Auch wer mit den physikalischen Begriffen nichts am Hut hat, kommt ohne die beiden nicht vom Fleck. Beschleunigen, bremsen, sich vergnügt in Schräglage werfen - ohne die treibenden und stützenden Kräfte geht beim Motorradfahren gar nichts.
Auch wer mit den physikalischen Begriffen nichts am Hut hat, kommt ohne die beiden nicht vom Fleck. Beschleunigen, bremsen, sich vergnügt in Schräglage werfen - ohne die treibenden und stützenden Kräfte geht beim Motorradfahren gar nichts.
Um es kurz zu machen, könnten wir jetzt die altehrwürdige Darstellung von Wunibald Kamm bemühen: den Kamm’schen Kreis. Ein Gebilde, mit dem jede Fahrschule, jeder Physiklehrer und jeder Motorradinstruktor seinen Schützlingen klarmacht, wie sich Schräglage (Seitenkraft) und Beschleunigen oder Bremsen (Umfangskraft) vertragen- oder auch nicht. Da uns aber beim lustvollen schräg legen der Kamm’sche Kreis nicht wirklich eine Hilfe ist, versuchen wir das ganze anhand von Schräglage und gespürten Beschleunigung oder Verzögerung zu verstehen.
Der Begriff der Umfangskraft leitet sich aus der Konstruktion des Rades ab. Dort gibt es einen Durchmesser, eine Breite und einen Umfang, also die Abrolllänge des Reifengummis. Dreht man kräftig am Gas oder packt beherzt die Bremse, entstehen Kräfte, die das Motorrad antreiben oder verzögern: die Umfangskräfte.
Sie verlaufen bei einhundertprozentiger Nutzung (bei etwa einem G-Beschleunigung) längs zur Fahrtrichtung und übertragen die Antriebskräfte des Motors am Hinterrad oder die Bremskräfte.
Ist die Umfangskraft größer als die mögliche Übertragung auf die Straße durch die Haftreibung, dreht das Rad durch oder blockiert beim Bremsen. Man kommt dann in den sogenannten Schlupfbereich des Reifens, der die Haftung verliert und damit das Motorrad in eine gefährliche, weil instabile Lage kommen kann.
Dieser Schlupf entsteht jedoch nicht nur durch zu hartes Beschleunigen oder Bremsen, sondern auch durch eine zu große Schräglage. Denn das schräge Vergnügen ist nur möglich, weil sich die entstehende Fliehkraft der Fahrzeugmassen über die Reifenhaftung abstützen kann. An der Reifenaufstandsfläche wirkt dann die Seitenkraft, die sich bei einhundertprozentiger Nutzung, da sind unter optimalen Bedingungen 45 Grad Schräglage, quer zur Fahrtrichtung aufbaut.
Hätte Wunibald Kamm seinen Kreis nicht erfunden, wüssten die wenigsten Zeitgenosse, dass Umfangs- und Seitenkräfte die mögliche Haftung nicht auf 100 Prozent verteilen, sondern je nach Schräglage in der Summe deutlich darüber liegen. Wer 50 Prozent Seitenhaftung beansprucht, das entspricht etwa 35 Grad Schräglage, kann immerhin noch mit 85 Prozent der möglichen Bremskraft verzögern.
Zum besseren Verständnis: 85 Prozent Bremskraft entspricht etwa einem Bremsweg von immer noch 43,7 Metern, die man bei 35 Grad Schräglage erreichen kann. Natürlich nur dann ,wenn man diese durch eine gezielt aufgebaute dynamische Achslaständerung (Druckaufbau an der Vorderradbremse innerhalb von etwa 0,7 Sekunden) auf das Vorderrad einleitet.
Rote Phase:
Anpassungsbremsung beim Einlenken. Dabei entsteht besonders bei breit bereiften Maschinen das sogenannte Aufstellmoment, bedingt durch die außermittig zur Lenkachse verlagerte Aufstandsfläche des Vorderreifens (Skizze links). Dieses Phänomen muss der Fahrer durch eine Gegenlenkkraft (blauer Pfeil) ausgleichen. Bei den Fahrversuchen wurde eine Gegenlenkkraft von bis zu 250 Newton (entspricht der Gewichtskraft von ca. 25 Kilogramm) bei rund zwölf Grad Schräglage gemessen.
Gelbe Phase:
Schräglage in der Rollphase. In diesem Fahrzustand sind die Umfangskräfte am Vorderrad minimal, während am Hinterrad je nach Geschwindigkeit die Antriebskraft einwirkt - bei 100 km/h zirka acht PS. Die Reifen können jetzt hohe Seitenkräfte übertragen und ermöglichen somit eine enorme Schräglage. Sollte diese überzogen werden, verliert meist der schmalere Vorderreifen zuerst die Haftung. Man sollte deshalb versuchen, so früh wie möglich leicht zu beschleunigen, um ihn zu entlasten.
Grüne Phase:
Beschleunigen aus Schräglage. Am Kurvenausgang wird sanft das Gas aufgezogen, wodurch sich das Motorrad aufrichtet und sich der Kurvenradius vergrößert. Soll dieser Vorgang beschleunigt werden, hilft ein zusätzlicher Druck am kurvenäußeren Lenker-ende. Je nach Beschleunigung wirkt eine mehr oder weniger starke Umfangskraft auf den Hinterreifen, weshalb dieser weniger Seitenkräfte, also Schräglage, verkraften kann als der vordere Reifen, der in dieser Phase nur minimale Umfangskräfte übertragen muss.