Vergleichstest: MV Agusta F3 675 und Triumph Daytona 675
Es dauert nur drei Minuten auf der ersten Fahrt mit der MV Agusta F3. Dann geht an der zweiten Ampel im Auto neben dir der erste Daumen hoch. Bewunderung folgt dieser ästhetischen mechanischen Skulptur wie eine Motte dem Licht. Ein Traum in Rot und Silber. Und auch ein Mythos, eine Legende. MV Agusta holte viele seiner 37 WM-Titel und 275 Grand Prix-Siege in den 60er- und 70er-Jahren auf Dreizylinder-Rennern. Das Werk aus Varese verneigt sich mit der F3 vor dieser glorreichen Historie. Und doch tritt sie hier ganz ordinär zum Nachtest gegen den bereits sechs Jahre alten Trendsetter Triumph Daytona 675 an.
Kompletten Artikel kaufen
Vergleichstest: MV Agusta F3 675, Triumph Daytona 675
Italien gegen England im Dreizylinder-Vergleich
Sie erhalten den kompletten Artikel (6 Seiten) als PDF
Denn bei aller Faszination fiel die Kritik in den ersten Tests in MOTORRAD saftig aus. Verzögerte Gasannahme und ein holprig-ruppiges Ansprechverhalten der rein elektronisch gesteuerten Drosselklappen, vulgo Ride-by-Wire, warfen die Schönheit im Fahrverhalten und in der Gunst der Tester zurück. Doch MV hat seine Hausaufgaben gemacht. Und bestückt seinen Supersport-Drilling ab sofort mit ganz neu programmierter Software – dem zweiten Update seit Produktionsbeginn. Hinzu kommen härtere Ruckdämpfergummis im Kupplungskorb. Diese neuen „Gummi-Silent-Blöcke“ sollen das Spiel im Antriebsstrang minimieren. Beide Maßnahmen rüstet MV an bereits ausgelieferten F3 kostenlos nach.
jkuenstle.de
Das Design der MV Agusta F3 675 setzt Akzente durch die drei Edelstahl-Auspuffflöten und den freien Blick aufs formschöne wie filigrane Hinterrad an der Einarmschwinge.
Und das ist gut so. Waren Stadtverkehr und Serpentinen-Surfen mit viel Gas auf, Gas zu dem Italo-Triple bislang ein Graus, legt er nun durch diese Maßnahmen deutlich an Fahrbarkeit zu. Der nominell 128 PS starke Ultrakurzhuber folgt Gasbefehlen im unteren Drehzahlbereich jetzt sanfter, aber auch direkter. Und läuft beim Schließen der riesigen 50er-Drosselklappen nicht mehr so ausgeprägt nach. So lässt sich der Stadtverkehr jetzt ganz ohne nerviges Gehacke und Lastwechsel-Geruckel absolvieren. Rispetto! Allerdings fühlt man am Scheitelpunkt von Kurven beim Wieder-ans Gas-gehen noch immer eine Zehntelsekunde Verzögerung. Weicher, nur etwas träger spricht der „N“-Modus auf den digitalen Gasgriff an als das sportliche S-Mapping, das gut zum rassigen Charakter der F3 passt.
Jedoch, ganz perfekt übersetzt die Elektronik nach wie vor nicht die Befehle der Gashand. Besonders bei höheren Drehzahlen. Wird kurz am Gas gezogen, reißt die Elektronik die Drosselklappen fast schon zu forsch (und zu lang) auf. Das Hochdrehen übers geplante Maß fühlt sich an wie kurzzeitiges „Nachlaufen“. Selbst im Stand ist es schwierig, mit dem Ride-by-Wire eine konstante Drehzahl zu halten. Doch kann man sich angesichts der nun wesentlich angenehmeren Lastwechsel im niedrigen Drehzahlbereich, etwa in Spitzkehren und der Stadt, damit arrangieren.
jkuenstle.de
Keilförmiger, weil am Heck deutlich höher stehend, kommt die Daytona 675 daher.
Viel geringer als bislang sind die mechanischen Laufgeräusche. Bei ersten Testexemplaren tippte man im Teillastbereich auf akuten Motorschaden. Da klingt die jetzt gefahrene F3 viel gesünder, mahlt nicht mehr so ohrenbetäubend. Und das, obwohl MV erklärt, den Motor selbst nicht verändert zu haben. Wermutstropfen: Im Leerlauf scheppert und rasselt die leichtgängige, per Seilzug betätigte Rutschkupplung nun lauter. Nicht schlimm, weil sie sich beim Auskuppeln im Nu beruhigt.
Und der Sound? Im Stand klingt die F3 eher wie ein Smart CDI als der stärkste Supersportler seiner Klasse. Beim Anfahren nimmt die MV anwohnerfreundlich Schalldämpfung ernst. Den drei kurzen Auspuffflöten am großen klappenbestückten Sammler entweichen zunächst zarte, wenig aggressive Töne. Das harte, röhrende Hämmern aus der Airbox unter Last hört zunächst mal nur der Fahrer. Was macht die Daytona? Agiert vom Stand weg anders, ganz anders. Drei Löwen sind das Wappen von England, drei Zylinder das Sinnbild von Triumph. Und die erwachen in der 675er mit herzlichem Brüllen. Nicht laut, nur kehlig-fauchend. Der Triple posaunt Lebensfreude aus dem Zubehörendtopf von Bodis unterm Heck, ohne sie den Anwohnern zu nehmen. Vom Start weg omnipräsent wirkt das bei jeder Drehzahl spürbar größere Drehmoment der Daytona. Ihr geschmeidiger Breitbandmotor ist einfach elastischer, benutzerfreundlicher. Er hat mehr Druck, der Fahrer bekommt die Mehr-Power untenherum besser auf die Straße.
jkuenstle.de
erspielt: zu kleine LCD-Pixel inklusive Anzeigen für Traktionskontrolle und Mapping, Drehzahlmesser schlecht ablesbar.
Die Triumph machte es ihrem Piloten einfacher. Sie geht nach wie vor viel feinfühliger, direkter und berechenbarer ans Gas. Zwei Gaszüge mögen konventionell sein, schlecht sind sie nicht. Und die Gänge des Triumph-Getriebes flutschen besser rein, die Gangräder finden leichter zueinander. Dieser prima abgestimmte Triple ist die reine Wonne. Klang-, drehmoment- und charakterstark. Dagegen bleibt selbst bei der modifizierten MV das Zusammenspiel von Kupplung, sehr leichtgängigem Gasgriff und dem Getriebe mit seinen langen Schaltwegen ein wenig diffizil. Beim Anfahren braucht die exakte Gasdosierung Fingerspitzengefühl. Der mies ablesbare LCD-Drehzahlmesser ist da keine Hilfe.
Das neue Mapping macht die F3 untenherum etwas stärker. Doch immer noch drückt die Daytona bis 13000/min viel vehementer! Das Bessere ist der Feind des Guten. Nein, die MV richtet sich an Kenner und Könner. Auf die Frage, ob er im Leben etwas bereut, wird ein F3-Fahrer antworten: „Ja. Ich hätte vor der letzten Kurve einen Gang runterschalten sollen.“ Die riesigen Ansaugschlünde kommen erst ab 10000/min voll zum Tragen. Wroooooumm, nun klingt die MV wie ein Raketenstart in Cape Canaveral, wie ein ganzes Fahrerlager. Sie stürmt so schnell in den roten Bereich bei knapp 15000 Touren, dass einem die Spucke wegbleibt. Sensationell sinnlich und aggressiv. Zumal der optionale Schaltautomat rasantes Hochschalten ermöglicht, ganz ohne Kuppeln. Feinperlige Vibrationen lassen bei Konstantfahrt auf der F3 die Hände ertauben. Kultivierter läuft der Triumph-Triple. Und sein klassischer Drehzahlmesser präsentiert sich besser ablesbar. Soll man der Daytona etwa vorwerfen, dass sie, wrooop, wrooop, nicht ganz so rasant ausdreht? Sie klingt dabei wie ein Tornado im Tiefflug. Fordert aber durchtrainierte Unterarme. Durch die devote Fahrerhaltung – das Sitzpolster liegt hoch und weiter von den Lenkerstummeln entfernt – ruht bei Schleichfahrt viel Last auf den Handgelenken. Bei der Triumph sitzt man auf der Maschine, bei der MV mittendrin.
jkuenstle.de
Prima: zwei konventionelle Gaszüge, voll einstellbare Gabel - samt High- und Lowspeed-Druckstufe Triumph Daytona 67.
Mit diesen Projektilen auf Rädern verschmilzt du. Diese Motorräder gieren nach Kurven, klappen so kinderleicht in Schräglage ab, dass es eine Pracht ist. Handlichkeit in begeisternden Dimensionen. Spielerisch und leichtfüßig. Der Preis dafür? Man muss vor allem die MV mit konzentrierter Hand führen. Denn selbst in tiefen Schräglagen nimmt die Italienerin Kurskorrekturen allzeit dankbar an. „Übermotiviert“, sagen die einen, „für neue Linienwahl bestens gerüstet“ andere Piloten. Auf jeden Fall zirkelt sie so zielgenau durch Kurvenradien aller Art, wie ein von einem erfahrenen Chirurgen geführtes Skalpell.
Stabilität, Handling und Lenkpräzision bilden bei der F3 eine süchtig machende Synthese. Die Mischung macht’s: Kurze 1,38 Meter Radstand, leichte 193 Kilogramm und die rückwärtsdrehende Kurbelwelle treffen wie bei allen aktuellen MVs auf eine Rahmenkonstruktion aus stählernem Gitterrohrrahmen und Aluminiumseitenplatten. Sollte der Grip am Hinterrad vor lauter Übermut mal nicht reichen, gibt die serienmäßige Traktionskontrolle Sicherheit. Mit der Lenkpräzision einer Cruise Missile ist die 189 Kilogramm leichte Triumph gesegnet. Allerdings lenkt sie einen Hauch träger ein – man spürt ihren versteckt liegenden Lenkungsdämpfer.
Keine Missverständnisse: Wir reden hier von Nuancen in Top-Fahrwerken. Insgesamt wirkt die Daytona gutmütiger, aber nicht weniger begeisternd. Und mindestens so rennstreckentauglich. Die Schräglagenfreiheit der Zwei ist auf öffentlichen Straßen unauslotbar. Sie rollen beide auf supersportlichen Pirelli-Pneus. Die MV auf Diablo Rosso Corsa, die Triumph auf straßenzugelassenen Rennreifen vom Typ Diablo Supercorsa SP. Haftvermögen und Führungsqualitäten sind top. Beide Maschinen lassen sich auf den Punkt hin verzögern – die Vierkolbenbremsen von Brembo (MV) und Nissin (Triumph) sind keine wütenden Beißer, sondern kräftige, gut einschätzbare Partner.
Rein rational fährt die Triumph einen überlegenen Testsieg ein, ist alltags- und durchzugsstärker. Die Daytona ist der wahre Speed-Triple, das können knapp 2000 Käufer bislang in Deutschland bezeugen. Beim Fahrwerk hält die MV voll dagegen. Einen Wunsch frei bei einer guten Fee? Sie soll bitte, bitte, den famosen Brit-Triple der Daytona ins betörend-sinnliche Chassis der MV Agusta F3 setzen. Das gäbe die perfekte Fahrmaschine. Emotional steht’s bei England gegen Italien nämlich drei zu drei.
MOTORRAD-Testergebnisse
1. Triumph Daytona 675.
Ihr drehmoment- wie charakterstarker Dreizylinder bleibt der beste Antrieb seiner Klasse, entkräftet alle Vorurteile gegenüber „600ern“. Und er sitzt sechs Jahre nach seinem Debüt in einem federleichten Top-Fahrwerk. Ein Supersportler, der Ratio und Emotion unter einen Hut bringt. Nur die Sitzposition ist richtig anstrengend.
2. MV Agusta F3 675.
Wann ist ein Motorrad ein tolles Motorrad? Wenn das eigene Leben ärmer wäre, hätte man es nie gefahren. Ein Attri- but, das die MV Agusta F3 erfüllt. Zumindest in der jüngsten Version. Nach dem Update an Mapping und Kupplung bringt sie viel Freude am Fahren. Sie ist edel, superhandlich, messerscharf und für MV-Verhältnisse echt günstig.
Daten und Messwerte
Archiv
Leistungsmessung - Dreh- vs. Breitbandmotor: Bei unteren und mittleren Drehzahlen drückt der Triumph-Triple bis zu 10 PS/Newtonmeter mehr. Die MV kommt kommt erst ab 10 000/min gewaltig.
Motor
| MV Agusta F3 675 | Triumph Daytona 675 | Bauart | Dreizylinder-Viertakt-Reihenmotor | Dreizylinder-Viertakt-Reihenmotor |
Einspritzung | Ø 50 mm | Ø 44 mm |
Kupplung | Mehrscheiben-Ölbadkupplung (Anti-Hopping) | Mehrscheiben- Ölbadkupplung |
Bohrung x Hub | 79,0 x 45,9 mm | 74,0 x 52,3 mm |
Hubraum | 675 cm3 | 675 cm3 |
Verdichtung | 13,0:1 | 12,65:1 |
Leistung | 94,2 kW (128 PS) bei 14400/min | 91,0 kW (124 PS) bei 12 600/min |
Drehmoment | 71 Nm bei 10 600/min | 72 Nm bei 11 700/min |