Schon vor Ewigkeiten begannen die Menschen, zunächst erhitztes und auf diese Art verflüssigtes Metall in Formen zu gießen. Wir erinnern uns. Bronzezeit und so, Geschichtsunterricht siebte Klasse. Echt lange her, doch selbst mit Eisen hantiert Homo sapiens bereits seit rund 3000 Jahren rum. Jedenfalls können die wenigsten Handwerke eine längere Tradition vorweisen als das von Jens Hansemann ausgeübte: Er ist Former-Meister und Besitzer der kleinen Gießerei Hepako aus Syke bei Bremen. Die Berufsbezeichnung deutet bereits an, wo beim Gießen die Prioritäten liegen, aber bevor der Chef das genauer erläutern kann, klingelt sein Telefon und verschafft etwas Zeit zum Eingewöhnen.
So eine Gießerei ist vor allem warm. Ständig heizen links hinten bollernde Gebläseöfen die Schmelze an, halten sie in Dauerbereitschaft. Außerdem ist es verdammt staubig hier. Rechts hinten mündet der Schlund eines Außensilos ins Halleninnere, aus dem Marvin, der Lehrling, feinkörnigen Sand in einen fahrbaren Bottich fließen lässt. Der Bottich landet wenig später bei einer Mischmaschine, wo der Quarzsand mit chemischen Bindemitteln versetzt wird. Das fertige Gemisch schaufelt Marvin in verschließbare Fässer – damit‘s länger frisch bleibt. Eines wuchtet er an seinen Arbeitsplatz, und der Inhalt heißt nun nicht mehr Sand, sondern Formstoff. Er bleibt aber staubig. Andererseits nennt sich der Beruf, den Marvin lernt, schon seit fast 20 Jahren nicht mehr Former, sondern Gießereimechaniker. Was an der nun anstehenden Arbeit rein gar nichts geändert hat.
Spezialist für Kleinserien
Auf dem Holztisch liegt ein Modell, es mutet irgendwie bekannt an. Woraus der soeben wieder aufgetauchte Jens Hansemann schließt, sein Besucher müsse sich mit BMW auskennen. Ein wenig, stimmt, und jetzt fällt der Groschen: Das ist der hinten angeschrägte obere Motordeckel, den jeder auf seinen alten Zweiventiler schraubt, wenn er den Luftfilter wegrationalisiert hat. Der Auftrag kommt von einem bekannten Zubehöranbieter, das Interesse ist groß, der Lehrling verdreht die Augen – er produziert seit Tagen nichts anderes als die beiden Hälften dieser Sandform. Fast schon ein Großauftrag für Hepako, wo man von kleinen Serien und Einzelanfertigungen lebt, von modernen Skulpturen über Schriftbildplatten bis hin zu klassizistischem Zierrat. Nicht selten also von Reproduktionen, und unter dieses Stichwort fällt vieles, was der altgediente Motorradnarr Hansemann so für Young- und Oldtimer gießt.
Alles, was als Gussteil vorliegt, kann man auch noch mal gießen. Mit diesem äußerst beruhigenden Credo nimmt der 46-Jährige die Aufträge aus der Szene entgegen. Meist kommen sie von Händlern oder Restauratoren, gelegentlich von Clubs, aber auch Einzelanfertigungen sind keine Seltenheit. Falls keine technische Zeichnung oder kein Modell existieren, wird die Form vom Original abgenommen. Was allerdings einige Mühen bereiten kann, wenn metallische Oberflächen vom Zahn der Zeit angenagt wurden. Anderthalb Tage hat Hansemann schon mal die Kühlrippen eines zernarbten und geschundenen Zylinders mit Plastilin geglättet, bevor er ihn zum Aufbau sogenannter falscher Hälften abformen konnte. Diese dienen dazu, Trennebenen für den Formkasten zu finden. Dann erst entsteht die endgültige Gussform.
Gute Gussteile verlangen gute Modelle
Gussteile, die nicht vom Original abgenommen werden, brauchen ein Modell. Das macht der Modellbauer, und zu dem pflegt jede Gießerei ein beinahe neurotisches Verhältnis: Gute Gussteile verlangen gute Modelle. Die entstanden früher aus Holz, heute meist aus Kunststoff und sind oft wahre Kunstwerke. Nicht nur Vorlage des Gussteils, sondern im Hinblick auf die weitere Verarbeitung und den Gussvorgang optimiert. Das Metall muss zügig einfließen, entstehende Gase ungehindert entweichen können. Außerdem berücksichtigt der Modellbauer natürlich, dass Metall beim Erkalten sein Volumen verkleinert. Um diese sogenannte Schwindung auszugleichen, muss das Modell etwas größer ausfallen als das gewünschte Endergebnis, im Fall von Aluminium-Legierungen so um die 1 bis 1,5 Prozent. Wichtig, wenn die Schraubenlöcher der BMW-Motorhaube nachher noch mit den Bohrungen im Gehäuse fluchten sollen.
Zwischen 100 und 200 Abgüsse verträgt ein Modell, kritisch beäugt Marvin alle neuralgischen Punkte, als er das von ihm verwendete aus dem Sandbett hebt. Okay, geht. Jetzt noch etwas Nachbessern mit dem Polierlöffel (sieht aus wie eine Miniatur-Maurerkelle) und Feinarbeit mit der Lanzette (ginge auch als Zahnarzt-Instrument durch), um Stege zu glätten oder an den Rändern überschüssiges Material abzutragen, dann ist die erste Hälfte der Gussform fertig. Unterdessen arbeitet Jens Hansemann mit gröberem, aber bekannterem Gerät: Kreischend befreit seine Flex einen Doppelzylinder vom Anguss. So heißt das im Gießkanal der Gussform erstarrte Metall, und das muss natürlich weg, bevor der Zylinder an den holländischen Auftraggeber geht. Ein Engländer-Spezialist, der mittlerweile lieber in Syke als in England gießen lässt.
Preise für gegossene Reproduktionen meist überschaubar
Neue Zylinder für Oldtimer hat Jens Hansemann recht häufig auf der Werkbank. Zum Putzen, so nennt sich das Säubern der Gussteile von Formstoff, Metalloxid und Angüssen. BSA, Matchless-V2, JAP – alles schon da gewesen. Fürs Deutsche Zweirad- und NSU-Museum in Neckarsulm hat er mal den Sackzylinder einer uralten NSU gefertigt. Und an Flathead-Zylinder erinnert er sich besonders lebhaft, weil er da vorm Gießen fünf Kerne positionieren musste. Kerne heißen passgenau geformte Sandelemente, die überall dort eingelegt werden, wo es nachher hohl bleiben soll. Weil da Stoßstangen werkeln, Kolben auf und ab rasen sollen. Es ist heiß, es ist staubig, der Sand ist schwer, der Tiegel mit der Schmelze erst recht. Und trotzdem verrichten Hansemann und sein Stift hier Millimeterarbeit. Den lieben langen Tag
Bei entsprechender Stückzahl ist ein Zylinder nicht mal besonders teuer. Natürlich kommen die Kosten für Laufbuchse und Endbearbeitung noch hinzu. Trotzdem bleiben die Preise für gegossene Reproduktionen überschaubar, und das scheint sich herumzusprechen: Hier liegt die Primärkastenabdeckung für eine Wanderer, dort der Zündungsdeckel für eine Matchless. Herrliche Trittbretter für Viktorias ruhen unter einem Tisch, oben drauf die Messing-Innereien eines Gasgriffs für was ganz Altes. Nicht weit von der Sandstrahlkabine warten die charakteristisch geriffelten Deckel von Kawasaki Z-Motoren aufs Putzen, davor ein ganzer Haufen von Guzzi-Lichtmaschinendeckeln. Typische Aufträge aus der Youngtimerszene: Die Kawa-Teile gibt’s neu nicht mehr, sie werden weltweit gesucht; die Guzzi-Deckel sind der Renner, weil der Hersteller einige Jahre lang statt Metall schnödes schwarzes Plastik verwendete und nun alle umrüsten.

Mit einem schweren Stampfer verfestigt Marvin das Sandgemisch der zweiten Formhälfte. Überschüssiges wird abgezogen, dann bläst er mit einer dünnen Lanze Druckluft in das Gemisch. Alle paar Zentimeter, und wie von Zauberhand berührt, ist der Formstoff in kürzester Zeit hart. Verblüffend, wirklich. Schon kann die Holzform vorsichtig entfernt werden, die üblichen Nacharbeiten, fertig. Dieses Gebilde darf natürlich nie um- oder gar hinfallen, aber man kann sich so eine Hälfte schnappen und durch die Halle tragen, Lehrling und Meister machen es vor. Dann fügt Jens Hansemann die Hälften der insgesamt acht Gussformen zusammen, und schon seine Miene verrät, dass jetzt keine Störungen erwünscht sind. Wenn er dabei ruckt oder schwankt, war viel Arbeit vollkommen umsonst, weil Ränder ausbrechen könnten. Geschafft. Anschließend werden schwere Eisenteile auf die Formen gelegt, und dann ist Feierabend.
Gießen wollen sie morgen früh. Der Ofen bleibt an. Damit es bloß nicht abkühlt. Im Tiegel, in der Halle. Nach dem Aushärten werden sie die Abdeckhauben mit leisen Hammerschlägen freilegen. Von den Sandformen bleibt danach nicht mehr übrig als ein ziemlich großer Haufen Staub. Man arbeitet beim Sandguss nämlich immer mit verlorenen Formen. Das hat der Lehrling längst leidvoll begriffen. Große industrielle Serien dagegen entstehen in Dauerformen, den Kokillen. Das weiß er aus der Berufsschule.