Wenn das Telefon klingelt und wieder einmal jemand fragt, ob „ihr nicht mal schnell ein paar Aufkleber aufs Motorrad pappen könnt“, rollen Ronny Lucas und Ralf Lange von der Werbeagentur Lucasdesign nur mit den Augen. Denn so einfach, wie es sich anhört, ist das saubere Bekleben eines Motorrads bei Weitem nicht. Das zeigt schon die PS-Anfrage bei drei großen Unternehmen, die sich aufs Folieren von Autos spezialisiert haben, ob sie auch Motorräder bekleben würden. Alle haben abgesagt. Zu groß sei der Aufwand, zu klein die Teile und insgesamt sei das Bekleben viel zu teuer.
Bedarf ist aber da, einen Klebesatz kaufen und aufpappen funktioniert jedoch nicht - denn kaum jemand kann das alleine. „Ich könnte täglich einen kompletten Klebesatz für 300 Euro verkaufen, aber das mache ich nicht, weil sich der Kunde später nur ärgert, wenn er es selbst nicht hinbekommt“, sagt Lucas, der seit 2004 mehrere Hundert Motorräder und sogar die 2007er-MotoGP--Maschinen von Kawasaki beklebt hat. Man braucht viel Erfahrung, um die Folien so zu schneiden und zu verkleben, dass alles zusammenpasst und zum Beispiel der 3D-Effekt des „Monster“-M richtig rüberkommt. So wird pro Seite nicht nur ein M benötigt, sondern zwei. Diese werden in sieben Teile zerschnitten, damit die Folie exakt in die Öffnungen der Verkleidung passt. Das klingt nicht nur kompliziert, das ist es auch - ein Laie würde schnell verzweifeln. „Vielen Kunden fehlt die Vorstellung, wie es gemacht wird. Das Bekleben ist unter anderem deshalb so teuer, weil es unglaublich viel Handarbeit ist“, sagt Lucas. Zum Verständnis: Die Verkleidung einer Suzuki GSX-R 1000 besteht aus 28 Einzelteilen, die alle lackiert und beklebt werden müssen.
Bei einem alten Motorrad lohnen sich der große Aufwand und die relativ hohen Kosten von bis zu 3000 Euro inklusive Lackierung kaum. „Viele Kunden bringen ihr nagelneues Bike vom Händler direkt zu uns“, erzählt Lucas. Der Vorteil: Je nach gewünschter Farbe muss das Bike nicht extra lackiert werden. Ist der Lack hingegen schon älter, hat eventuell sogar Kratzer oder Rillen, muss grundsätzlich der Lackierer ran. Gerade, wenn sich ein Kunde für eine matte Folie entscheidet, muss der Lack absolut perfekt sein. Ansonsten ist später jede Unebenheit darunter zu sehen. Sehr raue Kunststoffteile können ohne Lackierung gar nicht foliert werden, eine glatte Oberfläche ist Grundvoraussetzung. Die Vorbereitung spielt eine entscheidende Rolle und beginnt mit der Wahl des Lackierers. Der sollte ein Motorrad-Experte sein, denn viele Autolackierer arbeiten zu ungenau - Farbnasen an der Verkleidung sind die Folge. Sogar die Gummis der Verkleidung und Scheiben werden gelegentlich mitlackiert.
Ist der Lack in Ordnung, steht die Qual der Farbwahl an: Es gibt kaum eine Farbe, die nicht auf Folien möglich ist. Sollte eine Farbe dennoch nicht verfügbar sein, oder wünscht der Kunde einen Perleffekt- oder Flip-Flop-Lack, können die Folien sogar in der Wunschfarbe lackiert werden. Hier zeigt sich einer der großen Vorteile: Wenn einem Farbe oder Design nach ein paar Jahren nicht mehr gefallen, lässt sich die Folie wieder entfernen und der Originalzustand des Bikes relativ schnell wieder herstellen. Sofern das Motorrad vollständig in Folie gepackt wurde, sieht der Lack noch so aus wie am ersten Tag. Von daher dient eine Folierung auch als Werterhalt - selbst wenn die Anschaffung zunächst teuer ist. Honda Deutschland ließ übrigens ein Jubiläumsmodell der Fireblade komplett in hellblaue Folie packen. (Siehe Honda Fireblade alt gegen neu in PS 1/2012.)
Statt hellblauer Folie sorgt im Rennsport Sicht-Carbon für optische Reize. Dennoch werden Carbon-Folien nur selten nachgefragt. Je nach Qualität werden dafür pro Quadratmeter bis zu 80 Euro fällig - bei bis zu 4 m² pro Motorrad kein günstiges Vergnügen. Und aufgepasst: Echtes Carbon ist immer matt, billige Zubehörfolien meist glänzend. Wer sich also nicht sofort als Blender entlarven lassen will, sollte wenigstens zu matter Folie greifen.

Verarbeitung
Entgegen der gängigen Meinung sind beim Verkleben der Folien Luftblasen kein Problem, weil an der Unterseite moderner Folien winzige Kanäle eingearbeitet sind. Durch sie kann die Luft einfach zur Seite herausgedrückt werden. Das Problem sind vielmehr Falten, die entstehen, wenn Folien auf zu runde Teile geklebt werden, die Form zu kompliziert oder die Folie zu kalt ist. Die Temperatur beim Verarbeiten ist enorm wichtig, meist wird die Folie per Heißluftföhn auf bis zu 90 Grad erwärmt. Und obwohl die Folien recht hitzeresistent sind, sollte man einen gewissen Abstand zu heißen Teilen am Motorrad einhalten. „Besonders auf GFK-Verkleidungen in Auspuffnähe kann sich die Folie dunkel verfärben oder Blasen schlagen“, sagt Lucas.
Pflegetipps
Grundsätzlich sind die Folien äußerst robust und halten bis zu zehn Jahre, ein UV-Schutz im Laminat verhindert, dass die Folien in der Sonne ausbleichen. Ein paar Dinge sollten dennoch beachtet werden. So sollten Benzinspritzer beim Tanken immer sofort abgewischt werden. Im ungünstigsten Fall können Sprittropfen Blasen in der Folie verursachen. Das Bike darf ganz normal mit Motorrad-Reiniger gewaschen werden. Bei sehr feinen Aufklebern sollte man darauf achten, nicht zu stark gegen die Kanten der Folien zu putzen, da sie sich sonst lösen könnten. Ist die Folierung mit Klarlack überzogen, besteht hier keine Gefahr. Auch Dampfstrahler sind erlaubt. Ein Mindestabstand von 50 Zentimetern zur Folie ist jedoch ratsam. Straßendreck lässt sich von matten Lacken oder Folien übrigens genauso leicht - oder schwer - entfernen wie von klar lackierten Oberflächen. Und während man beim Auto stumpf gewordenen Lack poliert, um ihn wieder glänzen zu lassen, kommt man bei seinem matten Bike besser nicht auf die Idee, es zu polieren. Es soll ja schließlich matt bleiben.
Zu guter Letzt ein Wermutstropfen: Kunden müssen bis zu vier Wochen auf ihr Bike verzichten, wenn das volle Programm inklusive Lackierung gewünscht ist. Soll nur geklebt werden, sind rund zwei Wochen nötig. Schließlich dauert es schon eine Woche, bis die Folie aus der Druckerei kommt. Je nach Aufwand dauert das Bekleben weitere 12 bis 16 Stunden pro Bike. Viel Zeit, aber dafür erhält jeder Kunde ein absolutes Unikat und zieht ab sofort die Blicke auf sich. Und das ist es doch wert.
Tipps, Adressen, Preise

Tipps fürs Selbermachen
Wer sein Bike trotz mangelnder Erfahrung selbst bekleben möchte, sollte folgende -Dinge beachten:
Von Versuchen, große Verklebungen selbst aufzubringen, rät der Profi nach wie vor ab. Nicht, weil er um sein Geschäft fürchtet, sondern weil das Ergebnis selten überzeugt. Kleinere Sticker oder beschädigte Teile eines größeren Aufklebers können jedoch selbst geklebt werden. Dazu die Oberfläche gründlich entfetten, mit einer Mischung aus Wasser und etwas Spülmittel besprühen und den Aufkleber samt Trägerfolie auf die gewünschte Stelle legen. Nun von der Mitte her mit einem Plastikspachtel das Wasser herausdrücken, anschließend vorsichtig das Transferpapier abziehen. Felgenbänder verklebt man ebenfalls nass: Den Aufkleber stückweise von der Trägerfolie abziehen und etwa zehn Zentimeter lange Stücke auf die nasse Felge kleben, dann das Rad der aufgebockten Maschine weiterdrehen. Dekore für Motocross-Maschinen sind mit 0,6 Millimeter Dicke recht steif und lassen sich gut verkleben, wenn sowohl Verkleidung als auch Aufkleber sehr warm sind. Robert Schrader von try-it racing empfiehlt, die Plastikteile im Ofen gut anzuwärmen - 80 Grad dürfen es schon sein (Handschuhe benutzen!) - und die Folie auf die Heizung zu legen. Dicke Aufkleber können trocken verklebt werden, weil sie kaum Falten schlagen. Die Trägerfolie stückweise abziehen und den Sticker von einer Ecke beginnend nach und nach andrücken.
Adressen
Lucasdesign Werbeagentur
Carl-Benz-Straße 7
68723 Plankstadt
www.lucasdesign.de
try-it racing
Lindener Straße 4
38321 Neindorf
www.try-it.de
Werbestudio Leimen
Hirtenwiesenstraße 12
69181 Leimen
www.werbestudio-leimen.de
Folie + Design
Gündenhausen 39
79650 Schopfheim
www.folie-und-design.de
Preise
Die meisten Motorräder werden vor dem Bekleben lackiert. Je nach Anzahl der Teile werden beim Lackierer bis zu 1500 Euro fällig. Das Bekleben von Naked Bikes kostet pauschal rund 1400 Euro, für vollverkleidete Maschinen etwa 1700 Euro - inklusive persönlichem Designentwurf am Computer und aller Ab- und Anbauarbeiten. Für die orange leuchtenden Felgen der CB 1000 R berechnet der Lackierer rund 130 Euro pro Stück. Felgenbänder vorne und hinten, innen und außen verklebt Ronny Lucas für zirka 120 Euro. Deutlich günstiger sind die Dekore für Cross-Maschinen von try-it racing - den Komplett-Satz gibt’s ab 115 Euro.

1.
Ronny Lucas setzt das mit dem Kunden besprochene Design am Computer um und schickt es an die Druckerei.

2.
Gut fünf Tage dauert es, bis die Folien gedruckt sind - in der Zwischenzeit werden die Verkleidung abgebaut und die Teile aufs Bekleben vorbereitet.

3. + 4.
Nachdem die Sticker aus der Folie geschnitten sind, werden sie auf das jeweilige Teil geklebt.

5.
Der breite Streifen auf dem Tank ist recht kompliziert zu kleben, weil er aus mehreren Teilen besteht: Zunächst wird ein breiter schwarzer Streifen aufgeklebt, darauf zwei silberne und dazwischen ein weißer.

6.
Anschließend wird die Folie auf dem Bike millimetergenau zugeschnitten, sodass von der schwarzen Folie nur noch schmale Streifen als Umrandung zu sehen sind. Die Folie wird sauber in die Tankdeckelöffnung geklebt.

7.
Nach etwa drei Stunden zieht sich der Deko-Streifen über Tank und Heck der Kawasaki ZX-10R.

8.
Fast geschafft: Die Scheibe ist schon dran, ein Teil des Monster-M wird gerade auf den Rahmen geklebt - die Heißluftpistole macht die Folie geschmeidig, so lässt sie sich leichter um Ecken und Kurven legen.

9. + 10.
Nach den letzten Handgriffen an der Seitenverkleidung und vielen Stunden Klebearbeit ist die ZX-10R im Monster-Look fertig.