Isle of Man: Tourist Trophy, Menschen, Natur

Isle of Man: Tourist Trophy, Menschen, Natur Der Austragungsort des ältesten Motorradrennens der Welt lädt ein

Als leidenschaftlicher Motorradfahrer sollte man sich einmal im Leben die Isle of Man gönnen: Landschaft, Menschen und die Tourist Trophy, das älteste und berühmteste Motorradrennen der Welt, machen auch Rennsportbanausen süchtig. Wir begleiteten John McGuinness, den erfolgreichsten lebenden TT-Piloten, und raten dringend, schon jetzt für nächstes Jahr zu buchen.

Der Austragungsort des ältesten Motorradrennens der Welt lädt ein Biebrichter, Werel
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Douglas, Glencrutchery Road. John steht in der Startaufstellung am Grandstand. Unter ihm läuft sich der Fireblade-Vierzylinder warm, er spürt das Kribbeln am ganzen Körper. Ob er wohl übermorgen auf der Fähre zurück nach England sein wird? Als die Ambulance-Hubschrauber starten, schießt es John durch den Kopf: „Shit, its really happening again.“ Dann denkt er nichts mehr, seine Honda wird freigegeben. Endlich ist er allein mit sich, niemand kann ihm mehr reinreden. Jetzt tut er das, was er am besten kann. Knallt Bray Hill hinunter und hat 300 km/h auf dem Tacho, als er die Senke passiert. Brutal werden Bandscheiben und Federelemente zusammengestaucht. John könnte die Zuschauer anfassen, so nahe stehen sie an der Strecke. Er lässt sich vor Braddan Bridge weit nach außen tragen, so wie die meisten Vollprofis. Diese Jungs sind die härtesten Rennfahrer der Welt. Ihre Bühne: eine verwunschene Insel in der Irischen See.

Steile Klippen, wilde Buchten, romantische Sandstrände, raue Schluchten, sanfte Wiesenhügel, kultivierte Gärten, hingeworfene Felsen, windgepeitschte Berge. Die Isle of Man ist ein kleiner Kontinent, der mit unbändiger Natur jeden Besucher in seinen Bann zieht. Mindestens einmal im Jahr wird das wettergegerbte Eiland zum Mekka aller Motorradfahrer. Dann lässt die Tourist Trophy das Inselherz schneller schlagen. Nirgendwo sonst auf der Welt kommt man der Seele des Motorradrennsports, des Fahrens an sich, so nah.

Unzählige Berichte sind verfasst worden, viele werden zukünftig noch geschrieben, doch so richtig erklären kann niemand, warum jeder, der hier anlandet, diesem Stückchen Erde, seinen Menschen und den Rennen verfällt. Warum seit über hundert Jahren auf einem 60 Kilometer langen Landstraßenkurs auf Gedeih und Verderb Motorrad gefahren wird. Tradition, Atmosphäre, Ehre? An den vergleichsweise bescheidenen Preisgeldern kann es nicht liegen, eher an der Anerkennung des Publikums, das immer hautnah dabei ist. Elitäres Gehabe gibt es hier nicht, Nobodys stehen neben Nobelpreisträgern, die Atmosphäre ist locker, feierlich, enthusiastisch. Diese TT ist puristischer, furchterregender als alle anderen Motorradrennen auf der Welt. Jedes Jahr sterben Menschen, doch es ist wie ein Ritterschlag, hier alles zu geben. Eine innere Notwendigkeit, diese schlechte Landstraße so präzise und schnell wie nur irgend möglich zu meistern, sein ganzes Leben für einen guten Schnitt in die Waagschale zu werfen.

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John lässt die Blade fliegen. Mit Vollgas durch den Ort Crosby, dann abtauchen durch The Highlander, 330 Sachen, auf Höhe Greeba Castle voll in die Eisen. Rechts, links, ein Stück weiter die Linkskurve bei Greeba Bridge im vierten Gang. Hecken, Steinmauern, Hauswände, Bürgersteige, Stahlgeländer, all das hämmert bereits in den ersten fünf Minuten zentimeternah an Johns Helm vorbei. Vielleicht eine spannende Umgebung für jugendliche Heißsporne, die sich das erste Mal auf ihren Mofas messen. Für ein 230-PS-Superbike mit 340 Spitze ein Szenario, das mit Irrsinn nur unzureichend beschrieben ist.

Hinter Ballacraine wird die Straße noch schmaler, Bäume rücken dicht heran. Licht, Schatten, Licht, Schatten, kein Normalsterblicher hält das bei dieser Geschwindigkeit aus. Die Honda bleibt präzise auf der Ideallinie, obwohl sie in manchen Kurven mit beiden Reifen den Bodenkontakt verliert. An anderen Stellen, zum Beispiel in Höhe Laurel Bank, arbeitet das Fahrwerk im absoluten Grenzbereich. Verwindet sich höllisch, die Reifen walken. Nicht nur beim winkligen, steilen Aufstieg zu Sarahs Cottage dirigiert John die Blade haarscharf an allen physikalischen Grenzen entlang. Woher nimmt er die Nerven?

Biebricher
Boxenstopp: auf 115 PS getunte Suzuki SV 650 der Low-Budget-Supertwin-Klasse. Auch hier zählt jede Sekunde, jeder Griff sitzt.

Bei Glen Helen ist die Strecke landschaftlich wunderschön, doch auf der ganzen Insel gibt es Orte, die man sich unbedingt in Ruhe ansehen muss. Weit jenseits der Rennstrecke fährt man im Cruising-Modus auf schmalen Sträßchen zur Küste hinunter, der Nebel lichtet sich wie am ersten Tag der Schöpfung. Oder man lässt sich auf windumtosten Bergen Herz und Hirn freiblasen vom Alltagsstress. In der Tiefe der Wälder die absolute Stille genießen, den Trollen (small people) an der Fairy Bridge seine Aufwartung machen, das ist pure Isle of Man-Entspannung.

Die John im Rennen bestimmt nicht hat. Bei Botton of Barregarow ist die Fahrbahn so uneben, dass es den Fahrern fast das Hirn rausschüttelt. Der Mountain Course ist eben in erster Linie Landstraße und erst in zweiter Linie Rennstrecke.

Dorfstraße von Kirk Michael, 270 km/h, Guy Martin und Ryan Farquhar greifen an. Michael Dunlop, einer der Söhne von Joey Dunlop (mit 26 Siegen der erfolgreichste TT-Fahrer aller Zeiten), hängt im Windschatten. Die Jungs bleiben am Gas, die Straße wird rutschig, in der Dorfmitte lauert die Rechts. John gibt nach, für alle vier ist hier kein Platz, ritterlich lässt er die jungen Kollegen ziehen.

Rhencullen, Bishopscourt, Alpine Cottage. Die Art des Fahrens hat sich mit den Jahren merklich verändert. Es sieht schon lange nicht mehr so aus, als wenn Motorradfahrer eine Landstraße hinunterrasen. Heutzutage sieht es eher aus wie Motocross mit 230 PS. Die Fahrer sind zu schnell geworden für die holprigen Landstraßen des Mountain Course, sie mussten neue Fahrtechniken entwickeln, die mehr mit Cross-Rennen zu tun haben als mit klassischem Straßenrennsport. Über 70 Prozent der Strecke stehen sie in den Rasten und heben die Front mit schierer Power über die Straßenbuckel, anstatt den Hindernissen auszuweichen. Das Motorrad kann so besser arbeiten, die Fahrer werden eher mit den enormen Schlägen des Untergrunds fertig, doch Fehler sind tödlich.

Jede Fahrergeneration entwickelt einen neuen Fahrstil. Die ruhige, beständige Art des seligen Joey Dunlop würde heutzutage kaum funktionieren, auch wenn John McGuinness noch am nächsten dran ist. Seine Fireblade zickt launisch rum auf dem Mountain Course, er muss sie in das Fenster zwingen, in dem sie einigermaßen funktioniert. Gerade hier, vor Alpine Cottage, wo er versucht, seine Konkurrenten wieder einzuholen, ist genau das extrem schwierig. „Grundsätzlich sollte man das Bike machen lassen, was es will, doch an den entscheidenden Stellen muss ich ihm mit aller Konsequenz zeigen, wer der Boss ist. Das Superbike will am liebsten geradeaus, und es will dir wehtun“, sagt John.

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Ein Ale in Peel: Diesen TT-Veteranen und seine Triumph bringt nichts mehr aus der Ruhe.

Nach seinem Sprung über die Ballaugh Bridge zeigt der ehemalige Maurer -McGuinness auch den Herren Martin und Dunlop, wer der Boss ist. Über Sulby Straight bis Ramsey sind die Superbikes mehr Flug- als Fahrzeuge, dann geht es hinauf in die Berge, fahrerisch und landschaftlich ein Genuss. Wenn nur das unberechenbare Wetter nicht wäre. Urplötzlich auftauchender Nebel, Regen hinter der nächsten Kurve sind bei der TT normal. Kurz vor der 90-Grad-Spätbremser-Kehre von Cregny-Baa schnappt sich John auch Ryan Farquhar, der ihm auf den nächsten Runden noch ein paar Mal die Führung klaut. Reifenwechsel und Tankstopps am Grandstand in Douglas werfen die Jungs nach hinten, in Runde sechs klebt Michael Dunlop an Johns Hinterrad, und auch die Suzuki von Guy Martin oder die Kawa von Ryan Farquhar lassen nicht abreißen. In den Bergen glimmt Johns Spritwarnleuchte auf, er zockt nervenstark und rettet die Führung ins Ziel. Dort sagt der zweitplatzierte Michael Dunlop frustriert: „Wenn er sich nur endlich verpissen würde, hätten wir anderen vielleicht auch mal eine Chance.“ Doch John, Nachfolger von „The King of the Mountain“ Joey Dunlop, denkt nicht daran. Er weiß nicht, was er sonst tun sollte, die TT gehört zu seinem Leben.

Da ist er wieder, der Zauber dieser Insel. Die ist nicht nur „racing capital of the world“, sondern beschenkt uns auch mit den schönsten Motorradwanderstrecken. Und mit dichter Geschichte: Nicht nur Kelten und Wikinger haben sie geprägt, sondern neben den berühmtesten Rennfahrern auch jene armen Hunde, die nie gewinnen, trotzdem immer wiederkommen, weil sie ihr Herz verloren haben. Die seit Jahren in den kleinen Rennklassen mit Mini-Budget starten. Was treibt sie alle an, die Schnellsten wie die Langsamsten? Todessehnsucht, Lebenssehnsucht? Ein intensives Lebensgefühl ist die permanente Nähe des Todes allemal, doch gemessen daran, wie wahnsinnig diese Haudegen fahren, gibt es verhältnismäßig wenig tödliche Unfälle. Wird „Ehre“ hier leichtfertig zum Sinn des Lebens hochstilisiert?

Biebricher
Hier am Pub in Peel. Einfahrt nach Douglas.

Es ist auf jeden Fall höchste Kunst, diese krassen Straßen so schnell zu fahren. Diese Lichtwechsel, die einen blind machen. Jeder hat sein Geheimrezept. John McGuinness grüßt seine zwölf toten Freunde. Während des Rennens hebt er an zwölf Stellen des Mountain Course seinen Finger und grüßt sie. Er weiß nicht, ob sie Engel sind oder was auch immer, aber er spürt, dass sie ihn beschützen, seine Mission gutheißen. Wenn das kein Grund zum Feiern ist.

Infos

Werel
Reisedauer: fünf Tage. Gefahrene Strecke: 800 Kilometer.

Die magische Insel hat zwei Seiten: die verrückte TT und die vielfältige Natur zur Entspannung. Das Straßennetz sorgt für Fahrgenuss und unvergessliche Ausblicke, die Menschen für gute Laune.

Allgemeines:
Die Isle of Man ist ein Kronlehnsgut Großbrittanniens mit speziellem Status: Die Insel hat ein eigenes Parlament (Tynwald, das älteste kontinuierlich einberufene der Welt), weitgehend eigene Gesetzgebung, eigene Währung (der Kurs ist an das Britische Pfund gekoppelt, wird außerhalb der Insel nicht akzeptiert) und eigene Briefmarken. Die Isle of Man ist kein Mitglied der EU. Sie führte 1881 als erstes Land der Welt das Frauenwahlrecht ein. Das Erbe der Kelten und Wikinger ist auf der Insel noch in Sprache und Steinzeichen zu spüren, die Einheimischen nennen sich und ihre Insel „Manx“. Drei Beine auf rotem Grund sind das Motiv ihrer Nationalflagge: „Wie du es auch wirfst, es wird stehen.“ Ein passendes Motto für die Standfestigkeit der Insulaner. Kriminalität und Arbeitslosigkeit haben sie im Griff, die Tourist Trophy hat ihre skurrile Insel weltberühmt gemacht.

Die Rennen:
Die traditionell Ende Mai/Anfang Juni stattfindende TT hatte bis 1976 WM-Status. In ihrer 105-jährigen Geschichte hat sie die weltbesten Rennfahrer gesehen. Heute ist sie ein Anachronismus, die Piloten müssen sich allem Fortschritt zum Trotz den Gegebenheiten der Strecke anpassen und nicht umgekehrt. Einzigartig. Die Rennen werden in verschiedenen Leistungsklassen ausgetragen, E-Bikes und Gespanne sind dabei, Zweitakter und Einzylinder ausgestorben. Gestartet wird einzeln im Zehn-Sekunden-Takt. Eine TT-Runde ist 60,66 Kilometer lang, umfasst 240 Kurven, das längste Rennen geht über sechs Runden. Ende August/Anfang September lockt mit dem Manx Grand Prix eine Alternativveranstaltung für Amateure und Oldtimer. Sowohl TT als auch Grand Prix dauern jeweils zwei Wochen.

Rahmenprogramm:
Nicht nur TT und Manx Grand Prix locken Motorsportler auf die Insel. Mit Billown Circuit, Southern 100, Jurby Airfield und weiteren Veranstaltungen hat sich eine ganze Reihe von kleineren Rennen etabliert, die an Würze nichts vermissen lassen. Zudem gibt es während der TT auf der ganzen Insel Partys, Feste, Vorführungen. Die Stuntshow der Purple Helmets oder das Kunstflugprogramm der Red Arrows gehören als feste Größen dazu.

Biebricher
Laxey Wheel alias Lady Isabella: Das größte Wasserrad der Welt steht in Laxey.

Sehenswürdigkeiten:
Eine Auswahl: der TT-Kurs als solcher (während Profis in unter 18 Minuten durch sind, brauchen Touristen ca. 45 Minuten), Marine Drive bei Douglas (wilde Küstenlandschaft), Rushen Abbey, Castle Rushen, Castletown, das Museumsdorf Cregneish, Fleshwick Bay, Niarbyl Bay, Peel mit Burg, Hafen, House of Mannanan (geniales Museum) und Kippers House (Fischproduktion). Tynwald Hill (Parlament), der höchste Berg Snaefell (621 Meter), Laxey Wheel oder Murrays Motorcycle-Museum am Bungalow (TT-Raritäten). Überall auf der Insel faszinierende Natur, Schafe, skurrile Typen, launige Pubs, Dinge zum Staunen, zum Innehalten.

Anreise:
Wer die TT erleben will, sollte schon jetzt Fähren und Unterkunft buchen, weil die Insel voll wird (www.letsbookhotel.com). Alle Wege führen über England: Entweder man nimmt die Fähre von Holland, Belgien, Frankreich oder den Tunnel. Dann wird England durchquert, um die zweite Fähre in Liverpool oder Heysham nach Douglas zu erwischen. Weitere Alternativen: Fliegen oder ein All-inclusive-Paket buchen.

Action Team:
Das MOTORRAD action team bietet vom 31.5. bis 9.6.2013 zur TT ein IoM-Spezial an, das Fähren, Hotels, High- lights abdeckt und auf eigenen Motorrädern unter der Führung fähiger Tourguides absolviert wird. Kosten: Fahrer 2390, Sozius 1990 Euro. Telefon: 07 11/1 82/19 77 oder www.actionteam.de

Honda TT Legends:
Von Honda Europa initiiertes, in England gemanagtes Rennteam, das in der TT, Langstreckenweltmeisterschaft und vielen weiteren Rennen erfolgreich ist: www.hondattlegends.com.

Literatur/Adressen:
Der seit zehn Jahren beste Motorrad-Reiseführer stammt von Michael Allner und Klaus Herder: „Isle of Man Tourist Trophy. Alles über die Biker-Insel“, Edition Unterwegs, Motorbuch Verlag. Antiquarisch noch über Amazon bestellbar. Für alle aktuellen Infos zur TT, zu Rennklassen, Fahrern, Resultaten, besten Zuschauer-Spots: www.iomtt.com. Pflichtfilm: „TT-Hart am Limit mit Guy Martin“ (Amazon). Fähren: www.dfdsseaways.de

Isle of Man
Hauptstadt: Douglas
Fläche: 572 km2
Gründung: 1765 autonom
Währung: Man/GB-Pfund
Einwohnerzahl: 84 497

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