Easy- peasy von einem EU-Land ins nächste zu flutschen, vorbei an verwaisten, Graffiti-übersäten Grenzanlagen der Porte de France. Wobei separatistisch gestimmte Zeitgenossen hier wohl eher nach Katalonien einreisen – eine von 17 autonomen Gemeinschaften des Landes, mit eigenständiger Sprache (català), die viel mehr ist als nur ein Dialekt des Spanischen (castellano).
Cadaqués: schönster Ort an der Costa Brava
Aus der Knallerstrecke D 914 wird nun die N-260, was aber eigentlich schnurz ist und dem schrägen Spaß kaum schadet. Vom Carpe Curvem schließlich via Llançà und El Port de la Selva zum Carpe Diem, unserer so sinnig getauften Unterkunft in Cadaqués, schönster Ort an der Costa Brava, mit weißen Häuschen wie aus der Zuckerklümpchenfabrik an einer bettenburgenfreien, malerischen Bucht. Kein Wunder, dass in dieses feine Fleckchen Erde bereits Salvador Dalí schockverliebt war, der sich im nahen Portlligat ein labyrinthartiges Domizil aus ehemaligen Fischerhütten erschaffen hat, heute das Casa-Museu Salvador Dalí.
Dazu im Hinterland ein bis zu den bizarren Klippen am Cap de Creus reichender Abenteuerspielplatz der Natur, vom exzentrischen Meister des Surrealismus geadelt als "grandioses geologisches Delirium" und Inspiration für diverse seiner irren Werke. Nun, auch als weniger fantasiebegabter Mensch wähnst du dich dort schnell in einer anderen Welt, wenn dir plötzlich ein Kamel fast vors Motorrad läuft. Okay, noch läuft es nicht, liegt nur da, inmitten eines struppigen, grün-gelben Teppichs aus Dornginster und Mastixsträuchern, ganz still und erstarrt zu Stein. Für Sabine mit der Africa Twin ein Vorgeschmack auf ihren Trip nach Marokko?
Paradisischer Stadtstrand Platja Port d’Alguer
Apropos Geschmack: Abends gibt’s im japanischen Restaurant vom Carpe Diem sensationelles Sushi, morgens dann erfrischende Kaltgetränke von der Blau Bar, direkt am kleinen Stadtstrand Platja Port d’Alguer. Ein paradiesisches Plätzchen zum Wurzeln schlagen, im Schatten eines knorrigen "Brokkolibaums" unter makellos blauem Firmament. Da fällt der Besuch des Dalí-Museums in Portlligat schon mal ins Wasser. Stattdessen bringen wir das Öl auf Temperatur, das Sonnen- wie das Motoröl, erst bei einer weiteren Runde über die Halbinsel bis zum Leuchtturm am Cap de Creus, wo gleich zwei Locations zum Mittagsschmaus locken, dann auf der zum forschen Angasen animierenden GI-614 nach Roses.
Salvador Dalí-Museum in Roses
Tja, was soll man dazu sagen? "Ich habe heute leider keine Rose für dich", würde der Bachelor formulieren beim Blick auf Hochhäuser noch und nöcher; da hilft als Schminke auch ein 15 Kilometer langer Sandstrand nicht wirklich weiter. Und welche Figur macht – pérdon für den Kalauer – Figueres? Wir wuseln uns durch die Industrie- und Handelsstadt bis möglichst dicht heran an die Plaça Gala i Salvador Dalí 5. Aber ach, schon 18 Uhr, da hat das Museum mit den Rieseneiern auf dem Dach bereits geschlossen.
Schade, doch irgendwie passend zu Dalís Gemälde "Beständigkeit der Erinnerung" mit den zerfließenden Uhren vorm Cap de Creus, oder? Just in time, aber gleich um die Ecke vom Teatre-Museu Dalí die Stippvisite im Café Dalícatessen, wo das zwirbelschnurrbärtige Genie stoisch Modell steht für Selfies, wenn auch nur als Kamerad aus Pappmachee. Und jetzt dalli dalli, bis wir bei "Karting de Roses" wieder auf die GI-614 gen Cadaqués abbiegen. Der Kartbahn aber nicht nachtrauern müssen, da die Straße vor uns inzwischen fahrfreundlich leer gefegt ist.
Carpe Montem: Am Gipfel der Pyrenäen
Adios Carpe Diem, vom silbrigen Glitzer-Glitzer des Meeres auf zum Carpe Montem, zur Phalanx der Pyrenäengipfel, jetzt, Anfang Mai, noch schneebedeckt, als sei es weißes Kettenspray. Richtig los geht die Party ab Banyoles auf der GI-524 via Santa Pau nach Olot. 30 Kilometer Stepptanz auf kurvigem Parkett. Unterwegs piksen in Mieres Zypressen in den Himmel wie in der Toskana, wohingegen du dich im Naturpark der Vulkane rund um den Croscat vielleicht in die Auvergne verpflanzt fühlst.
Jenseits von Olot die Qual der Wahl: Links weiter auf der N-206a zum Coll de Canes – oder rechts auf die GI-521 zum Coll de Santigosa? Fast egal, sieht auf der Karte beides lecker aus, und so oder so kommt man nach Ripoll. Und dort zur Plaça de l’Ajuntament. Kunstsinnige bewundern das Westportal der Abtei Santa Maria, die sogenannte "Bibel aus Stein", profanere Naturen goutieren vis-à-vis im Straßencafé Alesia göttlichen Salat mit Ziegenkäse; auf dessen Reste sich nimmersatte Tauben stürzen.
Kurvige Fahrt entlang der Serra del Cadí
Längst nicht gestillt ist unser Appetit auf kringeliges Asphaltgewürm. Davon reichlich gibt’s von Ripoll via Coll de Merolla und Guardiola de Berguedà sowie auf der B-400 entlang der Serra del Cadí bis zum Etappenziel La Seu d’Urgell. Und dank dünner Besiedelung droht hier kaum der permanente Curvus Interruptus. Stopp erst in Gósol. 1906 verbrachte Pablo Picasso, angereist mit der Staffelei auf einem Esel und in Begleitung seiner Geliebten Fernande, einen Sommer in diesem Pyrenäendorf, skizzierte Häuser und Bewohner. Reproduktionen zeigt das örtliche Museum.
Die C-462 über den Coll de la Trava
Aber ach, schon wieder 19 Uhr, und so können wir vorerst nur die Künste der tief stehenden Sonne bewundern, die überaus flüchtige Bilder aus Licht und Schatten von uns und den Motorrädern malt, sie auf die felsige "Leinwand" am Coll de Josa wirft. Was den Vorteil hat, nach einer Nacht im stilvollen Hotel Andria in La Seu d’Urgell gleich noch mal Gósol beehren zu müssen und dabei auch wieder auf der flammneu asphaltierten C-462 über den Coll de la Trava zu glühen. Danach nun via Sorribes de la Vansa und per kleiner Schottereinlage durchs wellige Hügelmeer, bis schließlich in Adrall die N-260 nach Sort abzweigt. Oh, wie ist das schön. Der Frühling so warm, die Fauna leuchtend hellgrün und gelb, dazu das Feeling von Freiheit, weit weg zu sein von der "Zivilisation”.
In 2.072 Metern Höhe durch den Port de la Bonaigua
In Sort wieder: rechts oder links? In weitem Bogen über den Port de la Bonaigua, mit 2.072 Metern höchster Pass der Pyrenäen, oder durchs Vall de Noguera und entlang des Flamisells nach El Pont de Suert? Für Frostbeulen ist die Entscheidung klar. Und so bedauert Sabine nur, ihre Kletterklamotten nicht dabeizuhaben, als wir für eine Tunnelumfahrung von der N-260 abbiegen und statt unter nun also neben den steil aufragenden Felswänden landen, in die bereits einige Routen gebohrt sind. Alternativ ginge es fast senkrecht bergab, beim Sprung in den Noguera Pallaresa, spektakuläres Revier fürs Rafting und Canyoning.
Feucht-fröhlich dann das Dorffest in La Pobla de Segur. Und auch wenn wir den Sänger vor der BarBoavi kaum verstehen: Unmissverständliche Symbole des Protests katalanischer Separatisten gegen den spanischen Staat sind, nicht zuletzt nach dem umstrittenen Referendum von 2017 und dem Haftbefehl gegen den Politiker Carles Puigdemont, die gelben Schleifen, los lazlos amarillos, wie sie hier und anderswo an den Fassaden hängen und auch immer wieder mal aufgesprüht die Fahrbahn zieren. Puh, no politics?
Haarnadelkurven auf der N-260 Richtung El Pont de Suert
Weiter auf der N-260, gespickt mit ein paar hübschen Haarnadelkurven am Coll de la Creu de Perves, nach El Pont de Suert. Wie in einer Wagenburg scharen sich dort die alten Häuser mit ihren Arkaden und kleinen Balkons dicht aneinander um Plaça del Mercadal und Plaça Major. Mit der Tapas Bar Can Manolo finden wir einen prima Laden fürs Après-Moto, beim Frühstück im HotelCotori sehen wir plötzlich den Wirt in einem Youtube-Video wieder, als Protagonisten bei den"Falles", ein uraltes Fest zur Sommersonnenwende in den Pyrenäen. Dabei ziehen junge Leute mit brennenden Fackeln (Falles) vom Berg hinab und entfachen im Dorf ein loderndes Johannisfeuer, ein von Generation zu Generation vererbter Brauch und ein Symbol fürs Erwachsenwerden.
Aneto: Höchster Berg der Pyrenäen in 3.408 Metern
Der Größte von allen seiner Kollegen hier ist mit 3.408 Metern der Aneto. Und dem wollen wir jetzt endlich mal auf den weißen Zahn fühlen. Gar nicht so einfach. Erst treiben wir die Motorräder durchs enge Vall de Boí bis empor zum Stausee Estany de Cavallers, dann probieren wir es auf der N-230 bis zum nächsten Stausee, dem Embalse de Baserca, sowie auch beim Abstecher von der N-260 nach Neril, ehe uns schließlich die A-139 durchs bezaubernde Valle de Benasque zumindest ein paar Placken Schnee unter den Reifen beschert. Dichter ran ginge es nur mit Wanderstiefeln oder Skiern an den Aneto. Der übrigens nicht mehr in Katalonien, sondern im benachbarten Aragón liegt.