Der Wahnsinn wiederholt sich. Drei Männer, drei Maschinen, eine Mission: Mit Motorrädern aus dem Ostblock vom MOTORRAD-Gründungsort Breslau nach Stuttgart. Renntaktik: ankommen. Egal wie. Aber wieder läuft alles anders als geplant.
Der Wahnsinn wiederholt sich. Drei Männer, drei Maschinen, eine Mission: Mit Motorrädern aus dem Ostblock vom MOTORRAD-Gründungsort Breslau nach Stuttgart. Renntaktik: ankommen. Egal wie. Aber wieder läuft alles anders als geplant.
Drehen wir die Zeit mal ein Jahr zurück. Da hatten meine Kollegen spontan die Redaktionskasse geplündert, um sich in Polen drei schrottige Ostladys anzulachen. Typische Midlife-Crisis eben. Der Rest ist kein Geheimnis. Gedemütigt schlurften die Challenger zurück nach Stuttgart. Doch ein Anruf der polnischen Polizei hat jetzt alles geändert. Die WSK ist wieder da, und der knallharte Wettkampf geht in die zweite Runde. Das kann ich mir einfach nicht entgehen lassen. Und damit ich länger was zu lachen habe, ist meine Kamera natürlich überall mit dabei. Also dann, Männer, Attacke!
Natürlich hat der Diebstahl der WSK im letzten Jahr meine polnische DNA (schließlich kommt Oma aus Katowice) tief getroffen. Andererseits war mir klar, dass der Dieb nur zugegriffen hat, weil er dort an der Bushaltestelle echte Qualitätsware gesehen hat. Die Ungarn-Gurke von Paranoia-Herder und Bibis Tschechen-Geraffel hätte er uns dagegen bis nach Stuttgart hinterhergeschoben. Und natürlich wusste ich, dass die polnische Staatsmacht alles daransetzen wird, das in letzter Zeit wacklige Beziehungsgeflecht zu Angie & Co mit dem Wiederauffinden des Krades nachhaltig zu stabilisieren. Genauso war es auch: Die Suchanzeige bei unseren polnischen MOTOCYKL-Kollegen führte den Gendarmen Stanislaw W. ziemlich schnell auf die Spur des ehrlosen Gauners Tomasz S. – zack, WSK wieder da, Fall gelöst. Ganz anders dagegen die hoffnungslosen Fälle der Herren Biebricher und Herder, welche die schraubende Zunft in der MOTORRAD-Werkstatt noch zur Weißglut bringen sollten. Und dann haben sie mich auch noch wuschig machen wollen: „Bring du mal deine WSK auf Vordermann!“ Warum denn, der Dieb ist in Fahrt gestellt worden. Läuft doch, Kollegen!
Nur noch mal zur Erinnerung: Welches Motorrad schaffte es 2015 als einziges zum Start an den MOTORRAD-Gründungsort in Breslau? Richtig, meine Pannonia! Und welches Motorrad ging überhaupt als einziges ins Rennen? Auch richtig: die Pannonia! Kollege Lohse ließ sich vorsichtshalber die Maschine klauen, und Bibi schob fadenscheinige Elektrikprobleme vor, um bereits den ersten offiziellen Fahrtag im warmen Transporter verbringen zu können. Kein Wunder also, dass meine geliebte 250er nach geraumer Zeit auch keine Lust mehr hatte und sich mit Kolbenklemmer zu den beiden Verlierern gesellte. Im heimischen Stuttgart kümmerte sich das Management von Snyder-Tuning persönlich ums Gerät, verwechselte den Arbeitsauftrag „fahrbereit machen“ aber leider mit dem Ziel „Vollrestaurierung“ – was zwangsläufig zu einem gewissen Zeitverzug führen musste. Geschenkt – Schrauber-Genies brauchen solche kreativen Freiräume. Lohse machte es sich natürlich wieder supereinfach und ließ die angeblich wiedergefundene WSK in einer Nacht-und-Nebel-Aktion gegen Neuware austauschen. Und Bibi? Wollte aus einer Gurke eine Rakete machen.
Erfolg basiert nicht nur auf Glück, Glaube und Zufall, sondern auch auf Planung und Tatkraft. Daher habe ich mich das ganze letzte Jahr immer wieder neu mit meiner Jawa auseinandergesetzt: seelisch, geistig und körperlich. Lohse hingegen ließ seine WSK kaltherzig in einem polnischen Hinterhof verrotten. Derweil darbte Herders ungarische Gulaschkanone neun Monate unberührt in der MOTORRAD-Tiefgarage, ölte den Boden voll und buhlte mit ihrem Fortpflanzungsorgan von Rücklicht um Aufmerksamkeit. Wenige Monate vor dem erneuten Start gab Herder panisch eine völlig unrealistische Vollrestauration seiner Paranoia in Auftrag. So blieb es an mir hängen, den Kollegen aufzuzeigen, wie Erfolg vorbereitet wird: Fein verteilt über das ganze Jahr erwarb ich Jawa-Ersatzteile und vertiefte die deutsch-tschechischen Wirtschaftsbeziehungen. Zudem sorgte ich bei Oberschrauber Gerry W. für eine Optimierung seiner beruflichen Perspektiven, indem er sich zum Jawa-Experten fortbilden durfte. Weder ein Mäusenest im Luftfilter noch mysteriöse Defizite in Zündanlage und Lima verhinderten, dass der tschechische Bulle kurz vor dem Start wieder rundlief.
Jörg (der Furcht-Lohse): Habe ich gerade gesagt, läuft doch? Natürlich! Nur blöd, dass MOTOCYKL-Chef Jacek mich direkt vor den Augen von Paranoia-Herder und Bibi auf die 166 Euro ansprechen muss, die das heimlich in Auftrag gegebene Feintuning der WSK gekostet hat. Vorher will er den Schlüssel nicht rausrücken. Aber was sind schon ein paar Euronen gegen die monatelangen Sanierungsarbeiten an Jawa und Pannonia? Zumal die WSK auf einen Kick wieder vor sich hin pröttelt. So, als wäre nichts gewesen. Stuttgart ist mein! Ich könnte jetzt ja einfach abzischen. Aber ist es nicht viel demütigender, die Kollegen immer wieder in der öligen Zweitaktfahne verschwinden zu lassen? Außerdem verspricht der Besuch beim Oldie-Restaurator Piotr in Breslau sehr unterhaltsam zu werden. Warum wir überhaupt bei Piotr gelandet sind? Diesen Part sollten jetzt besser Bibi und Herdi übernehmen. Aber wehe, die schwafeln nur rum und erzählen, dass Jasmin für das Roadmovie ein paar authentische Schnittbilder braucht. Gelächter! Was macht der Bibi denn jetzt noch? Stylt sich nicht vorhandene Haare, weil nach ernsthafter Moderation verlangt wird – ich würde ja nur Faxen machen. So ein Unsinn. Schmeißen wir lieber zusammen mit dem polnischen Motorradkurator Piotr Bibis Jawa an. Äh, Ladekontrollleuchte! Moment, war da nicht schon mal was im letzten Jahr?
Klaus (Paranoia-Herder): Die Sache mit dem Besuch beim Oldie-Papst Piotr in Breslau hat einen ganz einfachen Grund: Bibis Zweizylinder-Baustelle zeigte bereits bei Abreise in Stuttgart einen gewissen Lebensüberdruss. Unser polnischer Gewährsmann soll eigentlich nur noch eine Zweitmeinung in Sachen Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen abgeben. Meine Pannonia lief dagegen beim finalen Snyder-Test im Schwabenland tadellos. Okay, vielleicht hätte man dem plötzlichen Absterben nach einer guten Stunde Fahrzeit etwas mehr Bedeutung beimessen sollen. Aber Piotr, der geradezu um eine Probefahrt mit dem ungarischen Stier bettelt, ist auch der Meinung, dass ich mit der Pannonia bedenkenlos auf Titelverteidigung gehen kann. Zugegeben: Seine Probefahrt dauert nur fünf Minuten, aber in dieser Zeit läuft die Pannonia ohne irgendwelche Beanstandungen. Bibi hätte sich zu diesem Zeitpunkt eigentlich schon um ein Bahnticket Breslau - Stuttgart bemühen oder sich mit der Schandmähre Panigale anfreunden können, da seine olle Jawa endgültig den Dienst verweigerte. In einem Anfall kollektiven Mitleids gestehen Lohse und ich ihm aber einen Restart zu. Und was macht der Kerl? Kauft ausgerechnet Piotrs fieseste Standuhr, eine lethargische 50er! Und Lohse mauschelt derweil heftigst mit seinem polnischen Führungskräfte-Kumpel. Pfui!
Jasmin: Von wegen „Jasmin braucht noch Schnittbilder.“ Der Besuch bei Alteisen-Dealer Piotr hatte doch nur einen einzigen Grund, Kollegen. Ihr seid einfach scharf auf seinen Fuhrpark. Alle zwei Minuten erklärt der Bibi einem anderen Zweirad seine Liebe. Herr Herder streicht verträumt über durchgesessene Ledersitze, und der Furcht-Lohse sitzt schon mal Probe für sein nächstes Abenteuer. Konzentration, bitte! Ein fahrbarer Untersatz für den Bibi muss her, denn die Jawa will seit unserer Ankunft in Breslau einfach nicht mehr anspringen. Ein tiefer Griff in den Redaktionstopf ermöglicht ihm zwar keine Granate, dafür aber eine polnische Rakete.
Markus (Raketen-Bibi): Jawa, was tust du mir an? Ist das der Lohn für ein Jahr voller einfühlsamer Hingabe? Habe ich nicht fast jedes betriebsrelevante Teil an dir erneuert? Habe ich nicht Nächte haareraufend über der Frage verbracht, warum du Fehlzündungen hast oder warum sich deine Räder so schwer drehen? Keiner der hämisch grinsenden Kollegen hat in sein Fahrzeug ähnlich viel Energie, Zeit und Geld investiert. Okay, Paranoia-Herder vielleicht, aber der hat längst nicht die innere Anteilnahme aufgebracht. Fakt ist, der tschechische Bulle lässt mich gleich am Start in Wrocław im Stich. Die Batterie wird leer gesaugt, es reicht nicht für zündende Funken. Irgendein schleichender Elektrikfips. Jetzt hilft nur mentale Unbeugsamkeit. Meine Alternative: die Challenge auf unserer Schandmähre Ducati Panigale bestreiten. Was Krampfadern, Zeugungsunfähigkeit und Tinnitus bedeutet. Da kommt Polens Oldtimerkönig Piotr grade recht. Er behält die defizitäre Jawa, und ich suche mir aus seinem Fundus ein anderes Gerät. Da es mit überlegener Leistung und Hubraum nicht klappte, greife ich diesmal von unten her an und erbeute eine Romet Ogar 200. Die 200 steht für Zwei-Personen-Zulassung, nicht für Hubraum. Da gibt es nur 50 Kubik. Das 30 Jahre junge Geschoss läuft aber 68 km/h, wie sich später zeigt. Von wegen lethargische Standuhr. Jetzt trifft euch der blaue Blitz, Kollegen!
Jörg (der Furcht-Lohse): Flagge runter, Flamme. Die ersten Kilometer sind eine Wohltat – vor allem, wenn einem noch vom Vortag die 800 Kilometer Anreise auf der Panigale im Arsch stecken. Behutsam streiche ich meinem Baby über den Tank: Durchhalten, nicht schlappmachen! Denn wer mit seinem Ofen verreckt, wird auf der offiziell zur Schandkarre ausgelobten Ducati sein Dasein fristen müssen. Und das auf den Trampelpfaden, die das Roadbook nach Stuttgart verzeichnet? Kein Geschenk. Das wachsweich ausgemergelte Fahrwerk der WSK hingegen ditscht wie ein Flummi in jede Asphaltverwerfung. Gefühlt ist das Tempo mit Blick voraus einige Warp-Einheiten über dem, was sich mit formatsprengenden 40-Tonnern im Rückspiegel (diesmal ohne Sprung, NEUWARE!) abzeichnet. Bibi hat inzwischen nicht nur seine Frisur, sondern auch die Romet im Griff. Die polnische Bracke brettert im Windschatten sauber mit. Respekt. Hin und wieder schiebt sich Paranoia-Herder wie aus dem Nichts bedrohlich nahe an unsere Schmutzlappen heran. Kann oder will er nicht vorbeiziehen? Mein Problem: Wegfahren kann ich ihm nicht, denn in Sachen „Mischung berechnen“ ist mir der Zweitakt-Obmann um Lichtjahre voraus. Bis ich den Tank mit korrekten 1 : 33 geflutet hätte, wäre mir die Altherrenbrigade dreimal um die Ohren gefahren. Also setze ich auf Rossi-Taktik: Bibi schön vor mir hertreiben, Herder immer wieder schnüffeln lassen, kurz vor der Zielgeraden vollstrecken.
Klaus (Paranoia-Herder): Da habe ich ein frisch aufbereitetes High End-Zweitakt-Sportgerät, das nur darauf wartet, seine brutalen 16 PS freizulassen – und was passiert? Ich muss hinter den beiden Gehhilfen hertrödeln – der überlegene Vorjahressieger startet halt zuletzt. Bibi behauptet zwar, dass sein Geschwür echte 68 km/h rennt, was aber absolutem Wunschdenken entspringt. Der Stuhl geht maximal 52 Sachen, was mehrfach durch die mittlerweile auch in Polen beliebten „Sie fahren XX“-Anzeigen am Straßenrand bestätigt wird. Dafür trägt der Romet-Dompteur aber eine megapeinliche Superduper-Textilkombi, deren Preis den Zeitwert der Romet um das Zehnfache übersteigt. Stört den Bibi aber nicht die Bohne – Hauptsache, er hat die Haare schön. Lohse macht einen auf hilfsbereiten Teamplayer und gibt der 50er am Berg Schiebehilfe. Was für eine verlogene Socke! Der saubere Herr weiß nämlich nur zu gut, dass er regelmäßig auf unsere, genauer gesagt auf meine Hilfe angewiesen ist und daher lieber in der Nähe bleiben sollte. Schauen Sie mal auf das Foto da unten rechts. Ich sage nur: „Elektrodenschluss“. Zweitakter-Nullblicker Lohse würde wohl heute noch immer am polnischen Straßenrand stehen, wenn ihm der nette Pannonia-Fahrer nicht die Kerze sauber gekratzt hätte. Wie auch immer: Die unsägliche Hinterhertrödelei fordert dann doch ihren Tribut. Erstaunlicherweise nach exakt der gleichen Zeit, nach der Doc Snyder bei der letzten Testfahrt aufgeben musste.
Markus (Raketen-Bibi): Wahnsinn, wie die Romet abgeht. Erster Gang oben, zweiter und dritter unten. Ich darf nicht bremsen, um keinen Schwung zu verlieren! Aber die Bremsen funktionieren eh nicht. Flach liegend stürze ich mich mit gemessenen 68 km/h Topspeed todesmutig zu Tal. Die Kurven sind mit den 30 Jahre alten Holzreifen echte Herausforderungen. Ihr polnischen Dörfler, bitte bleibt in euren Häusern und haltet eure Hunde zurück. Und jetzt nicht mit dem Trecker rausziehen, die Romet kommt! Mühsam gestalten sich die Anstiege. Da heißt es, exakt im richtigen Moment runterzuschalten. Lohse hat zunächst Probleme mit seiner Zündkerze, doch dann läuft die polnische Vorkriegsfeile wie entfesselt. Typisch für Motoren kurz vor dem Exitus. Deshalb ist es wichtig, dass er mit der Drehzahl runtergeht und den fairen Sportsmann spielt, indem er mir an steilen Bergen großzügig seinen Arm darbietet und mich hochzieht („Mit Halbgas“). Ein Akt, den man nicht überbewerten darf, denn so kann er geschickt kaschieren, dass er diesmal gezwungen ist, sein Material zu schonen und nicht wieder grobmotorisch zugrunde zu richten. Herder schafft noch nicht mal das. Seine zunächst bullig antretende kommunistische Krampfkiste nimmt kaum noch Gas an, und irgendwann ist Sense. Da diesmal tatsächlich auch ein Hauch von Menschlichkeit unser Rennen adelt, fahren Lohse und ich zurück. So kann der Helm runter und etwas Luft an das treue Resthaar.
Jasmin: Auf der Romete wird der Bibi tatsächlich zur Rakete und beißt sich fast am Lenker fest. Bedenkt man, dass so ein Moped eigentlich für 16-jährige Mädchen gedacht ist, die keine 50 Kilo wiegen, ist seine Geschwindigkeit schon fast beeindruckend. Auf den ersten Kilometern schenken sich die alten Herren nichts, Kampflinie ist angesagt. Bergauf geht es humaner zu. Doch kaum ist die Kuppe erreicht, kommt wieder der Furcht-Lohse zum Vorschein, und die WSK brettert davon. Raketen-Bibi versucht den Gegenwind mit ununterbrochenem Reden in die Flucht zu schlagen. Vergeblich. Vielleicht hätte er ihm von seiner ausgeklügelten Haarpflegetaktik erzählen sollen. Bei mir löst das sofort einen Fluchtreflex aus. Wo bleibt eigentlich der Herder mit seiner Paranoia?
Jasmin: Der Vorjahressieger schwächelt. Während der Furcht-Lohse und Raketen-Bibi mit breitem Grinsen umkehren, muss ich die Tränen unterdrücken, als die Pannonia im Rückspiegel immer kleiner wird. Ich fasse es nicht, die größte Labertasche von allen sitzt gleich wieder bei mir im Bus. Kaum schalte ich meine Kamera an, schnattert der Herder auch schon los wie ein altes Waschweib: „Früher war ja alles besser, das waren noch echte Männer auf echten Maschinen. So wie meine Pannonia. Das ist noch echte Ingenieurskunst.“ Ich versuche, den Mann nicht mit zu viel Freundlichkeit zu provozieren. „Der alte Pietsch war ja auch ein richtiger Vollblut-Racer und er hat an seinem Geburtstag der ganzen Redaktion Erdbeerkuchen spendiert.“ Im Hintergrund wird gerade die Panigale ausgeladen. Meine Rettung ist sein Untergang! Mit penetranter Dauerbeschallung kennen sich schließlich beide bestens aus.
Jörg (der Furcht-Lohse): Herder hat abreißen lassen. Hm, zurückfahren? Schwierig. Denn wir wissen, dass er in seiner Heimat als Deivel von Dithmarschen bereits in frühester Jugend auf Hercules Hobby-Rider gnadenlos vollstreckt hat. Wahrscheinlich wartet er nur in einem Seitenweg und lässt Bibi und mich ins offene Messer laufen. Andererseits könnten wir dank unserer Wendigkeit die Budapester Dampframme immer wieder in die Schranken weisen. Also drehen. In der Ferne leuchtet es rot. Ist es die durchgenudelte Sitzbank oder das frivole Rücklicht der Paranoia? Nein, es ist der Meister himself. Die Rübe kocht, weil sein Altmetallhaufen nun final die Grätsche gemacht hat und er noch ein paar Meter schieben musste. Pannonia ade, Panigale olé! Natürlich klar, dass Herder schnell von der Niederlage ablenken will und beim Statement vor Jasmins Kamera die ganz ollen Kamellen auspackt: Wie Senior-Boss Paule Pietsch damals zu Geburtstagen Erdbeerkuchen für alle ausgetan hat. Die Story können Bibi und ich im Schlaf daherbeten. Wir sehen an Jasmins Blick: sie auch schon. Da es der Herr Herder nicht so mit moderner Technik hat, gebe ich ihm eine Kurzanweisung ins Bordunterhaltungsprogramm der 1199 Panigale („Muss da Race stehen?“ – „JA!“ – Leiden sollst du …). Natürlich muss man dazu bei laufendem Motor, 113 Dezibel und Herders fortgeschrittenem Alter etwas lauter werden. Was ist sein Dank? Dass mir neben Faxenmachen nun auch Schreien nachgesagt wird.
Klaus (Paranoia-Herder): Tot ist sie nicht. Also nicht komplett. Allerdings nervt es schon ein wenig, wenn trotz Vollgasstellung ambitioniert bewegte Rollatoren auf dem Fußweg vorbeiziehen. Kurz gesagt: Der Motor läuft noch etwas, aber der Vortrieb fehlt weitgehend. Irgendwie auch blöd, dass meine Pannonia es noch nicht mal bis zum „Wir-laden-dann-mal-lieber-ein-Ort“ des Vorjahres geschafft hat; bereits zwei Ortschaften zuvor ist diesmal Feierabend. Erschwerend kommt hinzu, dass statt klimatisiertem VW Bus nun Ducati-Fahren angesagt ist. Aber okay, das ist der Deal. Wobei: Eigentlich müsste ja Bibi auf der Schandmähre sitzen, aber das Thema hatten wir ja schon. Stichwort „Mitleid“. Doch bevor ich den sensationell unbequemen Eierkocher entere, wird aus dem Panigale-Schriftzug noch rasch ein „Pannonia II“. Und zwar völlig zu Recht, denn bekanntermaßen sind nicht etwa Motor oder Rahmen die charakterbildenden Motorrad-Bauteile, sondern das Rücklicht. So schraube ich flugs das erotischste Rücklicht aller Zeiten von der Pannonia ab und montiere es an die Ducati. Das mag das zugegebenermaßen gelungene Panigale-Design minimal beeinträchtigen, gibt dem Tieflieger aber einen ganz neuen Charakter. Genau: Pannonia II. Back in the Race! Tja, meine Herren, damit habt ihr wohl nicht gerechnet. Und etwas Liegestütz-Training tut mir auch ganz gut. Eine Frage habe ich aber noch: Wie viele Gänge hat die Ducati eigentlich? Ich komme nie über den dritten…
Markus (Raketen-Bibi): Kein Zweifel, der Bibi wird hier am härtesten gefordert. Erst das scheinbar vorzeitige Aus am Start in Wrocław. Dann der gnadenlose Kampf des David gegen die Goliaths. Hier sind übermenschliche Kräfte gefragt, physisch wie psychisch. Getreu dem Motto „Wer bremst, verliert“ pfeilt die Romet dank Fahrkönnen und Taktik unter maximaler Kontrolle präzise durch polnische und tschechische Topografien. Doch auch Lohses Strategie scheint zu funktionieren: Nicht zu hoch drehen, schön flüssig fahren, der Zonenzossen dankt es mit schwer fassbarer Zuverlässigkeit. All das ist Herder nicht vergönnt, denn er muss die Panigale reiten. Das italienische Krawall-Krad bockt in niedrigen Gängen, der Motor sondert gemächtmordende Hitzewellen ab. Von seiner geliebten Gulasch-Granate ist ihm nur das nicht jugendfreie Rücklicht geblieben. Das hat er jetzt vorne an die Panigale geklebt. Ob als Ersatzteil für ihn selbst oder als Opfergabe für Priapos, den griechischen Gott der Fruchtbarkeit und Lust? Vielleicht will er damit auch die Aerodynamik der Spaghetti-Rakete optimieren? Herder tut nichts ohne Grund. Das macht ihn unberechenbar. Genau das scheint mein Rücken auf einmal auch zu sein. Am Abend explodieren die Schmerzen. Bitte jetzt nicht aufgeben, weil der Körper streikt! Nicht jetzt, wo die kleine Maschine trotz Dauervollgas weltmeisterlich läuft und die großkotzigen Kollegen in Schach hält. Es ist zum Haare ausreißen!
Jörg (der Furcht-Lohse): Was fällt uns auf dieser Seite gleich ins Auge? Dass mit der WSK 125 nur noch ein Bike aus der Originalbesetzung von 2015 im Rennen ist. Kein Wunder, hat doch der Seniorenbeirat unserer TT beim Ankauf im letzten Jahr erwartungsgemäß die Prioritäten falsch gesetzt. Herder schwafelte damals was von Eigenständigkeit und griff mit der Pannonia 250, Jahrgang ’62, zur Technik, die schon beim Jahrgang ’26 veraltet gewesen wäre. Von Bibi wissen wir, dass er sich schnell von dicken Dingern beeindrucken lässt. Nur blöd, dass bei der Jawa 350 gleich beide Zylinder schlaff durchhingen. Aber so ist das halt bei ollen Ladys. Was macht dagegen der Endurance-Profi? Lässt sich weder von vermeintlicher Authentizität noch schierer Performance blenden und setzt ausschließlich auf Beständigkeit. Und was ist ein besseres Argument als milliardenfach bewährte Technik? Die polnische WSK als Kopie des DKW Reichstyp 125. Leistung durch Langlebigkeit. Und nicht nur unser sympathisches Nachbarvölkchen im Osten hat abgekupfert. Die Russen (Komet 125) haben’s genauso wie die Amis (Harley-D. Hummer) gemacht. Und was mache ich damit? DAS RENNEN! Oh, bin ich etwa wieder zu laut geworden?
WSK 125
Typ M06 B3, Einzylinder-Zweitaktmotor, 123 cm³, 5,4 kW (7,3 PS) bei 5300/min, Dreiganggetriebe, Rohr-/Blechpressrahmen, Reifen vorn und hinten 3.00-18, Leergewicht 98 kg, Trommelbremse vorn und hinten, Ø je 140 mm, Tankinhalt 13 Liter, Höchstgeschwindigkeit 80 km/h, Bauzeit 1971 bis 1974
Jasmin: Eines steht jetzt schon fest: Die Pannonia II ist die Siegerin meines Herzens. Sie ist nicht nur mit Abstand die schärfste Lady hier im Feld, sie ist auch eine Wohltat für meine Ohren. Die Kollegen beschweren sich zwar über den Sound, aber für mich ist das feinste Musik. Vor allem, weil sie damit alles andere übertönt. Na ja, fast alles. Das Siegesgeschrei vom Kollegen Lohse leider nicht. Der Mann hat aber auch ein Organ. Habe ich da etwas nicht mitbekommen? Seit wann kann man sich hier denn selber zum Sieger krönen? Ganz unrecht scheint er allerdings nicht zu haben. Der Kollege Herder beansprucht schon den schändlichen dritten Platz für sich, und Raketen-Bibi schwächelt. Greift sich seit zwei Kilometern öfter ins Kreuz als ins Haupthaar. Da stimmt doch etwas nicht.
Markus (Raketen-Bibi): Normal, dass man sich Ersatz besorgt, wenn das Einsatzfahrzeug ausfällt, oder? Und diesmal habe ich mich nicht von dicken Dingern blenden lassen. Nein, meine neue Wettkampfstrategie basiert auf Askese und Ausdauer. Daher erwarb ich bewusst ein Fahrzeug, das weniger mit Leistung als mit langem Atem punktet. Eine Maschine für Männer. In Polen produziert, doch angetrieben von einem Jawa-Motor! Der kleine Kraftprotz rettet hier die Ehre der Tschechen. Sie können eben doch zuverlässige Raketen bauen! Was sich von den Ungarn nicht behaupten lässt. Fachkreise munkeln, dass die Pannonia bereits im Neuzustand eine Fehlkonstruktion war. Klar, dass Herder, der harte Hund, mit diesem schwarz überjauchten Porno-Prügel zum Scheitern verurteilt war. Und die WSK? Hat dank DKW-Engineering passabel funktioniert. Allerdings weiß niemand, bis zu welchem Grad Lohses Krad in Polen aufgefrittet wurde und wie viel Schwarzgeld über die offiziellen 166 Euro hinaus geflossen ist. Jetzt nicht wieder rumbrüllen, Herr Lohse, der Verdacht liegt einfach zu nahe, das meint selbst Herder. Und der hat es schon schwer genug mit seinem letzten Platz und dem ganzen Rumgegurke auf der Pannonia II.
Romet Ogar 200
Motortyp Jawa 50/223, Einzylinder-Zweitakt-Motor, 49 cm3, 1,4 kW (2 PS) bei 4500/min (ungedrosselt 3,5 PS), Dreiganggetriebe, Rohr-/Blechpressrahmen, Leergewicht 60 kg, Trommelbremse vorn und hinten, Tankinhalt 9 Liter, Höchstgeschwindigkeit 55 (68) km/h, Bauzeit 1983 bis 1990 bei Predom-Romet in Bydgoszcz, Polen
Klaus: Stellen Sie sich bitte folgende Situation vor: Sie lassen in aller Öffentlichkeit die Hosen runter, trommeln sich auf den Brustkorb und brüllen „Ich bin ein Arschloch!“. So in etwa ist das in Sachen Aufmerksamkeits- und Peinlichkeitswertung, wenn man im öffentlichen Verkehrsraum die Panigale, sorry: Pannonia II startet. Ich bin schon etwas schwerhörig und fahre privat Harley, aber das, was die bildschöne Italienerin bereits im Serienzustand von sich gibt, ist einfach nur asozial laut. Vielleicht bin ich aber auch nur etwas überempfindlich, denn Hunderte von Kilometern quasi im Schritttempo mit einem Motorrad abzureißen, bei dem die Lenkergriffe auf Kniescheibenhöhe liegen, macht maulig. Und im permanenten Zweitakter-Mief zwei lahmarschigen Knallchargen zu folgen, macht noch mauliger. Wenn ich an dieser Stelle den Begriff „Eierkocher“ einbringe, hat das übrigens nichts mit dem kulinarischen Teil unser Challenge zu tun. Und mehrere Wochen nach Beendigung der Tour spüre ich immer noch ein gewisses Taubheitsgefühl in der rechten Hand. Andererseits: Ich verstehe jeden, wirklich jeden, der diese Skulptur haben will. Sie fährt sich (ab 140 km/h!) einfach geil. Und sie sieht noch geiler aus. Besonders mit dem Pannonia-Rücklicht.
Ducati 1199 Panigale
Zweizylinder-Viertakt-90-Grad-V-Motor, 1198 cm³, 143 kW (195 PS) bei 10 750/min, Sechsganggetriebe, Monocoque aus Aluminium, Reifen vorn 120/70 ZR 17, hinten 200/55 ZR 17, Gewicht vollgetankt 195 kg, Doppelscheibenbremse vorn, Ø 330 mm, Scheibenbremse hinten, Ø 245 mm, Tankinhalt 17 Liter, Höchstgeschwindigkeit 296 km/h, Bauzeit 2012 bis 2014
Jörg (der Furcht-Lohse): Was für eine Dramatik kurz vor Česká Lípa. Herder klagt auf der Pannonia II über massive Ohrenschmerzen, behauptet aber, es läge daran, dass ich ja nur noch brüllen würde. ABER WIE SOLL ER DENN BEI 143 DEZIBEL IN FAHRT ÜBERHAUPT NOCH WAS MITKRIEGEN? Bibi ist es mächtig ins Kreuz gefahren, als ich der polnischen Bracke generöserweise bei einer kleinen Steigung Anschub geben wollte. Also weg mit aller Empathie und Fürsorge für die reisenden Rentner. DER SIEG IST MEIN, KOLLEGEN! Denn die WSK 125 ist und bleibt im Felde ungeschlagen.
Klaus (Paranoia-Herder): In gewisser Weise verstehe ich ja das Siegesgeheul des Kollegen Lohse. Hat halt mit einem WSK-Fake und fremder technischer Hilfe als Erster die Ziellinie überquert. Permanent Faxen machende Lautsprecher neigen halt zu solchen Selbstüberhöhungen. Ich dagegen habe das sinnstiftende Rücklicht der Vorjahressiegerin in einem Akt übermenschlicher Aufopferung tapfer durch Wald und Flur getragen. Getragen! Denn nicht zuletzt Bibis Slow Motion-Gangart hat dazu geführt, dass die designierte Titelverteidigerin mit Hitzekollaps frühzeitig und völlig unverdient ausscheiden musste.
Markus (Raketen-Bibi): Nicht Lohses scheinheiliger Anschub am Berg fuhr mir ins Kreuz, sondern ein Schlagloch biblischen Ausmaßes. Hier mussten meine Bandscheiben einmal zu viel den Job der Romet-Stoßdämpfer übernehmen. Sei’s drum, der zweite Platz ist aller Ehren wert, und die Ogar läuft nach wie vor wie ein verdammtes Uhrwerk. Darüber hinaus gilt es mal festzuhalten, wem denn 2016 überhaupt der Preis für das beste Outfit gebührt. Ja, genau, ich bin der EINZIGE, der hier mit einem ATTRAKTIVEN und SICHEREN Anzug dem Thema Motorradfahren Würde verleiht. Noch Fragen?
Jasmin: Auch wenn der Furcht-Lohse den Sieg für sich beansprucht, wissen wir doch alle, wer hier die wahre Gewinnerin ist. Die Frau, die mit drei alten Männern und ihren (R)ostladys loszog, um ein abgefahrenes Roadmovie zu drehen. Ich habe stundenlange Gespräche über Haarpflege, Zweitakteröl und Erdbeerkuchen ertragen, und trotzdem sind alle wieder wohlbehalten in der MOTORRAD-Redaktion angekommen. Natürlich keiner auf zwei Rädern. „Echte Männer auf echten Maschinen“ eben. Dem alten Pietsch hätte eure Challenge aber bestimmt trotzdem gefallen.
Nicht nur die wiedergefundene WSK lockte die drei Challenger erneut nach Polen und Tschechien. Tolle Städte, reizvolle Landschaften und sehr viel Gastfreundschaft taten es auch.
Allgemeines: Unsere Nachbarländer Polen und Tschechien haben sich in den letzten 20 Jahren freigeschwommen und zu modernen, selbstbewussten Staaten entwickelt. Mit der deutschen Vorgeschichte in den von uns besuchten Regionen und auch mit den vormals sozialistischen Zeiten wird mittlerweile recht entspannt umgegangen – der Generationenwechsel macht sich angenehm bemerkbar. So wird niemand mehr als Kalter Krieger oder Ewiggestriger gescholten, wenn er zum Beispiel Breslau statt Wrocław sagt. Einige Tugenden aus alten Zeiten blieben aber gottlob erhalten: spontane Gastfreundschaft, ausgeprägte Hilfsbereitschaft und erstaunliches Improvisationstalent sind immer noch weit verbreitet. Für Motorradfahrer, die Kultur und Kurven kombinieren wollen, bietet sich die hier vorgestellte Region perfekt für ein verlängertes Wochenende an: Wrocław/Breslau mit seiner wunderschönen Altstadt für ein oder zwei Tage als kulturellen und kulinarischen Start- oder Zielort genießen, danach oder davor auf kleinsten Sträßchen im und ums Riesengebirge mäandern. Um zwei Dinge muss man sich dabei nicht wirklich sorgen. Erstens: Verständigungsprobleme? Gibt’s nicht wirklich. Mit Englisch-Basiskenntnissen kommt man immer weiter, und erstaunlich oft wird sogar Deutsch gesprochen. Zweitens: Diebstahlgefahr? Zugegeben, im vergangenen Jahr wurde uns die WSK gemopst, aber das war wohl eher die Spontantat eines verwirrten Dorftrampels. Ansonsten liegen Polen und Tschechien statistisch im europäischen Mittelfeld, also keine Panik. Für unsere Panigale interessierte sich niemand Unbefugtes.
Anreise: Die A 4 über Dresden ist die perfekte Einflugschneise. Entweder in Dresden abbiegen und entlang der Elbe in Richtung Tschechien fahren. Oder bis Wrocław durchziehen – bis dahin ist die Autobahn für Pkws und Motorräder mautfrei.
Verkehr: In Polen und Tschechien wird etwas „offensiver“ als in Deutschland gefahren, was man aber nicht mit „aggressiver“ verwechseln sollte. Fußgänger haben etwas schlechtere Karten, dafür ist die Oberlehrerdichte deutlich geringer.
Übernachten: Wie im Vorjahr übernachteten wir in Wrocław im zentral gelegenen „Hotel Centrum Dikul“ (www.dikul.pl, EZ 62 Euro) – die Empfehlung hat sich auch diesmal bestätigt. Im polnischen Wałbrzych (Waldenburg), also in Grenznähe gelegen, ist das sichere Motorradparkplätze bietende „Ibis Styles“ zu empfehlen, das mit 39 Euro pro Nacht auch noch sehr günstig ist (www.ibisstyles-walbrzych.pl). Ein echter Genießer-Tipp ist das mit Antiquitäten bestückte, kitschig-urige „Hotel Morris“ im recht malerischen tschechischen Česká Lípa (www.hotelmorris.cz). 120 Euro für die Suite gehen in Ordnung, Essen und Trinken sind spottbillig.
Motorrad-Oldtimer: Unser Gewährsmann in Wrocław heißt Piotr Kawalek und ist in der polnischen Oldtimer-Szene ein absoluter Begriff. Rund 250 meist unrestaurierte Schätzchen – vom simplen Ostblock-Single bis zur ultraseltenen Indian-Bahnrennmaschine – sind in seinem Fundus zu finden. Restauriert wird exakt nach Kundenwunsch. Etwa 90 Prozent des Bestandes werden ins Ausland verkauft, sehr oft in die USA und nach Skandinavien. Piotr spricht recht gut Deutsch. Nähere Infos und Kontaktdaten gibt es unter www.oldtimerbazar.pl.
Tschechien