahlbereich fast unendlich gesteigert werden, je nachdem, was der Motor rein mechanisch und thermisch verkraftet. Man darf also gespannt sein, was die Kawasaki Ninja H2 dann mal auf dem Prüfstand drückt. Die 200 PS, die Kawasaki angibt, sind natürlich nur die Basis für die Straßenzulassung, und sie fallen schon bei 11.000/min an. 300 PS sollen kein Problem sein, die offene Kawasaki Ninja H2R wurde bereits so eingepreist.

Wie aufwendig ein Ladermotor letztendlich ist, sei hier kurz angedeutet. Zum einen muss natürlich der Lader angetrieben werden, was Kawasaki mit Kette und einem Planetengetriebe macht. Zum anderen muss der gesamte Ansaugtrakt nach dem Lader den Überdruck aushalten und entsprechend ausgeführt werden. Auch ist die Luftführung zum Lader nicht ganz einfach. Bei der Kawasaki Ninja H2 sitzt er hinter der Zylinderbank, die Luft muss also von vorne hergeführt werden.

Thermisch hat es ein aufgeladener Motor nie leicht, weshalb zunächst die Verdichtung zurückgenommen wird. Die hohe Aufladung mit bis zu zwei bar wirkt nämlich wie eine höhere Verdichtung, weshalb die Klingelneigung zunimmt. Kawasaki geht auf 8,5:1 zurück, ein 1000er-Saugmotor wie jener der ZX-10R verdichtet hingegen mit 13:1. Um den hohen Drehmomenten Rechnung zu tragen, müssen Kolben – hier Gusskolben – Pleuel, Kurbelwelle und Getriebe entsprechend schwerer ausgelegt werden. Bei der Kawasaki Ninja H2 sieht man auch, dass das Motorgehäuse deutlich stabiler dimensioniert wurde. Technisch fällt die Kawa also aus dem Rahmen. Sie kann natürlich auch im Rennsport nur in Hobbyklassen eingesetzt werden, denn für Ladermotoren gibt es keine Meisterschaften. Dafür wird sie mit überlegener Leistung punkten.

Yamaha YZF-R1-Motor bietet alles, was gut und teuer ist

Klar in Richtung Motorsport zielt die neue Yamaha R1. Endlich, endlich zeigt Yamaha wieder Zähne und beißt der Konkurrenz in ..., ja wohin? Mal sehen. Beim Motor wurde jedenfalls weitgehend auf Experimente verzichtet. Er bietet dafür alles, was gut und teuer ist. Der Reihenvierzylinder, dessen Kurbelwelle den Hubzapfenversatz in der Yamaha-typischen Crossplane-Anordnung trägt, leistet 200 PS. Gute 200 PS, wie uns die Yamaha-Leute hinter vorgehaltener Hand schon steckten. Die Kurbelwelle dreht sich nicht wie bei der M1 von Rossi, Lorenzo & Co. rückwärts, sondern konventionell. Im Zylinderkopf finden sich auch keine Wunderteile, sondern ähnliche Schlepphebel unter den Nocken wie bei BMW. ­Dicke Einlasskanäle und Auspuffkrümmer zeugen von gutem Gasdurchsatz.

Das Geheimnis der Yamaha YZF-R1 liegt in den verwendeten Materialien. Titanventile und sogar Titanpleuel werden hier serienmäßig verbaut, eine teure Angelegenheit. Aber auch eine wirkungsvolle, denn die leichten Bauteile geben Drehzahlfestigkeit. Und die verlangt das angestrebte Leistungsniveau, das bei 200 PS erst einmal beginnt. More to follow! Die Pleuel übrigens sind die ersten gebrochenen Titanpleuel in Serie. Dabei werden die Pleuelfüße nach dem Schmieden nicht durchgesägt, um die beiden Lagerhälften zu bekommen, sondern gebrochen. Jedes Pleuel erhält so seine ganz persönliche Lagerhälfte, sie passen exakt zueinander. Noch zu erwähnen ist der mächtige Vorschalldämpfer der Yamaha R1, der zusammen mit dem Endschalldämpfer für viel Druck sorgen soll.

Wer wird nun Sieger 2015 im Supersportsegment? Die Yamaha YZF-R1 wirkt stark und wird auf dem Niveau der BMW S 1000 RR sein. Ducati ist immer für eine Überraschung gut, und die Kawasaki Ninja H2 trickst mit dem Lader alle aus. Aber vielleicht macht es auf der Renne wieder die Aprilia RSV4 RR. Deren Fahrwerk war bisher sensationell ausgewogen. Und darum geht es in der Folge zwei unseres Technik-Vergleichs der neuen Supersportler in der nächsten Ausgabe von PS (02/2015).

Daten BMW S 1000 RR

Antrieb: Vierzylinder-Reihenmotor, vier Ventile/Zylinder, über Schlepphebel betätigt, 146 kW (199 PS) bei 13.500/min*, 113 Nm bei 10.500/min*, 999 cm³, Bohrung/Hub: 80,0/49,7 mm, Verdichtung: 13:1, Zünd-/Einspritzanlage, 48-mm-Drosselklappen, variable Saugrohrlängen, mechanisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Sechsganggetriebe, Kette.

Plus:

  • Hervorragende Leistung, vielfach bewiesen. Jetzt noch stärker über fast den ganzen Drehzahlbereich
  • Gute Laufruhe, kerniger Klang
  • Saubere Motorabstimmung

Minus:

  • Kein besonderes Konzept, ähnlich der japanischen Standardbauweise     

*Herstellerangabe

Daten Aprilia RSV4 RR

Antrieb: Vierzylinder-65-Grad-V-Motor, vier Ventile/Zylinder, 148 kW (201 PS) bei 13.000/min*, 115 Nm bei 10.500/min*, 999,6 cm³, Bohrung/Hub: 78,0/52,3 mm, Verdichtung: 13,6:1, Zünd-/Einspritzanlage, 48-mm-Drosselklappen, variable Saugrohrlängen, mechanisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Sechsganggetriebe, Kette.

Plus:   

  • Sehr kompakte Bauweise für optimale Fahrwerksgeometrie und Sitzposition
  • Sehr eigenständiges, exklusives Konzept, das von keinem anderen Hersteller eingesetzt wird
  • Charakterstarker Klang

Minus:

  • Eher wenig verbreitete Marke mit weit verteiltem Händlernetz
  • Leistung war bisher nicht immer der Werksangabe entsprechend

*Herstellerangabe

Daten Ducati 1299 Panigale

Antrieb: Zweizylinder-90-Grad-V-Motor, tragend eingebaut, vier Ventile/Zylinder, desmodromisch gesteuert, 151 kW (205 PS) bei 10.500/min*, 145 Nm bei 8750/min*, 1285 cm³, Bohrung/Hub: 116,0/60,8 mm, Verdichtung: 12,6:1, Zünd-/Einspritzanlage, 67,5-mm-Drosselklappen, hydraulisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Sechsganggetriebe, Kette.

Plus:

  • Stärkster Zweizylinder aller Zeiten im Motorradbau mit den größten Kolben, die jemals verbaut wurden
  • Absolut einzigartiges Motorkonzept, mit großer Tradition im Rennsport
  • Sehr druckvoller Klang und bestialisches Ansprechen

Minus:

  • Die Desmodromik ist zwar selten zu kontrollieren, dann aber sehr teuer zu warten
  • Eher rumpeliger Motorlauf in niedrigen Drehzahlen 

*Herstellerangabe

Daten Kawasaki Ninja H2

Antrieb: Vierzylinder-Reihenmotor, vier Ventile/Zylinder, mechanisch angetriebener Radialverdichter, 147 kW (200 PS) bei 11.000/min*, 133,5 Nm bei 10.500/min*, 998 cm³, Bohrung/Hub: 76,0/55,0 mm, Verdichtung: 8,5:1, Zünd-/Einspritzanlage, 50-mm-Drosselklappen, mechanisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Sechsganggetriebe, Kette.

Plus   

  • Konkurrenzlos hohes Drehmoment in jeder Drehzahl
  • Hohe Spitzenleistung (bis 300 PS) möglich, für den Straßenbetrieb gedrosselt
  • Einzigartiges Konzept mit technischem Leckerbissen

Minus

  • Teure Bauweise, aufwendig
  • Eher erhöhter Verbrauch zu erwarten 

*Herstellerangabe

Daten Yamaha YZF-R1

Antrieb: Vierzylinder-Reihenmotor, vier Ventile/Zylinder, 147 kW (200 PS) bei 13.500/min*, 112,4 Nm bei 11.500/min*, 998 cm³, Bohrung/Hub: 79,0/50,9 mm, Verdichtung: 13:1, Zünd-/Einspritzanlage, mechanisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Sechsganggetriebe, Kette.

Plus:

  • Eigenständiges Konzept der Kurbelwelle für charaktervollen Sound
  • Neuentwicklung mit MotoGP-Genen
  • Sehr hochwertige Materialien, serienmäßig mit Titanpleueln

Minus:

  • Teure Bauteile 

*Herstellerangabe

Leistungskurven aus Werksangaben

PS
Nur ein erster Eindruck der Leistungskurven, aus den Werksangaben konstruiert: Aprilia, BMW und Yamaha werden sich nicht viel schenken. Der aufgeladene Motor der Kawasaki Ninja H2 wird mit einer satten Drehmomentkurve glänzen. Über allen anderen trohnt die Drehmomentwoge der Ducati.

Nur ein erster Eindruck aus den Werksangaben konstruiert, bisher gemessen wurde nur die neue BMW S 1000 RR: Die drei frei saugenden Tausender von Aprilia, BMW und Yamaha werden sich nicht viel schenken. Der aufgeladene Motor der Kawasaki Ninja H2 wird mit einer satten Drehmomentkurve glänzen und trotzdem bis 14000/min drehen. Über allen anderen trohnt die Drehmomentwoge der Ducati, der allerdings bei 11000/min die Luft ausgeht und elektronisch abgeregelt wird.

(BMW-Leistung an der Kurbelwelle, Messungen auf Dynojet-Rollenprüfstand 250, andere Leistungskurven aus Werksangaben konstruiert.)

Die aktuelle Ausgabe
PS 6 / 2023

Erscheinungsdatum 10.05.2023