Sodastrahlen eignet sich hervorragend zum Reinigen und Entlacken von Motorradteilen. Was das Besondere an dem noch relativ unbekannten Verfahren ist und wie es funktioniert, durfte MOTORRAD Classic selbst erleben.
Sodastrahlen eignet sich hervorragend zum Reinigen und Entlacken von Motorradteilen. Was das Besondere an dem noch relativ unbekannten Verfahren ist und wie es funktioniert, durfte MOTORRAD Classic selbst erleben.
Mit einer Geschwindigkeit von über 100 m/s schießt der armdicke Strahl winziger Körner aus der Düse und trifft auf die lackierte Oberfläche des Harley-Getriebes. Farbe, Schmutz und Flugrost platzen ab, werden von dem Granulat mitgerissen und pulverisiert. Die Luft ist staubgeschwängert, ohrenbetäubendes Tosen erfüllt den Raum. Unter der kundigen Hand des Fachmanns arbeitet sich der Druckluft-Strahl Quadratzentimeter für Quadratzentimeter voran und schält das blanke Metall des Getriebegehäuses unter der Deckschicht hervor.
Viele unterschiedliche Strahlmittel führen ans Ziel Was früher mit dem Begriff Sandstrahlen bezeichnet wurde, hat sich mittlerweile zu einer differenzierten Fachbranche für Oberflächentechnik entwickelt. Im Fahrzeugbereich kommt das Druckluftverfahren zum Einsatz: Ein Kompressor erzeugt den nötigen Luftdruck, der das Strahlmittel durch einen Schlauch aus einem Sammelbehälter ansaugt. Unter hohem Druck wird es durch eine spezielle Düse auf die Werkstück-Oberfläche gelenkt.
Das „verbrauchte“ Strahlmittel muss anschließend entweder entsorgt werden oder gelangt über ein Rückführsystem wieder in den Sammelbehälter und wird im Kreislaufverfahren mehrmals verwendet. An der Düse kann der Fachmann den Strahl-Druck und damit die Wirkung an die Werkstück-Beschaffenheit anpassen. Kleinteile, wie Fußrasten und Verkleidungsträger, strahlt er in kompakten Handstrahlkabinen. Um einen kompletten Beiwagen zu entrosten, braucht es allerdings schon eine mit entsprechender Infrastruktur ausgestattete Halle.
Mit den siliziumhaltigen Quarzsanden darf seit geraumer Zeit aus gesundheitlichen Gründen nur noch mit einer Sondergenehmigung gearbeitet werden: Das Einatmen des feinen Silikatstaubs kann eine Silikose (Staublunge) hervorrufen.
Heute hält die Industrie eine Vielzahl von Strahlmitteln - so genannte Granulate oder Pellets - für die unterschiedlichsten Einsatzzwecke bereit. Die Wahl des richtigen Mittels sollte man mit dem Spezialisten für Oberflächentechnik besprechen. Sie ist sowohl von der Beschaffenheit des Werkstücks - Festigkeit, Materialstärke, Werkstoff - als auch vom gewünschten Ergebnis abhängig und nicht zuletzt von den Kosten. Je nach ihrer Wirkung unterscheidet man abrasive - also Material abtragende - und nicht abrasive Strahlmittel.
Stark abrasive Granulate, wie Korund, Schlacke und Hartguss, tragen mess- und sichtbar Material von der bearbeiteten Oberfläche ab und hinterlassen eine spürbar raue Struktur. Sie sind deshalb ungeeignet für Motorteile mit empfindlichen Dichtflächen oder Verkleidungsteile aus Kunststoff. In der Regel eignen sie sich hervorragend zum schnellen Entrosten stark korrodierter größerer Stücke und zum Entlacken unempfindlicher Bauteile, wie Motorradrahmen, Stahlschwingen, Auspuffanlagen oder andere Anbauteile aus Metall. Ebenso finden sie Verwendung beim so genannten Rau-strahlen. Dieses Verfahren dient der Vorbereitung für das Lackieren oder Beschichten. Das Ergebnis ist eine metallisch blanke Oberfläche mit deutlich rauer Struktur, die der aufzutragenden Lackschicht einen haftfähigen Untergrund bietet. Lediglich verchromte Teile bieten selbst starken Strahlmitteln heftigen Widerstand. Die harte Schicht lässt sich wirklich sauber nur galvanisch entfernen.
Nicht abrasive Strahlmittel, wie Melamin-Harz, Duroplast, Soda und bedingt auch Glasperlen, eignen sich dagegen sehr gut für empfindliche Oberflächen. Mit ihnen lassen sich Motorteile reinigen und entlacken, Verbrennungsrückstände von Kolben, Ventilen und aus Brennräumen beseitigen sowie alte Lackschichten auf sensiblen Metall- und Kunststoffteilen entfernen.
Mit entsprechend reduziertem Druck bearbeitet der Fachmann problemlos auch Kunststoffverkleidungen und dünne Bleche. Beim Sodastrahlen können oft sogar Gummi- und Plastikteile montiert bleiben, sofern sie nicht bereits ausgehärtet und spröde sind. Glasperlen verdichten die Oberflächenstruktur und sorgen für ein feines Oberflächen-Finish, zum Beispiel an Guss-Felgen. Allerdings kann diese Methode die Material-Festigkeit beeinflussen. Deshalb müssen Felgen, aber auch andere Teile, zuvor auf kleinste Schäden überprüft werden.
Eine Besonderheit ist das Trockeneisstrahlen, bei dem auf minus 78,9°C herabgekühltes Kohlendioxid (CO2) in Pellet-Form zum Reinigen eingesetzt wird. Das Trockeneis-Granulat greift Oberflächen ebenfalls nicht an. Zudem hat es den Vorteil, dass keine Rückstände entsorgt werden müssen, weil sich das gefrorene CO2 in der Luft auflöst. Der technische Aufwand zum Kühlen der Pellets ist jedoch groß und das Verfahren im Vergleich zu anderen Strahlverfahren teurer. Deshalb muss im Einzelfall geprüft werden, ob sich der Aufwand im Motorradbereich lohnt.
Vor dem Strahlen müssen in (fast) jedem Fall empfindliche Stellen geschützt werden. Innengewinde können mit Schrauben, Lenkkopf- und Schwingenlager mit konischen Plastikstopfen verschlossen werden. Dichtflächen am Motor und das Typenschild am Rahmen lassen sich mit kräftigem Klebeband abdecken, Kurbelgehäuse und Zylinder werden mit passenden Platten abgedichtet. Grundsätzlich ist es sinnvoll, das zu strahlende Gut zuvor gründlich zu säubern.
Das Getriebe ist inzwischen blitzsauber und sieht wieder aus wie frisch aus dem Harley-Teileregal. Sofern es nicht noch zerlegt und repariert oder das Gehäuse lackiert werden soll, steht seinem baldigen Einsatz nichts mehr im Wege. Der Strahl-Therapie sei Dank.