Wie ein kolossales Kreuzfahrtschiff durch einen schmalen norwegischen Fjord schiebt sich die Kawasaki GTR 1400 zwischen La Roque-d’Anthéron und Lambesc durch die von steilen Felswänden gesäumte Chaîne des Côtes. Wobei auch dieser Vergleich natürlich wie so oft etwas hinkt.
Zwischen Alpen und Mittelmeer
Denn das, was da als D 67a unter dem Kiel der Kawasaki vorbeizieht, hat zwar durchaus Ähnlichkeit mit einem verschlungenen Meeresarm, vermittelt dabei allerdings nicht den Eindruck majestätischen Gleitens, sondern eher den, der Reisedampfer rumpele direkt über den zerklüfteten Grund eines ausgetrockneten Fjords. Aber so ursprünglich und wenig glattgebügelt lieben wir ja Südfrankreich. Und wer dort nicht alle naselang über Hinz und Kunz stolpern will wie auf einem Aida-Sonnendeck, der ist im abgelegenen Luberon genau richtig, einem lang gestreckten Bergrücken zwischen Alpen und Mittelmeer im Département Vaucluse.
Immer dichter rücken die weißen Kalksteinfelsen der Kawa auf den dunkelgrünen Plastikpelz; im hübschen Kontrast dazu gelbe Mimosen, auch sie zum Greifen nah, fast möchte man die zarten Köpfchen kosen. Bevor es gar zu kitschig wird, Stopp an einem Denkmal für Widerstandskämpfer der Resistance, gefallen 1944 im Kampf gegen die Nazis. 1545 war es die Inquisition, die für ein Blutbad sorgte: Mehr als 2.000 Waldenser, wegen ihres protestantischen Glaubens von der katholischen Kirche als Ketzer verfolgt, im unzugänglichen Luberon jedoch als Arbeitskräfte hochwillkommen und seit Jahrzehnten integriert, wurden hier in einer gezielten Aktion massakriert, ihre Dörfer niedergebrannt.
Schlucht Combe de Lourmarin
Zurück ins 21. Jahrhundert und hinüber auf die andere Seite des Flusses Durance, wo die Schlucht Combe de Lourmarin den westlich liegenden Petit Luberon, bis zu 726 Meter hoch, vom östlichen Grand Luberon trennt; dieser gipfelt am Mourre Nègre bei 1.124 Metern. Demarkationslinie zwischen Klein und Groß quasi ist die Cadenet und Apt verbindende D 943 – eine nicht nur für lokale FZ1N-Piloten fabelhafte Spielwiese respektive "fabuleux terrain de jeu".
Ehe auch für uns die Post abgeht auf dem insgesamt 23 Kilometer langen, gut asphaltierten Asphaltgeschlängel, schnell noch eine Stippvisite in Lourmarin. Besuchsmagnet ist neben einem Renaissanceschloss vor allem das Grab von Albert Camus, der sich in dem (einst) beschaulichen Dorf kurz vor seinem tragischen Unfalltod niedergelassen hatte. Wen die philosophisch-existenzialistischen Werke des Literaturnobelpreisträgers kaltlassen: Lourmarin ist auch Geburtsort von Philippe de Girard, einem begnadeten Pfiffikus, der die mechanische Flachsspinnerei erfand und unter anderem auch Dampfmaschinen konstruierte.
Feinschmeckertempel in Bonnieux
Start frei für die 155 PS aus vier Kesseln. Na ja, "halbe Kraft voraus" tut’s im Luberon genauso gut, meistens. Zum Beispiel im Forêt des Cèdres, einem Zedernwald südlich von Bonnieux, wo die fette 1.400er inmitten all des Grüns fast als Laune der Natur durchgeht und spontan in den Schnuppermodus wechselt, als wolle sie den harzig-würzigen Duft ganz tief und langsam durch ihre Verkleidungskiemen inhalieren. Genüsse, vornehmlich für den Gaumen, verspricht bei Bonnieux der Feinschmeckertempel "Bastide de Capelongue" von Sternekoch Edouard Loubet, wobei das abgeschottete Anwesen allerdings nicht die ideale Adresse für verschwitzte Motards ist.
Ausgestorbenes Château in Lacoste
Reichlich Schweiß sowie andere Körperflüssigkeiten fließen in dem skandalumwitterten Werk "Die 120 Tage von Sodom" des französischen Schriftstellers Marquis de Sade. Stammsitz der Adelsfamilie de Sade war Lacoste, das dortige Château möglicherweise Vorbild für die fiktive Burg, in der die sadistischen Sexorgien des Marquis spielen. Nun, heute wirkt das Nest mit seinen verrammelten Fensterläden an ockerbraunen Bruchsteinhäusern wie ausgestorben, und als lasterhaft gilt allenfalls, wer die mit Pflastermalereien gespickte Dorfgasse nicht brav per pedes, sondern bequem auf den breiten Schlappen eines Dritteltonners durchmisst. Ach ja: Das Château wurde schon in der Französischen Revolution von aufmüpfigen Bauern zerstört – wird aber inzwischen fleißig restauriert, nachdem es der Modeschöpfer Pierre Cardin gekauft hat. Passender wäre natürlich die Firma mit dem Krokodil-Label gewesen.
Abtei in Saint-Hilaire und Stopp in Ménerbes
Auch wenn sich die Zähnchen ihres Reifenprofils meist mit Asphalt verbeißen: Den steilen Feldweg runter zur kleinen Abtei Saint-Hilaire schafft die Kawa spielend. Offroad to God. Selbst für weniger gläubige Seelen ist rund um das archaische, dem Fels abgerungene Gotteshaus Gelegenheit zur Kontemplation beim Panoramablick über den Luberon. Nicht ganz so ruhig vermutlich weiter nördlich bei Gordes das romanische Zisterzienserkloster Sénanque, besonders, wenn dort postkartenreif der Lavendel blüht. Nach kurzen Stopps in Ménerbes (berühmt durch den Bestseller "Mein Jahr in der Provence" von Peter Mayle) und Oppède le Vieux wartet in La Roque-d’Anthéron schon im Hotel "Le Mas de Jossyl" das Diner. Sylvie und José Persolja haben das Haus 1997 übernommen, ihr Startkapital sozusagen war das örtliche Piano-Festival im Schlosspark von Florans, das alljährlich zwischen Juli und August ausgebuchte Zimmer garantiert.
Bunter Markt am Place de l’Etang in Cucuron
Nur etwa ein Vierzigstel so viel Einwohner, wie das Festival Besucher zählt, hat die Gemeinde Cucuron. Am heutigen Donnerstag kommen zu den 2.000 Einheimischen noch einige Menschen dazu. Es ist Markt am Place de l’Etang mit seinem künstlich angelegten Dorfweiher. Als Paradiesvogel im bunten Treiben fällt Gaelle auf, eine junge Bretonin in raffiniert geschnittener "Shortsbluse", wofür die Bezeichnung Hosenkleid echt zu spießig wäre.
Neben Schmuck verkauft sie auch flippige Klamotten und erledigt kleine Änderungswünsche direkt vor Ort auf der Nähmaschine in ihrem gelben Renault-Transporter. An einem anderen Stand noch ein Körbchen mit Kirschen für die Vitaminzufuhr unterwegs erstanden und im Koffer verstaut, dann führen wir den Reifen wieder ihre tägliche Ration D 943 zu. Statt wie gestern vor Bonnieux links abzubiegen zu den Bergdörfern des Petit Luberon, geht’s diesmal in einem rauschhaften Rutsch von Lourmarin direkt bis Apt.
Apt: Metropole der kandierten Früchte
Als kleiner Pulsbeschleuniger zwischendurch der Col du Pointu, zwar nur 499 Meter hoch, doch mit ein paar Kurven gespickt, auf denen die Pneus dank TRC schön kleben bleiben. Apt: pulsierendes Zentrum der Region sowie Metropole der kandierten Früchte. Da bleibt man gerne ein bisschen länger in einem Straßencafé hängen, ob mit oder ohne Süßkram zwischen den Zähnen. Spätestens im Les Fleurons d’Apt an der D 900 Richtung Avignon kommen dann alle Leckermäuler auf ihre Kosten.
Der Laden ist zugleich Museum und Werksverkauf, lädt ein zur schreiend bunten wie zuckrig-klebrigen Degustation kandierter Früchte. Glasschalen mit knatschroten Amarenakirschen, froschgrünen Kiwikreationen und gelben Wasweißichs – Trommelfeuer für Geschmacksknospen und Sehnerven. Ähnlich farbenfroh soll es weitergehen. Also ab nach Roussillon, wo die weltberühmten Ockerbrüche locken. Mancherorts erinnert der rötlich-braune Stein an eine offene Wunde von Mutter Erde, mal auch irgendwie an die fiesen Schockfotos von Krebs auf Zigarettenpackungen.
Über die D 943 nach Saignon und Fort de Buox
"Och ja, lass uns heute mal nach Saigon, Castellet und Colorado fahren." Kein Restalkohol, sondern Ergebnis akribischen Kartenstudiums. Nur der Himmel ist unverschämt blau, typisch für die Gegend, derweil die Bäume ihre Äste wie zum Frühsport der Sonne entgegenrecken und auf den warmen Croissants die Himbeermarmelade träge zerläuft. Eine halbe Stunde später werden die Speicherchips gefüttert, pixeln wir die piksigen Prachtexemplare einer in voller Blüte stehenden Kakteengroßfamilie. Und wegen der Unersättlichkeit des Fotografen, der sich von dem stacheligen Sammelsurium kaum trennen mag, führt auch dazu, dass schon wenige Kilometer weiter im hübschen Ansouis wieder Pause und Platz für ein Stückchen Kuchen ist. Jaja, wer am liebsten Kilometer frisst, ist im Luberon wrong, Pardon, falsch.
Wenn’s mal wirklich juckt, sind Col de Murs, Gorges de la Nesque und Mont Ventoux nicht weit. Doch wir schweifen ab und wollten ja nach Saigon. Haben dabei aber beim Frühstück, ups, ein kleines "n" übersehen. Lag wohl ein Krümelchen drauf. Also stattdessen Saignon. Immerhin beschert uns das wieder das tägliche Tête-à-Tête mit der geliebten D 943 (bitte nicht zu wörtlich nehmen) sowie einen Abstecher zum Fort de Buoux. Die Festungsruine ist nichts für Fußfaule.
Col de l’Aire Deï Masco Pass
Und Saignon? Schon schön. Ein provenzalisches Bergdorf mit Marktbrunnen und Fußgängergassen, eigentlich zu schade, nur en passant gestreift zu werden. Was mit einer sättigenden Tarte de Lubéron aus Ansouis noch im Magen schnell passieren kann. Apropos schnelle Passage: Das hiesige Castellet punktet – ähnlich wie der gleichnamige, wegen des Circuit Paul Ricard bekannte Ort im Département Var – mit einer auch für forciertere Gangart tauglichen Strecke, nämlich der nahe gelegenen D 48 von Saignon Richtung Auribeau. Über genügend Federweg, mit Glück auch über einen das holperige Sträßchen kreuzenden Salamander, freust du dich dann zwischen Céreste und Vitrolles-en-Lubéron, wo der Col de l’Aire Deï Masco mit 696 Metern nicht der höchste, wohl aber ein Pass mit extrem niedriger Verkehrsdichte ist.
Schönstes Renaissanceschloss der Provence
Ebbe im Tank führt zu einem ungeplanten Abstecher nach La Tour-d’Aigues – und dort auch gleich zum schönsten Renaissanceschloss der Provence. Kleiner Schönheitsfehler: Brände haben das Innere ziemlich zerstört, sodass kaum mehr als die Fassade steht. Als stünden sie in Flammen, so leuchten die Ockerfelsen, fast mehr noch als bei Roussillon, am sogenannten Colorado de Rustrel. Falls le soleil mitspielt. Tut sie heute aber nicht mehr und hat jetzt Feierabend. Das haben nach einem letzten Tänzchen durch die Schlucht von Lourmarin auch die Daytonas. Und was findet sich dann später zu Hause noch tief versteckt im Klett der Stiefel? Kakteenstachel. Na ja, mal ein anderes Souvenir aus der Provence als immer nur Lavendel.