Schweden ist ein dünn besiedeltes Land mit extrem viel Wildnis, Wäldern und Seen. Hier kann man auch auf dem Motorrad noch eins mit der Natur werden. Jan Leek und Fredrik Lundgren suchten und fanden das Schotterparadies im Norden.
Schweden ist ein dünn besiedeltes Land mit extrem viel Wildnis, Wäldern und Seen. Hier kann man auch auf dem Motorrad noch eins mit der Natur werden. Jan Leek und Fredrik Lundgren suchten und fanden das Schotterparadies im Norden.
Die völlige Entspannung: In der Kommune von Arjeplog leben nur 0,24 Menschen pro Quadratkilometer. Übertrüge man diese Bevölkerungsdichte auf die Millionenstadt Stockholm, hätte diese nur noch 45 Einwohner. In der Gemeinde Arjeplog gibt es außerdem doppelt so viele Seen wie Menschen. Angler haben eine Riesenauswahl. Willkommen im Silberland!
Hier herrscht die freie Wildnis. Klare Luft und reines Wasser gibt es im Überfluss. Mit dem Motorrad lässt es sich grenzenlos ausschweifen. So was muss man im restlichen Europa erst mal finden. Verkehr? Die Straßen sind wie leer gefegt. Stau ist, wenn zwei Fahrzeuge durch Zufall gleichzeitig bei Frasses Grillimbiss in Arjeplog einkehren. Von Sorsele aus sind es nur 73 Kilometer nach Arjeplog auf dem Inlandsvägen, heute E45. Doch es gibt einen Umweg, und der besteht über 294 Kilometer fast nur aus Schotter. Sorsele-Arvidsjaur, the hard way.
Mit mir fahren Jan Leek und sein Sohn Björn. Auf unserer Jagd nach den besten Schotterpisten Schwedens sind wir jetzt in der Provinz Södra Norrbotten - Südlicher Norrbotten. Der Begriff „südlich“ so weit nördlich mutet seltsam an, denn kurz vor Måskenåive und Fjällnäs sticht uns der Frost gehörig in die Nase.
Eine mehrere Kilometer lange Schottergerade mag nicht aufregend klingen, aber hier hat sie ihren eigenen Reiz. Zwischen den Kurven tauchen immer wieder diese beeindruckenden Geraden auf, die in sanften Wellen rauf- und runterlaufen. Was sich in Fahrt wie Surfen in Zeitlupe anfühlt! Manchmal sind die Wellen auch steil. Dann stößt der Lenker heftig an die Brust und belastet urplötzlich die Armmuskulatur. Auf der Hügelspitze federt das Motorrad komplett aus, und wir genießen diesen gewichtslosen Moment des Freiflugs. Atemberaubend, genau wie die Ausblicke.
Nach 20 Kilometer Schotter haben wir uns warm gefahren, der Morgennebel löst sich auf, und wir schalten hoch. Auch wenn es so gut wie keinen Verkehr gibt, müssen wir aufpassen, denn Rentiere tragen Tarnfarbe und haben eine Vorliebe für Spaziergänge auf der Piste. Hier, in der Nähe von Ammarnäs mit den zwei Samendörfern Gran und Ran in Reichweite, ist die Rentierdichte in Schweden am höchsten. In Gargjaur biegen wir rechts ab und fahren am Mjölkberg vorbei - Milchberg. Die Ortsschilder wechseln ständig zwischen Samisch und Schwedisch. Bei Maskaur geht es weiter auf dem südwestlichen Strand des großen Sees Uddjaure. Haben Sie gewusst, dass es in diesem See genauso viele Inseln gibt wie Tage im Jahr?
Nach 62 Kilometer unterhaltsamer und naturschöner Schotterstrecken sind wir an der Südspitze des Uddjaure, wo wir rechts nach Mellanström abbiegen. Vier bis fünf graue Häuser, zwei davon verlassen und vielleicht sogar vergessen. Trotzdem als „richtige“ Ortschaft auf der Karte verzeichnet. Man sagt, Stockholm sei eine der schönsten Städte der Welt, umrandet von glitzerndem Wasser. Nix da, es ist Mellanström. Hier unter dem Berg Gaika, wo die zwei tiefen Buchten Välbma und Dväljan aneinanderstoßen, liegt dieses kleine Juwel. Kein anderer Ort auf der Welt funkelt so schön wie Mellanström. Dafür ist aber das Angebot an Benzin, Restaurants und Kultur sehr beschränkt, weshalb wir schnell wieder nach rechts Richtung Arjeplog abbiegen.
Arjeplog oder Árjepluovve, wie es hier im Sápmi (schwedisch für Lappland) heißt, ist das Zentrum der Silbergewinnung. Nicht nur Zentrum übrigens, sondern die einzige Stadt in der Gegend hier oben. Seit Sorsele sind wir jetzt 120 Kilometer gefahren. Hier könnte man ein oder zwei Tage bleiben, um die attraktive Gegend zu erforschen, in der während des Winters atemberaubende Snowmobil-Touren angeboten werden. Zudem könnten wir einen Schlenker auf der Silberstraße Richtung Norwegen wagen.
Leider können wir hier nicht übernachten, der Trupp will heute noch mehr Kilometer fressen und unbedingt weiterfahren. Wir essen, tanken die Motorräder und werfen noch einen Blick auf die Stadt mit dem Silbermuseum (www.silvermuseet.arjeplog.se) und der sehenswerten, rosafarbenen Holzkirche. Übrigens befindet sich in Arjeplog die einzige Tankstelle auf unserer Route Sorsele-Arjeplog, was man bei der Planung berücksichtigen sollte. Der Spritverbrauch auf den Pisten ist bei aktiver Fahrweise mit öfters durchdrehendem Hinterrad höher als beim normalen Endurowandern, und ein paar Liter Reserve für ungeplante Umwege schaden auch nicht.
Die Reichsstraße 95, die sogenannte Silberstraße, schneidet diagonal durch die Kommune, von Skellefteå an der Ostküste zur norwegischen Grenze 350 Kilometer entfernt. Wir folgen ihr aber nur drei Kilometer und verlassen sie bei dem Schild „Stenudden 65“. Ein Schild, das viel erzählt über die Entfernungen hier. Stenudden am Ende der 65 Kilometer langen, kurvigen Schotterpiste hat gerade mal sechs Häuser!
Wir wollen aber nicht nach Stenudden, weil das eine Sackgasse wäre, sondern begeben uns auf eine 180 Kilometer lange Schleife zu unserem Tagesziel: Arvidsjaur. Die ersten fünf Kilometer sind Asphalt. Die Straße balanciert auf schmalen Landzungen zwischen dem 70 Kilometer langen See Hornavan und dem kleineren Kakel-See. Anschließend liegen Unmengen von Schotter vor uns. 120 Kilometer Piste ohne Kreuzungen oder Abzweiger machen den Blick auf GPS oder Landkarten überflüssig. Was bleibt, ist reiner Offroad-Genuss: Kurven, Hügel, und mit Verkehr ist nicht zu rechnen.
Die lange Schleife ist nicht nur wegen des Fahrvergnügens die Reise wert. Erst hier befinden wir uns wirklich in der Wildnis, im wahren Lappland mit seiner großartigen Natur. Anfangs verläuft die Piste zwischen unzähligen Seen aller Größen, vom tanzflächenkleinen Tarn bis zu großen azurblauen Fast-Weltmeeren mit weißen Wolkenspiegelungen auf der Wasseroberfläche. Dann schlägt der Weg einen Bogen um den exakt 700 Meter hohen Berg Kartevare, folgt aber weiter der Südseite der Seen Saddajaure und Vuolvojaure.
Kaum haben wir diese beiden Seen hinter uns, fahren wir auch schon wieder durch dunkle Wälder. Die Landschaft wird noch hügeliger, was die Federung unserer Motorräder wieder stärker strapaziert. Auf der linken Seite strömt Piteälv vorbei, rechts - wer hätte das gedacht? - tauchen in schöner Regelmäßigkeit kleine Seen auf. Zehn Kilometer hinter der Kreuzung in Suddesjaur machen wir eine längere Pause. Hier liegt einer der kulturellen Höhepunkte unserer gesamten Tour in Form eines sehr ernst zu nehmenden Museums: das einzigartige Strömnäs-Schneemobilmuseum. Strömnäs ist nicht mehr als eine Handvoll Häuser. In einer alten Stallung wartet auf die Besucher eine fantastische Sammlung von Schneemobilen, die von den -Anfängen bis weit in die 80er-Jahre reicht. Die Geschichte der Snowmobile ist nicht so alt, wie man vielleicht denkt. Nach einigen Versuchen in den 50er-Jahren fand die eigentliche Entwicklung erst in den 60ern statt. In den 70ern explodierte die Szene, und in den 80ern war das moderne Schneemobil etwa bis zum gegenwärtigen Standard fertig entwickelt. Heutzutage gibt es in Schweden mehr Schneemobile als Motorräder.
Die Sammlung enthält darüber hinaus Arbeitsgeräte für harte Einsätze in einer schneebedeckten Umgebung, wie beispielsweise primitive Motorsägen und motorisierte Eisbohrer. Nur zehn Kilometer weiter befinden wir uns im Naturreservat Reivo, fast zehn Quadratkilometer groß. Nach einem verheerenden Brand im Jahre 1966 wurde der Wald in Ruhe gelassen und hat sich seitdem weitgehend erholt. Solche Brände entstehen auch ohne menschliches Zutun regelmäßig. Sie können aber in der Folge bedeuten, dass sich einige Baumsorten schneller als andere erholen und eine nicht wünschenswerte Monokultur entsteht. Ein Teil des Reservats ist deshalb als echter Urwald zum Weltkulturerbe erhoben worden.
Hinter Reivo bleiben uns nur noch 30 Kilometer Schotterunterhaltung, bis wir in der Nähe von Arvidsjaur einlaufen. Mit einer Einwohnerzahl von 5000 Menschen ist der Ort für diese Gegend fast eine Metropole mit einem reichhaltigen Angebot an Outdoor-Aktivitäten, Geschäften, Restaurants, Kinos und Hotels. Das „Hotel Laponia“ lockt mit Übernachtung in luxuriösem Ambiente, doch wir wählen eine Hütte auf dem Zeltplatz Camp Gielas.
Im Sommer ist Arvidsjaur Haltestelle für Nordkap-Touristen und im Winter großes Testcenter für die Autoindustrie. Wir sind jetzt wieder 110 Kilometer südlich vom Polarkreis, aber noch vor kurzer Zeit haben wir uns in Vuolvojaure dem magischen Zirkel auf 15 Kilometer genähert. Der Name Arvidsjaur leitet sich übrigens von dem samischen „Árviesjávrrie“ ab, was einfach nur bedeutet, dass der hiesige See unglaublich viel Fisch beinhaltet.
Wir spritzen die Motorräder ab, hängen die Klamotten in den Trockenschrank, essen Rentier auf Teig, gönnen uns zwei Pils und ziehen Bilanz: Der kürzeste Weg zwischen Sorsele und Arvidsjaur wäre auf 73 Kilometer Asphaltstraße schnell abgespult. Wir haben die Distanz zwischen den Orten auf 294 Kilometer ausgedehnt, die meisten davon auf Schotter durch ursprüngliche Wildnis. Davon werden wir jetzt lange zehren.
Rund um die nordschwedische Kommune Arjeplog im Silberland gibt es nur Wildnis, Wasser und endlose Wege. Naturverliebte Motorradwanderer sind hier goldrichtig.
Allgemeines:
Im Kreis Arjeplog leben 3100 Personen, was einer Bevölkerungsdichte von nur 0,24 Personen pro Quadrat-kilometer entspricht. Zum Vergleich: Im Bundesland Nordrhein-Westfalen leben 523 Menschen auf einem Quadratkilometer! Auf dem Nasafjell in Norwegen wurde im 17. Jahrhundert Silber entdeckt und zwischen 1635 und 1659 sowie von 1779 bis 1810 abgebaut. Auch in Arjeplog findet man überall Spuren der Silbergewinnung. Von dem 800 Meter hohen Galtispuoda genießt man eine grandiose Aussicht auf Sorsele, Jokkmokk, Arvidsjaur und Saltdal (Norwegen). Rund um Ammarnäs bewegen sich die meisten Rentiere in Schweden. Der wirtschaftliche Wohlstand der Region liegt nicht nur in der intakten Natur und dem Tourismus begründet, sondern vor allem in den Aktivitäten der deutschen Automobilindustrie, die hier im Winter forscht und testet und eine Infrastruktur benötigt.
Fläche:
Arjeplog liegt im Ranking der Kreise in ganz Schweden mit 12 945 Quadratkilometern auf Platz vier hinter den Kreisen Kiruna, Gällivare und Jokkmokk.
Gewässer:
Im Kreis Arjeplog existieren 8727 Seen, pro Einwohner also 2,5 Seen und drei Kilometer Strand! Hornavan ist mit 226 Meter Wassertiefe der tiefste See Schwedens, besitzt 400 Inseln und erstreckt sich über 70 Kilometer. Das Wasser in der Natur ist hier überall trinkbar, der Geschmack des reichhaltigen Fischbestands einzigartig.
Naturparks:
Ein Nationalpark und 13 Naturreservate samt einem Tierschutzgebiet bedecken rund elf Prozent von der Gemeindefläche oder 150 210 Hektar.
Übernachtung:
Empfehlenswerte Hotels: Silverhattan, Kraja, Silverlodge (www.kraja.se), Startsida (www.hornavanhotell.se).Campingplätze, Hütten fast überall.
Adressen:
www.experiencearjeplog.se (Quads-, Snowmobil-touren), www.besucherguide-schweden.de, www.actionteam.de