Entlang der B 27

Entlang der B 27 Über Land eiern

In den vergangenen Jahren kam einiges zusammen. Ein paar Kilometer auf der Route 66, einige Abschnitte auf der Panamericana und sogar ein Teilstück entlang der Seidenstraße. Jetzt war die B 27 an der Reihe. Ein Trip von Stuttgart nach Göttingen.

Über Land eiern Mutschler

Der Stuttgarter Pragsattel. Megakreuzung, Nadelöhr, Dauerbaustelle, Tag für Tag endloser Stau. Ich auf der Harley mittendrin, die B 27 stadtauswärts unter den breiten Reifen, Dieselruß im Gesicht. Im Moment geht nichts. Was daran liegt, dass das Herz der Schwaben tief unten in einem Kessel schlägt. Und aufgrund dieser Topographie mit dem Rest der Welt durch zu wenige Straßen verbunden ist. Wer da rein oder raus will, braucht Zeit. Viel Zeit. Und wer hier nicht verzweifelt, verliert auch in Kairo, Manhattan oder Mexico City nicht die Nerven. Garantiert.

Fotograf Hardy stört das Nadelöhr indes wenig. Aus seiner Perspektive macht sich die Harley im Stau gut. Die ersten Bilder sind bereits im Kasten. Er scheint zufrieden. Tatsächlich war es seine Idee, einfach mal eine Landstraße von A bis Z unter die Lupe zu nehmen. Keine Museen, keine Schlösser, keine Aussichtspunkte. Sondern Tankstellen, Frittenbuden, Parkplätze. Schauen, was am Straßenrand passiert. Dass wir uns für die 27 zwischen Stuttgart und Göttingen entschieden haben, liegt an mir. Bin jahrelang von der niedersächsischen Universitätsstadt in die schwäbische Metropole gependelt. Der Liebe wegen. Irgendwann war ich per du mit jedem Tankwart, mit jeder Ideallinie und - der Bratwurst wegen - Stammgast im Rasthof Rhön. Damals hatte ich mir fest vorgenommen, anstelle der elendigen Autobahnbolzerei einmal auf der 27 durch die schwäbisch-bayerisch-hessisch-niedersächische Provinz zu bummeln, zumal diese Straße sozusagen von Tür zu Tür führt. Keine Ahnung, warum es nie dazu gekommen ist.

Mutschler
Entlang der B27 - MOTORRAD 5/2004

Endlich ein wenig Tempo. Völlig unspektakulär windet sich die B 27 aus dem Randgebiet Stuttgarts, teilt Ludwigsburg, schwingt sich in Richtung Heilbronn, vorbei an schmuckloser Kleinindustrie, kahlen Äckern und Weiden. Die ersten Sonnenstrahlen fallen auf den Asphalt. "Ein Jahr Arbeit, dann geht der wie Schnitzel!" Zwei Türken, etwa Mitte zwanzig, Cowboystiefel, offenes Hemd, Sonnenbrille, Zigarette lässig im Mundwinkel, lassen ihren Blick hingebungsvoll über die völlig verratzte Karosse eines Opel Manta wandern. Die B-Version aus den Achtzigern in Knallgelb, gewaltig aufgemotzt mit breiten Schlappen, Spoilern, einer Lufthutze auf der Haube und - quasi Ehrensache - tiefer gelegt. Ein echtes Relikt aus der Zeit der Manta-Filme, das auf dem Hof eines Heilbronners Gebrauchtwagenhändlers vor sich hingammelt, garantiert längst klinisch tot. Ihren "Cali", wie die beiden fast schon zärtlich ihren schwarzen Opel Calibra nennen, hätten sie ebenfalls wieder aufgebaut, so erzählen sie: verbreiterte Karosserie, mächtig schräg gestellte Reifen, knüppelhartes Fahrwerk, megascharfe Nockenwelle und Mega-Auspuffrohr. Schwere Bässe wummern aus dem Opel, Sprechgesang. "Der zieht locker jedem 3er davon!" Auch wir ziehen davon.

Entlang der B 27 (2)

Mutschler
Entlang der B 27 - MOTORRAD 6/2004

Bad Wimpfen. Mittelalter pur. Obwohl nicht direkt an der B 27 gelegen, riskieren wir auf der Suche nach einem Frühstück einen Blick, halten unter einer Neonreklame, die milchig-weißes Licht verströmt. "Kiosk Berger". Ein offenes Schiebefenster in einer unscheinbaren, leicht bröckelnden Fassade, der Duft nach frisch gebrühtem Kaffee, belegte Brötchen zwischen Zeitschriften, Holzschnitzereien und Geschenkartikeln, ein überaus freundliches Lächeln. "Nein, ich kann mir wirklich keine andere Arbeit vorstellen." Inhaberin Monika Berger drückt dem nächsten Kunden unverlangt eine Bild-Zeitung und ein Päckchen Camel Light in die Hand. Sie kennt ihre Stammkunden. Geld? "Auf den ist Verlass, der kommt jeden Tag in der Früh und zahlt später." Der Kiosk ist seit 45 Jahren im Familienbesitz, längst eine Institution in dem kleinen Ort. Wachhund Klaus bellt in einer Tour.

Mutschler
Entlang der B 27 - MOTORRAD 6/2004

Weinberge und der Neckar nehmen die 27 in die Zange. Lang gezogene Kurven. Die ersten Kilometer, die wirklich Spaß machen. Die V-Rod entpuppt sich als heißes Eisen, brennt auf Höhe des Krümmers während der Fahrt ein mittelgroßes Loch in meine betagte Belstaffhose. Bei Mosbach kehrt die Bundesstraße dem Fluss den Rücken. Es geht bergan durch die Ausläufer des Odenwalds in Richtung Würzburg. 90 ziemlich einsame Kilometer durch überraschend karges Land. Dörfer aus Fachwerk, die sich in diesen höheren Lagen wie kleine Trutzburgen gegen Wind und Wetter und gelegentlich gegen die Moderne stemmen: Es gibt noch immer Tante-Emma-Läden, und überall künden Plakate die Heavy-Rockband Bonfire - das sind die Burschen mit den dauergewellten 80er-Jahre-Frisuren - als Topact der Walldürner Rocknacht an. Verkehr allenfalls in Buchen und Tauberbischofsheim. Ansonsten freie Fahrt. Zwischendurch eine Pause, ein Gespräch irgendwo am Straßenrand. Thomas Marold und seine Kollegen vom Straßenbauamt geraten beim Anblick der V-Rod ein wenig ins Schwärmen, finden den Hobel nur viel zu teuer. Ihr Job: Löcher im Teer flicken. Tatsächlich mutiert die B 27 teilweise zu einer wettergegerbten Rumpelstrecke. Ich spür's im Kreuz.

Entlang der B 27 (Infos)

Die Bundesstraße 27 windet sich durch mehrere Bundesländer von Blumberg im Schwarzwald bis Blankenburg im Ostharz. Auf manchen Abschnitten bietet diese Straße allerdings wenig Fahrspaß – rechts und links davon finden sich im Schwarz- und Odenwald, in der Rhön, im Hessischen Bergland oder im Harz garantiert weitaus attraktivere Strecken. Wer auf der Suche nach interessanten Abstechern und Routen ist oder sich selber eine tolle Kurvenstrecke zusammenstellen möchte, dem sei der MOTORRAD-Tourenplaner 2004/2005 empfohlen: entweder einen der 555 Tourenvorschläge übernehmen oder am Bildschirm die eigene Wunschroute eingeben, berechnen und mit allen Infos als Roadbook und/oder Karte ausdrucken lassen. Als CD oder DVD für 39,95 Euro (zuzüglich 2,35 Euro Versandkosten) zu bestellen unter Telefon 0711/182-2424 sowie unter www.motorradonline.de. Adressen: Kiosk Berger, Corneliastraße 12, Bad Wimpfen; Zweiradhaus Ulf Schülbe, Eschweger Landstraße 5a, Bad Sooden-Allendorf, Telefon 05652/95580. Der Winzerverein von Retzbach am Main vermittelt Privatzimmer ab 15 Euro, Telefon 09364/4097. Für Schnaps-Fans: www.schierker-feuerstein.de. Für Musik-Fans: www.bonfire.de (Kompliment für diese Seite) sowie www.barbedwire.de.

Zur Startseite
Mehr zum Thema Hessen
Odenwald
Reisen
Reisen
Verkehr & Wirtschaft
Reisen
Mehr anzeigen