Du bist noch beim Nachrechnen, stimmt’s? Man kann es tatsächlich kaum glauben, was zwischen Airbox und Brennraum abgeht, wenn die Ventile in aberwitzigem Tempo durch den Brennraum tanzen und auf den Punkt genau in ihrem Sitz verschwinden, bevor sie der nach oben rasende Kolben verknotet. Damit die Akteure das rasante Ballett auch bis in höchste Drehzahlen unbeschadet überstehen und die Steuerzeiten akkurat eingehalten werden, haben sich die Konstrukteure moderner Motorradmotoren mächtig ins Zeug gelegt. Zwar hält man an den seit Jahrzehnten bewährten Ventilsteuerungs-Systemen fest, hat diese jedoch bis ins letzte Detail optimiert.
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PS-Technik-Serie Teil 2
Ventilsteuerung und Gaswechsel
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Um einen möglichst hohen Füllungsgrad zu erreichen, sollten die Ventile so schnell als möglich öffnen und ihren maximalen Ventilhub erreichen, um danach blitzartig in ihren Sitz zurückzuschnellen. Leider setzt diesem Wunsch die Physik klare Grenzen. Durch die Massenträgheit der Ventile und Bauteile der Steuerung (Feder und Übertragungsteile) entwickeln sich enorme Massenkräfte beim Öffnen und Schließen der Ventile.
Lange Steuerzeiten, große Ventilhübe
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Tassenstössel sind die gebräuchlichste Art der Ventilsteuerung bei dohc-Motoren. Kleine, unter dem Tassenstößel liegende Shims dienen zur Ventilspielkorrektur.
Aus diesem Grund wird der Nocken so geformt, dass der Ventiltrieb möglichst ruckarm, also frei von extrem hohen Spitzenbeschleunigungen arbeitet. Bei allen Steuerungssystemen sind die Nocken in sechs Sektionen aufgeteilt. Über die Ventilsteuerzeiten lassen sich neben der Dauerhaltbarkeit auch die Motorcharakteristik sowie Abgas- und Verbrauchswerte massiv beeinflussen. Als Faustregel gilt: Kurze Steuerzeiten und geringe Ventilüberschneidung erzeugen ein breites Drehmomentband bei geringem Verbrauch.
Lange Steuerzeiten, große Ventilhübe und lange Ventilüberschneidungen garantieren hohe Spitzenleistung bei erhöhtem Verbrauch und eingeschränkter Alltagstauglichkeit. Zudem entweichen durch den offenen Gaswechsel in der Ventilüberschneidung mehr oder weniger viel Frischgas und damit die giftigen chlorierten Kohlenwasserstoffe in den Auspuff. Auf dem Steuerdiagramm auf Seite 62 ist gut zu erkennen, wie sich diesbezüglich Serien- und Rennnocken unterscheiden.
Um auch bei höchsten Drehzahlen die Ventilsteuerzeiten genau einzuhalten, versucht man einen möglichst steifen Antrieb zu konstruieren. Das fängt bei der Kraftübertragung von der Kurbel- zur Nockenwelle an. Beste, aber auch teuerste Lösung: Zahnradkaskaden, wie sie beispielsweise bei einigen Honda-V4-Motoren verbaut wurden. Aktuell kommen überwiegend Zahnketten in möglichst kurzer Ausführung zum Einsatz. Dazu gehört der Trick einer zahnradgetriebenen Vorgelegewelle (zum Beispiel MV Agusta F3) oder der Umschlingung der Zahnkette von nur einer Nockenwelle, die über Zahnräder das Gegenstück antreibt, wie bei der weltmeisterlichen Aprilia RSV4. Das Ziel aller Antriebsarten ist es, die Steuerzeiten exakt einzuhalten und nicht durch Verformungen der Bauteile oder einer Längung der Ketten zu verzögern.
Direkte Ventilsteuerung
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Schlepphebel. Zwischen Nocken und Ventilschaft gelagert, übertragen die zierlichen Bauteile wie ein Hebel die Kraft auf den Ventilschaft. Auch hier regulieren Shims das Ventilspiel.
Japanische Sport-Motoren werden derzeit ausschließlich mit Tassenstößeln ausgerüstet, im Fachjargon auch „direkte Ventilsteuerung“ genannt. Robust, zuverlässig und relativ kostengünstig in der Herstellung, hat sich dieses Prinzip über Jahrzehnte bewährt. Auch deshalb, weil die Nockendrehbewegung keinerlei Querkräfte auf den Ventilschaft überträgt, was der Lebensdauer und Dichtigkeit zugute kommt. Die Querkräfte werden dabei ausschließlich vom Tassenstößel aufgenommen, der sich in einer fein bearbeiteten Bohrung im Aluminium-Zylinderkopf auf und ab bewegt.
BMW und KTM setzen auf die Technik mit Schlepphebeln, auch als „indirekte Ventilsteuerung“ bezeichnet, die mit einer extrem reibungsarmen DLC-Beschichtung (Diamond like Carbon) versehen sind. Dieses System baut in der Summe der oszillierenden Bauteile leichter als bei vergleichbaren Tassenstößel-Motoren. Kleiner Nachteil: Durch die Kreisbewegung des Schlepphebels auf dem Ventilschaft entsteht dort eine Querkraft, die das Ventil in seiner Führung verschränkt und somit den Verschleiß erhöht.
Bei beiden Systemen kommt den Ventilfedern eine entscheidende Rolle zu. Denn sie sorgen dafür, dass die Ventile bzw. die Steuerbauteile auch in höchsten Drehzahlen exakt der Nockenkontur folgen. Speziell beim Schließen der Ventile dürfen die Bauteile nicht vom Nocken abheben. Denn das könnte zum einen dazu führen, dass die Auslassventile zu spät schließen und vom aufwärts schießenden Kolben zerstört werden, oder dass sich Resonanzschwingungen aufbauen, bei denen die Bauteile nicht mehr kraftschlüssig arbeiten, sondern in zerstörerischer Eigenfrequenz über die Nockenlaufbahn hüpfen.
So hart wie nötig, so weich wie möglich
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Desmodromic, hier beim Ducati-MotoGP-Motor, ist die aufwendigste Ventilsteuerung im Serienbau. Drehzahlfest, exakt, aber kompliziert in Wartung und Aufbau.
Im Gegensatz zu früheren Zeiten, in denen man beim Tuning nach Hausmannsart die Ventilfedern durch Distanzscheiben einfach etwas mehr vorgespannt hat, sind die Federn heute in ihrer Rückstellkraft bis auf den Zehntelmillimeter genau berechnet und über ihre stufenlos progressive Wicklung der Nockenform angepasst. Je nach Höchstdrehzahl und Ventilmassen sind sie entweder einfach, wie am Kawasaki Z 1000-Motor (maximale Drehzahl ca. 11000/min), oder doppelt, wie beim Aggregat der BMW S 1000 RR (maximale Drehzahl ca. 14000/min) ausgeführt.
In allen Fällen gilt die Regel: so hart wie nötig, so weich wie möglich. Denn zu harte Federn erhöhen unnötigerweise den Verschleiß und die Verlustreibung im Motor. Ein technisches Kunstwerk, das auf die Ventilfedern verzichten kann, steuert bei Ducati die Ventile: die Desmodromik. Unglaublich aufwendig konstruiert, erlaubt die Zwangssteuerung in den Ducati-Motoren extreme Steuerzeiten und Ventilbeschleunigungen bei bester Drehzahlfestigkeit.
Um die bewegten Massen zu reduzieren, werden bei Hochleistungsmotoren oftmals Titan-Ventile verbaut. Sie sind bei gleichen Baumassen rund 43 Prozent leichter als die aus hochfestem und temperaturbeständigem Werkstoff angefertigten Stahlventile (Stahl-Dichte 7,85 g/cm³, Titan 4,5 g/cm³). Wie die Tassenstößel, so müssen sich auch die Ventile für ein gleichmäßiges Tragbild in ihrem Sitz regelmäßig verdrehen. Dies wird durch die rotierende Wirkung der Ventil-Schraubenfedern beim Ein- und Ausfedern und der Verwendung sogenannter nicht klemmender Ventilkegelstücke am Federteller erreicht.
Zum Ausgleich der unterschiedlichen Wärmeausdehnung ist zwischen Ventil und Nockengrundkreis das sogenannte Ventilspiel eingerichtet. Ist dies zu knapp bemessen, schließen die Ventile nicht mehr dicht ab. Zudem können die bis zu 800 Grad heißen Auslassventile ihre Wärme dann nicht mehr an die Ventilsitze abgeben und verglühen. Wird das Spiel zu groß gewählt, hämmert und tickert der Ventiltrieb lautstark, womit sich auch der Verschleiß aller bewegten Bauteile erhöht. Was auch damit zusammenhängt, dass die „Rampen“ der Nockenwellen nicht mehr weich genug auf- und ablaufen und die Ventile entsprechend hart in die Sitze knallen.
Aus dem Zusammenspiel von Steuerzeiten und der Gasströmung im Einlasskanal ergibt sich eine mehr oder weniger gute Füllung und damit Leistungsausbeute des Motors. Bereits in Teil 1 (PS 5/2013) wurden die Auswirkungen strömungsoptimierter Luftkanäle und Saugrohre beschrieben. Der Strömungsbereich hinter der Drosselklappe ist jedoch im Vergleich zur Airbox von akuter Raumnot geprägt. Schließlich mündet er im Fall des derzeit stärksten Serienmotors, dem Vierzylinder der BMW S 1000 RR, an zwei Tellerventilen mit nur noch je 33,5 Millimeter Durchmesser.
Allerdings, und darin liegt das Geheimnis schneller und fahrbarer Rennmotoren, ist groß nicht gleich schnell. Die Gasgeschwindigkeit ist es, die in Verbindung mit strömungsoptimierten Kanälen, Ventilsitzen und Brennräumen den Füllungsgrad bestimmen. Als praktisches Beispiel dafür durfte PS die Werks-Motoren der 750er-Kawasaki ZX-7R-Superbikes fotografieren, die belegen, das nicht groß, sondern schlank und clever angelegte Kanäle schnell machen. Dort wurden von Motorentechniker Kurt Stückle (www.kurt-stueckle.de) Ein- wie Auslasskanal durch Auftragsschweißen dramatisch verkleinert und anschließend von Hand strömungsoptimiert. Wobei sich der erfahrene Motoren-Guru die Arbeit mit hochglanzpolierter Oberfläche aus gutem Grund gespart hat. Eine ebene, störkantenfreie Oberfläche mit gezielt feiner Rautiefe wird von vielen erfolgreichen Motoren-Tunern den blitzsauber polierten Kanälen vorgezogen.
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Um ein gleichmäßiges Tragbild zu erhalten, sind die Nocken leicht versetzt und verdrehen somit den Tassenstößel.
Im Verkleinern der serienmäßigen Kanäle sieht Kurt Stückle selbst bei den großen 1000er-Superbikes eine erfolgversprechende Methode, um Drehmoment und Bandbreite der Motoren zu verbessern. Als Beleg für die Effizienz relativ schlanker, sich gleichförmig verjüngender Kanäle ist auch die Messung der Gasgeschwindigkeiten im Ansaugkanal im Vergleich zu sehen. Eine möglichst gleichförmig hohe Strömung unterstützt den Aufladeeffekt speziell in mittleren Drehzahlen und verbessert dadurch die Fahrbarkeit der oft schon fast übermotorisierten Superbikes.
Entscheidend bei der Suche nach Drehmoment und Power ist zudem der Bereich um die Ventilsitze. Denn genau betrachtet stehen der Luftströmung die parallel öffnenden, großen Ventilteller gegenseitig im Weg und reduzieren den rechnerisch freien Querschnitt (Ventilhub x Ventilsitzumfang) dramatisch. Auch der enge Luftspalt zwischen Ventilteller und Zylinderwand schnürrt das einströmende Frischgas ab. Deshalb ist um so wichtiger, den Bereich vom Ventilsitz zum Brennraum freizuschaufeln, um bereits bei geringer Öffnung möglichst störungsfreie Strömungsverhältnisse zu erreichen.
Messbar werden diese Veränderungen durch die sogenannte Flow-Bench, einen Prüfstand, der mittels Unterdruck den Ansaugvorgang simuliert und die angesaugte Luftmenge bei unterschiedlich großen Ventilhüben misst. Ein gutes Beispiel für die mechanisch optimale Auslegung sind die serienmäßig CNC-gefrästen Brennräume des BMW S 1000 RR-Motors, bei dem genau diese Feinheiten berücksichtigt sind, die mit dazu beitragen, dass der bayerische Vierzylinder bereits im Serientrimm zum Chef im Ring aufgestiegen ist.
Grundlagen
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Ein Musterbeispiel, wie ein Serienmotor zum Superbike-WM-Motor aufgemöbelt wird. Kleinere Kanäle und längere Trennstege im Einlass (links) und Auslass (rechts). Strömungsgünstig freigelegte Beryllium-Ventilsitze im überarbeiteten Brennraum des Rennmotors.
Damit aus Serienbauteilen fülligere Nockenprofile für Rennzwecke geformt werden können, werden diese im Grundkreis verkleinert und der Nocken neu geschliffen. Da ein zu kleiner Grundkreis jedoch ungünstige geometrische Verhältnisse schafft, können die Nocken auch durch Auftragsschweißen und anschließendes Schleifen beliebig verändert werden. Rennnockenwellen sind oft sogenannte "gebaute" Wellen. Dabei werden vorgefertigte Nocken auf eine hohle Welle aufgepresst.
Die Ventilspreizung gibt an, wie viel Kurbelwellen-Winkelgrad der maximale Einlass-Ventilhub nach dem oberen Totpunkt (OT) bzw. der maximale Auslass-Ventilhub nach dem unteren Totpunkt (UT) liegt.
Der Grundkreis vieler Nockenwellen ist von Öltaschen unterbrochen, die das Schmieröl auf die Nockenlaufbahn transportieren, womit sich die Reibung beim Öffnen der Ventile reduziert. Denn genau in diesem Bereich entsteht die höchste Ventilbeschleunigung und damit auch eine enorme Flächenpressung zwischen Nocken und Tassenstößel bzw. Schlepphebel.
Ventilsitze bestehen normalweise aus drei gefrästen Winkeln (z. B. 15-45-75 Grad). Strömungsgünstiger wird der Sitz allerdings, wenn die Winkel verrundet werden und nur der 45-Grad-Sitzwinkel mit einer möglichst schmalen Auflagefläche für das Ventil übrig bleibt. Auch mit dem Verrunden der Ventilteller versucht man zuweilen die Gasströmung im Detail zu verbessern.
Ventilfedern mit progressiver Wicklung werden immer mit den engen Wicklungen nach unten verbaut, um die oszillierenden Massen zu begrenzen. Ein ähnlicher Effekt wird auch mit konisch gewickelten Federn erzielt.
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Wegen Toleranzen in den Gussformen kommt es in der Großserie oft zu Störkanten (roter Pfeil) im Ansaugkanal. Durch Anpassen des Gummistutzens an den beiden Be- festigungsschrauben (weiße Pfeile) wird der Übergang egalisiert (grüner Pfeil) und die Strömung verbessert.
Wer sich mit dem Gedanken trägt, seinem Sportler leistungsmäßig auf die Sprünge zu helfen, sollte sich im Klaren sein, dass Höchstleistung nicht alles ist. Motorräder mit mehr als 150 PS sollten eher in Richtung Drehmomentsteigerung und Fahrbarkeit getrimmt werden. Und das ist keine Aufgabe für den Heimwerker, sondern für erfahrene Tuning-Spezialisten. Wer selbst Hand anlegt, sollte sich hüten, einfach mit der biegsamen Welle drauflos zu fräsen. Schon kleine Korrekturen, beispielsweise an den Ansaugstutzen, bringen oft in der Summe messbare Steigerungen von Drehmoment und Leistung. Dabei werden die Gummistutzen durch Erweitern der Befestigungsbohrungen so montiert, dass die Störkante verschwindet (grüner Pfeil). Zentrisch montiert, wird der Übergang vom Stutzen zum meist größeren Durchmesser des Einlasskanals egalisiert. Wird das Motorrad in einer Rennklasse eingesetzt, die im Reglement jegliche Veränderungen an den Motorteilen verbietet, kann auch das Gewinde der Befestigungsschrauben im Bereich des Flansches auf den Kerndurchmesser abgedreht werden, womit sich der Flansch über einen Bereich von fast einem Millimeter verschieben lässt.
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Strömungsmessung eines aktuellen 1000er-Superbikemotors.
Strömungsmessung eines aktuellen 1000er-Superbikemotors auf der Flow-Bench vor und nach der Kanalüberarbeitung.
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Der durchzugskräftige und leistungsstarke Motor eines mehrfachen Superbike-Weltmeisters.
Im Vergleich: Der durchzugskräftige und leistungsstarke Motor eines mehrfachen Superbike-Weltmeisters (rot) und der mit zu großen Kanälen ausgestattete Versuchsmotor einer Konkurrenzfirma (blau), die sich nach kurzem, erfolglosem Intermezzo zurückgezogen hat.
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Rennmotor (blau) im Vergleich zur Serie (rot) auf hohe Leistung getrimmt.
Mit größerem Ventilhub und längeren Steuerzeiten ist der Rennmotor (blau) im Vergleich zur Serie (rot) auf hohe Leistung getrimmt. Nockenspreizung und Ventilüberschneidung sind weitere Merkmale einer Ventilerhebungskurve. Sie lassen sich durch Verdrehen der Kettenräder mit Langlöchern verändern.