Vermutlich wissen Sie nicht mehr so ganz genau, was Sie am 4. Juli 1998 so alles angestellt haben. Das unterscheidet Sie von einigen Herren, die damals beim US-amerikanischen Schneemobil- und ATV-Hersteller Polaris beschäftigt waren; denn die erinnern sich garantiert noch an den besagten Samstag: Die erste Victory rollte aus der Montagehalle in Spirit Lake im US-Bundesstaat Iowa. Seit September 2009 ist Victory nun auch in Deutschland offiziell vertreten, und von 73 bundesweiten Zulassungen des Modelljahrs 2010 konnten sich die Amis anno 2015 auf 449 Stück steigern. Die Nordamerikaner versuchten erst gar nicht, die besseren Harleys zu bauen. Sie gingen von Anfang an mit einem ausgeklügelten Baukastensystem ganz eigene Wege. Basis ist die komplett selbst entwickelte, 106 cubic inch (1.731 cm³) große „Freedom Engine“. Anders als Harley setzt Victory auf einen ohc-Ventiltrieb mit vier Ventilen pro Zylinder. Der nur moderat langhubig ausgelegte und damit recht drehfreudig agierende V2 treibt alle Victorys an, so auch den Bestseller des Herstellers Victory Hammer.
Als S-Version unterscheidet sie sich durch eine Zweifarblackierung sowie filigranere und leichtere Schmiede-Gussräder vom anfangs 1.000 Euro günstigeren Basismodell. In Sachen Fahrdynamik gleicht eine Hammer aber der anderen: gewaltiger Antritt aus dem Drehzahlkeller, lässiges Surfen auf einer üppigen Drehmoment-Welle, die praktisch nie unter 100 Nm zur Verfügung stellt. Dazu gesellt sich ein für Cruiser-Verhältnisse erstaunlich stabiles und dabei ausreichend komfortables Fahrwerk. Als Kinderkrankheiten galten einige Elektrik-Fips (Regler!), die oft mühselige Suche nach dem Leerlauf und gewisse Schwächen bei der Verarbeitungsqualität (u. a. Korrosion an Schrauben und Schalldämpfern). Doch die Polaris-Truppe reagierte umgehend, und bereits ab Modelljahr 2011 waren die wesentlichen, in der MOTORRAD-Dauertestbilanz beanstandeten Mängel Geschichte. Gut für Neukäufer, noch besser für Gebrauchtkauf-Interessenten: Nicht nur in Sachen Zuverlässigkeit kann man mit der Victory Hammer praktisch nichts verkehrt machen.
Marktsituation

Über 60 Treffer bei den einschlägigen Internet-Börsen. Zeichen für ein üppiges Hammer-Gebrauchtangebot? Gemach, zwei Drittel davon sind Vorführer und Neufahrzeuge.
- ab 10.000 Euro
Beispielanzeige: Victory Hammer S, 59.000 km, EZ 10/2012, HU 3/2017, 3. Hand, scheckheftgepflegt, rot-weiß, Miller-Auspuff, LED-Blinker, schwarz folierter Front-Fender, Originalteile und Scheibe vorhanden, 9.950 Euro (Privatangebot aus Schleswig-Holstein)
Niedriges Preisniveau. Für Victory-Verhältnisse sehr hohe Kilometerleistung, daher knapp an der absoluten Preis-Untergrenze. Aber auch ein- bis zweitausend Euro darüber ist das Angebot dünn, und Schnäppchen landen erst gar nicht im Netz.
- ab 12.500 Euro
Beispielanzeige: Victory Hammer 8 Ball, 11.765 km, EZ 3/2011, HU 6/2017, 2. Hand, scheckheftgepflegt, schwarz, 105 PS/184 Nm, original USA-Auspuff, K&N-Luftfilter, Reifen neu, kleine Blinker, seitliches Kennzeichen, vorverl. Fußrasten, Arlen-Ness-Spiegel, Bandit-Sitzbank, Custom-Kupplungshebel etc., 12.990 Euro (Händlerangebot aus Brandenburg)
Mittleres Preisniveau. Mittelschwere Umbauten (10.000 bis 15.000 km) und einige 8 Ball-Vorführer tummeln sich in dieser, auch eher schwach besetzten Kategorie.
- ab 15.000 Euro
Beispielanzeige: Victory Hammer S, 24.600 km, EZ 3/2011, HU 5/2018, 2. Hand, scheckheftgepflegt, weiß-rot, Jekyll & Hyde-Auspuff mit Funk-Fernbedienung, seitlicher Kennzeichenhalter von Genscher V2, Kellermann-Blinker, gekürzter Heckbereich, Heck-Tieferlegung, viele weitere Umbauten und Extras, Zustand neuwertig, 15.500 Euro (Privatangebot aus Hessen)
Hohes Preisniveau. Ab 15 Mille wird die Auswahl deutlich größer. Hier treten Vorführer und (Fast-)Neufahrzeuge gegen sehr aufwendige (Radikal-)Umbauten an.
Modellpflege
- 2010: Erstes Modelljahr, Verkaufsstart im Spätherbst 2009; drei Ausführungen lieferbar: Victory Hammer 8 Ball/Victory Hammer/Victory Hammer S (13.990/15.490/16.490 Euro).
- 2011: Rumpfmotor und Getriebe überarbeitet (stabiler, Leerlaufschalthilfe), neuer Lichtmaschinenrotor, Zahnriemenrad pulverbeschichtet statt lackiert, neuer Regler, Hauptsicherung besser abgedichtet. Neue Preise: 14.490/15.690/16.990 Euro.
- 2012: Getriebe erneut überarbeitet (leiser). Sondermodell Victory Hammer S LT (17.290 Euro); Preise 8 Ball/S: 14.490/16.990 Euro.
- 2013: Preise Victory Hammer 8 Ball/S: 14.590/16.990 Euro
- 2014: Sondermodell Victory Hammer S LE (17.290 Euro)
- 2015: Fünf Jahre Garantie für alle Modelle
- 2016: Neue Bremsanlage, neue Räder für 8 Ball. Neue Preise 8 Ball/S: 15.550/17.850 Euro.
Händler-Interview mit Dennis Rattinger
Dennis Rattinger (37), Verkaufsberater und Victory-Experte beim niedersächsischen Mehrmarken-Vertragshändler Scholly’s (www.scholly.de).
MOTORRAD: Seit wann macht ihr Victory?
Dennis Rattinger: Wir sind seit Anfang an dabei, also seit Ende 2009 und verkaufen nicht nur Neu- und Gebrauchtmaschinen, sondern machen auch reichlich Umbauten. Eben gerade hat mir ein Kunde seine Hammer gebracht, die wir auf ein 300er-Hinterrad umrüsten sollen.
MOTORRAD: Wie sieht eure Victory-Kundschaft aus?
Dennis Rattinger: Total gemischt, von Jung bis Alt. Ich habe hier ein paar klassische Kuttenträger aus der MC-Szene, aber auch ältere Herrschaften, die Tourer fahren. Typisch auch Männer zwischen 40 und 50, die sich als Neu- bzw. Wiedereinsteiger endlich ihren Motorradtraum erfüllen wollen. Von 25 bis 60 Jahren ist einfach alles dabei.
MOTORRAD: Warum interessiert sich eure Kundschaft für Victory und nicht für Harley-Davidson?
Dennis Rattinger: Ich höre immer wieder, dass die Kunden sagen „Früher war Harley mal was Besonderes, aber heute ist es das nicht mehr“. Aber genau das wollen die Kunden: etwas Besonderes. Die richtig eingefleischten Harley-Fahrer bekommen wir von der Marke aber nicht weg – außer, der Händler hat es versaut …
MOTORRAD: Welches Modell ist euer Victory-Bestseller?
Dennis Rattinger: Das war bislang eindeutig die Hammer, aber die wurde in diesem Jahr von der Gunner überholt.Was nicht unbedingt nur am günstigeren Preis und am ABS liegen muss, Hauptgrund dürfte wohl die Optik sein.
MOTORRAD: Spielt ABS überhaupt eine Rolle?
Dennis Rattinger: Unsere Victory-Kundschaft ist das noch einigermaßen egal. Die sagen „Das habe ich jahrelang nicht gebraucht, was soll ich jetzt damit?! Ich cruise, ich jage nicht mit einem Renner los!“ Und die Hammer-Kunden interessiert das schon mal gar nicht. Die kommen in den Laden und wollen einfach das Dickste und Größte. Die wollen Druck, und ob das Ding nun gut in der Kurve liegt, ist ihnen eigentlich auch ziemlich egal.
MOTORRAD: Die beliebtesten Umbauten sind welche?
Dennis Rattinger: Kennzeichen und Auspuff. Bei zehn Neufahrzeugen baue ich neun Mal den Auspuff um. Und davon acht Mal Jekyll & Hyde, weil es einfach in Sachen Sound das Geilste ist, was du kaufen kannst. Und der neunte Auspuff ist dann ein Miller. Mittlerweile wird die Victory-Kundschaft in Sachen Umbaukosten auch lockerer. Anfangs wurde noch mächtig auf den Preis geguckt, zwischenzeitlich läuft das fast wie bei Harley: Macht mal, Hauptsache geil!
MOTORRAD: Und was fährst du privat?
Dennis Rattinger: Darf ich ja eigentlich gar nicht verraten: Buell.
Technische Daten (Victory Hammer S, Modelljahr 2010)
Motor: Luftgekühlter Zweizylinder-Viertakt-50-Grad-V-Motor, vier Ventile pro Zylinder, Nasssumpfschmierung, Einspritzung, geregelter Katalysator, mechanisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Sechsganggetriebe, Zahnriemen.
- Bohrung x Hub 101,0 x 108,0 mm
- Hubraum 1731 cm³
- Nennleistung 66 kW (90 PS) bei 4.900/min
- Max. Drehmoment 140 Nm bei 3.250/min
Fahrwerk
Doppelschleifenrahmen aus Stahl, Upside-down-Gabel, Zweiarmschwinge aus Alu, Zentralfederbein mit Hebelsystem, verstellbare Federbasis, Doppelscheibenbremse vorn, Scheibenbremse hinten.
- Alu-Gussräder 3.50 x 18; 8.50 x 18
- Reifen130/70 R 18; 250/40 R 18
Maße + Gewichte
Radstand 1.669 mm, Lenkkopfwinkel 57,3 Grad, Nachlauf 140 mm, Federweg v/h 130/100 mm, Sitzhöhe* 710 mm, Gewicht vollgetankt* 315 kg, Tankinhalt 17 Liter.
Messungen (MOTORRAD 21/2009)
- Höchstgeschwindigkeit 193 km/h
- Beschleunigung 0–100 km/h* 4,2 sek
- Durchzug 60–100 km/h* 4,5 sek
- Verbrauch* 5,2 l/100 km (Landstraße)
Die Konkurrenz
Ducati Diavel:
Teuflisch starkes und schnelles Muscle-Bike mit dem etwas gezähmten V2 aus der 1.198. Erstaunlich kurventauglich.
Zweizylinder-V-Motor, 1198 cm³, 162 PS, 240 kg, 0–100 km/h in 3,0 sek, Vmax 255 km/h, Verbrauch 5,9 Liter, ABS, ab 9.800 Euro*
Harley-Davidson Night Rod Special:
Potente Vertreterin der Harley-Parallelwelt mit wassergekühltem Vierventil-V2 und – Sakrileg – 60 Grad Zylinderwinkel.
Zweizylinder-V-Motor, 1.247 cm³, 122 PS, 302 kg, 0–100 km/h in 3,6 sek, Vmax 225 km/h, Verbrauch 5,8 Liter, ABS, ab 12.500 Euro*
Suzuki M 1800 R:
Übergewichtige, ABS-lose Wuchtbrumme mit harschen Lastwechselreaktionen und zornigen Bremsen. Nur etwas für Könner.
Zweizylinder-V-Motor, 1.783 cm³, 125 PS, 350 kg, 0–100 km/h in 4,0 sek, Vmax 213 km/h, Verbrauch 6,8 Liter, ab 8.000 Euro*
Triumph Thunderbird Storm:
Für Cruiser-Verhältnisse fast schon sportliche Alternative zum V2-Einerlei. Sieben Zentner, die auch in Kurven Spaß machen.
Zweizylinder-Reihenmotor, 1.699 cm³, 98 PS, 342 kg, 0–100 km/h in 4,9 sek, Vmax 185 km/h, Verbrauch 5,1 Liter, ABS, ab 9.500 Euro*
Weitere Infos zur Victory Hammer
Tests in MOTORRAD:
- 21/2008 (MR)
- 21/2009 (TT)
- 24/2010 (VT)
- 18/2011 (DT)
- 24/2011 (VT)
- 7/2013 (DT)
- 19/2015 (VT)
MR = Marken-Report, TT = Top-Test, VT = Vergleichstest; DT = Dauertest
Artikel-Download unter www.motorradonline.de/ekiosk
Internet
- Fansites: www.victory-forum.de
- Gebrauchtangebote: www.motorradonline.de/hammer_kaufen
Literatur
Deutschsprachige Victory-Literatur ist noch absolute Mangelware, und auch in den USA sieht es nicht sehr viel besser aus. Im 96-seitigen Taschenbuch „The Victory Motorcycle – Making of a New American V-Twin“ von 1998 wird immerhin die Geschichte der Firmengründung und die der ersten Modelle erzählt. Wermutstropfen: Gibt’s nur noch antiquarisch und dann meist gnadenlos überteuert.