Namen sind Schall und Rauch und manchmal auch Fluch. Dann nämlich, wenn ihr Klang förmlich zur Verballhornung einlädt. Da wird aus Fireblade schnell »Fireblöd«, und die große, zweizylindrige Schwester der XTZ 660 hieß im Volksmund ruckzuck »Super Tätärä«. Ein Schicksal, das der einzylindrigen Ténéré immerhin erspart blieb.
Unglücklich erscheint ihr Zunahme aus heutiger Sicht trotzdem, und zwar aus dem zweiten Grund, der Namen zur verzwickten Sache macht - wenn Eigenschaften suggeriert werden, die nicht zutreffen.
XTZ 660, seit 1991 im Programm, und seit damals mit einem Namen gesegnet, der groß in Mode war. Ténéré, ein Teil der Sahara, das versprach Freiheit und Abenteuer, den großen Wüstenritt auch für jene kleinen Abenteurer, die selbst beim Gang in den eigenen Garten die Landkarte mitnehmen.
Und die Fakten 1999? In der Tat, hochbeinig steht sie da, mit 220 Millimetern Federweg vorn und 200 hinten. Das mag auch für Dünenritte reichen, aber sonst? Die gediegene Metallic-Lackierung jedenfalls paßt besser in die Waschstraße als in den Sandsturm und die Erstbereifung Bridgestone Trailwing 47 und 48 da ist sie wieder, die Sache mit dem Namen statt in afrikanische Dürrezonen besser auf heimische Asphaltbänder.
Womit wir bei der eigentlichen Bestimmung der XTZ angekommen wären. Hieße die Yamaha mit Zunamen Bundesstraße oder Alpentour, klänge das zwar weniger aufregend, würde der Sache aber gerechter.
Rund 200 Kilogramm (fahrfertig) und ein hoher Schwerpunkt sind einfach nichts für loses Terrain. Auf der Straße oder dem einen oder anderen Feldweg stören sie hingegen nicht so sehr. Hier wie da besticht die Sitzposition: Sind die 870 mm lichte Höhe erst einmal erklommen, offenbaren sich auch für Menschen mit Gardemaß wahrhaft großzügige Platzverhältnisse, und zwar für Fahrer und Sozius. Man thront buchstäblich hinter dem breiten Lenker, zumindest in puncto Sitzposition deutlich entrückt vom Rest der Welt. Es läßt sich vorausschauen - Spielübersicht nannte das ein Kollege.
Ziemlich auf der Höhe ist auch die Fahrwerksauslegung der XTZ. Das schmale, 21 Zoll messende Vorderrad zum Beispiel bei den »Funduros« jüngerer Prägung fast durchweg aus der Mode gekommen steht zusammen mit dem stabilen Einschleifen-Stahlrohrrahmen für Linientreue. Anvisieren, umlegen, treffen so geht das mit der XTZ. Zwar wird die präzise Kurshaltung mit Abstrichen bei der Handlichkeit erkauft, doch winken als Entschädigung ordentlich abgestimmte Federelemente, die für den Straßenbetrieb ausreichend straff und dennoch komfortabel ausgelegt sind. Einen ebenfalls guten Kompromiß stellt die Doppelkolbenzange mit der 282-Millimeter- Scheibe dar. nicht sonderlich bissig, aber ganz passabel in ihrer Wirkung.
Apropos Kompromiß: Diese positive Interpretation von Mittelmäßigkeit, der Verzicht auf spektakuläre Einzelleistungen zugunsten eines homogenen Gesamteindrucks, prägt vor allem den Motor der XTZ: Mechanisch ruhig und kreuzbrav, läßt sich der wassergekühlte Fünfventiler ab 2000/min ohne Kettenpeitschen beschleunigen. Zwischen 4000 und 6000/min zeigt er Anflüge von Temperament, um 1000/min weiter bums in den Begrenzer zu drehen. Die ehrlichen Bemühungen des wassergekühlten Fünfventilers belaufen sich dabei auf nominell 46 PS und liegen damit im Einzylinder-Mittelfeld wo denn sonst.
Deutlich über dem Durchschnitt bewegen sich dagegen selbst heute noch die tourenrelevanten Faktoren Windschutz und Reichweite. Die voluminöse Bugverkleidung mit Doppelscheinwerfer und aufgesetztem Scheibchen schützt den Oberkörper erstaunlich effektiv vor dem Fahrtwind. In Kombination mit dem 20-Liter-Tank - auf den dankenswerterweise - ein Tankrucksack paßt, sind so bei geruhsamer Fahrweise locker 400 Kilometer drin. Die Verwirbelungen hinter der Verkleidungsscheibe sorgen allerdingsbei großen Menschen für eine unangenehme Geräuschkulisse sorgen.
Richtig problematisch wird´s für reisewillige Pärchen, die mehr als Kreditkarte und Zahnbürste mitnehmen wollen. Gerade 176 Kilo Zuladung erlaubt die XTZ. Das ist weder Mittelmaß noch Tugend, sondern einfach zuwenig und paßt so gar nicht ins Bild dieser ausgewogenen, reisetauglichen Enduro, deren Charakter nicht die Höhen und Tiefen eines hochalpinen Gebirges aufweist, sondern eher einer hügeligen Weidelandschaft sein.
Im Lauf der Zeit: Modellkonstanz
Seit ihrem Erscheinen im Jahr 1991 - damals löste sie die 600er Ténéré ab, mußte die XTZ 660 lediglich kosmetische Korrekturen über sich ergehen lassen. Eine opulentere Verkleidung mit Doppelscheinwerfer, ein neues Cockpit: das war es im Wesentlichen. Seit 1995 läuft die XTZ unverändert vom Band. Bis auf eine Kleinigkeit: Aufgrund der strengeren Geräuschvorschriften und damit verbundener Modifikationen am Auspuff verlor sie zur Saison 1996 zwei PS.Das Fahrwerk die Gabel ist nicht einstellbar, beim Federbein lassen sich Federbasis und Zugstufe variieren funktioniert auch nach heutigen Maßstäben noch zufriedenstellend. Der Motor ist konzeptionell gesehen mit seiner Fünfventiltechnik und Flüssigkeitskühlung ebenfalls noch auf der Höhe der Zeit. Allerdings zeigen jüngere Aggregate seiner Gewichtsklasse, daß es auch spritziger geht.Doch wer einen Ampelsprinter oder einen verhinderten Crosser sucht, greift ohnehin nicht zur XTZ. Ihr Metier ist Reisen, und das hat sie im Griff. Schade nur, daß nicht jeder die Yamaha im Griff hat. Die 1991 so moderne Wüstenkonzeption verbietet sich mit 870 mm Sitzhöhe für kleinere Menschen seit Jahren von selbst. Die XTZ 660 Ténéré in MOTORRAD: Vergleichstest 10/1991; Vergleichstest 12/1991; Vergleichstest 10/1992; Langstreckentest 11/1993; Vergleichstest 3/1994; Kurztest 12/ 1994; Vergleichstest 19/1994; Gebrauchtkauf 26/1996.