Die Zeitungen überboten sich mit aufgeregten Schlagzeilen: »Es wird noch schlimmer«, titelte etwa das italienische Blatt »La Repubblica«. »Heute klettern die Temperaturen auf über 40 Grad am besten möglichst wenig bewegen!«Leichter gesagt als getan. Schließlich haben wir alle gebucht. Wir, das sind die rund 200 aktiven Teilnehmer und etwa 100 Begleitpersonen des modernen Motogiro dItalia, Nachfahre eines wilden Motorradrennens, das bis 1957 einmal jährlich kreuz und quer durch Italien führte. Dann wurden Geschwindigkeitsrennen auf öffentlichen Straßen verboten. Als der Bologneser Veranstalter Dream Engine den Motogiro dItalia wiederbelebte, machte er daraus eine Gleichmäßigkeitsfahrt für Oldtimer über fünf Tagesetappen mit Sonderprüfungen und zahlreichen Kontrollpunkten. Doch nicht nur Oldies dürfen mit, sondern auch ganz moderne Motorräder, wie etwa meine nagelneue Ducati 900 SS. Allerdings nur außer Konkurrenz in der Touristenklasse (siehe Infokasten). In Riccione an der Adria versammeln sich an diesem extraheißen Juni-Tag die Motogiro-Piloten der Neuzeit zum Briefing. Schon morgens um halb neun fließt der Schweiß in Strömen. Sommerlich bekleidete Urlauber mischen sich unter die überwiegend in klassisches Lederschwarz gewandeten Motorradfahrer auf der Piazzale Roma vor dem azurblauen Meer. Besonders die Oldtimer-Klasse zieht die Blicke auf sich, 125er und 175er aus den 50er Jahren sie bilden den Mittelpunkt der Veranstaltung. In unterschiedlichstem Erhaltungsgrad stehen sie da: Gilera, Ducati, Parilla, Laverda, Motobi, Benelli, Morini, MV Agusta, Mondial. Einzig eine 175er-Puch durchbricht die Parade italienischer Motorradbau-Kunst.Unvermittelt geht es los. Kleiner Kuddelmuddel am Start sollten wir nicht nach Klassen und Startnummern losfahren? Egal, bloß dran bleiben und wie alle anderen ins Gewühl stürzen und den lärmenden Oldies hinterher. In steilen Spitzkehren führt die Route hinauf in mittelalterliche Altstadt von Urbino, die normalerweise für Motorfahrzeuge gesperrt ist. Da der Polizeichef ein Cousin von Valentino Rossi ist, dürfen wir trotzdem rein. Die wartenden Zuschauer winken uns begeistert zu, obwohl wir ein ohrenbetäubendes Spektakel veranstalten Lärmschutz war in den 50er Jahren offenbar unbekannt. Der bollernde Viertakt-Sound hallt in den schmalen Gassen wider, dass die alten Mauern empört erzittern. Im Schatten des Doms steht für die Oldtimer-Klasse eine Sonderprüfung an: 20 Meter gilt es in genau acht Sekunden zu bewältigen. Hört sich einfach an, aber hier trennt sich die Spreu vom Weizen, wie mir erfahrene Motogiro-Fans erklären. »Man muss den richtigen Rhythmus finden«, sagt Sigfrido Diomedi mit der Startnummer zehn auf Motobi. »Gas auf, Gas zu, mitzählen und bei acht über die Ziellinie.« Weiter gehts ins grüne Herz Umbriens. Wie ein Heuschreckenschwarm fallen wir in das friedliche Städtchen ein, stellen die Motorräder an allen möglichen und unmöglichen Stellen ab, reißen uns die verschwitzten Jacken und Helme vom Leib. Im Handumdrehen gleicht jeder Marktplatz einem Fahrerlager. Dann die persönlichen Bedürfnisse: »Wo sind die Toiletten?« »Ich brauche was zu trinken, ich verdurste!« »Gibts was zu essen?« Und das alles in babylonischem Sprachgewirr, da die Motogiro-Teilnehmer aus aller Herren Länder stammen. Doch die Einheimischen sind begeistert dabei, wieseln hin und her, um alle Wünsche so schnell wie möglich zu erfüllen. Manchmal lassen sie sich sogar etwas ganz Besonderes einfallen.Montefalco etwa, bekannt für guten Wein und gutes Olivenöl, hat seinen Hauptplatz zur Probierstube umfunktioniert. Tolle Idee - doch wir Teilnehmer können an dem kräftigen Rotwein leider nur nippen. In Montefranco, das wie ein Adlernest auf einer steilen Klippe des Apennin thront, erwarten uns die Einwohner in mittelalterlichen Kostümen zu einem kleinen Schauspiel. Terni, das erste Etappenziel, begrüßt den Tross mit rappelvollem Marktplatz, donnerndem Applaus und den wirbelnden Fahnen einer Theatergruppe. Fast scheint es, als käme ein lang erwarteter, hoher Besuch zu Gast. Daran ändert sich die ganzen fünf Tage lang nichts: ein Volksfest nach dem anderen, wo immer wir Halt machen. Zum Charme des modernen Motogiro gehört eine gute, aber keineswegs straffe Organisation, die mit Roadbook und guter Beschilderung dafür sorgt, dass niemand verloren geht. An kritischen Punkten hilft die Ducati-bewehrte Stadtpolizei von Bologna weiter: Sie begleitet die Karawane auf der ganzen Strecke und räumt mit gezielten Trillerpfiffen störende Autofahrer aus dem Weg. Motorradfahren wie im Paradies.Für die Touristenklasse gibt es zwar einen Tourguide, aber der sieht das mit der Gruppenfahrt nicht so eng: »Mit mir kann man fahren, man muss aber nicht«, sagt Fabrizio. Da suche mir doch gleich einen berühmten Weggefährten aus der 175er-Klasse: Remo Venturi, der 1957 den letzten »echten« Motogiro gewann. »Damals war das ein bisschen anders als heute«, meint der 75-Jährige schmunzelnd ein waghalsiges Abenteuer. Um die 4000 Kilometer legten die Fahrer in acht Tagen zurück, runde 600 Teilnehmer starteten im Dreierpack im Minutentakt. Wie in den Fünfzigern sitzt Venturi auch heute auf einer MV Agusta 175, allerdings nicht auf dem Original, sondern einer Replika. Die Etappe von Tivoli nach Chianciano Terme legen wir zusammen zurück. In seiner stilechten Lederkombi aus dem Jahr 1959 »den Bauch muss ich schon ein bisschen einziehen« - rollt der zierliche Venturi das Feld von hinten auf. Selbst 45 Jahre nach seinem Sieg zieht er einen absolut sauberen Strich, seine Kurventechnik gleicht einer Lehrstunde. Die rauen Hügel Umbriens und die Zypressen-Alleen der Toskana fliegen unbeachtet an mir vorbei, während ich versuche, so dicht wie möglich am Hinterrad der schmalen Silhouette vor mir zu kleben. Wie Venturis Maschine meistern viele der kleinen Viertakter die gnadenlosen Temperaturen offenbar bravourös. »Das sieht nur so aus«, meint hingegen Motogiro-Mechaniker Piero Francia vom Motoclub Terni lakonisch. »Die maroden Motorräder sind schon auf der ersten Etappe ausgeschieden.« Inzwischen gilt es vor allem kleinere Wehwehchen zu kurieren, derer sich Piero und sein Kollege Pirro Loredo, der bereits 1957 als Mechaniker dabei war, liebevoll und geduldig annehmen. Am Passo di Viamaggio, wo Massimo Tamburini oft seine neuesten Kreaturen testet, steht Dave Knibbs verschwitzt am Straßenrand. Die Kerze seiner 175er-Bianchi Tonale ist abgebrannt, kein Weiterkommen möglich. Mechaniker Piero zaubert aus seinem Fundus ein Ersatzteil, und Dave knattert dankbar weiter. »Den kennen wir gut, der Bianchi fehlt dauernd was«, erzählt Piero lachend, »sogar der Kickstarter war schon kaputt.«Rund 80 Kilometer weiter steht Dave erneut. Die Batterie. Etwas Wasser nachkippen dann ist Dave wieder dabei. »Batterie und Regler, das sind bei der Hitze die Hauptprobleme«, erklärt Piero. Wie zum Beweis bleiben auch Andrew Bremners Maserti 150 und Mauro Taddeis 125er-Motobi mit kochenden Stromversorgern liegen, lassen sich jedoch mit gutem Zureden zur Weiterfahrt bewegen. Nichts zu machen ist dagegen bei der 175er-Ducati der Amerikanerin Vicky Smith. Zehn Kilometer vor dem Ziel in Riccione blockiert ein Ventil. Aus. Vicky ist den Tränen nahe, als die Duc in den Transporter rollt. Doch dann strahlt sie, als sie erfährt, dass der letzte Kontrollposten schon hinter ihr liegt und sie damit in der Wertung bleibt: Motogiro erfolgreich beendet, die Ducati lässt sich bestimmt reparieren. Vicky landet auf Rang 40, Dave auf Platz 77 und Ex-Champion Venturi wird 45ter er war einfach zu schnell. Insgesamt 87 der 100 gemeldeten Oldies haben es ins Ziel geschafft. Kein schlechter Schnitt, wenn auch viele ihre Ankunft vor allem den Mechanikern verdanken.Zum krönenden Abschluss bietet uns Riccione ein letztes Fest mit Galadinner in der prunkvollen Villa »des Vergers«. Meine Motogiro-Kumpels sind kaum wiederzuerkennen. Geschniegelt und gestriegelt, wohlduftend und in leichter Sommerkleidung nehmen sie die Pokale entgegen. Und tun endlich einmal das, was die Zeitungen schon seit fünf Tagen raten: wenig bewegen, nicht anstrengen und die italienischen Momente des Lebens genießen.
Motogiro
Der Motogiro d´Italia ist eine faszinierende Sportveranstaltung für historische Motorräder im Vordergrund stehen Fahrspaß und Traditionspflege. Gut, dass man diesem Tross auch mit einer modernen Maschine folgen kann.
Die VeranstaltungDer nächste Motogiro d«Italia findet vom 1. bis zum 5. Juli 2003 statt. Start und Ziel ist das Ducati-Werk in Bologna, von wo aus die Strecke in die Dolomiten führt. Über Cortina dAmpezzo, Madonna di Campiglio, den Gardasee und Verona geht es schließlich wieder zurück nach Bologna. Die Tagesetappen sind etwa 250 Kilometer lang, und natürlich wird wenn möglich auf Nebenstraßen gefahren. Wer teilnehmen möchte, kann sich in einer von drei Klassen zum Start melden: »Motogiro-Klassiker« ist offen für Motorräder bis 175 cm3 und Baujahr 1957. Diese Fahrzeuge sind die die Stars der Veranstaltung, denn auf ihnen wurde bis 1957 der »echte« Motogiro ausgetragen. Diese Klasse ist auf 120 Teilnehmer beschränkt, die unterwegs diverse Sonderprüfungen absolvieren müssen.Die Klasse »Memorial Taglioni«, benannt nach dem 2001 verstorbenen legendären Ducati-Ingenieur und Desmodromik-Entwickler Fabio Taglioni, ist offen für alle Motorräder von Baujahr 1968 bis 1978. Keine Sonderprüfungen. Der Rest meldet sich in der »Touristenklasse« an hier darf jedes Fahrzeug starten; ebenfalls keine Sonderprüfungen.Die Teilnahme kostet je nach Klasse für die Fahrer zwischen 850 und 1050 Euro und umfasst sämtliche Übernachtungen, Verpflegung, festliche Abschlussgala im Palazzo Re Enzo in Bologna, Roadbook, Urkunde, Gepäcktransport sowie im Bedarfsfall technische und medizinische Hilfe. Begleitpersonen entweder als Sozius oder im Bus zahlen 650 Euro. Weitere Informationen zum Motogiro d«Italia 2003 finden sich im Internet unter www.motogiroditalia.com oder beim Veranstalter Dream Engine (www.dreamengine.it), Via Saffi 4, 40131 Bologna, Italien, Telefon 0039/051/649 44 72, Fax 0039/051/528 63 78.UnterkunftWer die äußerst attraktive Route des letzten Motogiro nachfahren möchte, dem seien folgende sehr gute Hotels empfohlen, in denen auch der Renntross übernachtet hat: »Hotel Garden« in Terni, Telefon 0039/07 44/30 00 41; Internet: www.gardenhotelterni.it. Ein Doppelzimmer kostet hier ab 100 Euro. In Gaeta befindet sich direkt am Meer das »Summit Hotel«, Telefon und Fax 0039/07 71/741741; Internet: www.summithotel.it. Pro Nacht werden hier in einem Doppelzimmer ab 90 Euro verlangt. Zur gleichen Preisregion zählt auch das Hotel »Michelangelo« in Chianciano Terme, Telefon 0039/05 78/640 04. Wem die Motogiro-Hotels zu teuer sind, der findet unterwegs jede Menge deutlich billigere Übernachtungsmöglichkeiten. Allerdings hat auch auf dem Stiefel der Teuro zugeschlagen: Doppelzimmer unter 40 Euro pro Nacht sind, zumindest im Norden und in Zentralitalien, eine Seltenheit geworden.KontaktWer Motorradfahrer aus der Gegend kennen lernen will, sollte sich mit dem Motorradclub Libero Liberati aus Terni in Verbindung setzen, der maßgeblich an der Organisation des Motogiro beteiligt ist und auch sonst jede Menge Treffen und Touren organisiert. Die Homepage ist zwar auf Italienisch, doch keine Bange: Auf eine englische oder vielleicht sogar deutsche Mail kriegt man bestimmt eine Antwort die Club-Aktivisten finden garantiert jemanden zum Übersetzen. Adresse: www.motoclub-terni.it KartenEinen guten Überblick und dennoch viele Detailinfos bietet die Michelin-Karte Italien, Maßstab 1:1000000 für 8 (?) Euro. Selbst kleinste Sträßchen finden sich auf den Generalkarten von Marco Polo, Großblatt 5, 6 und 7 im Maßstab 1:200000 für je 6,50 Euro. In Italien gibt es an vielen Tankstellen gute Karten der jeweiligen Region vom Studio F.M.B. Bologna für 7 Euro.