Fahrbericht Gilera GP 800
Grosser Preis von Mailand

Der Zweite ist schon der erste Verlierer, heißt es. Die Schmach, dass der König der Scooter in Form des Suzuki Burgman 650 nicht aus dem Land der aufgeschäumten Milch, sondern dem der aufgehenden Sonne kommt, soll der Gilera GP 800 tilgen.

Grosser Preis von Mailand
Foto: Gilera

Man kann ein Missverständnis auch provozieren. Denn obwohl der in Mailand präsentierte, komplett neu konstruierte Gilera GP 800 wortgewaltig als sportliche Speerspitze des Scooterbaus gepriesen wird, der vor allem Fahrer von Mittelklasse-Motorrädern auf seine breite Sitzbank locken soll, möge man auf keinen Fall seine Namensgebung als Anlehnung an die MotoGP-Rennserie missverstanden wissen.

Nicht für »Grand Prix« stünde GP, sondern für »Gilera Performance«. Und um diese Leistungsfähigkeit unter Beweis zu stellen, drängt sich die italienische Metropole Mailand förmlich auf, bietet doch besonders die dortige Rushhour beste Voraussetzungen zur Überprüfung von Handling-Eigenschaften (sind bis auf den Wendekreis okay), Zwischenspurt-Qualitäten (subjektiv müde) und Bremsperformance (jau!), während der ortsunkundige Pilot versucht, zusammen mit rund zwanzig anderen Kollegen den einhei­mischen Tourguide nicht aus den Augen zu verlieren.

Unsere Highlights
Gilera
Lange nicht gesehen: einen Roller mit Kettenantrieb.

Im Ausfallstraßen-Qualifying wird die Startaufstellung zum Highspeed-Contest auf dem örtlichen Autobahnring er­mittelt. Dank pfiffiger und kreativer Fahrstreifenwahl des Pace-Scooters streicht die Tachonadel bis knapp unter die 200 km/h-Marke. Insofern dürften die angegebenen 75 PS des neu konstruierten 90-Grad-V2-Motors, der in derselben Form auch die demnächst debütierende Aprilia Mana antreibt, vollständig vorhanden sein. Der GP läuft stur geradeaus, was für die Räderwahl von vorne 16 und hinten 15 Zoll spricht.

Ausstattung

Gilera
Groß und mächtig kommt der zum Jahresende lieferbare GP 800 daher.

Der Windschutz ist recht ordentlich, zudem kann der Fahrer dank elektrisch verstellbarer Scheibe deren Höhe und ­damit die Geräuschentwicklung von laut (Scheibe unten) bis unerträglich (Scheibe oben) stufenlos variieren. Im Vergleich zum bisherigen König der Roller, besagtem Burgman 650, zeigt sich der Italiener geradezu ärmlich ausgestattet. Er hat: Tacho, Drehzahlmesser, zwei Tripzähler, Außen- und Kühlmittelthermometer sowie Tank- und Zeituhr.

Außerdem eine Feststellbremse nebst Hauptständer. Last but not least einstellbare Bremshebel, mit denen unabhängig voneinander vorne zwei und hinten eine Scheibe in die Zangen genommen werden. Dies geschieht mit mittlerer Handkraft, mäßiger Transparenz, jedoch kräftiger Wirkung. Kräftiger jedenfalls, als die Pirelli-GTS-Bereifung zu übertragen imstande ist. Ein ABS ist derzeit nicht zu haben, liegt aber nach Aussagen von Gilera bereits fertig in der Schublade, um bei entsprechender Nachfrage sofort angeboten werden zu können. Ursprünglich hatten die Entwickler für den GP 800 einen Zahnriemenantrieb vorgesehen, doch nach Änderungswünschen der Marketing-Abteilung beansprucht nun stets eine Dose Kettenspray ihren Platzim nicht gerade üppigen Helmfach. Das ist ärgerlich, zumal es sonst keine wei­te­ren Fächer oder Ablagen gibt. Der dicke Motor braucht Platz, dementsprechend fällt der Mit­tel­tunnel breit aus, die Trittbretter wiederum sind schmal. In der Länge ist Platz kein Thema.

Unverständlich bleibt, warum man dem GP die Goodies der motorisch baugleichen Mana vorenthält. Bei dieser nämlich wird der Pilot die Möglichkeit haben, ähnlich wie bei erwähntem Burgman, entweder im Automatik-Modus zu fahren oder via Tippschalter mit der linken Hand verschiedene Übersetzungsstufen anwählen zu können. Wahrhaft groß ist beim GP 800 derzeit vor allem der Preis: 9400 Euro zeugen von gesundem Selbstbewusstsein der Italiener.

Daten Gilera GP 800

Gilera
Das Cockpit des GP 800 informiert grundsätzlich ausreichend, für einen Oberklasse-Scooter jedoch dürftig.

Motor:
wassergekühlter Zweizylinder-Viertakt-90-Grad-V-Motor, Kurbelwelle quer liegend, je eine oben liegende , kettengetriebene Nockenwelle, vier Ventile pro Zylinder, Kipphebel, Fliehkraftkupplung mit Variomatik, Kette.
Bohrung x Hub88,0 x 69,0 mm
Hubraum839 cm3
Nennleistung55 kW (75 PS) bei 7250/min
Max. Drehmoment76 Nm bei 5750/min

Fahrwerk:
Gitterrohrrahmen aus Stahl, Telegabel, Ø 41 mm, Zweiarmschwinge aus Aluminium-Guss, Doppelscheibenbremse vorn, Ø 300 mm, Doppelkolben-Schwimmsättel, Scheibenbremse hinten, Ø 280 mm, Einkolben-Schwimmsattel, Feststellbremse.
Alu-Gussräder3.50 x 16; 4.50 x 15
Reifen120/70 R 16; 160/60 R 15

Maße und Gewichte:
Radstand 1593 mm, Lenkkopfwinkel 64,5 Grad, Federweg vorne/­hinten 122/133 mm, Sitzhöhe 780 mm, Trockengewicht 245 kg, Zuladung 450 kg, Tankinhalt/Reserve 18,5/3 Liter.

Garantie: zwei Jahre
Farben: Rot, Schwarz
Preis (inkl. Nebenkosten): 9400 Euro
Lieferbar zum Jahresende

Die aktuelle Ausgabe
MOTORRAD 12 / 2023

Erscheinungsdatum 26.05.2023