Meine karge Freizeit verbringe ich nicht als Modellbahnsammler oder Trainspotter. Ich wollte auch nie Lokomotivführer werden. Die Bahn ist für mich eine rein pragmatische Sache. Eine Sache, die ich als Berufsfernpendler hassen gelernt habe: Ich sage nur „verspätete Bereitstellung“ oder „Verzögerungen im Betriebsablauf“. Mag ja sein, dass der Verein in 80 Prozent der Fälle pünktlich ist - ich erwische auf jeder zweiten Tour die restlichen 20 Prozent. Auf die Idee, ausgerechnet mit der Bahn in Urlaub zu fahren, wäre ich in tausend kalten Wintern nicht gekommen. Niemals!
Bis ich auf der Intermot 2012 Olaf Gebauer getroffen habe. Olaf ist bei der DB Autozug GmbH für Marketing und Vertrieb zuständig, muss Bahnfahren also rein beruflich ganz toll finden und das auch jedem erzählen. Aber Olaf ist auch Motorradfahrer, der so gar nichts vom Duktus des in der Wolle gefärbten Alt-Bundesbahners hat. Und Olaf sprach verhängnisvolle Worte: „Bevor ich dich hier zutexte, probier die Sache doch einfach mal aus. Lass uns mit den Motorrädern und per Autozug eine Tour machen.“
Kopf einziehen - ansonsten ist das Beladen völlig unspektakulär

Ein gutes halbes Jahr später treffen wir uns an einem Freitagnachmittag am Check-in des Bahnhofs Hamburg-Altona. Olaf kommt mit seiner Yamaha XJR 1300 aus Dortmund, dem Sitz der DB Autozug GmbH. Ich bin mit der Dauertest-Honda CBR 600 F aus Stuttgart angereist. In der kommenden Nacht wollen wir zusammen via Autozug nach Bozen/Italien fahren. Außer uns möchten noch sechs Skandinavier und ein Engländer mit Motorrad per Autozug nach Südtirol. 25 Pkw-Fahrer nebst Anhang - meist Rentner und Familien, neben Oldtimer-Besitzern und Motorradfahrern die typischen Autozug-Zielgruppen - zieht es ebenfalls in die Frühlingssonne. In Hildesheim werden wir noch ein Motorrad und elf Pkws dazubekommen, macht unterm Strich 90 Reisende, die unterwegs von sieben Bahn-Mitarbeitern bespaßt werden können.
Doch so weit sind wir noch nicht, erst einmal müssen die Fahrzeuge auf die Transportwagen - für Autozug-Neulinge eine gewisse Herausforderung, zumindest kopfmäßig. Und das im wahrsten Sinne des Wortes, denn 1,58 Meter Durchfahrtshöhe lassen die Helmpflicht beim Verladen durchaus sinnvoll erscheinen. „Nimm lieber den Tankrucksack ab, ich pass auf das gute Stück so lange auf“ - der Tipp von Lademeister Nils Lübbert sollte tunlichst befolgt werde, denn jeder Zentimeter Kopfeinzieh-Reserve ist Gold wert. Ansonsten ist das Beladen völlig unspektakulär. Und auch das Festzurren der Motorräder - für Autozug-Frischlinge wie mich der vielleicht größte Sorgenpunkt - klappt völlig problemlos und vor allem beschädigungsfrei. Man merkt Nils und seinen Jungs deutlich an, dass sie den Job schon etwas länger machen.
Liegewagen hat was von Jugendherbergscharme mit dem entsprechenden Party-Potenzial

Noch während unsere Motorräder in unmittelbarer Gleisnähe inmitten des Altonaer Bahnhofs (und damit im direkten Reisebier-Zugriffsbereich) parkten, haben die Männer jeweils vier Gurtschlaufen angebracht, in die dann später die Spanngurte gehängt werden. Wer möchte, kann dem Verladepersonal auch ganz persönliche Befestigungs-Tipps geben, das wird durchaus gern gesehen. Man kann die Sache aber auch komplett den Profis überlassen, was bei unseren Motorrädern und den Maschinen der Mitreisenden kein Fehler war: Die Schätzchen stehen bombensicher und kratzerfrei auf ihren Seitenständern.
Es wird Zeit, die mobile Übernachtungsmöglichkeit aufzusuchen. Olaf hat für uns zwei Alternativen gebucht: Liege- und Schlafwagen - „du sollst ja alles mal kennenlernen.“ Drei Viertel der Mitreisenden haben den klimatisierten, rustikal-kuscheligen Liegewagen gewählt. Der ist einfach günstiger. Und zumindest für gruppendynamische Motorradfahrer auch viel lustiger. Tagsüber ist es ein normales Fünfer-Sitzabteil, nachts werden die Betten runtergeklappt. WC und Dusche am Ende des Waggons - das hat was von Jugendherbergscharme mit dem entsprechenden Party-Potenzial.
Ein solch entspanntes Klima wie im DB Autozug habe ich bei der „normalen“ Bahn noch nie erlebt

Wer es etwas luxuriöser möchte, wählt den Schlafwagen. Das sind meist Dreier-Abteile, die sich zum Teil über eine Zwischentür zur Suite erweitern lassen. Waschgelegenheit, Frühstück und ein Begrüßungsrotwein sind inklusive. Den kredenzt uns pünktlich zur Abfahrt um 18.20 Uhr Josef Peter, gebürtiger Ungar, gelernter Schmied und seit rund 30 Jahren für die Deutsche Bahn nächstens unterwegs. Josef ist der Typ „Seele von Mensch und perfekter Gastgeber“. Er ist humorvoll, unglaublich entspannt und auch noch spätnachts gut gelaunt.
Und Josef ist keine Ausnahme, womit ich schon beim überraschendsten Aspekt meiner Autozug-Premiere wäre: Ich möchte den vermutlich ebenso hart arbeitenden Kollegen im DB-Fernverkehrsgeschäft nicht zu nahe treten, aber ein solch entspanntes Klima wie im DB Autozug habe ich bei der „normalen“ Bahn noch nie erlebt. Liegt es vielleicht daran, dass das Autozug-Publikum in Urlaubslaune ist? Oder daran, dass es bei der Reise durch die Nacht dank gewisser Fahrzeitreserven nicht auf jede Minute ankommt und die Ankunft in Bozen um 9.48 Uhr am nächsten Morgen trotzdem superpünktlich ausfällt? Egal, ich ertappe mich jedenfalls dabei, dass ich mit Olaf viel mehr Zeit als die tagsüber üblichen 30 Minuten im Speisewagen verbringe, dass ich mich nicht über die Mikrowellen-Bratkartoffeln der „Bauernpfanne“ (6,60 Euro) ärgere und mir dafür deutlich mehr als ein leckeres Weizenbier (0,5 l für 4,20 Euro) schmecken lasse.
Die Schlagworte Benzin- und Hotelkosten, Maut und eckige Reifen

Olaf erzählt mir von den Herausforderungen des Autozuggeschäfts, von den starken saisonalen Schwankungen, von defizitären Verbindungen und damit einhergehenden Terminalschließungen, vom Preistreiber Auslandsbahnkosten (ein Beispiel: Jeder Zug nach Narbonne kostet allein in Frankreich einen namhaften fünfstelligen Euro-Betrag), aber auch von einer sehr treuen Stammkundschaft und natürlich von den handfesten Autozug-Vorteilen ab 99 Euro Einstiegspreis. Die Stichworte lauten unter anderem Benzin- und Hotelkosten, Maut und eckige Reifen.
Wir bewegen das Thema Autozug rauf und runter und wieder zurück. Und dann sind wir einfach mal still und schauen lange einfach nur so aus dem Fenster des Speisewagens. Die Landschaft zieht vorbei, viel langsamer als beim ICE. Die Nacht bricht herein, das nächste Weizen ist in Arbeit. Und ich alter Bahn-Hasser finde Bahnfahren plötzlich richtig klasse. Das klingt kitschig? Es ist kitschig. Aber warum sollte ein Urlaub nicht mal kitschig anfangen? Oder auch ausklingen - die Probe aufs Exempel machen Olaf und ich am nächsten Tag. Auf Motorradachse geht’s von Bozen nach München und von dort mit dem Autozug über Nacht zurück nach Hamburg. Josef heißt diesmal Petra.
Info DB Autozug

Die DB Autozug GmbH ist eine 100-prozentige Tochter der DB Fernverkehr AG. Neben den Autozügen gehören das Nachtreisezug-Geschäft, der Sylt Shuttle, die Schifffahrt und Inselbahn Wangerooge sowie der Personaldienstleister DB European Railservice zur DB Autozug Gruppe, für die insgesamt etwa 1100 Mitarbeiter tätig sind. Mit 153 Fahrzeugen (80 Fahrzeugtransportwagen, 21 Schlaf- und 45 Liegewagen sowie sieben Speisewagen) werden rund 45 Verbindungen bedient. Autozüge fahren ab sieben deutschen Terminals (z.B. Hamburg, München, Lörrach). Die Auslandsziele: Innsbruck, Schwarzach, Villach (Österreich); Alessandria, Bozen (Italien); Narbonne (Frankreich). Infos: www.bahn.de/autozug