Wow! Wales empfängt uns mit offenen Armen. Wobei die ausgebreiteten"Arme" aus hohen Hecken beiderseits der schlängeligen Landstraße bestehen. Was das Sichtfeld links und rechts einschränkt, den Blick in die Ferne lenkt, wo schon die Bergketten von Snowdonia winken. Und als seien es Fußmatten mit Willkommensgruß, rollen wir über rot markierte Felder, darauf in großen Lettern: ARAF. Die Übersetzung steht ebenfalls auf der Straße: SLOW. Ja, die walisische Sprache ist ein Thema für sich, eine wichtige Quelle der nationalen Identität und Eigenständigkeit im Vereinigten Königreich. Das merkst du auch, wenn das Navi von England umgestellt werden muss auf Wales, um zum Beispiel in Betws-y-Coed das "Royal Oak Hotel" zu finden – unser Quartier für gepäckfreie Tagesetappen.
Brückenmethusalem bringt Busfahrer ins Schwitzen
Freitagmorgen. Während wir beim üppigen Full Welsh Breakfast das Leistungsgewicht der Motorrad-Fahrer-Einheit sukzessive verschlechtern, bleibt Zeit für die Roadmap. Statt zur blaublütigen High Society nach London zieht es uns ins grüne Winkelwerk.
In Betws-y-Coed über die uralte Pont-y-Pair Bridge und mit Blick auf einen kleinen Wasserfall abbiegen zur B 5106. Unter dichtem Blätterdach wellt sich das Sträßchen bis zum Herrenhaus Gwydir Castle und schwenkt dort ab zum nächsten Brückenmethusalem, der Pont Fawr im quirligen Llanrwst. Wo man früher mit Pferdefuhrwerken oder Sackkarren den Conwy überquerte, geraten heute Busfahrer ins Schwitzen, wenn sie dort einfädeln müssen. Nur gut, dass die Royal Enfield Himalayan selbst mit Alukoffern nicht so breit ist und nun auf der A 548 nach Abergele vergleichsweise freie Fahrt hat, während Trecker und Trucks die buschigen Hecken und überhängenden Äste immer wieder mal freirasieren. Abwechslung ins grünlastige Spiel bringt in Llangernyw ein alter Hirsch, der Pub "The Old Stag", geöffnet außer dienstags täglich ab 17.30 Uhr, am Wochenende schon ab 12.
Links steiler Fels, rechts unten die See
Bye-bye Llangernyw, hello Llandudno! Das größte Seebad in Wales liegt auf einer Halbinsel und hat auf der Ostseite einen langen, sichelförmigen Strand sowie eine breite Promenade, dazu einen weit ins Meer ragenden Pier mit diversen Buden wie auf der Kirmes. Besonderes Leckerchen: Auf einer Panoramastraße geht es auch noch rund. Links steiler Fels, rechts unten die See, gespickt mit Offshore-Windkraftanlagen. Noch aus der Zeit vor der Erfindung der Glühbirne stammt an der Ringstraße "The Lighthouse", umfunktioniert inzwischen vom massigen Leuchtturm zur formidablen Übernachtungslocation. Nur ein Streichholzleuchten entfernt das "Rest & Be Thankful", ein schnuckeliges Café mit Holzofen und feinem Kuchen.
4 Castles auf der Route
Vier Castles stehen auf unserer Reise-Liste: Conwy, Penrhyn, Beaumaris und Caernarfon. Während das imposante Conwy Castle, Schlüsselfestung einst des von Edward I. errichteten "Iron Ring" an der walisischen Küste, sowie das nicht minder eindrucksvolle Caernarfon Castle ihre Schokoladenseiten vom Wasser aus präsentieren, gibt sich Beaumaris Castle, eine unvollendete Wasserburg, außerhalb der Öffnungszeiten völlig zugeknöpft.
Und Penrhyn Castle? Das Herrenhaus in einem waldigen Park bei Bangor macht es spannend. Wir sind noch nicht weit gekommen, da hilft uns der gen Ausgang eilende Parkwächter auf die Sprünge: Das schwere Eisentor am Eingang schlösse er jetzt, quasi sofort. Ups, und thanks a lot. So spät schon? "Volle Kraft zurück" also das Kommando an die Maschinenräume, bloß nicht auch noch Penrhyn pixeln.
Der längste Dorfname Europas
Immerhin bleibt Zeit für einen Abstecher nach respektive zur "Marienkirche in einer Mulde weißer Haseln in der Nähe des schnellen Wirbels und der Tysiliokirche bei der roten Höhle" – wem 99 Buchstaben zu lang sind und schlanke 58 reichen: Llanfairpwllgwyngyllgogerychwyrndrobwllllantysiliogogogoch heißt das Dorf und ist wegen des längsten Ortsnamens Europas ein Touristenmagnet.
Mount Snowdon höchster Berg in Wales
Auch ohne Marketing-Gags erfreut sich der Mount Snowdon größter Beliebtheit, mit 1.085 Metern höchster Berg in Wales und ein Eldorado für Wanderfreaks. En passant beschert er uns auf der A 4086 über den Pen-y-Pass im Herzen des Snowdonia National Parks doch noch ein Foto mit mächtigem Bergpanorama, dramatischer Wolkenformation und güldenem Sonnenuntergang. Last but not too late in Betws-y-Coed zu "Abbasi’s Indian Cuisine", Adresse für den späten Hunger.
B 4406 nach Portmeirion: bunte Häuser und Piazzas
Samstagmorgen. Zum Frühstück regnet es cats and dogs. Na toll. Aber was wäre das grüne Wales auch ohne Berieselung von oben. Da träumst du schnell von Bella Italia. Und fährst über die grau verhangene B 4406 nach Portmeirion, ein exotisch wie absurdes Ensemble aus knallbunten Häusern, Piazza und Campanile, künstlich angelegt, als sei es eine Miniaturausgabe von Portofino an der Riviera. Autos und Motorräder sollten draußen bleiben.
Für Fußfaule besser zu erreichen ist da im nahen Criccieth das "Dylan’s", ein stylisches Strandrestaurant mit gut sortierter Karte getreu der hauseigenen Philosophie: Wir feiern lokale Produkte, den Charakter und die natürliche Schönheit von Nordwales. Nach einer Kürbissuppe haben wir bei der Umrundung der Lleyn-Halbinsel via Aberdaron und Nefyn ausgiebig Gelegenheit, die Gore-Tex-Membrane zu feiern.
Kurs Süd, in die Black Mountains
Sonntagmorgen. Vorm "Royal Oak" Small Talk mit einem alten Fahrensmann, der uns von seinen Triumphs erzählt, den aus Meriden, nicht aus Hinckley, und dann Kurs Süd, auf in die Black Mountains. Unterwegs in Beddgelert der florale Overkill, hängende Blumenkübel am "Tanronnen Inn", kurvig weiter auf der schmalen A 4085 über den Pass of Aberglaslyn, in Harlech ein Castle, das sich bequem von der Sitzbank aus bestaunen lässt, an der Küste ausufernde Campingplätze mit Holiday Homes und kaum minder weißen, den Strand anrollenden Wellen, in Barmouth Touri-Tsunami sowie die vorsintflutliche Eisenbahnbrücke über die Mündung des Mawddachs, in Dolgellau Boxenstopp am "Torrent Walk", einer urigen Kellerbar mit einem Himmel voller Bierdeckel. Auf der A 470 fahren wir schließlich bis Brecon zum "Sound of the River" alias"Swn yr Afon", dem B & B von Wirt Tony und seinem schwarzen Cocker-Mischling Alice.
Eine "Fuchsröhre" wie auf der Nordschleife
Monday, Monday, so good to me. Erst die sättigenden Grundlagen für den Tag, dann die Top-Strecken durch den Brecon Beacons Nationalpark, eine hügelige, oft menschenleere Landschaft, genutzt vom britischen Militär zum Überlebenstraining. Zum Warmfahren ein paar Schwünge auf der B 4520 bis Upper Chapel, Richtung Newbridge on Wye eine "Fuchsröhre" wie auf der Nordschleife. Auf der B 4358 nach Llanwrtyd Wells, berühmt für seine neckischen Spiele wie etwa die Weltmeisterschaft im Schlammschnorcheln, und schließlich von Llandovery per A 4069 nach Brynamman, ein Bergsträßchen durch die Black Mountains, das zwar nur auf 493 Meter hoch führt, Motorrad-Enthusiasten aber mit brillanten Twists and Turns begeistert, so ein treffender Kommentar im Netz.
Abergavenny, Gourmethauptstadt von Wales
"Keep England out", hatte Tony aus seinem walisischen Herzen keine Mördergrube gemacht. Nun, dem wollen wir nicht widersprechen, uns wohl aber an der "grünen" Grenze zum ungeliebten Nachbarn entlanghangeln. Als Einstieg östlich von Merthyr Tydfil die B 4560, die über kahl rasierte Kuppen hinab nach Llangynidr zickzackt, als Prüfung für zu breit geratenes Blech das Brückchen über den munteren Usk. In Abergavenny, Gourmethauptstadt von Wales mit dem Food Festival im September, auf die A 465 Richtung Hereford, bis es links ab nach Hay-on-Wye geht, weltbekanntes, leicht skurriles Bücherdorf, in dem ein Pferd mal Premierminister wurde, sich Ende Mai beim Literaturfestival die Leseratten treffen. Und was treffen wir jetzt, Mitte Juli, zwischen den Hotspots fürs Schlemmen und Schmökern?
Ein Schnubbisträßchen entlang der buchstäblich grünen Grenze zu England, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen, Spezies des Homo sapiens das auch im heimeligen "Half Moon Hotel" in Llanthony. Und nirgends Separatistenparolen wie etwa in Katalonien, außerdem kaum Verkehr – genau richtig fürs Rumpöttern mit dem indischen Einzylinder. Der übrigens im Nirgendwo am Gospel-Pass, surprise surprise, ein recht junges Familienmitglied trifft, eine Royal Enfield Scram 411. Von wegen hinterm Mond hier!