Offroad-Spaß am Strand, im State Park Freiheit, die hierzulande undenkbar ist. In Kalifornien gibts diese Gaudi. Allerdings staatlich kontrolliert. MOTORRAD ging mit auf Patrouille, um die Grenzen der Freiheit auszuloten. In den Oceano Dunes.
Offroad-Spaß am Strand, im State Park Freiheit, die hierzulande undenkbar ist. In Kalifornien gibts diese Gaudi. Allerdings staatlich kontrolliert. MOTORRAD ging mit auf Patrouille, um die Grenzen der Freiheit auszuloten. In den Oceano Dunes.
Möwen schreien, Wellen rauschen, Benzin ist in der Luft. State-Park-Ranger Alan S. Marshall steht auf einer knapp 30 Meter hohen Sanddüne. Er stützt sich auf die Kante der halb geöffneten Fahrertür seines extrem geländegängigen Dienstfahrzeugs ein Hummer. Der Ranger späht durch sein Fernglas und nimmt drei kleine, sich bewegende Punkte ins Visier. Die Punkte ziehen eine Staubwolke hinter sich her, werden größer, bekommen Kontur. Eine Minute später hält der Aufseher sie an, fragt, wohin sie wollen. »Aufs Klo«, antwortet ein Fahrer. Marshall lächelt: »Hinter der Düne seht ihr ein Schild, dort ist der Toilettenbereich.«
Kalifornien mit seinen 40 Millionen Einwohnern gilt in den USA als Trendbarometer. Auch für den Umweltschutz, und deshalb sieht sich Ranger Marshall als kalifornischer Beamter in einer besonderen Pflicht. »Wir müssen auf unsere schöne Landschaft achten, unsere Flora, unsere Fauna. Wir haben eine unglaubliche Artenvielfalt hier, und ohne unsere Aufsicht wäre die in Gefahr«, erklärt der 53-Jährige.
Seit 25 Jahren ist er im Nationalpark Wächter der Dünen. Motorrad durfte man in den feinsandigen, von der Pazifik-Brise aufgeworfenen Hügeln schon immer fahren. Der Ranger, dessen Vater ebenfalls Ranger war, zeigt auf fast hundert Jahre alte Fotos. Ein großer Teil der Dünen wurde in den Siebzigern zum Naturschutzgebiet erklärt. 18000 Hektar gab die Regierung 1983 für Motorfahrzeuge frei, und auf fünf Beach-Meilen darf man offiziell auf Sandwellen surfen. Das ist übrigens der einzige Strand in Kalifornien, auf dem Autos und Motorräder erlaubt sind, und das Ganze nennt sich »State Vehicular Recreation Area«. Insgesamt gibt es in Kalifornien sechs solcher »staatlicher Motorsport-Erholungsgebiete«, doch die anderen liegen eher weit ab vom Schuss im Hinterland.
Die Touristen-Attraktion Oceano Dunes ist von Los Angeles oder San Francisco aus in wenigen Stunden erreichbar, der nahe gelegene Ort Pismo Beach ein beliebtes Seebad. Jährlich pilgern rund drei Millionen Besucher zu den Oceano Dunes, um für ein paar Tage in diesem überdimensionalen Sandkasten zu spielen. Das Gebiet ist ganzjährig geöffnet, lediglich zu Brutzeiten einiger Vogelarten sind Teile des State-Parks geschlossen. Wer dann in abgesperrten Naturschutz-Zonen mit einem Fahrzeug erwischt wird, muss mit drakonischen Strafen rechnen.
Wobei solche Regelverstöße laut Marshall so gut wie nie vorkommen. Durch die sanften Dünen-Wellen ziehen sich, natürlich beschildert, sogenannte »Sand-Highways«, Vollgasstrecken, von denen man links und rechts zu kniffeligen Auf- und Abfahrten abbiegen kann. Einige Dünen haben scharfe Abbruchkanten, die sich hervorragend als Sprungschanzen eignen. Um die Unfallgefahr zu minimieren, müssen alle Motorräder, ATVs und sonstige Geländefahrzeuge eine Signalflagge hissen, um im eintönigen Sand nicht übersehen zu werden.
Ranger Marshall stoppt mit seinem imposanten Hummer-Polizeiauto neben einem Enduro-Youngster, verschiebt seine Sonnenbrille und ruft: »Hey, wo ist deine Flagge?« Der Jugendliche erwidert: »Oh, sorry, mein Kumpel holt sie gerade.« Marshall lässt Gnade vor Recht walten, ermahnt den Jungen freundlich, aber bestimmt, sich nicht noch mal erwischen zu lassen, dann nämlich drohe eine Geldstrafe und ein Platzverweis. »Insgesamt halten sich die meisten an alle Regeln und Vorschriften«, meint der Ordnungshüter. »Die Selbstregulierung funktioniert ausgezeichnet, schließlich sind die Leute hier, um Spaß zu haben, und den lassen sie sich ungern durch ein paar Quertreiber vermiesen«, sagt der erfahrene Staatsdiener.
Am Wochenende und zur Ferienzeit bilden sich regelrechte Wagenburgen aus Wohnmobilen, Camptrailern und anderen Fahrzeugen, die Zelte, Grillgeräte, Bierkisten, Sitzgarnituren und sonstiges Partyzubehör herbeischaffen. Jung und Alt feiern ausgelassen, mal eher familiär, mal ziemlich ordinär. Da manche bei der Anfahrt über den breiten Strand Ebbe und Flut nicht berücksichtigen, bleiben die schwer beladenen Fahrzeuge gelegentlich stecken. Das trägt zur Belustigung der Zuschauer bei, die sich dann jedoch schnell zu einer Bergungsaktion zusammenschließen. Denn wenn Ranger Marshall und seine Kollegen kommen müssen, um die Karre aus dem Dreck zu ziehen, wirds teuer: 300 Dollar Abschleppgebühren.
Marshall wird per Funk von einem ehrenamtlichen Helfer zum Strand gerufen. Ein paar College-Studenten seien mit ihrem Pick-up im Tiefsand stecken geblieben und würden sich auffällig verhalten. Als der Ranger mit dem Hummer von einer großen Düne Richtung Strand runterschlittert, trifft auch schon ein anderer Ranger ein. Sie checken die Lage. »Die beginnen wohl etwas zu früh mit der Party, einige sind angetrunken, aber der mutmaßliche Fahrer nicht«, bemerkt Marshall. Man beschließt, die Gruppe im Auge zu behalten und startet wieder durch zu den Dünen.
An einem abgelegenen Platz trifft Ranger Marshall auf Kevin und seine mit schaufelradähnlichen »Sandpaddle«-Reifen bestückte Yamaha. »Das ist echt cool hier, so ein Sandparadies findest du nicht überall«, schwärmt der 23-Jährige, der schon seit zehn Jahren Dirtbikes fährt.
Ein Herr mit Hund spaziert am Strand entlang. Jeden Tag, wie er bemerkt, und auf die Motor-Touristen könne er gern verzichten. Aber, fügt er hinzu, die Bürger hätten demokratisch dafür gestimmt, schließlich gehe es um viel Geld. Laut einer Studie geben die Offroad-Besucher 250 Millionen Dollar aus. Ohne diese Klientel stände das Seebad Pisno Beach weniger gut da.
Dieser Argumentation möchte der Natur- und Umweltschutzverein »Sierra Club« nicht folgen und klagt seit Jahren vor Gericht gegen die motorsportlichen Freizeitaktivitäten in der sensiblen Dünenlandschaft. Teilweise erfolgreich, so wurden Ruhezeiten verlängert und geschützte Gebiete erweitert. Das Ziel, die Oceano Dunes für Motorräder und Autos komplett zu verbieten, liegt dagegen wohl in weiter Ferne, da im Vergleich zu Deutschland etwa die Lobby Offroad-Begeisterter enorm stark ist.
Was er davon hielte, Dünen und Strand für Fahrzeuge zu schließen? »Herrjemine, bloß nicht!« entrüstet sich Marshall. »Wenn die Offroader sich hier nicht austoben dürften, dann würden sie es unkontrolliert woanders tun in den Bergen, ausgetrockneten Bachläufen und an sonstigen Stellen, wo kein Ranger die empfindliche Tier- und Pflanzenwelt schützt. Das wäre eher schädlich.« Er zeigt auf weiter hinten gelegene Dünen, an die eine Bergkette anschließt. »Dahinten findest du glückliche Seevögel, Bären, Hirsche und Berglöwen, hier glückliche Menschen. Das ist gut.« Marshall steht kurz vor seinem Ruhestand. In den Norden will er ziehen, in die Redwoods. Doch ab und an wird er garantiert zu den Oceano Dunes zurückkehren. »Um den Kollegen in der Saison zu helfen und ein bisschen Motorrad zu fahren.«