Schon viele Hersteller haben versucht, die BMW GS vom Thron der bestverkauften Reiseenduro zu stoßen. Fast alle machten bislang die Erfahrung, dass sie mehr dafür tun müssen. Jetzt startet Triumph den nächsten Versuch.
Schon viele Hersteller haben versucht, die BMW GS vom Thron der bestverkauften Reiseenduro zu stoßen. Fast alle machten bislang die Erfahrung, dass sie mehr dafür tun müssen. Jetzt startet Triumph den nächsten Versuch.
Wenn du ein Motorrad leichter machen willst als seinen Vorgänger, musst du jedes einzelne Teil leichter machen." Dieser Satz stammt vom legendären Ducati-Renntechniker Franco Farné; er gab ihn einst dem jungen Ingenieur Claudio Domenicali mit auf den Weg, der heute Chef von Ducati ist. Nun spielt Ducati in diesem Vergleich keine Rolle – nicht bevor sich die neue Triumph Tiger 1200 dem Vergleichstest mit der Ducati Multistrada V4, KTM 1290 Super Adventure und der BMW R 1250 GS stellt. Doch die Lehre von Franco Farné beschreibt, was die Entwickler von Triumph unternommen haben, um stolz verkünden zu können: Die Neue ist 25 Kilogramm leichter als ihre Vorgängerin. Und bis zu 17 Kilogramm leichter als das im Gewicht nächstliegende Konkurrenzmodell mit Kardanantrieb bei vergleichbarer Ausstattung. Gemeint ist die BMW R 1250 GS. Diese Aussage ist schwer nachprüfbar, weil die Gewichte je nach Ausstattung um mehr als 20 Kilogramm differieren und nicht für jede Variante MOTORRAD-Messwerte vorliegen. Geht man von den Werksangaben aus, ist die neue Tiger 1200 GT fahrfertig mit 90 Prozent Benzinfüllung und serienmäßiger Ausstattung neun Kilogramm leichter als eine vergleichbare BMW R 1250 GS.
Der Triumph-Dreizylinder allein ist sogar mehr als neun, nämlich satte 11,73 kg leichter als der BMW-Zweizylinder-Boxer. Selbst wenn man das Gewicht des mitgewogenen Motorkabelbaums der BMW großzügig veranschlagt, bleiben noch immer rund zehn Kilogramm übrig. Ein Boxermotor benötigt jedes Teil des Nockenwellenantriebs zweimal, ein Reihenmotor nur einmal. Ein gewisses Mehrgewicht bringen die Aktuatoren der Einlassnockenwellen mit sich, die beim BMW-Boxer last- und drehzahlabhängig zwischen einem "zahmen" und einem "scharfen" Nockenprofil umschalten. Auch die Primärwelle, die das Drehmoment von der vor dem Motor platzierten Kupplung auf das dahinterliegende Getriebe überträgt, ist mindestens so lang wie dieser Satz und entsprechend schwer.
Das Wiegen einzelner Fahrwerks-Baugruppen dokumentiert dagegen ein zähes Ringen um Einsparungen im Grammbereich. So lässt Triumph den Heckrahmen aus Leichtmetallrohren fertigen und erreicht beim Stahlrohr-Frontrahmen einen leichten Vorteil gegenüber der BMW, obgleich das Gewicht der seitlichen Alu-Schmiedeteile mit berücksichtigt wird. Sie sind mit Motor und Frontrahmen verschraubt, nehmen also im Bereich der Schwingenlagerung Kräfte auf und stützen die Unterzüge des Heckrahmens. BMW pflegt dagegen die reine Lehre des voll tragenden Motors.
Weitere Unterschiede zwischen den Fahrwerken der beiden Motorräder zeigen sich in der Radführung und -federung – Stichwort BMW-Telelever. Das Vorderrad wird hier von einer leichten Gabel ohne Federn und Dämpfungseinsätze geführt. Sie ist über ein Kugelgelenk mit dem vorderen Ende eines Längslenkers verbunden, dessen hinteres Ende im Motorgehäuse gelagert ist. Federung und Dämpfung besorgt ein Federbein, das den Längslenker gegen den Frontrahmen abstützt. Den Vorteilen – Anti-dive-Effekt beim Bremsen, sensibles Ansprechen der Federung – steht das im Vergleich mit einer Telegabel höhere Gewicht gegenüber.
Führung und Federung des Hinterrads obliegen bei BMW einer Einarmschwinge, Triumph hat sich bei der neuen Tiger 1200 für eine Zweiarmschwinge entschieden. 1,2 Kilogramm habe man gegenüber der Vorgängerin mit Einarmschwinge eingespart, so Triumph-Entwickler Stuart Wood. Aufgrund der einseitigen Belastung müssen Radlager, Radaufnahme und der Schwingenarm selbst bei Einarmkonstruktionen kräftig dimensioniert werden, sie fallen deshalb in der Regel schwerer aus als Zweiarmschwingen.
Hier gibt's den Fahrbericht zur neuen Tiger 1200
Bisweilen führt der Vergleich einzelner Bauteile aber in die Irre. Ein Beispiel: Triumph gibt das Gewicht der Schwinge inklusive der rechtsseitigen Achsaufnahme an. Sie ist daher schwerer als der nackte Schwingenkörper der BMW. Das Mehrgewicht wird jedoch kompensiert durch den Hinterachsantrieb der Tiger, der dank Zweiarm-Bauweise deutlich leichter sein kann als der BMW-Antrieb. Addiert man die Gewichte, ergibt sich ein Vorteil von 900 Gramm für die BMW. Das "in der Regel" gilt also nicht für sie, zumal auch die Hinterräder – Guss- und Drahtspeichenrad – leichter ausfallen als die Triumph-Pendants. Wie diese Massen auf die Länge der Schwinge verteilt sind, wie groß also der Anteil ungefederter Massen letztlich ausfällt, ist ein noch komplizierteres Kapitel.
Ein spannendes Thema ist auch die Leistungscharakteristik der Motoren. BMW hat hier mit der Schaltnockentechnik mächtig vorgelegt. Sie beruht auf verschiedenen Nockenprofilen für die Steuerung der Einlassventile: zwei mit sehr gemäßigten Steuerzeiten und Ventilhüben, um das Drehmoment im unteren Drehzahl- und Lastbereich zu stärken, und ein Nockenprofil, das im oberen Drehzahlbereich für ordentlich Spitzenleistung sorgt. Vor allem die Entwicklung des Drehmoments ist beeindruckend. Mit einem Spitzenwert von 143 Nm bei nur 6.250/min übertrifft der Schaltnocken-Boxer bei Weitem die Marke von 100 Nm pro Liter Hubraum, die noch immer als Maßstab gilt, sowie Motoren mit weit höherer Spitzenleistung. Nicht zu vergessen ist der Anteil dieser Technik an der Reduzierung der Schadstoffemissionen und des Benzinverbrauchs. Diesem Zweck dienen besonders die zwei "Drehmomentnocken". Ein Ventil wird später und weniger weit geöffnet als das andere und auch früher wieder geschlossen. Dies erzeugt einen Drall der Einlassströmung und letztlich eine besonders effiziente Verbrennung.
Triumph wiederum hat unter anderem durch eine drastische Verlagerung der Steuerzeiten, geringere Öffnungswinkel und Ventilhübe den Speed-Triple-Motor an das Einsatzprofil der Tiger 1200 angepasst. Weitaus drastischer ist jedoch die Änderung des Kurbeltriebs. Statt einer Kurbelwelle mit 120-Grad-Kröpfung erhielt der Tiger-Dreizylinder eine sogenannte T-plane-Welle mit 90-Grad-Kröpfung. Die Kurbelwelle hat auch mehr Schwungmasse als im Speed-Triple-Motor. Damit folgt Triumph dem Trend zu unterschiedlich langen Zündabständen – mit dem Ziel, die Traktion und das Gefühl des Fahrers für den Leistungseinsatz zu verbessern.
Viel Arbeit an hochkomplexen Kennfeldern steckt in den verschiedenen Fahrmodi mit der jeweils angepassten Steuerung der Drosselklappen. In dieser Disziplin legt die GS mit ihrem geschmeidigen, aber reaktionsschnellen Ansprechverhalten die Messlatte besonders hoch, und bei Triumph war man sich dessen bewusst. Das Ideal bei der Abstimmung der Elektronik besteht darin, den Fahrer/die Fahrerin möglichst nicht spüren zu lassen, dass diese arbeitet. In diesem Sinne hat sich Triumph bei der Entwicklung des semiaktiven Fahrwerks der Pro-Modelle für Showa als Partner entschieden. Die besonders reaktionsschnellen Dämpferventile der Showa-Elemente helfen dabei, das Motorrad in möglichst konstanter Lage über die jeweilige Fahrbahn gleiten zu lassen.